Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst-Halle — 10.1905

DOI Heft:
Nummer 6 (15. Dezember 1904)
DOI Artikel:
Kohut, Adolph; Rietschel, Ernst [Gefeierte Pers.]: Ernst Rietschel: ein Gedenkblatt zu seinem 100. Geburtstage (15. Dez.)
DOI Artikel:
Von der Nationalgallerie
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.66262#0101

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 6


Rückkehr vollendete er ſein größtes Meiſterwerk, das
eherne Denkmal Leſſings, das 1855 in Braunſchweig
enthüllt wurde, ein Kanon der modernen Plaſtik. Dieſer
Gotthold Ephraim Leſſing ſteht feſt und breit da, ſo
recht der Typus eines Gedanken-Heros, der keine
Menſchenfurcht kennt, voll Ruhe und durchdringender
Klarheit, voll Schlichtheit und natürlichem Adel in dem
Antlitz und der ganzen Erſcheinung. Bei allem Realis-
mus der Statue iſt ſie von einem bezaubernden Schön-
heitsſchimmer überhaucht. Hier iſt die höchſte Monu-
mentalität erreicht. Eine lange Reihe anderer Arbeiten,
Büſten und Reliefs, gingen nebenher. Vor allem ſchuf
er die koloſſale Goethe-Schiller-Gruppe aus Erz, die
in Weimar (1857) enthüllt wurde. Auch hier bethätigt
er ſeinen ſcharf entwickelten Sinn für das Individuelle,
ſowie für den Adel der Formen. Beſonders entzückend
iſt die lautere Schönheit in der Erſcheinung der Gruppe,
die Pracht der Linienführung und die Fülle lebendigſter
Charakteriſtik.

Nach ſeines intimen Freundes und Arbeitsgenoſſen
Rauch's Tod, langte ein Ruf nach Berlin an ihn, doch
ſchlug er ihn aus. 1860 wurde ſeine Statue Narl
Maria von Weber's aus Erz — neben dem Muſeum
in Dresden — enthüllt. Von da ab beſchäftigte ihn
das koloſſale Lutherdenkmal für Worms. Aber
es war ihm leider nicht vergönnt, das ganze Monu-
mentalwerk zu vollenden, denn kaum hatte er die
Statue Wikleff's und Luther's — die letztere 5,2 m hoch —
im Entwurf vollendet, ſo überraſchte ihn der Tod am
21. Februar 1861 in Dresden. Ein Kunſtkritiker be-
urtheilt dieſe unſterbliche Schöpfung Rietſchel's mit den
Worten: „Der Reformator iſt in ſeiner kühnen Wahr-
haftigkeit, ſeinem felſenfeſten Gottvertrauen ſo einfach,
groß, ſo ergreifend und ſo wichtig monumental hin-
geſtellt, daß in ſeinem wie in Leſſing's Bilde die Plaſtik,
das höchſte Siel dieſer Gattung, erreicht iſt, die geiſtigen
und ſittlichen Ideale des Volkes in den Geſtalten ſeiner
edelſten Vertreter zu unvergänglicher Bedeutung in monu-
mentale Form zu bringen.“ Die Vollendung des Werkes
(4868) nach des Meiſters Tod übernahmen ſeine Schüler.

Sein Schwager Oppermann beſchrieb ſein Leben,
und er ſelbſt hat intereſſante und gemüthvolle „Jugend-
erinnerungen“ hinterlaſſen. Seine Werke in Abgüſſen,
Modellen und Entwürfen finden ſich geſammelt im
Bietſchel⸗Muſeum zu Dresden, im Palais des großen
Gartens. Auf der Brühl'ſchen Terraſſe von Elb-Athen
wurde ihm 1876 ein Denkmal von Schilling errichtet.

Seine zahlreichen Schüler vergötterten den Meiſter.
Durch ſein bereitwilliges Eingehen auf jede Richtung
und auf jede Individualität übte er einen wohlthätigen
Einfluß aus. Man leſe nur, was Friedrich Pecht von
der Liebenswürdigkeit und Selbſtloſigkeit des Meiſters
erzählt. Er war durchaus Gefühlsmenſch; ſein reiches


oft in einer Weiſe, daß er manchmal aus perſönlicher
Anhänglichkeit ſogar den Einfluß von Leuten auf ſich
duldete, die an Begabung weit unter ihm ſtanden.

Von der Nationalgalerie.

. der Aegide der Berliner Sezeſſion wird eine

„Ausſtellung der Landſchaft von 1800

bis 1870“ geplant, die etwa im Februar oder
März nächſten Jahres ſtattfinden ſoll. Als Leiter dieſer
Ausſtellung nennt man Herrn Meier-Gräfe, der eigens
aus Paris, wo er bekanntlich einen modernen Kunſtſalon
unterhält, hierher kommen wird, um das mit beſonderen
Noffnungen verknüpfte „bedeutungsvolle“ Unternehmen,
welches der Pariſer Herr angeregt, in die Wege zu
leiten. Denn dieſes Unternehmen will nicht etwa eine
jener üblichen, zur Belehrung der Kunſtfreunde ge-

dachten, von Staats-, Stadt- oder Schulbehörden
feierlichſt inaugurirten retroſpektiven Schauſtellungen
bezwecken. Durchaus nicht. Die unternehmenden

Nerren, welche heute die Kunſtgeſchichte ſo eigenmächtig
wie möglich geſtalten, welche nicht nur die lebende
Kunſt nach ſezeſſioniſtiſchen Gepflogenheiten einſchätzen,
ſondern auch alle geſchichtliche Kunſt, durch Umwerthung
der beſtehenden Begriffe im Sinne ihrer ſezeſſioniſtiſchen
Kunſt⸗ und Geſchäftsrückſichten auf ein verändertes
Poſtament zu ſtellen ſich bemühen, ſind des langen
Narrens müde, ſie wollen nunmehr die großen Worte
in entſcheidende Handlungen umſetzen, ſie wollen end-
lich die revolutionäre That wagen; und den Anfang
dieſer künftigen Entſcheidungskämpfe unter den Augen
des „rückſtändigen“ deutſchen Kaiſers ſoll eben 5
„Ausſtellung der Landſchaft“ bilden.

Aber das Merkwürdige und Intereſſante an der
Sache iſt, daß mit dem Plane der ehrgeizigen Herren
die fernere Abſicht verbunden iſt, dem lebenſo emſig
wie heimlich betriebenen Unternehmen einen offiziellen
Stempel zu verleihen. Man hat nämlich die denkbar
eindrucksvollſte Umgebung in der Reichskapitale für den
beabſichtigten Beginn der großen kunſtgeſchichtlichen
Entſcheidungskämpfe auserſehen. Unſere Vational-
gallerie ſoll die Arena der „weltbewegenden“ Abſichten
des Pariſer Herrn ſein, deſſen kürzlich erſchienenes
Kunſtbuch die Umwerthung der kunſtgeſchichtlichen
Werthe bereits literariſch vorbereitete. Hier dreht ſich
alles Weſentliche, was in landſchaftlicher Hinſicht für
das 19. Jahrhundert in Betracht kommt, um das
impreſſioniſtiſch-luminiſtiſche Steckenpferd, und von
Berliner Malern kommt in dem Buche ſelbſtverſtändlich
allein Prof. Mox Liebermann M. d. A. (ſoll heißen:
Mitglied der Akademie) zur Ehre der 5 und
zwar in recht ausgiebiger Weiſe.

Leider wird uns der Schmerz bereitet, von abſolut
zuverläſſiger Seite zu erfahren, daß auch die Leitung
der Königlichen Gallerie mit von der Partie des
Pariſer Unternehmers iſt. Die Nachricht iſt wohl ge-
eignet, ein unliebſames Auffehen in unſeren Kunſtkreiſen
zu erregen. Unliebſam um ſo mehr, als Idee und
Ausführung des Planes, wie geſagt, mit dem Schleier
des Geheimnißvollen umgeben werden. Soll doch
 
Annotationen