Nr. 6
koſtbaren Schnitzwerk der Säle, den künſtleriſch ge-
meißelten Figuren, den goldenen und ſilbernen Reliefs,
den Decken, Gewölben, Brüſtungen aus geſchmiedeter
echter Bronze, den unüberſehbar funkelnden Lichtkörpern
wächſt er rieſengewaltig vor unſern Blicken empor,
gleich einer jener Schöpfungen, welche die orientaliſche
Phantaſie mit dem überirdiſchen Walten von Sauber-
händen einſt in Verbindung zu bringen liebte. Und
doch iſt dieſe Bauſchöpfung von dem verdienten
Berliner Architekten Prof. Alfred Meſſel, der noch in
den beſten Jahren ſteht, unterſtützt vom Bauinſpektor
Schilbach, vor unſern Augen in der volksreichſten
Gegend Berlins Stein um Stein entſtanden, nachdem
der größere Theil des Rieſenhauſes bereits vor mehreren
Jahren fertiggeſtellt war. Meſſel hat mit den denkbar
üppigſten Mitteln, wie ſie ſelten einem Künſtler zur
Verfügung ſtehen, eine der zeitgemäßeſten und
komplizirteſten Aufgaben zu löſen gehabt, zu welcher
er zwar eifrige Studien für die inneren Einrichtungen
im Ausland und im Inland machen konnte, ohne indeß
in der architektoniſchen Geſtaltung durch Vorläufer direkt
und maßgebend beeinflußt zu werden.
Nichts iſt wohl verfehlter und laienhafter, als die
verſchiedenartigen Bauaufgaben der Seit, z. B. ein
Waarenhaus, einen Dom, ein Muſeum, mit gleichem
Maße zu bewerthen, und Meſſel etwa gegen Ihne
auszuſpielen. Tradition kann für gewiſſe Bauanlagen
ein genau ſo wichtiges Moment ſein, wie Modernität
für Waarenhäuſer, wo ja dem Götzen der Mode in
gar vielerlei Form gehuldigt werden ſoll. Dennoch
ſcheint man mir der künſtleriſchen Ambition, der „ge-
ſchichtlichen“ Schulung und dem gewählten Geſchmack
des verehrten Meiſters Meſſel wahrlich keinen guten
Dienſt zu thun, wenn man ihn zum extremen Modernen
ſtempelt, der er ſicherlich nicht ſein will. Schon die
Außenfront, die hohe alterthümlich wirkende Pfeilerreihe,
die jetzt am Leipziger Platz in einer offenen ſpät-
gothiſchen Halle gipfelt, beweiſt, daß die baukünſtleriſche
Phantaſie, aus welcher dieſe Architektur erwuchs, ge-
ſättigt war mit Bildern gothiſcher Kirchenhallen, der
berühmten Tuchhalle von Ypern (15. Jahrh.) u. ſ. w.
Erinnert doch ferner die köſtliche plaſtiſche Ausſchmückung
der in poröſem Kalkſtein konſtruirten Halle am Platze, an
welcher die bewährten Bildhauer Joſef Rauch, Prof. Floß-
mann, E. Weſtphal, Prof. A. Vogel, Prof. Chr. Behrens
und Prof. Taſchner mitgearbeitet haben, an manches
reizvolle altitalieniſche Vorbild. Weiter erhielt über
jener Halle der mächtige Teppichſaal eine Boiſerie in
grauem italieniſchen Nußbaum und eine theilweiſe ver-
goldete prächtige Kaſſettendecke. Den ſpätgothiſchen
Anklängen der frontalen Fenſtergeſtaltung entſpricht
hier ein Spätrenaiſſancecharakter der durch polychro-
mirte Pilaſter gegliederten Wandflächen. Doch überall,
wohin das Auge bewundernd blickt, ſteckt eine Un-
ſumme ehrlicher künſtleriſcher Arbeit und techniſcher
Intelligenz. Völlig neu erſcheint der Gedanke, die
Höhe des gewaltigen überglaſten Lichthofes durch zwei
tiefer unterwölbte Bronzebrücken für die
Wirkung des Raumganzen zu mildern.
An dem ſchon bekannten Außenbilde des Wertheim-
baues macht vor allem die architektoniſche Ueberführung
der Pfeilervertikalen in die ſtarre Norizontale des ab-
ſchließenden Gebälks den Eindruck der Neuheit. Aber
als eine ſonderlich glückliche Cöſung kann man trotzdem
dieſe Verknüpfung ebenſowenig bezeichnen, wie man
die am Dache über den Pfeilern aufgeſetzten herkömm-
lichen Obelisken ſchön zu nennen oder wie man das
wuchtig laſtende ſchwarzgraue Dach über der Hallen-
front als äſthetiſch annehmbar zu empfinden vermag.
Strenge Beurtheiler werden endlich einwenden, daß das
gewaltige Außenbild hoher Pfeilerarkaden wohl auf eine
einzige Rieſenhalle im Innern, nicht aber auf eine vier-
fache Stagirung des Hauſes ſchließen laſſe: Die ſtreng
verlikale Gothik der langen Front wirke daher eigent-
lich nur wie eine koloſſale Maske des Nauſes. Leicht
und bequem iſt es ja überall, auch an dem größten
Verdienſt irgend einen Mangel zu finden. Doch wenn Neid
und Nörgelei oft aus kleinen entſchuldbaren Mängeln eine
furchtbare Anklage ſchmieden, ſo giebt es auch auf der
anderen Seite eine gewiſſe Kritik, die an allen wirk-
lichen Unvollkommenheiten wie mit verbundenen Augen
vorübergeht und förmlich im Wuſt eines überſchwäng-
lichen Lobes erſtickt. Der Privatarchitekt Meſſel, in
deſſen aufrichtiger Würdigung und Anerkennung ich
Niemand zu weichen brauche, iſt lediglich darum das
maßlos angeräucherte Schoßkind jener Kritik, weil dieſe
unbedingt Jemand braucht, den ſie gegen die „offizielle“
Kunſt und gegen die „offiziellen“ Architekten ausſpielen
kann.
G. G.
*.
de
Im Weihnachtsmonat pflegt dem Kritiker nichts
anderes übrig zu bleiben als den Spieß in die Ecke zu
ſtellen, damit er nicht in den Ruf eines Spiels und
Geſchäftsverderbers gerathe. Der Weihnachtsengel, der
die Kleinen und Kleinſten im Reiche der Vunſt ſeit
jeher in Schutz nimmt, läßt in der That nicht mit ſich
ſcherzen. Er führt die Thränen und Seufzer der im
Daſeinskampf Rückſtändigen als gewaltiges Argument
ins Feld. So wäre denn die allergrößte Behutſamkeit
erforderlich, einerſeits Keinem wehe zu thun und anderer-
ſeits auch der ſtrengen Wahrheit zu dienen. Von der
Ausſtellung im Künſtlerhauſe würde es unter anderen
Umſtänden wohl heißen, daß ſie das Chaos der Minder-
werthigen darſtelle. Verzichtet man aber darauf, den
höchſten Maßſtab anzulegen, ſo könnte man ſagen, daß
die Ausſtellung etwa ein Dutzend von hochachtbaren,
zum Theil recht ſchönen, ja ſogar feinen Nunſtwerken
enthalte, aber dieſe Namen und Nummern müſſen ſchon
verſchwiegen werden, damit den anderen kein Herzeleid
geſchieht. Die Ausſtellung bei Wertheim kokettirt nun
gerade nicht mit dem Weihnachtsengel, beſteht aber
dennoch vorwiegend aus langweiligen Schmarren. Nur
etwa die Arbeiten von Vans Hartig, Alfred Geſteritz,
Richard Scholz und Hans von Volkmann vermögen
den Beſchauer zu feſſeln, daß er einen Augenblick vor
ihnen ſtill hält. Ungleich geſchickter und politiſcher
aber inſzenirte der Verein der Künſtlerinnen die
herkömmliche Weihnachts-Ausſtellung und Meſſe im
Saale der ehemaligen Hochſchule für Muſik in der
Potsdamer Straße. Man wird die geſchmackvolle und
bedeutſame Gruppirung wohlfeiler Geſchenkſtücke nicht
ohne herzliche Antheilnahme und Vochachtung vor der
Energie der Vereinsleitung ins Auge faſſen. Erfreulich
berührt es, daß das Viveau im kunſtgewerblichen
Schaffen ſich von Jahr zu Jahr hebt, daß die offenbaren
Geſchmackloſigkeiten auf ein Mindeſtmaß beſchränkt ſind
und andererſeits einige der führenden Damen ſich nahezu
in die Höhe entwickelt haben, wo der Grand Prix blüht,
und ebenſo erfreulich, daß dieſe großen Damen den
minderen Talenten, die doch auch leben wollen, nicht
den Platz an der Sonne vorweg genommen haben.
Der Meſſe iſt diesmal eine graphiſche Abtheilung an-
gegliedert, welche von allen mehr oder minder nam-
haften Mitgliedern des Vereins Seichnungen, Radirungen,
Steindrucke, Tuſchzeichnungen vorführt, ſchöngerahmte
Arbeiten, die ſich zu Geſchenkzwecken eignen. Da hier
die ſtrenge Jury nach Kräften auf eine Auswahl beſter