daran die allgemeine Neberreiztheit, den heute überall
zu extremen Anſchauungen neigenden Sinn treffen, aber
man würde eine gar zu traurige Erſcheinung nur
gedankenlos beſchönigen, wenn man durch jene An-
deutung allein den Suſtand unſerer öffentlichen Kritik-
verhältniſſe völlig erklärt oder entſchuldigt wähnte.
Dem Kenner dieſer Verhältniſſe kann es vielmehr nicht
zweifelhaft ſein, daß ſich die Urſachen des heutigen
Suſtandes mehr hinter den Kuliſſen, als vor dem
klaren Rampenlichte der künſtleriſchen Ereigniſſe bildeten,
und daß für die handelnden Perſonen nur ausnahms-
weiſe eine aus reiner Sachlichkeit unbefangen ge-
wonnene Ueberzeugung in Frage kommt, ſondern in
der Regel der Druck perſönlicher Einflüſſe und Rück-
ſichten, die im Suſammenhang mit den Parteigrund-
ſätzen gewiſſer Künſtlerkreiſe ſtehen, mit welchen ſich
der moderne Kritiker anſcheinend ſolidariſch fühlt. So
entſteht oft ein Urtheil, lediglich vom Parteiſtandpunkt
diktirt, dem die Begriffe gut und ſchlecht nicht zu
Grunde liegen. Dialektiſcher Geſchicklichkeit gelingt es
trotzdem, dem Leſer den Schein einer tiefinneren Ueber-
zeugung vorzugaukeln.
Dieſe eigenthümlichen Suſtände haben auch gegen-
über den künſtleriſchen Unternehmungen des Kaifers
neuerdings eine akute und bedenkliche Form offenbart.
Wir waren kürzlich theilnehmende Seugen einer nicht
alltäglichen Feier, die den 18. Oktober zu einem
nationalen Gedenktag hätte erheben können: der Weihe
des ſeit lange vorbereiteten Kaiſer Friedrich-Muſeums.
Künftige Generationen werden wohl leicht auf den
Gedanken kommen, die Blätter unſerer Seitchronik
daraufhin zu prüfen, wie ſich ein ſolches künſtleriſches,
kulturelles und nationales Geſchehniß im Spiegel der
öffentlichen Kritik einſt ausgenommen habe. Da wird
den Wißbegierigen zu ihrer nicht geringen Ueber-
raſchung ein Bild würdeloſer Entſtellung und Undank-
barkeit entgegengrinſen, deſſen beſchämende Möglichkeit
uns Seitgenoſſen das Blut in die Wangen treiben
müßte. Bei der Enthüllung der „Jagdgruppen“ im
Tiergarten hat ſich Aehnliches in den Kritiken ab-
geſpielt. Es verlohnt ſich dabei auf England und
Frankreich hinzuweiſen, deren Zuſtände oft zum Ver-
gleich herangezogen und zumal von den Freunden
modernen Lebens gern als vorbildlich bezeichnet werden.
Dort giebt es ebenfalls eine ſogenannte offizielle Kunſt
die es ſich förmlich zur Aufgabe macht, die vom
Staatsoberhaupte oder von der Regierung angeregte
Kunſtproduktion bei jeder ſich bietenden Gelegenheit zu
verdächtigen und herabzuwürdigen. Es ſcheint beinahe
ſo, als wolle man immer wieder dem Auslande kund
thun, wie ſo ſchön objektiv man bei uns in Deutſchland,
richtiger in Preußen, urtheile: wenn man zwar alles
Fremde mit milder Schonung liebreich umkoſe, doch über
die eigene „offizielle“ Kunſt ingrimmig „herfalle“ — wie
der Stier bekanntlich über den rothen Lappen. Nun, dem
Aus lande wird dieſe edle Objektivität gewiß ganz recht ſein.
Su dieſer fragwürdigen Gbjektivität gehört am
Ende auch die Gepflogenheit bei uns, einem Autor
ſtets übel zu gedenken, was er gegen die dem Kritiker
genehme Partei oder Klique je geſchrieben oder ge-
ſprochen hat. Selbſt dem Kaifer gegenüber iſt dieſer
Grundſatz mit ſeltener Konſequenz durchgeführt worden.
Nätte der Monarch dagegen nie ein kräftiges Wort
gegen die Ausſchreitungen der Sezeſſioniſten geäußert,
dann wäre es auf jener Seite wohl auch in Berlin
— wie es die Beiſpiele von München, Darmſtadt und
Weimar lehren — niemals zu einer ſo brüsken Ab-
lehnung alles deſſen gekommen, was von Kunſt nur
irgendwie mit dem offiziellen Namen in Verbindung
gebracht wurde. Im Gegentheil, die Liebeswerbungen,
die dort bei hohen und höchſten Perſonen faſt
ſyſtematiſch verſucht wurden, laſſen wohl darauf
ſchließen, daß man unter Umſtänden zu einem ſehr
weitgehenden Kompromiß bereit geweſen wäre...
Doch wozu den Gegner reizen, wenn man ihn davon
überzeugen möchte, daß nicht Haß oder Verachtung,
ſondern Bitterkeit und Bedauern zu dieſen Seilen
drängten. Vielleicht ſind Seit und Gelegenheit ſogar
günſtig, einer Verſtändigung das Wort zu reden,
Mittel und Wege zu verſöhnlicher Annäherung zu
finden. Die Kunſt käme dabei gewiß nicht ſchlechter
weg, und die Künftler in beiden Lagern werden an
Anſehen wie an Selbſtvertrauen nicht einbüßen. Da-
gegen wäre die Ausſicht gewonnen, daß man ſich
künftig gegenſeitig mit mehr Achtung behandle, gewiſſen-
hafter und gerechter beurtheile und daß man bei der
Beurtheilung unſerer öffentlichen Kunſt und Kunſt-
fragen etwas mehr von jenem nationalen Stolze ver-
rathe, in welchem wir bei den Engländern eins der
Merkmale ihrer eigenthümlichen und überlegenen
Kultur rühmend anerkennen.
Dieſer Gedanke einer Verſtändigung mag, wie mir,
manchem Anderen gekommen ſein, der im Vebrigen den
Kampf der künſtleriſchen Kräfte an ſich nicht gerade
als ein Uebel zu betrachten geneigt iſt. Nur ſolcher
Kampf erſcheint bedenklich, der uns, ſtatt uns Vor-
theile zu ſichern, mit dem Verluſt ſittlicher und natio-
naler Güter bedroht. Und allen denen, welche für die
deutſche Kunſt heute Derartiges fürchten, muß die
jüngſte Kaiſerrede wie eine goldene Brücke vor Augen
ſtehen, durch die eine Verſöhnung der Nunſtparteien
ſich anbahnen ließe. Alle Einſichtigen auch unter den
Sezeſſioniſten weiſen den Gedanken zurück, daß ihnen
die alten Meiſter, deren klaſſiſchen Werken die Tradition
gleich einem unverſiegbaren Quell entſtrömt, gleich-
giltig und unwerth ſeien: nicht nur, weil alle tech-
niſchen und geiſtigen Errungenſchaften der Künſte, auf
deren Beſitz die Moderne ein ſtolzes Recht zu haben
glaubt, zum mindeſten im Keime ſchon in den hiſto-
riſchen Schöpfungen zu finden ſind, ſondern auch
darum, weil in alten glücklichen Kunſtepochen groß-
zügige Ideen und Ingenien dem Boden entſproſſen,
die unter jetzigen Verhältniſſen nicht möglich ſind. Nur