Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst-Halle — 10.1905

DOI issue:
Nummer 8 (15. Januar 1905)
DOI article:
Galland, Georg: Der Kaiser und die Kunst, 2
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.66262#0137

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Nr. 8 Die Uunſt⸗ Halle. 115
hielt ſich thatſächlich im Rahmen heimiſcher zeit- angeblich alles Geſchichtliche überwand, erſchien —
genöſſiſcher Kunſtäußerungen. Und dennoch erſcheinen dann muß man verſtimmt ſein über das heute

uns beide heute als echte künſtleriſche Dokumente der
letzten Kurfürſtlichen Aera und der Friederizianiſchen
Epoche. Die geſchichtliche Erfahrung verhilft uns alſo
zu der wichtigen Erkenntniß, daß es unrichtig iſt, mit
dem gleichen Maßſtab alle künſtleriſchen Erſcheinungen
einer Seit zu beurtheilen und daß es ein übles Seug-
niß für eine öffentliche Kritik bedeutet, wenn ſie, aus
Anlaß noch ſo erklärlicher Modeſtrömungen in den
Niederungen des zeitgenöſſiſchen Lebens, dem Fürſten
die ſelbſtherrliche Beſtimmung in aesthetieis — anſtatt
ſie zu begreifen und zu würdigen — vielmehr zu ver-
leiden und zu verkümmern ſucht: ein offenbares Recht,
das in dem Genius der Geſchichte wie der freien Per-
ſönlichkeit eine unanfechtbare Stütze heute wie ehedem
erhält. .

Ja, wie ehedem. Wenn man auch oft die Ein-
wendung hört, daß es ſelbſt in den künſtleriſchen
Dingen mittlerweile ganz anders geworden ſei. Be-
trachtet man doch das 19. Jahrhundert bezüglich ſeiner
Kunſtentwicklung als etwas durchaus Apartes, noch nie
zuvor möglich Geweſenes. Dieſes eigenthümliche Jahr-
hundert, ſo lieſt man in Kompendien und Seitſchriften,
habe lediglich von der Nachahmung des Alten gelebt,
und nun, da endlich die lange, unrühmliche Spoche
kunſthiſtoriſcher Rekapitulationen glücklich überwunden
ſei, müſſe man auch mit aller Konſequenz die dem
ſchöpferiſchen Geiſt verderbliche Reaktion überall, wo
man ihr begegne, bekämpfen. Um dieſe Tendenz ſelbſt
nur äußerlich zu billigen, müßte objektiv bewieſen
werden, erſtens, daß alle Kunſtleiſtungen des als ledig-
lich imitativ geſtempelten Jahrhunderts, wie die des
Romantismus, welchem wir in Deutſchland die Cornelius,
Führich, Rethel, Schwind, L. Richter, Böcklin u. A.
verdanken, oder wie jene des Realismus, der in Menzel
und Leibl gipfelt, nichts weiter ſeien als Wiederholungen
bezw. Uebungen in beſtimmten geſchichtlichen Stilen,
und zweitens, daß z. B. die gerade als modern an-
erkannten Malwerke ohne jede Spur von Anlehnung
an Velasquez, Ribera, Franz Bals, Rembrandt, Vermeer
van Delft oder andere geſchaffen ſeien. Wenn ich auch
bezweifle, daß dies unwiderlegbar nachgewieſen werden
kann, ſo leugne ich darum andererſeits nicht, daß die
jüngſten künſtleriſchen Verſuche manchmal zu bemerkens-
werthen neuen Ergebniſſen geführt haben. Nicht etwa
dem Maß der Bedeutung des modernen Schaffens
ſoll hier der Vorwurf gelten, ſondern nur der Ueber-
ſchätzung und der Unduldſamkeit auf jener Seite. Denn
wenn man die abfälligen und voreingenommenen Ur-
theile über die Arbeiten ſtrebſamer Künſtler lieſt, die
nicht im Geruche der Modernität ſtehen und damit die
überſchwängliche Weiſe der Suſtimmung vergleicht, die
3. B. neuerdings wieder die zweifellos hervorragende
Leiſtung eines Berliner Waarenhausbaues fand: nur
weil er manchen Kritikern trotz ſeiner gothiſirenden
Pfeilerfront als die Höhe „moderner“ Eigenart, die

herrſchende Maß von kritiſcher Unſicherheit, hiſtoriſcher
Unbildung und Sweideutigkeit in der Abwägung that-
ſächlicher Verdienſte.

In Wirklichkeit unterſcheidet ſich übrigens das
letztverfloſſene Jahrhundert gar nicht ſo radikal von
früheren Jahrhunderten. Der Unterſchied gewiſſer
analoger Momente läßt ſich vielmehr aus dem ver-
ſchiedenen Abſtand, den wir zur nächſten und entfernten
Vergangenheit einnehmen, erklären; der verſchiedene
Abſtand ergiebt nur einen ſo großen Unterſchied in der
Wirkung für Auge und Urtheil. Denn daß man auch
in vergangenen Seiten hohen Werth auf „Tradition
und Schule“ gelegt, hat die wiſſenſchaftliche Forſchung
längſt unumſtößlich feſtgeſtellt. Selbſt in ſchöpferiſchen
und glücklichen KNunſtepochen, zur Seit des Phidias,
wie der Renaiſſance, in Italien wie in den Nieder-
landen, in Rom wie in Paris, hat man auf frucht-
baren Ueberlieferungen gefußt. Man weiß, daß die
archaiſche Kunſt der Hellenen durchtränkt war von
Reminiscenzen an den alten Orient, daß die Roſtbar-
keit der idealen griechiſchen Goldelfenbeintechnik ein
älteres Seitenſtück in der dem plaſtiſchen Bilde der
orientaliſchen Goltheit geweihten Pracht gehabt hat.
Man weiß ferner, daß unter Kaiſer Hadrian nicht der
zeitgemäße Realismus, nicht die Kunſtſprache des eigent-
lichen Römerthums, die edelſten Kunſtaufgaben jener
Spoche löſte. Denn außer den naturechten römiſchen
Büſten und nüchternen ſchronikartigen Reliefſchilderungen
der Triumphbögen kennen wir von dem Schaffen der
hadrianiſchen Meiſter noch eine Unzahl von Schöpfungen
einer ſpäterblühten Idealkunſt, die auf helleniſtiſche
Schuleigenheiten hinweiſt. Vicht nur ſelbſtändige Werke,
wie der Antinous, gehören hierher, ſondern auch viele
köſtliche Umbildungen altberühmter Götterſtatuen, durch
die uns ſo mancher, ſonſt unwiderruflich verlorener
Göttertypus der alten Blüthezeit liebevoll bewahrt
wurde; ſo daß wir heute, dank jener „künſtleriſchen
Rückſtändigkeit“ einen ungleich höheren Begriff von
dem vollendeten Adel der helleniſchen Originale, dem
antiken Schönheitsideal gewinnen können, als wenn der
damals moderne römiſche Realismus der allein
herrſchende und ſelig machende Stil der kaiſerlichen
Aera geweſen wäre.

Welche denkwürdige Rolle dann die „alte Tra-
dition“ im italieniſchen Mittelalter geſpielt hat, hat die
Wiſſenſchaft ebenfalls dargelegt. Es genügt wohl, auf
eine bekannte Perſönlichkeit hinzuweiſen, in deren ge-
meißelten Schöpfungen ſich die latenten antiken Neigungen
des Volkes plötzlich verdichteten: auf Niccolo Piſano,
den älteren Seitgenoſſen Dante's und Giotto's. Und
beſtätigt nicht ferner die „Renaiſſance“ — der Name
dieſer klaſſiſchen Kunſtaera wörtlich genommen — gerade
diejenige Auffaſſung, die wir irrthümlicher Weiſe nur
mit dem 19. Jahrhundert verbinden: die künſtleriſche
Geburt deſſen, was ſchon einmal in voller Schönheit
 
Annotationen