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Die Kunst-Halle — 10.1905

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Nummer 19 (1. Juli 1905)
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Brosch, L.: Venedig: VI. Internationale Kunstausstellung, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.66262#0337

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Nr. 19


293

Statuetten in Betracht, ausgenommen die auch dekorativ
wirkſamen lebensgroßen Statuen von Floßmann. Ner-
mann Hahn ſtiliſirt und arbeitet mit breitflächigen
Formen, und dieſen Formen entſpricht der geiſtige Gehalt.
Seine Judith iſt eine prächtige Ceiſtung von ungemein
plaſtiſcher Kraft, ſo auch ſeine Büſte eines Gelehrten.
Ernſtes Wollen beweiſt auch Kaufmann in einer Büſte
mit ſchwarzem Rüſtungszeug und goldenen Rändern. Auch
der „Parſifal“ von Taſchner, ein merkwürdiges Reiter-
ſtückchen, hat eine eigene Vote. Sehr ſauber aus-
geführt iſt der kleine Akt einer „Diana“ von Netzer.
Die Italiener könnten an dieſen Arbeiten Nützliches
lernen, um von ihrer Schablone los zu kommen.

In dem etwas leeren Saal der Engländer wirken
die vier Dekorationsbilder von Brangwyn famos; ruhig
im Ton und breit aufgefaßt, beſitzen ſeine Eiſengießer,
Schloſſer und Thonarbeiter einen Sug in's Grandioſe.
Aber ein Clou der Ausſtellung ſind ſeine wunderſchönen
Kadirungen, die voll Leidenſchaft und Temperament,
mit ihren tiefen Aetzungen herrlich vollen Klang ge-
winnen. Man kann ſich nichts Maleriſcheres vorſtellen:
in einigen Stücken glaubt man orientaliſche Luft zu
athmen; Landſchaft und Menſchen ſind gleich frei auf-
gefaßt, die ganze Größe der Natur iſt energiſch auf die
Blätter gebannt. Seine Auffaſſung packt unſere Sinne
und Nerven und läßt dabei auch die Seele nicht zu
kurz kommen. Dieſe Radirungen bannen mich wie ver-
zaubernd bei jedem Beſuche der Ausſtellung und hätten
Beſſeres verdient als in einem Norridor zu hängen.
Uns weiter in dieſer Sektion umſehend, müſſen wir
Greiffenhagen's ſchätzenswerthes Damenporträt nennen,
das altmeiſterlich mit Laſuren gemalt, ſehr gut im
Kaum ſteht. Gliver Hall's geſchmackvolle Landſchaft,
obwohl in kleinem Format gehalten, faßt die Natur im
Großen auf. Von Alfred Saſt hat mir eine im Hıinter-
grund in Abendglanz erglühende Landſchaft am beſten
zugeſagt, wenngleich er ſich im Vordergrund zu ſehr
in Details verliert. Man muß ſeine Radirungen vor-
ziehen, die voll und kräftig im Ton klingen. Pepper-
corn giebt eine Marine, nicht ohne altmeiſterliche An-
klänge, aber ſehr luminss in der Partie des Himmels
behandelt. Ariſtokratiſch und ruhig aufgefaßt iſt ein
Kinderporträt von Nichelſon. Trivial und langweilig
wirkt dagegen Shaw's „Eroberers Liebe“, das wie ein
aus Menſchen zuſammengeſetztes Panorama wirkt.
Lavery's beide Bildniſſe, ſpeziell eine Dame in grün,
deren Kopf auf dem Hintergrund klebt, ſcheinen diesmal
viel ſchwächere Leiſtungen, als man von dem bedeuten-
den Schotten gewohnt iſt. Eminent hingegen nimmt
ſich das robuſt modellirte Porträt May's von Shannon
aus; ſo auch außerordentlich delikat ein „Sonntag in
der Bretagne“ von Vail, wo die zarteſten Farbenvaleurs
zum Ausdruck kommen — freilich etwas an Cottet er-
innernd. W. Gay hat auf ſeinem Bild im Dorder-
grund blau und roſa gekleidete Frauen prächtig gemalt,
ſchafft im Uebrigen aber reinen Kitſch. Seichneriſch
und maleriſch bedeutend ſind auch zwei Bildchen
Miller's. Wirkſam voller Stimmung malt Morrice das
Waſſer mit breiten weichen Pinſelzügen und erzeugt
den Eindruck einer tiefen ungeheueren lebendigen
Fläche.

Nach Besnard's Entwurf iſt das figurenreiche
farbige Glasdach des franzöſiſchen Saales. Die Bilder
gewinnen theilweiſe durch dieſe Umrahmung. Breit
und koloriſtiſch tüchtig kommt eine bretoniſche Szene
von Simon zur Geltung, und ebenſo ſein meiſterhaftes
Porträt des Malers Blanche, auf dem Alles famos
ſitzt. Wuchtig und eindrucksvoll wirkt das tiefgrüne
Meer Cottet's, über welchem der dunkel bewölkte

Himmel ſchwebt: die Stimmung des nahenden Ge-
witters ſpricht daraus. Diſtinguirt im Ton, doch etwas
grauſchmutzig iſt eine Leinwand von Aman Jean.
Stimmungsvoll wie immer giebt ſich Carrière, und ein
im Abendlicht gebadeter Boulevard von Raffaälli iſt
im Lokalton ausgezeichnet. Blanche, ferner Renoir,
Piſſarro, Sisley, La Touche u. ſ. w. ſind zahlreich ver-
treten — doch Alles iſt von anderen Ausſtellungen
ſchon bekannt. Suletzt ſei noch das im Format große
Bild von Charlotte Chanchet erwähnt, eine Dame in
einem Garten an gedecktem CTiſch ſitzend: das Land-
ſchaftliche und das Ciſchſervice ſehr flott behandelt,
doch die Figur fällt etwas ab.

In der ſpaniſchen Abtheilung läßt Manches ſehr
zu wünſchen übrig. Suloaga iſt mit zwei wie immer
robuſten Bildern vertreten, ſeine Farbenpatzen thun dem
kultivirten Farbengefühl weh. Rettend ſpringt Anglada
ein, man ſchalt ihn dekadent und pervers. Trotzdem
beſtrickt er ſelbſt den verwöhnten Beſchauer. Sein
brillantes Weiß, Grün, Violett — wie viel kann er uns
mit dieſen Farben ſagen, welches Email und welcher
Duft von Weiblichkeit, von Moſchus, Abſinth und
Laſter entſtrömt ſeinen Bildern. Er zeigt uns Frauen
in ſchlangenartiger Bewegung mit dunklen ſtaunenden
Augen in fahlen blaſſen Geſichtern. Nach ſolchen eigen-
thümlichen Leiſtungen können wir nur noch den raffi-
nirten De la Gandara mit dem Porträt Jean Lorrain’s
und Ramon Caſas fein abgeſtimmtes Bildchen „Vichts-
thun“, das man erſt nach vielem Suchen auffindet, in
Betracht ziehen.

Nach Entwürfen des Architekten Boberg iſt der
ſchwediſche Saal ausgeſtattet; ganz hell gehalten mit
weißen Stuckdekorationen wirkt er dank ſeiner kleinen
Sammlungen recht diſtinguirt. Thierſtücke von Liljefor
und zeichneriſch aparte Aquarelle von Larſſon ſchmücken
die Wände. Was uns aber am meiſten feſſelt, iſt die
Kollektion von A. Sorn, der nicht weniger als 7 Bilder
und 22 Radirungen ausſtellt. Sorn iſt der Mann des
Tages, er ſucht der ſchwierigſten Farbenprobleme Nerr
zu werden: das iſt Einer, der im Aktſaal der Natur
mit Kühnheit und Verve alles Prima hinwirft. Dabei
vergewaltigt er nie die Form, er malt uns die Sonne,
welche auf weibliche Akte ſcheint, warme goldige Reflexe
und durchſichtig duftige Schatten mit gleicher Bravour;
dazu kommt eine ſuggeſtive Wirkung, jeder Muskel
ſeiner Geſtalten zuckt wie vom Lichte erſt in göttlicher
Schönheit beleuchtet und zu neuem Leben erweckt. Nie
kommt ein ſchmutziger Ton auf oder ein gequälter
Pinſelſtrich. Sein neueſtes Werk hier iſt der „Alte
Geiger“, auf den von links ein ſcharfes Licht fällt,
während die Schattenpartien völlig durchſichtig ſind,
und dabei erſcheint nur das Wichtigſte betont. Auch
in ſeinen Radirungen gewinnt jeder Strich ein ſeltſames
Leben.

Auffällig protzenhaft nimmt ſich der ganz in Gold
ausgeſtattete ungariſche Saal aus, worin nicht eine
eminente Leiſtung neuen Datums hängt. Man mußte
aus dem Grab einen Todten holen: Munkäcſy, mit ſeinem
im Jahre 1875 gemalten Bilde „Nächtliche Vaga-
bunden“. Su erwähnen iſt ſonſt eigentlich nur noch
Cäſzloö, der diesmal mit ſeinem Pierre de Vay in violett
rothem Gewand ſympathiſch auftritt.

Holland iſt ſehr ſpärlich vertreten. Ich nenne bloß
Toorop, der ein gutes Bild zeigt, worauf Frauen, welche
Strohhüte tragen, ungemein fein im Inkarnat er-
ſcheinen. Intereſſant iſt der Belgier Laermans, der
ſich auf einer Leinwand als Lichtmaler auszeichnet,
dann Buyſſe mit einem Schimmel, den er in eine zarte
grüne Landſchaft ſtellt. Der Norwege F. Thaulow
 
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