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Der Schweizerische Salon von 1876.
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von eimm blauen Bande zusammengehalten, in der
Rechten hält es einen Fächer. Dies ist eine durchaus
aristokratische Erscheinung. Nicht so die etwas gewöhn-
liche Schöuheit Fontana'si eine junge Frau in weißem
Ballkleid, mit braunem, in Locken auf deu Busen herab-
wallendem Haar. Typus und Behaudluug erinnern au
Greuze. AuchStückelberghatteein Porträtausgestellt,
das Brustbilo eines rothbäckigen Knaben in grauem
Kittel. Er ist schreitend gedacht, hat in der Hand als
Sonnenschirm ein großes Blatt, um den Hals ein Band
von Schneckenhäusern und Muscheln. Jm Hintergrunde
Bäume, durch die der Himmel freuudlich blickt.
Wir wenden uns nun zum Genre, zuerst zu Stückel-
berg's „Familienbild auf dem Lande." Eine zahlreiche
Familie ist um einen Gartentisch versammelt. Rechts
wieder der junge Mann vom vorigen Bilde, diesmal im
Profil gesehcn. Er blickt nieder unb beschäftigt sich mit
Zeichnen. Neben ihm der Vater in Hemdsärmeln und
schwarzem Baret, nachlässig auf der Gartenbank hin-
gestreckt. Das Blci in seiner Haud, das Papier vor
ihm uitv sein Blick deuten darauf hin, daß er eben
skizzirt. Hinter ihm cin klcines Mädchen, welches auf-
merksam die Bewegungen des Bruders verfolgt. Links
die Mutker, jung und schön, mit dcm Baby, welches
in herziger Bewegung ihr nach dem Mundc grcift. Un-
abhängig von diesen Gruppen im Vordergruude zwei
Mädcheiu das eine spielt mit eincr Blume, das andere
füttert Hund und Hühner. Es unterliegt keiucm Zweifel,
daß wir hier lauler Porträts vor uns haben. Stückel-
berg hat in ein reiches Menschenleben hineiugegriffen
und ein kleines Bild von unverglcichlicher Anmuth ge-
schaffen. Auch seine „Köhler im Jura" haben ent-
schiedenes Verdienst. Jn einsamer Bergwaldlaudschaft
steht die Köhlerhütte; vor derselben lagert am Feuer
eine Ziege. Die beiden Köhler verrichten ihr Gebet
an einem primitiven Holztisch, auf welchem das frugale
Mahl ihrer harrt. — Grob in München hatte dieses
Jahr zwei Bildcr geschickt — einen „Orgelspieler" und
„ein Schwiuget auf dcm Hasliberg" — die jedenfalls zu
den besten Leistuugen zählten, besonders was Tech-
nik, Farben, Licht- uud Schattcnvcrtheilung anbetrifft.
Jm Komporüren möchte man ihm mehr Freiheit und
Ursprllnglichkcit wünschen. Seine Bilder machen zu-
weilen den Einbruck des Ergrübelten und Ueberfüllten,
wodurch ste den Schwerpunkt leicht verlieren. Auch ist
er nicht immer frei von gesuchter Naivetät. Diese
Bemerkungen sind übrigens mehr auf frühcre als auf
seine diesjährigen Arbeiten zu beziehen. — Daß ein
Maler gegen seine cigenc Unsterblichkeit arbeitet, wcnn
er zu viel Asphalt (Bitüme) auf die Palette setzt, zeigt
das Bild von Baumbach in Karlsruhe: Mönchsleben
im Jnnern eines Klosters. 1874 erst gemalt, und bereits
fangen die Farben an abzublältern! Es giebt und gab
zu allen Zeiten Künstler, die mehr an bie Gegenwart
als an die Zukunft denken, weshalb denn auch oft ihvc
Werke sie selbst nicht überdauern. Möge ihnen Gsricault
ein warnendes Beispiel sein, dessen Bilder heutc schvn
dermaßen nachgcdunkelt sind, daß man in 50 Jahren
wahrscheinlich nichts mehr aus ihnen erkennen wird.
Kuhn von Genf führt uns einen Bergbewohner vor,
einsam am Tisch sitzend und in einem Buche lesend. E''
giebt zu wenig für den Rahmen; cin alter Niederläuder
hätte das in ein Viertel des Raumes gebracht. „Dev
Trotzkopf"und „Der Großvater" von Müller sind zwci
Varianten desselben Motivs. Beide Alten gehen aus
ein DkoLell znrück, tragen dieselbe blaue Schürze, das-
selbe rothe Wamms, denselbeu Hut; ihre Bewegung >st
idcntisch. Derartige Wiederholungen sollten in eincr
Ausstellung nicht angcnommen werden: sie leisten n»r
dem Fabrikmäßigen in der Malerei Vorschub. —^ Freer
hat sich in einer Jkachahmung des Schalken versucht'
dessen Stärke künstliche Lichteffekte wareu. Solchc
Spielereien mit accidentellen Lichtern haben meisteus
was Gemachles, Unnatürliches. — Als eine gute Lcistuug
sind uoch die tanzenden Kinder im Freien von Thouiu
zu erwähnen. Man muß Respekt haben vor der Wahr-
heit, mit der dieser Maler die Natur wiedergiebt, selbst
wenn er sie uns zuweilen zu derb fühlen läßt. — DlV
Palme im Genre gebührt dieses Jahr unstreitig Eugouc
Burnand, einern Schüler Gsrome's. Er versetzt dcU
Beschauer in das Jnnere einer einfachen Dorfkirche
Waadtland. Auf der Kanzel steht der Pfarrer in pathc-
tischer Redc begriffen, unterhalb derselben der Vorsängc»
und ein älterer Herr mit übergeschlagenen Beinen »ud
gefalteten Händen. Er ist eine wcltliche Erscheinung,
voller Leben und offenbar Porträt. Ebenso die auf dc>'
vordersten Bank sitzenden Frauen und Kinder, in vcrcu
Zügen sich der verschiedenartige Eindruck spiegelt, den d-^
geredete Wort (Ev. Johannis 14, 27.) auf ihre Gemüthc>'
niacht. Rechts schließt das Bild ein stattlicher Herr in Pcli'
werk ab; auf der Empore bemerkt man charakteristisch'
Bauerngesichter, Männer und Frauen bunt durcheinanvc>
gewürfclt. Die Stimmung des Bildes ist durch dic vo>'"
herrschcnden schwarzgrauen Töne streng und dllster; elw^
mehr Wärme und Licht wäre wohlthuend gewesen.
Ehe wir uns der Landschafc zuwenden, müssen wir uo I
cin Wort über Courbet's Bilder sagen. Seit jenen st^
die Kunst so verhängnißvollen Communetagen, in welch^
sich Courbet durch Demolirung der Vendomesäule schw'^
kompromittirte, wird er in scinem Vaterlande nicht
geduldet nnd lebt in der Verbannung. Er hat sich
Gcnfersee niedergelassen nnd arbeitet einstweilen für uust'
bescheidenen Ausstellungen. Courbet, das Haupt
realistischen Malerschule in Frankreich, wirkt, wenu ^
noch so seltsam erscheint, immer anregend.
anch wieder seine diesjährigen Arbeiten.
Das ze-g'''
Meisterh"'
Der Schweizerische Salon von 1876.
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von eimm blauen Bande zusammengehalten, in der
Rechten hält es einen Fächer. Dies ist eine durchaus
aristokratische Erscheinung. Nicht so die etwas gewöhn-
liche Schöuheit Fontana'si eine junge Frau in weißem
Ballkleid, mit braunem, in Locken auf deu Busen herab-
wallendem Haar. Typus und Behaudluug erinnern au
Greuze. AuchStückelberghatteein Porträtausgestellt,
das Brustbilo eines rothbäckigen Knaben in grauem
Kittel. Er ist schreitend gedacht, hat in der Hand als
Sonnenschirm ein großes Blatt, um den Hals ein Band
von Schneckenhäusern und Muscheln. Jm Hintergrunde
Bäume, durch die der Himmel freuudlich blickt.
Wir wenden uns nun zum Genre, zuerst zu Stückel-
berg's „Familienbild auf dem Lande." Eine zahlreiche
Familie ist um einen Gartentisch versammelt. Rechts
wieder der junge Mann vom vorigen Bilde, diesmal im
Profil gesehcn. Er blickt nieder unb beschäftigt sich mit
Zeichnen. Neben ihm der Vater in Hemdsärmeln und
schwarzem Baret, nachlässig auf der Gartenbank hin-
gestreckt. Das Blci in seiner Haud, das Papier vor
ihm uitv sein Blick deuten darauf hin, daß er eben
skizzirt. Hinter ihm cin klcines Mädchen, welches auf-
merksam die Bewegungen des Bruders verfolgt. Links
die Mutker, jung und schön, mit dcm Baby, welches
in herziger Bewegung ihr nach dem Mundc grcift. Un-
abhängig von diesen Gruppen im Vordergruude zwei
Mädcheiu das eine spielt mit eincr Blume, das andere
füttert Hund und Hühner. Es unterliegt keiucm Zweifel,
daß wir hier lauler Porträts vor uns haben. Stückel-
berg hat in ein reiches Menschenleben hineiugegriffen
und ein kleines Bild von unverglcichlicher Anmuth ge-
schaffen. Auch seine „Köhler im Jura" haben ent-
schiedenes Verdienst. Jn einsamer Bergwaldlaudschaft
steht die Köhlerhütte; vor derselben lagert am Feuer
eine Ziege. Die beiden Köhler verrichten ihr Gebet
an einem primitiven Holztisch, auf welchem das frugale
Mahl ihrer harrt. — Grob in München hatte dieses
Jahr zwei Bildcr geschickt — einen „Orgelspieler" und
„ein Schwiuget auf dcm Hasliberg" — die jedenfalls zu
den besten Leistuugen zählten, besonders was Tech-
nik, Farben, Licht- uud Schattcnvcrtheilung anbetrifft.
Jm Komporüren möchte man ihm mehr Freiheit und
Ursprllnglichkcit wünschen. Seine Bilder machen zu-
weilen den Einbruck des Ergrübelten und Ueberfüllten,
wodurch ste den Schwerpunkt leicht verlieren. Auch ist
er nicht immer frei von gesuchter Naivetät. Diese
Bemerkungen sind übrigens mehr auf frühcre als auf
seine diesjährigen Arbeiten zu beziehen. — Daß ein
Maler gegen seine cigenc Unsterblichkeit arbeitet, wcnn
er zu viel Asphalt (Bitüme) auf die Palette setzt, zeigt
das Bild von Baumbach in Karlsruhe: Mönchsleben
im Jnnern eines Klosters. 1874 erst gemalt, und bereits
fangen die Farben an abzublältern! Es giebt und gab
zu allen Zeiten Künstler, die mehr an bie Gegenwart
als an die Zukunft denken, weshalb denn auch oft ihvc
Werke sie selbst nicht überdauern. Möge ihnen Gsricault
ein warnendes Beispiel sein, dessen Bilder heutc schvn
dermaßen nachgcdunkelt sind, daß man in 50 Jahren
wahrscheinlich nichts mehr aus ihnen erkennen wird.
Kuhn von Genf führt uns einen Bergbewohner vor,
einsam am Tisch sitzend und in einem Buche lesend. E''
giebt zu wenig für den Rahmen; cin alter Niederläuder
hätte das in ein Viertel des Raumes gebracht. „Dev
Trotzkopf"und „Der Großvater" von Müller sind zwci
Varianten desselben Motivs. Beide Alten gehen aus
ein DkoLell znrück, tragen dieselbe blaue Schürze, das-
selbe rothe Wamms, denselbeu Hut; ihre Bewegung >st
idcntisch. Derartige Wiederholungen sollten in eincr
Ausstellung nicht angcnommen werden: sie leisten n»r
dem Fabrikmäßigen in der Malerei Vorschub. —^ Freer
hat sich in einer Jkachahmung des Schalken versucht'
dessen Stärke künstliche Lichteffekte wareu. Solchc
Spielereien mit accidentellen Lichtern haben meisteus
was Gemachles, Unnatürliches. — Als eine gute Lcistuug
sind uoch die tanzenden Kinder im Freien von Thouiu
zu erwähnen. Man muß Respekt haben vor der Wahr-
heit, mit der dieser Maler die Natur wiedergiebt, selbst
wenn er sie uns zuweilen zu derb fühlen läßt. — DlV
Palme im Genre gebührt dieses Jahr unstreitig Eugouc
Burnand, einern Schüler Gsrome's. Er versetzt dcU
Beschauer in das Jnnere einer einfachen Dorfkirche
Waadtland. Auf der Kanzel steht der Pfarrer in pathc-
tischer Redc begriffen, unterhalb derselben der Vorsängc»
und ein älterer Herr mit übergeschlagenen Beinen »ud
gefalteten Händen. Er ist eine wcltliche Erscheinung,
voller Leben und offenbar Porträt. Ebenso die auf dc>'
vordersten Bank sitzenden Frauen und Kinder, in vcrcu
Zügen sich der verschiedenartige Eindruck spiegelt, den d-^
geredete Wort (Ev. Johannis 14, 27.) auf ihre Gemüthc>'
niacht. Rechts schließt das Bild ein stattlicher Herr in Pcli'
werk ab; auf der Empore bemerkt man charakteristisch'
Bauerngesichter, Männer und Frauen bunt durcheinanvc>
gewürfclt. Die Stimmung des Bildes ist durch dic vo>'"
herrschcnden schwarzgrauen Töne streng und dllster; elw^
mehr Wärme und Licht wäre wohlthuend gewesen.
Ehe wir uns der Landschafc zuwenden, müssen wir uo I
cin Wort über Courbet's Bilder sagen. Seit jenen st^
die Kunst so verhängnißvollen Communetagen, in welch^
sich Courbet durch Demolirung der Vendomesäule schw'^
kompromittirte, wird er in scinem Vaterlande nicht
geduldet nnd lebt in der Verbannung. Er hat sich
Gcnfersee niedergelassen nnd arbeitet einstweilen für uust'
bescheidenen Ausstellungen. Courbet, das Haupt
realistischen Malerschule in Frankreich, wirkt, wenu ^
noch so seltsam erscheint, immer anregend.
anch wieder seine diesjährigen Arbeiten.
Das ze-g'''
Meisterh"'