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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 12.1877

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Guerrard, Charles: Der Salon von 1877, [2]
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.5785#0316

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Kunstliteratur.

624

kich auf seiner Auffassung, weil er fand, daß der Kopf
seines Opsers sich für den enthaupteten heil. Johannes
besonders eigne. Jn der That macht das Bild einen
vortrefflichen Eindruck; der blos im Profil sichtbare
Kopf ist energisch aus der Farbe heraus modellirt; die
Fleischtöne sind von einer schimmernden, durchsichtigen
Blässe und einem weichen Schmelz, den man höchstens
noch bei einigen altcn Venezianern findet; die Beleuch-
tung ist äußerst zart durch einige Lichtstrahlen bewirkt,
welche aus den tiefen, warmcn, durchsichtigen Schatten
magisch hervorbrechen. Ohne ein eigentliches Gemälde
sein zu wollen, ist diese originelle Porträtstudie ergreifend
und bezaubernd. Höchst ansprechend und stimmungsvoll
ist auch sein zweites diesjähriges Ausstellungsobjekt,
„Der Abend". Jm Hintergrunde ein dichtes Gebiisch,
dessen Grün bereits durch den sinkenden Abend entfärbt
ist; davor ein stiller Weiher, welcher den zartblauen,
von den letzten Sonnenstrahlen umschimmerten Himmel
schwach zurückstrahlt; im Vordergrunde eine am Wasser
gelagerte, mit dem Rücken gegen den Beschauer gekehrte
Nymphe, welche ihr von röthlichem Haar umflossenes
Haupt auf einen herrlichen Arm stützt, der sich mit
seinem lichten Fleisch aus dem matten Grün des
Rasens wie eine Wunderblume erhebt. Das Werk ist
nicht viel mehr als eine Farbenskizze, und es gehörte
eigentlich viel Muth dazu, solch' eine unfertige Arbeit
im Salon auszustellen; dennoch hat der Künstler wohl
gethan, diese Studie, in welcher Form und Ton
blos durch einige leichte Farbenflecke meisterhaft aus-
gedrückt sind, nicht zu vollenden. Denn die poesievolle
Stimmung und berückende Farbenharmonie dieser Skizze
hätte unter einer tiefer in's Detail dringenden Behand-
lung nur leiden können. Nichts anmuthiger und vom
technischen Standpunkte interessanter, als die fabelhafte
Geschicklichkeit, mit welcher Henner durch den Pinsel
die Formen hervorzaubert, alle Umrisse in Farben tancht,
sie gleichsam absichtlich verwischt und dennoch herrlich
gezeichnete Gestalten liefert, in denen ein kräftiges, blut-
reiches Leben pulsirt. Jn diesem Verfahren unseres
Koloristen liegt etwas Magisches und Geheimnißvolles,
welches uns, bei aller Verschiedenheit der Palette, nn-
willkürlich die Malweise Rembrandt's, dieses Groß-
Kophta's der Koloristen, in Erinnerung bringt.

Paris, Mai 1877. Charles Guerrard.

Äunstliteratur.

vixüs.nx-I'ortes ä'nxrtzs Lsmtn'AnAh xg.r X.Lla.88N-
tokk'. Leipzig, W. Drugulin. 1876. Jmp.-Fol.

So lange in der Welt noch ein Bild oder eine
Radirung von Rembrandt zu finden sein wird, so
lange wird es auch Bewunderer seiner Werke geben;

denn ein geheimnißvoller Reiz entströmt allen seinen
Kompositionen und läßt uns das geheime Walten eines
großen Genius in denselben spüren. Worin liegt abcr
dieser unwiderstehliche Reiz? Rembrandt verschmäht esi
nach „der Regel" zu komponiren, seine Zeichnung
nicht so streng, seine Gruppirung nicht so berechneh
wie bei den großen italienischen Künstlern des Cinque-
cento; auch die weiche Gefühlsweise der späteren Ztaliencr'
wird man vergebens bei ihm suchen; selbst die an-
muthigsten Scenen der Bibel zieht er in Las prosaische
holländische Alltagsleben herab, und doch weht in seiiien
Bildern, oft gerade da, wo er aller Poesie den Fehde-
handschuh hinzuwerfen scheint, der ganze Zauber der-
selben, der den Beschauer für den Abgang der idealen
Linienführung vollauf entschävigt. Worin anders liegt
dieser Zauber als in der Macht seiner Farbe! Getren
giebt er dcn Lokalton eines jeden Gegenstandes, aber er
zwingt das Licht, eine solche Beleuchtung über alles von
ihm Dargestellte auszugießen, daß die Lokalfarbe idea-
lisirt wird, und indem er Licht und Schatten in alleN
Abstufungen ihres Wechselkampfcs auf der Fläche er-
scheinen läßt, erhalten selbst die tiefsten Schattenpartie»
durch reflektirtes Licht so viel Transparenz, wie nöthig
ist, um der Phantasie freien Spielraum zu lassen. WenN
die Lichtpartien in ihrer Brillanz auch im ersten Augen-
blick die Augen ganz gefangen nehmen, bei näherer Be-
trachtung bieten auch vie Schattentheile ihre ungeahnteN
Ueberraschungen. Man kann darum Rembrandt's größere
Kompositionen zu wiederholken Malen betrachten und
wird immer etwas Neues. entdecken. Seine Bildnisst
stellen nicht allein die Züge des Dargestellten getre»
dar, sondern sind zugleich ein Spiegel ihres Charakters,
wahre Typen. Seine Porträts werden deßhalb imnier'
entzücken, wenn auch der Name und die Lebenssphäre
des Dargestellten ganz unbekannt bleiben.

Nach dem Gesagten dürftc man glauben, daß ReM-
brandt's Gemälde durch keinen Kupferstich auch nur an-
nähernd getreu wiedergegeben werden könnten, da die
Farbe des Künstlers ein unübersteigbares Hinderinß
bleibt. Jndessen hat Rembrandt selbst durch eigenes
Beispiel gelehrt, wie seine farbenglühenden Gemälde a»f
die Kupferplatte zu übertragen siud, indem er zur Radir-
nadel griff und nns zeigte, daß er mit dieser ebenst
gut wie mit Pinsel und Farbe zu malen verstand'
Dieses Beispiel ist von jeher sehr verlockend zur Nach-
ahmung gewesen. Man gehe in einer reichen Rembrandt-
sammlung eines öffentlichen Kabinets etwa die Abtheilung
der Blätter durch, welche Bartsch als „ckuns Is ^ont
cks L.sindrunät" verzeichnet, so wird man finden, daß
selbst erbärmliche Pfuscher es wagten „im Geschmack voN
Rembrandt" zu kritzeln und ihre Blätter als Rew-
brandt's Originale zu interpoliren. Wer sich da be-
trügen ließ! — Dann aber haben auch echte Künstll^
 
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