Dsr Salon von 1877.
622
621
Künstler mußte sich, da er in sich keine adaquäte
^upfindung verspürte, an große Vorbilder anlehnen,
Um deu Stoff zu bewältigen; wo er sclbständig zu
^erden vcrsucht, erzielt er einen Mißerfolg. Der
Heiland steht vor eiucm mit orientalischer Pracht aus-
6cslaiteten Thronsitze; ein schöner blauer Mantel von
^engem, antikisirendem Faltcnwurf umhüllt seine Ge-
^lt; mit dem Fiuger dcutet cr nach dem HimmeU
"6ein sein Antlitz bleibt starr, leblos, und dcr Ausdruck
^r rcgelniäßigen, steifen Züge erinuert an die byzan-
tinischen Typen mit Ler unpcrsönlichen maskenhaften
^egungslosigkeit. Hingcgen ist die knieende Ehebrecherin,
^elche nüt überschwäuglicher Jnbrunst die schöne Hand
^es Gottmenschen umfaßt, völlig modern, ja geradezu
^eidnisch. Nur ihr Unterleib ist ein wenig durch eiue
^egantc violette Tunica verhüllt, im Uebrigen schimmert
^us üppiges, rosiges Fleisch, das der Pinsel mit lüsterncr
^vrliebe ausgcmalt hat, entgegen; das ganz. salonmäßig
^isirte Haar von höchst moderner Farbe scheint vollends
iu verrathen, daß die reizende Sünderin noch lange
^icht bekchrt ist. Nebcn dem starren, archaischen Christus
'si diese aus dem modernsten Babel hergeholte Frauen-
äestalt eine ungeheure künstleri sche Taktlosigkeit, welche
uns bei dem vornehmen Geschmacke, den die malerischcn
^ualitäten, insbesondere das glänzende, saftige, tiefe
^ud geschmeidige Kolorit des Künstlers verrathen, in
^rstaunen setzen würde, wenn nicht die leuchtende Farben-
i^acht von einer kondensirten Sinnlichkeit erfüllt wäre,
^ie uns direkt an die Palette Hans Makart's ge-
'Uahnt.
Ungleich strenger, ja fast asketisch hat Weerts in
E'nem riesigen Rahmen cine Legende vom heiligen Franz
svn Assisi behandelt. U. Ribadeneira's „Blumen aus dem
^ben der Heiligen" — ein Buch, das im Jahre des
^rils 1877 im Atelier eines Pariser Künstlers zu sinden,
^Uan sicherlich nicht vermuthen würde — erzählen uns,
^uß Papst Nikolaus IV. einmal Lust bekam, den Leich-
^iri pes heil. Franz von Assisi 62 Iahre nach dessen
^vde zu sehen unv ihn in der Grab-Krypta, ohne alle
^tütze aufrecht stehend, mit offenen zum Himmel gerich-
iUen Augen vorfand. Dieser Stoff hat unseren Künstler
^'art begeistert, daß er die heilige Krypta fast in
^aturgröße darstellte, so daß der heilige Leichnam, der
,^apst und seine Begleiter trotz ihrer ansehnlichen Dimen-
^vuen auf dem Bilde sich verlieren. Uebrigens sind
irdischen Personen im Ganzen gelungen; der todte
^'lige jedoch besindet sich in einer selbst für einen
^benden viel zu theatralischen Stellung. Die Aus-
i6hrung ist energisch und plastisch; nur können wir uns
der schweren, erdigen Farbe nicht befceunden. Ein
"Christus im Grabe" von Gaillard ist nichts als
ganz abscheuliche Stachbildung des berühmten gleich-
"ariiigeri Bildes von Ph. de Champaigne im Louvre;
dieser Maler ist überhaupt ein geborner Plagiator, der
auch im vorigen Jahre einen heil. Sebastian ausstellte,
welchen er sich einfach bei Mantegna geholt hatte. Der
„Christus im Grabe" von Perrault ist ungleich besser;
Kopf und Körper des Leichnams sind korrekt und fein,
vielleicht sogar zu elegant gezeichnet und modellirt; das
Kolorit ist weich und lebensvoll, und die durchsichcigen
schwarzen Schatten lassen die Blässe des Körpers treff-
lich hervortreten. Verschweigen können wir jedoch nicht,
daß dieses.Bild sich stark an den herrlichen „Leichnam
Christi" von Henner anlehnt, welcher eine Zierde des
vorjährigen Salons war. Da wir den Namen diescs
berühmten Künstlers einmal genannt, so wollen wir auch
gleich seine diesmalige Ausstellung besprechen, um nach
so vielem nothgedrungenem Tadel den Artikel mit einigen
Worten wohlverdicnter Anerkennung zu schließen.
Henner, ein Elsässer, dessen Geburtsort Bern-
weiler jetzt wieder deutsch geworden, gehört unstreitig
zu deri bedeutendsten französischen Malern der Gegen-
wart und hat als solcher auch bereits im Luxembourg
Aufnahme gefunden. Seine Werke zeichneu sich nicht
nur durch vornehme, echt künstlerische Auffassung, sondern
auch durch eine gediegene malerische Behandlung aus,
welche allein dem Künstler einen hervorragendeu Rang
sichern würde, selbst wenn von ihm blos Studien vor-
handen wären und er sich zu größeren Koinpositionen
nicht aufraffcn könnte. Als Maler besitzt Henn.er eine
ausgeprägte Eigenart, welche zunächst auf seinem eben-
so energischen wie zarten Kolorit beruht, dann aber auch
auf einer sorgfältigen und gewissenhaften Durchbildung
seiner Figuren, die heute leider zu den Seltenheiten
gehört. Er besitzt das Gcheimniß der großen Koloristen,
mit wenigen einfachen Tönen, mit einer äußerst be-
schränkten Farbenscala einen großen Farbeneffekt zu er-
zielen; dabei ist scine Farbengebung durchaus ihm eigen-
lhümlich und keinem anderen Meister abgeguckt. Ebenso
originell und unabhängig von Vorbildern ist die Auf-
fassung und Bchandlung seiner Stoffe, die er mit Vor-
liebe um so eigenartiger zu gestalten sich bemüht, je
gewöhnlicher und bekannter sie sind. Daß er dabei
manchmal an's Bizarre und Unschöne streift, kann nicht
geleugnet werden; öfter jedoch gelingt es ihm, kühne,
phantasievolle Schöpfungen hinzustellen, welche mehr als
bloßes Talent voraussetzen und den wahren Meister
verkünden. Von dieser Lust an origineller Darstellung
hat er auch heuer eine Probe gegeben; einen Freund,
der durchaus sein Porträt von Hcnner besitzen wollte,
hat er als — Johannes den Täufer gemalt. Die
legendarische Schüssel ist wohl ein seltsamer Rahmen
zum Porträt eines lebenslustigen Parisers, und wir wissen,
daß dessen Familie sich lebhaft gegen das Martyrium
in nktiAlS sträubte, welches Henner seinem Freunde
auferlegen wollte; allein der Künstler bestand unerbitt-
622
621
Künstler mußte sich, da er in sich keine adaquäte
^upfindung verspürte, an große Vorbilder anlehnen,
Um deu Stoff zu bewältigen; wo er sclbständig zu
^erden vcrsucht, erzielt er einen Mißerfolg. Der
Heiland steht vor eiucm mit orientalischer Pracht aus-
6cslaiteten Thronsitze; ein schöner blauer Mantel von
^engem, antikisirendem Faltcnwurf umhüllt seine Ge-
^lt; mit dem Fiuger dcutet cr nach dem HimmeU
"6ein sein Antlitz bleibt starr, leblos, und dcr Ausdruck
^r rcgelniäßigen, steifen Züge erinuert an die byzan-
tinischen Typen mit Ler unpcrsönlichen maskenhaften
^egungslosigkeit. Hingcgen ist die knieende Ehebrecherin,
^elche nüt überschwäuglicher Jnbrunst die schöne Hand
^es Gottmenschen umfaßt, völlig modern, ja geradezu
^eidnisch. Nur ihr Unterleib ist ein wenig durch eiue
^egantc violette Tunica verhüllt, im Uebrigen schimmert
^us üppiges, rosiges Fleisch, das der Pinsel mit lüsterncr
^vrliebe ausgcmalt hat, entgegen; das ganz. salonmäßig
^isirte Haar von höchst moderner Farbe scheint vollends
iu verrathen, daß die reizende Sünderin noch lange
^icht bekchrt ist. Nebcn dem starren, archaischen Christus
'si diese aus dem modernsten Babel hergeholte Frauen-
äestalt eine ungeheure künstleri sche Taktlosigkeit, welche
uns bei dem vornehmen Geschmacke, den die malerischcn
^ualitäten, insbesondere das glänzende, saftige, tiefe
^ud geschmeidige Kolorit des Künstlers verrathen, in
^rstaunen setzen würde, wenn nicht die leuchtende Farben-
i^acht von einer kondensirten Sinnlichkeit erfüllt wäre,
^ie uns direkt an die Palette Hans Makart's ge-
'Uahnt.
Ungleich strenger, ja fast asketisch hat Weerts in
E'nem riesigen Rahmen cine Legende vom heiligen Franz
svn Assisi behandelt. U. Ribadeneira's „Blumen aus dem
^ben der Heiligen" — ein Buch, das im Jahre des
^rils 1877 im Atelier eines Pariser Künstlers zu sinden,
^Uan sicherlich nicht vermuthen würde — erzählen uns,
^uß Papst Nikolaus IV. einmal Lust bekam, den Leich-
^iri pes heil. Franz von Assisi 62 Iahre nach dessen
^vde zu sehen unv ihn in der Grab-Krypta, ohne alle
^tütze aufrecht stehend, mit offenen zum Himmel gerich-
iUen Augen vorfand. Dieser Stoff hat unseren Künstler
^'art begeistert, daß er die heilige Krypta fast in
^aturgröße darstellte, so daß der heilige Leichnam, der
,^apst und seine Begleiter trotz ihrer ansehnlichen Dimen-
^vuen auf dem Bilde sich verlieren. Uebrigens sind
irdischen Personen im Ganzen gelungen; der todte
^'lige jedoch besindet sich in einer selbst für einen
^benden viel zu theatralischen Stellung. Die Aus-
i6hrung ist energisch und plastisch; nur können wir uns
der schweren, erdigen Farbe nicht befceunden. Ein
"Christus im Grabe" von Gaillard ist nichts als
ganz abscheuliche Stachbildung des berühmten gleich-
"ariiigeri Bildes von Ph. de Champaigne im Louvre;
dieser Maler ist überhaupt ein geborner Plagiator, der
auch im vorigen Jahre einen heil. Sebastian ausstellte,
welchen er sich einfach bei Mantegna geholt hatte. Der
„Christus im Grabe" von Perrault ist ungleich besser;
Kopf und Körper des Leichnams sind korrekt und fein,
vielleicht sogar zu elegant gezeichnet und modellirt; das
Kolorit ist weich und lebensvoll, und die durchsichcigen
schwarzen Schatten lassen die Blässe des Körpers treff-
lich hervortreten. Verschweigen können wir jedoch nicht,
daß dieses.Bild sich stark an den herrlichen „Leichnam
Christi" von Henner anlehnt, welcher eine Zierde des
vorjährigen Salons war. Da wir den Namen diescs
berühmten Künstlers einmal genannt, so wollen wir auch
gleich seine diesmalige Ausstellung besprechen, um nach
so vielem nothgedrungenem Tadel den Artikel mit einigen
Worten wohlverdicnter Anerkennung zu schließen.
Henner, ein Elsässer, dessen Geburtsort Bern-
weiler jetzt wieder deutsch geworden, gehört unstreitig
zu deri bedeutendsten französischen Malern der Gegen-
wart und hat als solcher auch bereits im Luxembourg
Aufnahme gefunden. Seine Werke zeichneu sich nicht
nur durch vornehme, echt künstlerische Auffassung, sondern
auch durch eine gediegene malerische Behandlung aus,
welche allein dem Künstler einen hervorragendeu Rang
sichern würde, selbst wenn von ihm blos Studien vor-
handen wären und er sich zu größeren Koinpositionen
nicht aufraffcn könnte. Als Maler besitzt Henn.er eine
ausgeprägte Eigenart, welche zunächst auf seinem eben-
so energischen wie zarten Kolorit beruht, dann aber auch
auf einer sorgfältigen und gewissenhaften Durchbildung
seiner Figuren, die heute leider zu den Seltenheiten
gehört. Er besitzt das Gcheimniß der großen Koloristen,
mit wenigen einfachen Tönen, mit einer äußerst be-
schränkten Farbenscala einen großen Farbeneffekt zu er-
zielen; dabei ist scine Farbengebung durchaus ihm eigen-
lhümlich und keinem anderen Meister abgeguckt. Ebenso
originell und unabhängig von Vorbildern ist die Auf-
fassung und Bchandlung seiner Stoffe, die er mit Vor-
liebe um so eigenartiger zu gestalten sich bemüht, je
gewöhnlicher und bekannter sie sind. Daß er dabei
manchmal an's Bizarre und Unschöne streift, kann nicht
geleugnet werden; öfter jedoch gelingt es ihm, kühne,
phantasievolle Schöpfungen hinzustellen, welche mehr als
bloßes Talent voraussetzen und den wahren Meister
verkünden. Von dieser Lust an origineller Darstellung
hat er auch heuer eine Probe gegeben; einen Freund,
der durchaus sein Porträt von Hcnner besitzen wollte,
hat er als — Johannes den Täufer gemalt. Die
legendarische Schüssel ist wohl ein seltsamer Rahmen
zum Porträt eines lebenslustigen Parisers, und wir wissen,
daß dessen Familie sich lebhaft gegen das Martyrium
in nktiAlS sträubte, welches Henner seinem Freunde
auferlegen wollte; allein der Künstler bestand unerbitt-