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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 12.1877

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55

Kunstliteratur.

56

Lmlstllteratur.

Michclangelo in Rom 15 0 8—1512 von Anton Springer.

Leipzig, Verlag von S. Hirzel, 1875. 8. 73 S.

Neben Lionardo da Vinci hat Michelangelo Buo-
narroti in der Kunstgeschichte bisher das traurige
Schicksal gehabt, in seinen Werken niehr angestaunt als
studirt zu werdcn. Ein phantastisches Gewebe früh ent-
standener Mythen hat nicht wenig dazu beigetragen, das
Wunderbare in seinen Kunstgebilden in den Bereich des
Unbegreiflichen zu erheben, und die Biographen haben
leider in dieser Romantik ein der Lösung ihrer Aufgabe
gar willkommenes Momcnt erkannt, was wieder die
Thatsache zur Folge hatte, daß die kunstwissenschaftliche
Kritik, diese hofsnungsvolle Mnse des neunzchnten Jahr-
hunderts, mit ihrem unanfechtbaren Privilegium, das Ver-
ständniß ver Kunstwerke zu erschließeu, gerade an den
höchsten Problemen stumm vorüber gehen mußte.

Das „^uurw Lkmwnuric," Michelangelo's hatte
uns mit der Publikätion der Briefe des Meisters be-
glückt, wie sie von dem rühmlich bekannten Gaetano
Milauesi zusammengestellt und kommentirt worden waren.
Aurelio Gotki, florentinischer Galeriedirektor, brachte eine
neue Künstlerbiographie auf den Büchermarkt, ein Pro-
dukt, an dem ohne Frage die eingestreuten Auszüge aus
sonst unzugänglichen Doknmenten von Bedeutung sind.
Aber eine wahrhaft wissenschaftliche Verwerthung der
Materialien ist auch hier der deutschen Forschung vor-
behalten geblieben. Prof. Springer hat in der ange-
führten Schrift aus dem vorliegeuden Material That-
sachen zur Gcltung gebracht, welche die bisherige Auf-
fassung vonMichelangelo nicht alleinwesentlich modificiren,
sondern auch des Meisters künstlerischen Entwickelungs-
gang zum ersten Male logisch cntwickeln. Es ist hier
nicht der Ort, den schlagendcn Nachweiseu nachzugehen,
welchen gegcnüber ein ganze Bogen durchgehender
Histörchen- und Anekdotcnkram der Biographen von
Condivi und Vasari bis auf Grimm und Gotti in's
Wasser fällt. Die Epringer'sche Schrift hat sich zur
Aufgabe gestellt, die Zrrgänge der bisherigen Dar-
stellungen in der Enlstehungsgeschichle des Grabmals
Zulius' II. nnd der sixtinischcn Deckcnfresken klarzulegen,
und an deren Stelle auf Grund überraschender, durch
geistreiche Kombiuationen ermitteltcr, chronologischer That-
sachen in großen Zügen ein klar abgerundetcs Bild des
Lebens- und inneren Entwickelungsgangcs des Meisters
auf der Höhe seines Wirkens zu eutwerfen, ein Bild,
das für die Zukunft kunstkritischer Darstellungen maaß-
gebendcn Werth beanspruchen muß. dlach Springer's
Ausführungen ist der Entwurf für dasGrabmalZulius'II.
vom Jahre 1513 der großartigere gewesen, welche Be-
deutung früher dem von Condivi beschricbenen gegeben
wurde, wobei wir gelegentlich bemerken wollcn, daß die

in denUfsizien besindliche, demMichelangelo zugeschriebene
Handzeichnung, von d'Agincourt zuerst und neuerdings
wieder im „^lbuiu NiolisiuiiAiolösvo" publicirt, für eine
grobe Fälschung zu gelten hat Zn den daselbst ein-
gezeichneten Figuren erkennl man bei genauerem Zusehen
Formen, die von der Manier Michelangelo's vurchaus
nichts, wohl aber sehr viel von dcr süßen und zärt-
lichen Eleganz eines Parmigianino an sich haben, wäh-
rend vie Handfertigkeil auf ein Talent untergeordneten
Ranges hinweist.

Unmittelbar vor den großeu Entwurf vieses Grab-
mals setzt Springer die Vollendung der sixtinischcn
Deckenfresken, „welche sonach geradezu in den Mittel-
punkt der Kunstthätigkeit Michelangelo's rücken unv sich
grundlegend und bestimmend auch für seine Arbeiten anf
vcm Gebiete der Plastik erweisen" (S. 25). Bisher
hat sich bekannttich bie beschreibende Lileraiur wesentlich
auf Berichterstattung des Wunders beschränkt, Lllichel-
angelo habe das alles in 20Monalen, vvin 18.Mai 1508
an, fertig bekommen. Aus der Briefliteratur geht in-
dessen klar hervor, daß bereils 1506 dcr Plan zu den
gedachten Fresken existirte, wonach es nicht an Zeit znr
Anfertiguug von Enlwürfen> fehlen konnte. Als der
Kllnstler imJänuar 1511 neue Kartons für dieMalereieN
in der sixtinischen Kapelle zu entwerfen begann, warcn
die Felder oberhalb der Wölbnng — nämlich die
historischen Kompositioueu von der Schöpfung des LichtcS
bis zur Trunkenheit Mosis — „beinah fertig"; — die
zehn Mcdaillons zwisckien den architektonischen Figuren
mit Darstellungen aus den Büchcrn ver Könige befinven
sich heutigen Tages noch im Zustand von Entwürfen,
in deren Mehrzahl noch nicht einmal eine klare Vor-
stcllung Ausbruck gewonnen hat. Nach den Ausführungen
Springer's führte Michelangelo die Fresken über und
zwischcn den Fensterbogen, desgleichen in den Lunetken und
Zwickeln in ven Zahren 1511 und 1512 aus, unv aus
eben dieser Zeit lesen wir in seineu Briefen die nach-
drücklichsten Klagen über vie Last ver Arbeit Das läfsi
sich leicht begreifcn, wenn nian bedenkt, daß die zur Be-
malung erübrigende Fläche um etwa das Vierfache das
zuvor Geleistete übertrifft. Zn den Kompvsilionen der
Propheten, Sibyllen und Vorfahren Christi — eine Ve-
zeichnung, die wir schon wegen der Namensbeischristeä
gern beibehalten möchten — haben wir also die ArbeitcN
zu erkennen, welche den Meister zuletzt beschäftigten, u»d
dicse Auffassung bestätigte sich uns bei genauer llnte^
suchung der Fresken an Ort und Stelle.

Vor zwei Zahren wurve die Decke ini Znteresse
techuischer Fragen svrgfältig von einem Engländer untel'
sucht. Als Resultat ergab sich, daß die biblischen
Geschichtsdarstellungen in den Mittelfeldern, weit znh^
reicher mit Nähten im Kälkbewurf durchsetzt, langsarn^
gemall sinv. So hat die Gestalt Adam's in der lZr-
 
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