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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 12.1877

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Die akademische Kunstausstellung in Berlin, [3]
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39

Die akademische Kunstausstellung in Berlin,

40

Die akademische Lunstausstellung in Gerlin.

m.

Es ist mit der Klassifikation von Gemalden eine
eigene Sache. Wenn wir als Historienbilder nur
diejenigen wollten gelten lassen, auf denen sich eine Haupt-
und Staatsaktion von folgenschwerer Bedeutung, ein so-
genanntes weltgeschichtliches Ereignis; abspielt, so würden
wir uns fast allein auf die Bilder beschrankt sehen, welche
Scenen aus dem 1870er Kriege behandeln. Hutten's
Dichterkrönung oder Paulus' erste Predigt in Rom sind,
wenn sie auch mit den Ansprüchen großer Histvrienbilder
auftreten, streng genommen doch nur historische Genre-
bilder. Hingegen wird man der Abführung des gefangenen
Napoleon durch den Fürsten Bismarck und seine Kürassiere
schwerlich den Namen eines Historienbildes versagen
dürfen. Jn dieseni Akte ist der Abschluß einer groß-
artigen Katastrophe dargestellt, welche für die Geschicke
zweier Völker vvn der größten Bedeutung war. Wir
dürfen uns auch nicht eineu Augenblick besinnen, eine
Darstellung der Schlacht bei Sedan selbst unter die
Historienbilder zu registriren, falls es dem Maler ge-
lungen ist, seinem Gcmälde einen historischen Cha-
rakter aufzuprägen, aus welchem hervorgeht, daß der
Beschauer es nicht mit einer beliebigen Schlacht, son-
dern mit einem Ereigniß zn thun hat, welches einc
wichtige politische Entscheidung herbeiführt. Jch kann
im Uebrigen nicht die ziemlich weit verbreitete Ab-
neignng gegen die sogenannten Schlachtenbilder theilen.
Namentlich vermag ich nicht iu dem Bilde eines Malers,
der eine Waffenthat seines Volkes verherrlicht, einen
Akt des Chauvinismus oder des Byzantinismus zu sehen.
Die deutsche Geschichte der letzten Jahre ist auf den
Schlachtfeldern gemacht worden, Will einer Scenen aus
dieser Geschichte malen, muß er sich also schlechterdings
anf den Schlachtfeldern oder in ihrer Nähe herum-
tummeln. Freilich wird mau — ans allgemeincn ästhe-
tischen Gründen — gegen jedes unvernünftige Blutver-
gießen Einspruch erheben. Aber es hieße das Kind mit
dem Bade ausschütten, wollte man nnseren Künstlern
das ganze Gebiet verschließcn, weil einige von ihncn
zu ausgiebigen Gebrauch vom Karmin gemacht haben.

Camphausen's Gemälde: „Fürst Bismarck ge-
leitet den Kaiser Napoleon am Morgen nach der Schlacht
bei Sedan znm Könige Wilhelm", trägt durchans den
Charakter eines großartigen Histvrienbildes. Der Be-
schauer fühlt sich von der Größe des Moments voll-
kommen durchdrnngen. Er spürt den Hauch des ge-
waltigen Schicksals, welches den gebrochenen Mann mit
dem erdfahlen Angesicht zu Boden geworfen hat. Das
Bild ist nach dem Berichte des Fürsten an den König
und nach einem Briefe an die Fürstin gemalt. Dieser
Brief gelangte nicht an seine Adressc. Er wurde mit

der ganzen Post von Franctireurs aufgefangen und später
vom Pariser „Figaro" veröffentlicht. Die auf vie
Situation bezügliche Stelle lautet: „Jch hatte (nach der
Unterredung bei Donchery) . . . Offiziere aus der Stavt
holen und Moltke bitten lassen, zu kommen. Wir schickten
danu eiuen der Ersteren auf Recoguoscirung unv ent-
deckten eine halbe Meile davvn in Fresnois ein kleines
Schloß niit Park; dorthin geleitcte ich ihn mit einer in-
zwischen herangeholteu Eskorte vom Leib-Kürassier-Re-
gimente, und dort schlossen wir mit dem französischen
Obergeneral Wimpffen die Kapitulation, vermöge dercn
40- bis 60,000 Franzosen, genauer weiß ich es noch
nicht, mit Allem, was sie haben, unsere Gefangenen
wurden .... Es ist ein weltgeschichtliches Ereigniß^
Camphausen hat die Einleitung dieses weltgeschichtlichen
Ereignisses, die Ueberführung des gefangenen Kaisers
nach dem Schlosse Bellevue bei Fresnois, dargestelll-
Der Zug bewegt sich durch die neblige Luft des Septeim
bermorgenS die ,Landstraße entlang. Voran reiten
gestrecktem Trabe zwei Kürassiere; eine größere Abtheilung
verselben schließt ven Zug. Jn dem Fond dcs „historisch
getreuen" Wageus sitzt Napoleon, ganz in sich zusaminew
gesunken, gleich als ob er vor Frost zusammenschauerte,
starr und theilnahmlos vor sich hinstarrend, in der Hanv
die brennende Cigarette, die ihn selbst in dem schreck-
lichsten Angenblicke seines Lebens nicht verließ. iZc
scheint es absichtlich zu vermeiden, auf den Fürsten Z"
blicken, der, man kann die Jdee nicht los werden, wll
ein Gefangenwärter neben dern Wagen trabt. De>"
Auge des Kaiscrs wird jedoch in dem Momente, deN
das Bild fixirt, ein anderer, schrecklicherer Anblick.

Wege liegt ein sterbender Turco, dessen letzter Blick ans
den gefangenen Kaiser fällt. Man kann diesen Essvll
vielleicht etwas gesucht und obenein wohlfeil nennen,
zumal, wie mir ein Augenzeuge versichert hat, oie
gend zwischen Donchery und FresnoiS gar nicht von vev
Schlacht berührt worden ist. Jn dem Gesichte de's
Fürsten, der neben dem Wagen rcitet und unverwand^
vorwärts blickt, regt sich nicht eine Fiber. Ernst n»v
feierlich wie die Nemesis scheint er jede Bewegung ^
unterdrücken, um dem Besiegten nicht wehe zu thuN-
Das ist von dem Künstler ebenso taktvoll wie für deN
Fürsten charakteristisch. Jeder Ausdruck der Siegesfrci>d>
oder gar der Ueberhebung würde den imponirenden ElN'
druck des Bildes wesentlich beeinträchtigt haben.

Fürst betont in seinem Briefe selbst das Gefühl d>n
Demuth gegen Gott den Herrn, das ihn damals besecltO
und für sein Benehmen gegen Napoleon sind bie Wv>'ll
im Anfange des Briefes bezeichnenv: „Jch grüßte
ebenso höflich wie in den Tuilerien und fragte »a
seinen Befehlen." Aus diesen Gründen scheint nuv dd
Tadel, der gegen den leblosen Ausdruck im Angestck'
des Fürsten laut geworden, ungerechtfertigt. Das
 
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