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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 12.1877

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Die akademische Kunstausstellung in Berlin, [7]
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191

Die akademische Kunstausstellung in Berlin,

,92

Genremalerei, zu Knaus und Gussow, zwci ent-
schiedenen Naturalisten, die doch auf verschiedenen Wegen
ihre Ziele zu erreichen suchen. Knaus ist der vornehmere
von beiden. Er tritt der Natur nicht so naiv gegen-
über wie Gussow, der bei weitem energischer und rück-
sichtsloser ist und demgemäß auch eine größere Wirkung
erzielt. Die Wirkung eines Knaus'schen Bildes ist frei-
lich eine nachhaltigere, weil Knaus in seinen Bildern
mehr Geist offeribart hat, als es Gussow bisher gethan,
beziehungsweise hat thun können, weil die beschränkteren
Sujets seiner Gemälde nur eine rein äußerliche Charak-
teristik zuließen. Ueberdies mag es wohl in der Absicht
Gussow's gelegen haben, durch Entfaltung seiner kolossalen
Virtuosität mit einem Schlage zu zeigen, was er kann.
Diese Absicht hat er nun in eincm Genrebilde mir
lebensgroßen Figuren — ein alter Bauer, eiue alte Frau
und zwei junge kräftige Dirnen — so vollkommen aus-
geführt, daß man zunächst unumwunden erklaren muß:
dergleichen ist, in Berlin noch niemals gemalt und auch
noch niemals gesehen worden! Mehr noch: noch niemals
ist ein Künstler deu Aeußerlichkeiten der Natur so nahe
gekommen wie Gussow! Mag man seine Malweise in
ihrer erfolgreichen Konkurrenz mit der Natur auch
spöttisch Farbenphotographie nennen, mag man sogar
vom idealen Standpunkt herab Gussow's Bestrebungen
in Bausch und Bogen verurtheilen, so viel steht fest,
daß Gussow ein koloristisches Talent ersten Ranges ist,
das in seiner Einseitigkeit zur Zeit in Deutschland
schwerlich seines Gleichen findet. Eknseitig sind die
koloristischen Bestrebungen Gussow's deswegen zu nennen,
weil er sich ausschließlich aui kalte Töne beschränkt.
Neben ihm ist das Knaus'sche Kolorit tief und glühend.
Trotz seines energischen Naturalismus ist bei Gussow
noch keine Spur von Manierirtheit zu bemerken, während
sein Nachfolger in Weimar, Struys, mit vollen Segeln
in einer widerlichen Manier herumsteuert. Daß Gussow
auch Sinu für ideale Schönheit hat, beweist sein
zweites Bild, „Veklorenes Glück" genannt. Eine junge
Frau in Trauergewändern sitzt mit einem heiter lächeln-
den Kinde im Arm in tiefer, thränenloser Trauer um
ben verlorencn Gatten, in dumpfem Schmerze vor sich
hinstarrend. Der Kopf dcs jungen Weibes ist von un-
gewöhnlicher Schönheit, ohne Phrase, -ohne an land-
läufige Schablonen zu erinnern. Weniger gclungcn ist
das Kind, in desseu Angesicht einige stark aufgesetzte,
weiße Lichter stören. Das dritte Bild Gussow's
— ein alter Trunkenbold mil Kupfernase inspicirt seine
Blumen am Fenster — will ich gern preisgeben, ob-
wohl auch hier einige Einzclheitcn, wie die zerbrochenen
Kacheln an der Fensterbrüstung, unsere Bewunderung
herausfordern. Die Bilder des genialen Meisters geben
uns zunächst die Gewißheit, daß für die Berliner
Akademie keinc bessere Wahl getroffen werden konnte.

Die Akadcmieschüler sollen in erster Linie malen könneib
und das kanu sie keiner besser lehren als Gussow-

Nächst und neben ihm freilich auch Knaus, in desst"
Atelier sich selbst ältere Maler wie Breitbach bie
Unterweisung des Meisters ;u Nutze macheu. Ein Bild
des letztgenannten — badende Kinder im Dorfteich ""
zeigt deutlich den Einfluß, vielleicht auch hie und da d>c
nachhelfende Hand des berühmten Genremalers.
seine bereits besprocheueMadonna hat auch seine„Wirth^
hausscene" — ein zum Spielen verleiteter armselig^
Bauer wird aus der Mitte seiner Kumpane durch st>>^
Frau und seine Kinder vom Würfelspiele geholt — viel»
Bewunderer gefunden. Jch kann mich der Schaar dee
letzteren nicht unbedingt anschließen, weil ich Spuve»
einer Manierirlheit auf dem Bilde entdeckt habe, d>e ,
mir den reineu Genuß trüben. Die Manierirtheit ze>jst
sich vorzugsweise in dem Jnkarnat der Gesichter. D»
haben wir drei immer wiederkehrende Töne: erstlich ei»e»
rosenrolhen, der die Jugend und die Gesundheit chara^
terisiren soll, zweitens einen graublauen für die Kraukc»
und Elenden und drittens einen lederfarbenen für d>e
schlechten Geselleu, die auf dem in Rede stehenden Bil^
die Verführer sind. Noch auffälliger als diese Manieri''^
heit der Farbe ist die Manierirtheit in der ZeichnuuZ'
die auf fünf ebenfalls ausgestellten Kreidezeichnuugc»
(PortrLts) nachweisbar ist. Die Haare siud auffallcu»
konventionell gezeichnet, die Mundwinkel merkwürdig
sammengekniffen und abwärts gezogen — alle diest
Kleinigkeiten weisen darauf hin, daß Knaus die LfatB
nicht mehr mit derselben Unbefangenheit und Naivct^,
betrachtet als in jener goldenen Zeit, da er Truiul'l
auf Trumpf ausspielte. Diese Betrachtungen beabsichtig>"
keineswegs den Ruhm des genialen Meisters zu vei'(
kleinern, sie sollen nur eine bescheidene Mahnung
den Künstler sein, sich seiner alten, frischen, fröhlich^'
Freiheit zu erinnern und die konventionellen Fesseln u
zuwerfen. Jm Uebrigen ist das Genrebild reich
interessanten Zügen. Die gelungenste Figur ist vh>h
Zweifel der verwachsene Geselle am Tischende, wclch^
der eintretenden Frau lachend ein Willkommen bietet-
Der Weimaraner Günther, der jetzt in Köu>g
berg als Lehrer wirkt, hat drei gute Genrebilder »»^
gestelll, die in Farbe und Charakteristik an Knaus
innern. Auch der Berliner Dielitz ist noch zu eriväh»^
der ebenfalls über ein gediegenes und solides, stellei>w>
glänzendcs Kolorit verfügt. ^

Von Ausländern ist nur der Mailänder Pagli»'st
zu nennen, schon deswegen, weil man ihm, veriuuth ^
aus Kourtoisie, die kleine goldene Medaille versich^
hat. Ein Oelgemälde von seiner Hand ist flau gc'»^
und nichtssageud. Hingegen sind zwci Aquarelle — -

rieurs mit Figuren in Nococokostümeu — saubcr »^
zierlich und einer kleinen Aufmunterung werth.
 
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