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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 12.1877

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Berggruen, Oskar; Pecht, Friedrich: Deutsche Künstler des neunzehnten Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.5785#0132

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Deutsche Künstler des neunzehnten Jahrhunderts,

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daß sein „edler, aber inhaltsleerer und von vornehmer
Kälte keineswegs freier Stil das Herz des deutschen
Volkes nicht sympathisch berühren" konnte, so fällt uns
bezüglich des „edel aber inhaltsleer" genannten Stiles
zunächst die krasse oontrnäiLtio in uässLto auf, dann
aber erinnern wir uns, wie sehr im Thorvaldsen-
Museum ;u Kopenhagen aus den vereinigten Werken
dieses nachgeborenen Hellenen ein germanischer Hauch
den Beschauer anweht, so daß der Deutsche von dem
großen Meister mit Freude sagen kann: „Anch er war
unser!" Man braucht blos die technisch meisterhaften
Arbeiten des gleichfalls antikisirenden Canova, von dem
Pecht in arger Uebertreibung sagt, daß „das von Schiller
und Kant herangezogeue harte Geschlecht der Befreiungs-
jahre die süßliche Weichlichkeit des Jtalieners verachten
und verabscheuen mußte", zur Bergleichung herbei-
zuziehen, und wird sofort begreifen, weshalb wir in
Thorvaldsen's Schöpfungen den germanischen Geist
betonen, Jm Uebrigen zeigt Pecht ganz richtig, wie in
der deutschen Skulptur ein nationaler Stil durch
Schadow, dann durch Rauch und dessen Schüler, vor-
nehmlich durch Rietschel gebildet ward. SeinenLeistungen
widmet unser Autor eine eingehende', auf der genausten
Kenntniß beruhende und ducchwegs angemessene Be-
urtheilung; hin und wieder fallen scharfe kritische
Seitenhiebe gegen Bildhauer anderer Richtung, vor-
nehmlich gegen Schwanthaler, über dessen Arbeiteu
Pecht ein im Wesen richtiges, dem Grade nach aber
maßlos harles, vernichtendes Urtheil spricht. Höchst
ansprechend ist die mit köstlichen Anekdoten gewürzte
Schilderung der Persönlichkeit Rietschel's, des „zwischen
einem Vulkan und Leichenbitter seltsam stecken gebliebenen
Bildhauers", welcher in seiner Jugend harte Ent-
behrungen sich auferlegen mußte, lange Zeit „echt
sächsisch von Blümchenkaffee, Brod und Obst lebte",
dennoch aber an Geist, Gemüth und Charakter unge-
brochen blieb und sich zu einer hohen Bildung sowie zu
klassischen, wahrhaft nationalen Leistungen emporarbeitete.

Auch in Ludwig Knaus feiert Pecht zunächst den
nationalen Meister, welcher der deutschen Genremalerei
in der ganzen Welt das Bürgerrecht erworben hat.
Gleich mit seinem ersten Bilde, der „Düsseldorfer
Martinsfeier", findet der zwanzigjährige Künstler das
Feld seiner späteren großen Triumphe, der Darstellung
von Kindern; bald darauf betritt er das andere Gebiet,
auf welchem er heute, wie Pecht sich ausdrückt, die erste
Stclle einnimmt: die Schilderung des Bauernlebens.
Nun, was die gcmalten Dorfgcschichten anbclangt, wie
wir dieses Genre nennen möchten, so können wir das
Urtheil Pecht's nicht ohne Weiteres unterschreiben; wir
müssen vielmehr für Benjamin Vautier ebenfalls eine
„erste Stelle" vindiciren und glauben, daß in diesem
Genre erst beide Meister zusammen, Vautier nach der

Seite des Gefühls und Knaus nach der des Huuwrs,
das deutsche Gemüthsleben in vollkommeii ebenbürtigcr
Weise erschöpfen. Unser Autor giebt treffliche Bc-
schreibungen der einzelnen bedeutendenBilder desMciste^
und schließt mit einem scharfsinnigen, kritischen Resuuw'
dessen letzte Worte: „Knaus hat eine lange Entwickclttttg
hinter sich und Niemand kann sagen, welche Phasen st"'
suchenber Geist noch durchmachen wird", durch die vol
Kurzem veröffentlichte Madonna des Meisters ci»c
eigenthümliche Bestätigung erhalten haben.

Der folgende Essay über Gottfried Semp^
giebt unserem Autor Anlaß zu einem mit Hogarth'sch^
Schärfe gezeichneten und mit niederländischer Behagli^
keit ausgemalten Bilde der vormärzlichen Zustände l"
Dresoen und jener merkwürdigen, um der nationalc"
Einheit und Freiheit willen ausgebrochenen Revolutic"'
welche uns „in Semper wie in Richard Wagucl
beinahe die unbestritten größten Künstler ihres Fachc^
gekostet hätte, die wir heute besitzen." Wie belustigc^
Pecht den Tieck'schen Kreis, diese Kolonie gichlbrüchig^
Hofräthe, dann „das Gefvlge von Musen, die auch
dritt nur noch einen Zahn besaßen und stündlich, vh^
aus der Rolle zu fallen, die s?röoiou868 L,ickioultt°
hätten aufführen können", schildert, Las muß nian
seinem Buche nachlesen. Wir geben nur die crgötzli^
Moral der Darstellung: „Diesem Haufen von Ruin^
that ein Architekt zum Aufräumen, diesen romantisch^'
Fröschen ein klassischer Storch Nvth!" Einen solch^
klassischen Architekten hat Dresden in Meister SeMp^
gefunden, welcher „voil Haus aus auf organische
wickelung, scharfe Stellung und gründliche Lösung all^
Probleme angelegt war" und diese Eigenschaften erst killT
lich wieder bei dem Entwurfe des „Wagnertheaters
zu Bayrculh in glänzender Weise bewährte. Auf ^
Würdigung der Bauwerke Semper's, welche das Pecht's^
Buch enthält, können wir aus Raummangel leider nial
eingehen; nur das treffende Schlußwort möge Pl^
finden, daß die hohe Stellung, welche die deutsche
kunst nun auch bei fremden Nationen unzweifelhaft c"'
nimmt, vornehmlich Semper zu danken sei. Hoffen
daß es dem greisen, aber noch jugendfrischen Mcist
beschieden sein werde, die großen Arbeiten zu vollendc^
durch welche er auch in Wien unvergängliche Deiit'»^
seines Geistes zu errichlen im Begriffe steht. . .

Den Aufsatz über Moritz von Schwind lcit^
Pecht mit den bemerkenswerthen Worten ein: „Wic "" .
die Totalität des deutschen Volkscharakters niemals g''^
verstehen wird, ohne den liebcnswürdigcn, heiter
lichen, phantasievollen österreichischen Bestandthcil,
wird man ohne ihn auch die deutsche Kunst nie r'^
ständig zu würdigeu vermögen. Oesterreich hat in utts^'^
Geistesleben das Sonnige, die Grazie und Naivctät,
selige Kinderzeit wie ven willkouimeusteri Begleitcr
 
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