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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 12.1877

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Konkurrenzentwürfe für ein Denkmal der Brüder v. Humboldt in Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.5785#0146

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Konkurrenzentwürfe für ein Denkmal der Brüder von Humboldt in Berlin,

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denken haben. Man begreift, daß diese Entwürfe trotz
ihrer schlagenden Genialität oder eben deswegen dors
oonoonrs sind, schon weil sie nicht im Stande sind,
eine Forderung des Programms zu erfüllen, nämlich
die, mit Scharnhorst und Bülow Front zu halten.
Hcrmen, allcgorische Figuren und poetische Symbole ent-
ziehcn sich gern dem Zwang der Paradeaufstellung.
Und dennoch läßt sich keine schönere Lösung der Auf-
gabe wünschen, wenn man nicht an die Bedingungen
des Programmes, sondern nur an die des Raumes
denkt. Der Vorgartcn der Universität ist durch ein
Gitter von dem Straßenverkehr abgeschlossen. Reiche
Baumgrnppeir, blühende Gesträuche und sorgsam ge-
pflegte Blumcnbecte füllen den von Kieswegen durch-
schnittenen Raum, in welchem die Studenten sich
während der Pausen zu ergehen pflegen. Das Ganze
trägt also eineu wesentlich intimen Charakter. Wie
vortrefflich paßt dazu die genrehafte Auffassung dcr
Begas'schen Gruppen, deren formale Behandlung sich
hinsichtlich des Graziösen und Eleganten an das Rococo
anschließt. Und Rococo oder zopfig, wie man es nehmen
will, ist ja auch das Gebäude der Universität, wclches
den abschließenden Hintergrund für die Denkmäler abgäbe.
Endlich fügen sich die Begas'schen Gruppen viel leichter in
den beschränkten Naum als die nach gewöhnlichem Schema
aufgebauten Porträtstatuen mit ihren regelrechten Posta-
menten in so und so viel Abstufungen.

Aber Berlin wird den wohlkonservirten Ruf seiner
Nüchternheit nicht so leicht aufgeben. Die Kommission
wird sich bei Zeiten erinnern, daß Wilhelm von Hum-
boldt nicht blos der geniale Gelehrte, sondern auch
Minister war, und daß Alexander von Humboldt neben
der Last des Kosmos auch noch den goldenen Kammer-
herrnschlüssel getragen hat. Schon aus diesen Gründen,
sclbst wenn es möglich wäre, das Programm zu um-
gehen, wird man nicht auf das Abbild der ganzen
Persönlichkeiten verzichten. Dafür haben auch die
übrigen fünfzehn Konkurrenten mehr als ausreichend
gesorgt. Es kommen dabei zunächst vier bewährte
Berliner Bildhauer in Betracht, zwischen denen, wenn
nicht die Ueberlieferung völlig täuscht, die Entscheidung
der Jury schwanken wird: Albert Wolff, Afinger,
Encke und Schaper. Die beiden Letzteren haben die
Brüder sitzend dargestellt, in leichter ungezwungener
Lage bei vernünftiger und zwangloser Anordnung der
Gewandmassen. Beide Künstler haben die Sockel reich
mit Reliefs verziert. Nach ihrer Eigenart zeichnen sich
die Schaper'schen mchr durch Formenschönheit und
poetische Auffassung, die Encke'schen durch klare Kompo-
sition bei aller Delikatesse in der Formengebung aus.
Encke hat zwei vortreffliche Charakterköpfe geschaffen,
welche die der übrigen Konkurrenten an Wahrheit und
Treue übertreffen- Schaper ist der einzige von allen,

der die Humboldts entgegen der hergebrachten Tradition
in mittlerem Mannesalter dargestellt hat.— Bei dieser
Gelegenheit muß ich einen Jrrthum berichtigen. Die
Lutherstatue, welche ich in dem Bericht über die Kow
kurrenzentwürfe für das Lutherdenkmal in Eisleben als
die beste bezeichnete (s. Nr. l 3 der Kunstchronik, S. 212),
ist nicht von Siemering, sondern vonSchaper. — Albert
Wolff hat fünf Entwürfe ausgestellt: zwei sitzende Figurcn,
zwei stehende und eine Variante für Alexander in stehen-
dcr Positur. Wie der Letztere an Drake's Schinkel aiw
klingt, erinnert der reiche Reliefschmuck an den runden
Sockeln für die stehenden Figuren an Drake's Meister-
werk im Thiergarten, an das Postament der Statue
Friedrich Wilhelm's III., die übrigens, nebenbei be-
merkt, demnächst in einer Statue der Königin Luise von
Encke's Hanb ihr Pendant erhalten wird. Afinger's
Entwürfe, mit stehenden Figuren, sind etwas mager,
aber sonst den drei genannten ziemlich ebenbürtig. Wenn
künstlerisches Verdienst den Ausschlag gäbe, müßte die
Entscheidung auf Begas fallen. Aber, wie gesagt,
Begas hat mit künstlerischer Freiheit die Grenzen des
Programms überschritten. Es wäre nun wenigstens zn
wünschen, daß Opportunität den Ausschlag gäbe. Wolff
hat das Denkmal Friedrich Wilhelm's III. im Lust-
garten ausgeführt, Schaper arbeitet am Goethedenkmal
und Encke an dem der Königin Luise. Afinger, den>
noch keine derartige Aufgabe übertragen worden ist, wäre
demnach der nächste, der eine Berücksichtigung verdiente-

Von hervorragender Originalität ist noch ein Ent-
wurf von Hundtrieser, der beide Brüder auf einein
Sockel vereinigt hat. Wilhelm sitzt und Alexandcr
steht mit leiser Beugung des Oberkörpers an seiner
Seite. Der Sockel zeichnet sich durch eine sehr originelle,
geschmackvolle Gliederung und durch einen überaus
reichen figürlichen Schmuck aus. Das Kranzgesims dcs
Sockels tragen vier karyatidenartige Figuren, denen die
antike Bildung der vielbrüstigen Mutter Erde zu Grunde
liegt. Jn den Nischen zwischen diesen volutenartig
bogenenTrägern sitzen weibliche Figuren, Personisikationen
der Natur- und Sprachwissenschaft, und die Schlußsteine
des Sockels bilden vier Genien mit Globen. An«h
dieser Entwurf, der an Schönheit und Genialität den>
Begas'schen am nächsten kommt, steht Irors äs oonoours-
Um auch dem Programm zu genügen, hat Hundtrieftr'
noch zwei stehende Einzelfiguren ausgestellt.

Eine dritte Kategorie achtbaren Mittelguts repräseN'
tiren die Entwürfe von Hartzer, Hilgers, TendlaN
und Eberlein. Hartzer, der die Brüder sitzend dar^
gestellt hat, aber so, daß sie der Straße die SciteN^
ansicht zukehren würden, ist der beste von ihnen. Det
Rest ist Schweigen. Jn einer langen Seitenkaininer'
sind sie aufmarschirt wie ein Bataillon der alten Garde,
die humoristischen Ausrufungs- und Fragezeichen jed^
 
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