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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 12.1877

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Die Kaiserproklamation in Versailles von Anton v. Wernern
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https://doi.org/10.11588/diglit.5785#0220

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Die Kaiserproklamation in Versailles von A. v. Werner.

432

stimmt. Hunverle von Armen mit Helmen und Czakos
in den Händen schweben in der Luft und verleihen dem
Bilde eine Bewegung, welche der des aufgeregtcn Meeres
zu vergleichen ist. Neben der historischen Bedeutung,
die dem Mouiente innewohnt und die als solche poetisch
ist, liegt in dieser buntbewegten Mcnge das einzige
poetische oder künstlerische Element, welches der Schöpfer
des großcn Bildes verwerthen konnte und auch ver-
werthet hat. Jm Uebrigen durfte der Künstler keinen
Schritt brcit von der Ueberlieferung abweichen. Es
war ihm nicht einmal vergönnt, wie Adolf Menzel bei
seiner Darstellung der Königskrönung in der Schloß-
kirche zu Königsberg, malerische Lichteffekte zu verwerthen.
Ernst und feierlich, wie der Akt, ist auch sein Bild: eine
historische Urkunde Vvn schwerwiegender Bedeutung, aber
kein Bild im höchsteu, rein kiinstlerischen Sinnc. Es
ist eben die Jllustration eines historischen Vorgangs,
der keine andere, keine rein künstlerische Behandluug,
die dann auch eine ideale sein mi'ißte, duldet. Viel-
leicht hätte dcr Künstler die Wirkung seines Bildes er-
höhen können, wenn er der Gestalt des Kaisers dadurch
ein stärkeres Relief vcrliehen hätte, daß er sie weiter
vor den umstehenden Fürsten hervortreten ließ. Steht
man an der rechten Seite des Bildes, so verschwindet
die räumlich kleinere Gruppe zur Linken, die doch die
Hauplgruppe ist, vor der jubelnden Menge, die den
Saal füllt. Diese hat auch noch das Ucbergewicht,
wenn der Beschauer vor der Mitte des mächtigen Bildes
angelangt ist. Erst an der linken Seite gewinnt die
Gestalt des Kaisers die dominirende Stellung, die ihr
zukommt. Aber, wie gesagt, die Wahrheit mußte auf
Kosten des küustlerischen Effekts heilig gehalten werden.

Der Künstler verlegte demnach sein ganzes Können
auf die technische Durchbildung im Einzelnen und
Aeußeren. Der Fleiß und die Arbeit, die A. v.Werner
auf das Bild verwendet hat, ist geradezu stupend. Wenn
man in Betracht zieht, daß fast jeder der Anwesenden
vorher porträtirt worden ist, bevor seine Züge auf der
Leinwaud sixirt wurden, weun man in Anschlag briugt,
daß der Künstker jedes Uniformstück bis zum hohen
Reiterstiefel herab nach der Natur gezeichnet und gemalt
hat, so muß man seiner enormen Arbeitskraft die vollste
Anerkennung zollen. Man wird dann auch die Zeit
von circa drei Jahren, die Werner bis zur Vollendung
des Bildes benöthigt hat, erstaunlich gering finden. Daß
das Bild mehr Lunt als farbig ist, liegt zum Theil in
der Natur des Gegenstandes, theils in einer gewissen
Eigenart seines Schöpfers, die eben einen Theil seines
künstlerischen Charakters ausmacht.

Außer diesen technischen Vorzügen brillirt das Bild
durch eine ungewöhnliche Tiefe. Es offeubart sich in
der perspektivischen Anordnung der vielköpfigen Menge,
aus der sicb jeder Einzelne in vollster plastischcr Klar-

heit heraushebt und sich gewissermaßen von sciw'iu
Nachbar isolirt, ein tiefer Einblick in die Gesetze dcr
Perspektive, der geradezu bewunderungswürdig ist, we»n
man will, ein organisatorisches Talent, dessen verstandc^'
mäßige Taktik allein im Stande ist, die Massen z»
herrschen und zu ordnen. Des Abends, wenn die zah^
reichen Kerzen des Kronleuchters im Rittersaale dcd
Schlosses, wo das Bild vorläufig seiue Aufstellung
funden hat, ihr bleudendes Licht auf die ricsige Leiw
waud werfen, dann wirkt das Licht mit der meistcrhnst
behandelten Perspektive zusammen, um den GesanuM
effekt des Bilres zu einem geradezu bezwingenden ^
machen. Dann schwinden manche Bedenken, dann nia^^
sich auch die allzu realistische Darstellung des Hinlcc'''
grundes weniger fühlbar. Die Spiegel der VMd'
welche deu Hintergrund bildet, spiegeln nämlich
gegenüberliegenden Fenster in der Berschiebung wicdcu
wie sie die Unrcgelmäßigkeit des Glases oder dic d^
Fenster mit sich bringt. Das ist wahr, aber ni^
schön.

Da der Künstler selbst ein Zeuge des dcnkwürdig^
Aktes gewesen ist, hat er mit Fug und Recht sein Port^
am äußersten Ende des Bildes angebracht. Er ka»d
mit gerechtem Stolze auf cin Werk blicken, auf dcsst'"
Gelingen er das Beste und Edelste seines Könncus
wendet hat.

Das Bild, ein Geschenk der deutschcn Fürsb'"'
wurde dem Kaiser am Nachmittage des 22. März dui'^
eiue Ansprache des Königs von Sachsen übergebcu. ^
wird seine definitive Aufstellung in dem Auban d^
Bildergalcrie sindeii. —

Nach der Uebergabe des Bildes begab sich
Kaiser in die an den Rittersaal stoßende alte Kapc^^"
wo das Encke'sche Hilfsmodell aufgestellt war.
lOOjährigen Geburtstage der Königin Luise wurdc d"
Errichtung der Statue von den stäbtischeu Behördc"
beschlossen. Die Angelegenheit wurde sehr bcschlciini^'
und man hofft in Jahresfrist, am 10. März
die feierliche Enthülluiig vornehmen zu könucn,

u i»

einen Herzenswunsch des Kaisers zu befriedigcn.
Königin blickt mit leise gebeugtem Oberkörpcr sinw'"
herab. Die Rechte faßt einen lang herabwalleiw^
Mantel über der Brust zusammen. Als einziS^
Schmuck des Kleides steckt im Gürtel eine
während das edle Haupt ein Diadem krönt und Peri^
schnüre das Haar durchwindeu. Durch Einfachheit
Schlichtheit hat der Künstler eine förmlich bezauber»dd'
zu Thräueu rührende Wirkung erzielt. Hariiwü'^

Schönheit und Anmuth vereinigen sich hier zu ei»c>
fchönen Bunde. Wollte sich der Künstler entschlicß^
die Züge der verehrten Köuigiu etwas jugendlichcr ^
gestalten, wollte er den melancholischen Schatten, ^
aus der Stirne schwebt, entferneu, so würde Ber
 
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