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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 12.1877

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Berggruen, Oskar; article: Die Jahresaussstellung im Wiener Künstlerhause
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https://doi.org/10.11588/diglit.5785#0250

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Die Jahresausstellung im Wiener Künstlerhause,

leeren Aeußerlichkeiten gefangen giebt und von vorn herein
auf das verzichtet, was den Hauptreiz der Holbein'schen
Bildnisse ausmacht: die psychologische Vertiefung. Der
grüne Hintergrund wäre, wenngleich mit etwas „okio"
versetzt, gut nachgeahmt; auch das Kostüm hat der gc-
lehrte Theaterschneider, fast möchten wir sagen: Historien-
schneider, korrekt abgeliefert; selbst der volle deutsche
Name des konterfeiten Fräuleins und die lateinisch ge-
schriebene Jahreszahl der Entstehung des Porträts ist,
unter vorsichtiger Verschweigung „ustutis snus", welche
Angabe ja in Zukunft unbequem werden könnte, auf
dem Bilde nach alter Art zu lesen; ja ein bürgerliches
Phantasiewappen finden wir an gewohnter Stelle: — macht
aber alles das einen Holbein, oder überhaupt ein gutes
Porträt? Weit gefehlt! So wie es verkehrt wäre, wenn
Jemand, der irgcndwo bekannt werden will, daselbst
maskirt aufträte, so widersinnig ist es, wenn ein für
die Familie bestimmtes Bildniß, das zunächst durch
seine Aehnlichkeit anheimeln soll, von der Wand ganz
fremdartig niederblickt, wie etwa ein aus einer Rumpel-
kammer gezogenes, gut restaurirtes Ahnenbild. Uebrigens
ist bei dem besprochenen Porträt in Zeichnung unv
Kolorit, namentlich in dem warmcn, blühenden Fleisch
ein tüchtiges Talcnt unverkennbar. Das ist bei den
beiden Bildnissen von Gottlieb in Wien nicht der
Fall, welche wir erwähnen, weil sie die Mode der „alten
Porträts" bis zur Karrikatur führen; in dem einen guckt
ein sehr bürgerliches Gesicht aus dem Kostüm eines
TheaterkomthurS heraus, das andere zeigt in kaum zu
überbietender Farbenkakophonie einen höchst modernen,
brünetten Mädchenkopf über einem „altcn" Gewande
von schmutziger gelbgrüner Farbe, auf liefblauem Hintcr-
grunde! Angesichts solcher Verirrungen stellen sich die
zwei schönen, ohne Künstelei vorgetragenen Porträts von
Angeli doppelt wirksam dar, namentlich das einer
jungen, brünetten Dame mit lebensvollen, heiter-
anmuthigen Zügen, welches zu den besten Bildnissen dieses
Meisters gehört. Das Kostüm entspricht wohl nicht
dem letzten Modeblatt, sondern zeigt im Schnitt leise
Anklänge an die Gewandung des in Wien burch die
treffliche Reproduktion der „Gesellschaft für verviel-
fältigende Kunst" sehr populär gewordenen van Dyck'-
schen Bildnisses der Tassis; allein es könnte immerhin
selbst heute im Salon getragen werden, ohne zu sehc
aufzufallen unv vermeidet eben durch die Emancipation
von der Mode des Tages dcn Nachtheil, nach kurzer
Zeit altmodisch auszusehen. Auch von Karl Probst,
einem Schüler Angeli's, sind drei tüchtige, ohne alle
Affektation gcmalte Porträts ausgestellt.

Auf dcm Gebiete des Genre begegnen wir einigen
interessamen Arbeiten, was damit in Verbindung steht,
daß angebliche Historiengemälde und historische Porträts
den genrehaften Zug so deutlich an sich tragen, daß man

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sie unbedenklich dem historischen Genre beizählen muß'
Das ist der Fall bei den „historischen Porträts" von
Makart und Matejko, welche auf Bestellung eines
hiesigen Kunstfreundes gemalt wurden und mit eincM
Deckengemälde von Canon ein Gemach des Besitze^
schmücken sollen. Makart's Bilv stellt einen sehr wenig
gekannten Helden aus der Zeit der ersten Vertheidigung
Wiens gegen die Tllrken dar und ist nichts weiter, al§
ein für Makart auffallend gut gezeichnetes, in e>n
„makartrothes" Kostüm gehülltes, lebloses AteliermodeÜ'
Fast scheint es, daß das große Bild blos bezwecktz
das Roth der Makart'schen Palette, von welchem st
viel Aufhebens gemacht wird, zur Geltung zu bringeni
damit würden wir, aufrichrig gesagt, uns nicht begnügeM
selbst wenn es sich um das Roth eines Carpaccio, Ciin"
da Conegliano, Tizian oder Bordone handette, welche^
denn doch noch eine ganz andere Farbe ist, als bck
Makart's. Matejko's Bildniß eines tschechischen Heen"
führers aus dem 15. Jahrhunderte ist voll cchte«
historischen Geistes und kräftigsten Lebens; die Au^
führung im Detail zeugt von fabelhafter Virtuositat-
Im Wohnzimmer muß jedoch die Wirkung viel zu sta^
und unruhig sein; so ein Hussit rebellirt selbst in slüKib'
Canon's Deckengemälde: eine auf der Jagd au^"
ruhende, von einem jugendlichen Satyr gelabte Diana,
abermals eines jener virtuosen Jmitationsstücke*), weE
diesem begabten Künstler leiver zur zweitcn Natur g^
worden sind; diesmal sehen wir Rubens'sche GestaltcM
unter denen sogar eine Imitation der Helene FornwU^
nicht zu verkenncn ist, mit etwas vcnetianischem Kolo>ü
übergossen. Das Ganze wird, in die richtige Lage uN^
Beleuchtung versetzt, ohne Zweifel eine gute WirkuUA
machen; ob aber eine ehrliche Kopie nach eiuem alU'U
Meister solch' einer maskirten nicht vorzuziehen sei, >^
eine andere^Frage.

Eine nicht minder virtuose Jmitation hat L. VoH°
mar in München mit seinem bäuerlichen Genrebild g^
liefert, das ein Pasticcio Defregger'scher Köpfe und
Figuren enlhält, sowie in der Art und im Kolorit Dest
regger's gemalt ist; selbst in geringer Distanz glaub
man auf den ersten Blick vor einem Bilde des tiroleu
Meisters zu stehen. Das große und prätentiöse Genr^
bild von Josef Flüggen in München, „Regina IU^
hof, die Braut G. Fugger's, empfängt Hochzeitsgeschcnke^'
ist so recht ein movernes Salonbild; an geistigem
halt ist es arm, und die glatte Technik ist selbst de>'
Wiedergabe des Stofflichen nicht gewachsen. Das Salow
genre ist noch durch einige Bilder und Studienköpst
von Beyschlag vertreten, welche sämmtlich den bekanw
ten, süßlich-sentimentalen, geleckt-eleganten Charakter aU

*) Vergl Kunst-Chronik Nr. 35 des XI. Jahrg. (187«)
Sp. 557 ff.
 
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