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Nekrolog,
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auch Backfische mit Runzeln und Schminke, denen das
spindeldürre Raffinemcnt unter dem schier dreißigjährigen
Flügelkleide hervorguckt. Von dieser Sorte Unbefangen-
heit ist das, was man gesucht naiv in der Kunst nennt,
und wo wir ihr begegnen, werden wir uns erlauben,
nicht herzlich, aber verdrießlich zu lachen. Mit der
Gottesgabe Naivetät soll man keinen Spott treiben,
namentlich wenn ein Darstellungstalent hinzukonnnt, wie
es Thoma und Steinhausen neben jener Begabung
besitzen. — Da haben wir also eine saftige Wiese mit
einem Teiche und allerlei Gethier, nur nicht denijenigem
Gethier, welchem es in diesem friesländischen Graswuchs
gewiß schleppfüßig wohl wäre. Sondern auf dieser
Wiese befinden sich ein Hund, ein Löwe, zwei Tiger,
ein rothhaariger Bursche, dcssen Lieblingsspeise, nach der
Beleibung zu schließen, auS Kartoffeln besteht, nackt vor
einem ebenfalls nackten Weibe; denu nach Thoma's Be-
hauptung befinden wir uns vor dem Paradiese mil
Adam und Eva. — Peudant des Vorigen: rein tuben-
blauer Himmel, darüber wildes Gewölk in Regenbogen-
farbcn, darunter ein friedfertiger Acheron mit dem
Oboluserheber Charon, der uns Sterblichen seine liebens-
würdigste Seite, nämlich die Posteriora, zukehrt. Er
kommt augenschciulich von einem Todtengelage, denn er
führt im Nachen einen ungeheuerlichen Rest vvn Ein-
geweiden und Gekrösen, aus welchen Lie entsetzte Phan-
tasie allmählich einen gekrönten Grcis, einen blutenden
Mann, eine seekranke Frau u. dgl. m. entwirrt. —
Wir würden nicht stehen geblieben sein vor diesen
Bildern, geschweige uns Ler verdrießlichen Beschreibung
geopfert haben, wenn wir nicht ein Talent von hervor-
stecheuder Begabung auf diesem Irrwege absichtlicher
Naivetät befangen sähen. Schade um das Talent! Da
hört selbst der Scherz auf, ein Genuß zu sein. Sehen
wir nun aber gar die vortrefslichen Blei- und Feder-
studien Cteinhansen's, so wünschen wir, daß er seinen
Christus an dem hübsch gedachten Ziehbrunnen aus
dicsem kalten Grün, bei welchem uns eine Gänsehaut
überläuft, in ein so natürlich gesundes Klima versetzen
möge, wie er es uns in seinen Studien gezeigt hat.
Der Landschaster Jakob Maurer hat seine sreund-
lichen Waldidyllen einmal in die Galeriebilderfprache
übersetzt. Am glücklichsten ist ihm die sonnige Stimmungs-
landschaft gelungen mit dem Hirten und der Schaf-
heerde, einer Stasfage Anton Burger's, wie wir sie
glücklicher und schöner von seiner Hand nicht gesehen
haben. — Sonst ist in den Ausstellungen des Kunst-
vereins der Rest Schweigen. — Jm Städel'schen Kunst-
institut ist die Porträtbüste Veit's von Schwünd,
einem Schüler Kaupert's, zu erwähnen, als eine Arbeit,
die ein hübsches Talent nach der naturalistischen Seite
hin verräth. Dann sind wir auch hier am Anfang
und Ende.
Draußen pfeifen die Vögel, als wäre es FrühlinS'
und doch straft ein wörtlicherBlüthenschnee die Frühling^'
boten Lügen. Selbst im benachbarten Wiesbaden, d»^
Frankfurt um vierzehn Tage voraus zu sein behauptbb
wehte es uns kühl bis auf die Haut an. Von Vorausstin
bemerkten wir keine Spur. Noch weniger saheu w's'
davon in der Kunstausstellung des Kurhauses. 2K'
diesen zehntausendmarkigen Germania's nebst gerade s"
kostspieligem, aber gerade so wenig kostbarem, hohcw
und niederem Gefolge wurde uns endlich auch klar, w»^
man im Auslande lächelnd Germaniakunst nennt.
was hatten wir in der That in Deutschland zu sehe"
noch keine Gelegenheit. Wollte Gott, sie böte sich
auch so bald nicht wieder dar! Mit einem Reisegefährte"
stimmten wir im Angesicht dieser Ausstellung aus volll'W
Herzen ein in eine Abbitte dem hiesigen KunstverciU
gegenüber: „Es giebt anderwärts einen noch größere"
— — — —!" 8it vsniu vsrbo owisso.
Ott» Busch.
Nekrolog.
F-ranz Hanfstaeiigl f. Die Welt ist wieder »w
einen tüchtigen Künstler und liebenswürdigen Mensclst"
ärmer: am 18. März ging in München der hcrzogl-
Sachsen-MeiniiigenscheHofrath FranzHanfstaengl mit T^
ab. Jtachdem er mehr als 72 Jahre zurückgelegt, ohw'
je ärztlichcr Hilfe bedürftig gewcsen zu sein, suchte ct
vor wenigen Wochen, von Athemnoth gequält, in NiZ^
Linderung. Am 8. März von dort zurückgekehrt, orv'
nete er vor seinem Tode noch alle seine Angelegenheiw"
mit bewunderungswerlher Ruhe unv Klarheii und vc>"
schied zehn Tage später inmikten seiner Angehörigen-
Franz Hanfstaengl ward am !. März 1804 a"
armer Leute Kind im Dorfe Baiernrain nächst dc>'
heutigen Eisenbahnkopfstation Stafslach bei Gmuud a»j
Tcgernsee geboren und kam 1816 als echter Oberlände>
Bauernjunge in Lodenjoppe unv Kniehosen nach Münche»'
wo er zunächst in Mitlerer's Zeichenschule trat u»d
dann die k. Akademie besuchte. Mit seiuer entschiedc»
realistischen Richtung verstieß er gegen die Prinzipic"
der von Cornelius geleiteten Anstalt. Nachdem c>
gleichwohl vier Iahre (1819—25) seine Studien v»»
selber fortgesetzt, trat er iu lebhaften Vcrkehr mit Miltcrc>
und durch ihn mit Alois Senefelder und warf sich »P'
init allem Eifer auf die Lithographie, welche er s"
höherem Maße als irgend ein Anderer der Kunst diensts
bar machte. Obwohl Lurch die ihm >829 übertragc»s
Stelle eines Zeichenlehrers an der Feiertagsschule lcb^
haft in Anspruch geuommen, errichtete er doch schon i>»
folgenden Jahre eine lithographische Kunstanstalt n»d
ging 1834 nach Paris, um daselbst Lemercier's Stcii»
druckverfahren kennen zu lernen, oer bald danach Hanls
staengl's Besuch in München erwiderte. Bald dara»!
tauchte am sächsischen Hofe der Gedanke auf, die Haup>(
schätze der Dresdener Galerie durch den Steindruck vc>-
vielsältigen zu lafsen. Es sollte das auf Staatskostc»
geschehen, und Hanfstaengl ward als ausführenderKünstlc
gewählt und zu diesem Zwecke nach Dresden berufc»-
Verschiedene Gründe bestimmten ihn jedoch, auf die>>
Nekrolog,
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auch Backfische mit Runzeln und Schminke, denen das
spindeldürre Raffinemcnt unter dem schier dreißigjährigen
Flügelkleide hervorguckt. Von dieser Sorte Unbefangen-
heit ist das, was man gesucht naiv in der Kunst nennt,
und wo wir ihr begegnen, werden wir uns erlauben,
nicht herzlich, aber verdrießlich zu lachen. Mit der
Gottesgabe Naivetät soll man keinen Spott treiben,
namentlich wenn ein Darstellungstalent hinzukonnnt, wie
es Thoma und Steinhausen neben jener Begabung
besitzen. — Da haben wir also eine saftige Wiese mit
einem Teiche und allerlei Gethier, nur nicht denijenigem
Gethier, welchem es in diesem friesländischen Graswuchs
gewiß schleppfüßig wohl wäre. Sondern auf dieser
Wiese befinden sich ein Hund, ein Löwe, zwei Tiger,
ein rothhaariger Bursche, dcssen Lieblingsspeise, nach der
Beleibung zu schließen, auS Kartoffeln besteht, nackt vor
einem ebenfalls nackten Weibe; denu nach Thoma's Be-
hauptung befinden wir uns vor dem Paradiese mil
Adam und Eva. — Peudant des Vorigen: rein tuben-
blauer Himmel, darüber wildes Gewölk in Regenbogen-
farbcn, darunter ein friedfertiger Acheron mit dem
Oboluserheber Charon, der uns Sterblichen seine liebens-
würdigste Seite, nämlich die Posteriora, zukehrt. Er
kommt augenschciulich von einem Todtengelage, denn er
führt im Nachen einen ungeheuerlichen Rest vvn Ein-
geweiden und Gekrösen, aus welchen Lie entsetzte Phan-
tasie allmählich einen gekrönten Grcis, einen blutenden
Mann, eine seekranke Frau u. dgl. m. entwirrt. —
Wir würden nicht stehen geblieben sein vor diesen
Bildern, geschweige uns Ler verdrießlichen Beschreibung
geopfert haben, wenn wir nicht ein Talent von hervor-
stecheuder Begabung auf diesem Irrwege absichtlicher
Naivetät befangen sähen. Schade um das Talent! Da
hört selbst der Scherz auf, ein Genuß zu sein. Sehen
wir nun aber gar die vortrefslichen Blei- und Feder-
studien Cteinhansen's, so wünschen wir, daß er seinen
Christus an dem hübsch gedachten Ziehbrunnen aus
dicsem kalten Grün, bei welchem uns eine Gänsehaut
überläuft, in ein so natürlich gesundes Klima versetzen
möge, wie er es uns in seinen Studien gezeigt hat.
Der Landschaster Jakob Maurer hat seine sreund-
lichen Waldidyllen einmal in die Galeriebilderfprache
übersetzt. Am glücklichsten ist ihm die sonnige Stimmungs-
landschaft gelungen mit dem Hirten und der Schaf-
heerde, einer Stasfage Anton Burger's, wie wir sie
glücklicher und schöner von seiner Hand nicht gesehen
haben. — Sonst ist in den Ausstellungen des Kunst-
vereins der Rest Schweigen. — Jm Städel'schen Kunst-
institut ist die Porträtbüste Veit's von Schwünd,
einem Schüler Kaupert's, zu erwähnen, als eine Arbeit,
die ein hübsches Talent nach der naturalistischen Seite
hin verräth. Dann sind wir auch hier am Anfang
und Ende.
Draußen pfeifen die Vögel, als wäre es FrühlinS'
und doch straft ein wörtlicherBlüthenschnee die Frühling^'
boten Lügen. Selbst im benachbarten Wiesbaden, d»^
Frankfurt um vierzehn Tage voraus zu sein behauptbb
wehte es uns kühl bis auf die Haut an. Von Vorausstin
bemerkten wir keine Spur. Noch weniger saheu w's'
davon in der Kunstausstellung des Kurhauses. 2K'
diesen zehntausendmarkigen Germania's nebst gerade s"
kostspieligem, aber gerade so wenig kostbarem, hohcw
und niederem Gefolge wurde uns endlich auch klar, w»^
man im Auslande lächelnd Germaniakunst nennt.
was hatten wir in der That in Deutschland zu sehe"
noch keine Gelegenheit. Wollte Gott, sie böte sich
auch so bald nicht wieder dar! Mit einem Reisegefährte"
stimmten wir im Angesicht dieser Ausstellung aus volll'W
Herzen ein in eine Abbitte dem hiesigen KunstverciU
gegenüber: „Es giebt anderwärts einen noch größere"
— — — —!" 8it vsniu vsrbo owisso.
Ott» Busch.
Nekrolog.
F-ranz Hanfstaeiigl f. Die Welt ist wieder »w
einen tüchtigen Künstler und liebenswürdigen Mensclst"
ärmer: am 18. März ging in München der hcrzogl-
Sachsen-MeiniiigenscheHofrath FranzHanfstaengl mit T^
ab. Jtachdem er mehr als 72 Jahre zurückgelegt, ohw'
je ärztlichcr Hilfe bedürftig gewcsen zu sein, suchte ct
vor wenigen Wochen, von Athemnoth gequält, in NiZ^
Linderung. Am 8. März von dort zurückgekehrt, orv'
nete er vor seinem Tode noch alle seine Angelegenheiw"
mit bewunderungswerlher Ruhe unv Klarheii und vc>"
schied zehn Tage später inmikten seiner Angehörigen-
Franz Hanfstaengl ward am !. März 1804 a"
armer Leute Kind im Dorfe Baiernrain nächst dc>'
heutigen Eisenbahnkopfstation Stafslach bei Gmuud a»j
Tcgernsee geboren und kam 1816 als echter Oberlände>
Bauernjunge in Lodenjoppe unv Kniehosen nach Münche»'
wo er zunächst in Mitlerer's Zeichenschule trat u»d
dann die k. Akademie besuchte. Mit seiuer entschiedc»
realistischen Richtung verstieß er gegen die Prinzipic"
der von Cornelius geleiteten Anstalt. Nachdem c>
gleichwohl vier Iahre (1819—25) seine Studien v»»
selber fortgesetzt, trat er iu lebhaften Vcrkehr mit Miltcrc>
und durch ihn mit Alois Senefelder und warf sich »P'
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höherem Maße als irgend ein Anderer der Kunst diensts
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haft in Anspruch geuommen, errichtete er doch schon i>»
folgenden Jahre eine lithographische Kunstanstalt n»d
ging 1834 nach Paris, um daselbst Lemercier's Stcii»
druckverfahren kennen zu lernen, oer bald danach Hanls
staengl's Besuch in München erwiderte. Bald dara»!
tauchte am sächsischen Hofe der Gedanke auf, die Haup>(
schätze der Dresdener Galerie durch den Steindruck vc>-
vielsältigen zu lafsen. Es sollte das auf Staatskostc»
geschehen, und Hanfstaengl ward als ausführenderKünstlc
gewählt und zu diesem Zwecke nach Dresden berufc»-
Verschiedene Gründe bestimmten ihn jedoch, auf die>>