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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 12.1877

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Guerrard, Charles: Der Salon von 1877, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5785#0274

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539

Der Salon von >877.

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daher sind seine Gemälde treue und beredte Jnterpre-
talionen des landschaftlichen Ausdrucks dcr Natur, der
zu flüchtig und verschieden ist, als daß er in Wirklich-
keit lange festgehalten werden könnte. Die Manier
dieses Meisters ist voller Frische und Poesie; sie giebt,
ihrer summarischeu Kürze unbeschadet, immer ein volles
und richtiges Abbild der Wirklichkeit, weil sie den Ge-
sammtcharakter des Naturbildes in den Umrissen der
Zeichnung, sowie in der Farbenstimmung und Licht-
wirkung festhält. Corot's Erfolge reizten einige An-
hänger seines Prinzipes, dasselbe nicht blos auf die
Landschaft, sondern auf alle Erscheinungeu in der Natur
anzuwenden; bei dieser Erweiterung seines Wirkungs-
kreises mußte es naturgemäß auch eine Aenderung er-
fahren. Die gestellte neue Aufgabe erschien kühn und
schwer, aber verlockend: nichts aussprechen, aber alles
ausdrücken; alles in klaren, lichten Farben darstellen
und nichts in dunklen, schwarzen Tönen halten — das
war das neue Zdeal- Um auf diesem Wege zu einer
Wirkung zu gelangen, bedarf der Künstler einer vollen
unfehlbaren Kenntniß der Form und einer tiefen Em-
psindung der Farbe; daß Eduard Manet, das Haupt
der neuen Schule, diese Eigenschaften besitze, möchten
wir bestreiten. Unseres Erachtens sind seine bisherigen
Leistungen unvollständig; die Wirkung und Wahrheit in
seiner lickten Farbengebung ist unverkennbar, nicht minder
aber auch die Mängel seiner Zeichnung und Formensprache.
Daher liegt Manet's Bedeutung nicht so sehr in seineu
eigenen Leistungen, als in scinem Einflusse auf die Nach-
ahmer seines Prinzipes; dcnn die Schule der „Jmpres-
sionisten", wclche in Manet ihren Gründer sieht, hat
in der letzten Zeit unbestreitbar große Forlschritte in
der Kunst und in der allgemeinen Werthschätzung ge-
macht. Wahrcnd den Jmpressionisten noch im vorigen
Jahre der Salon unbarmherzig verschlossen blieb, haben
sie heuer ihre Aufnahme in denselben durchgesetzt und
bilden fortan eine staatlich anerkannte, oder zum min-
desten geduldete Kunstsekie. Manet selbst ist durch ein
Bildniß des berühmten Baritonisten Faure, seincs
trcuesten Anhängers und — Abnehmers, welchcr eine
ganze Manet-Galerie um theures Geld angelegt hat,
im Salon vertreten; das Porträt stellt den Sänger in
der Rolle des Hamlet dar und ist wegen der nach dem
neuen Prinzip bewirkten lichten Farbenstimmung sehr
interessant.

Bedeutender aber als durch den Gründer ist die
neue Schule durch einen Auhänger, Henri Gervex,
vertreten. Schon im vorigen Jahre hatte dieser junge
Künstler durch seine „Leichenschau im Spital", ein Bild
voll ergreifender Realität und Wahrheit, die allgemeine
Aufmerksamkeit auf sich gezogen; heuer ist er auf dem
neuen Kunstpfade' noch energischer vorgeschritten. Die
„Kvmmunion in der Dreifaltigkeitskirche", welche er dies-

mal ausgestellt, ist eine Art von künstlerischem Glaubens-
bekenntniß; das Bild bedeutet den Bruch mit der Tra-
dition und zugleich einen großen Fortschritt. Ausgehend
von der Manier Manet's, auch einfache moderne StofP
in großen Dimensionen zu behandeln, führt nns
Künstler ein Dutzend lebensgrvßer junger Mädchen vor,
welche in Gegenwart ihrer Eltern das erste Abendniah
empfangen. Die Komposition ist äußerst geschickt: vor
dem Altar im Hiniergrunde, an welchem zwei Priesteu
denen zwei Chorknaben ministriren, das heil. Abendniah
reichen, kniccn junge Mädchen, in leichte weiße Gewänvea'
und Schleier gehüllt; drei Jungfrauen, welche die Hostu'
bereits empfangen haben, schreiten mit tiefer Andaäst
die mit einem rothen Teppich belegien Marmorstust"
des Altars hinab; im linken Vordergrunde sinb die Z"'
schauer beiderlei Geschlechts wirksam gruppirt. D>c
Architektur der Kirche, die Beleuchtung, die Farben vcl
Toiletten der Zuschauer, alles das ist trefflich zusamweU-
gestimmt. Der einfache Vorwurf hat dem Künstler
nügt, um ein ebenso originelles wie meisterhaftes
;u schaffen, dessen edler Realismus und unmittelbaaa
Empfindung geradezu ergreifend wirken. Vom riuu
malerischen Standpunkte aus interessirt uns am meistcu
die ausschließlich durch lichte, leuchtende Töne, ohR
Beimischung von dunklen Nuaneen hergestcllte, äußerst
harmonische Farbengebung; sie bietet uns in der Th^
einen aufrichtig empfangenen und mii größter Virtuost'
tät dargestellten Eindruck veS nalürlicheu Bilves. Dariu
besteht der Hauptwerth dieses Gemäldes; Loch sei nebeN
her erwähnt, daß ein Porträt, welches es enthält,
den besten des Salons gehört, und daß der Künstler stö!
als tiefer Beobachter, als feiner Zeichncr und geschmaö'
voller Kolorist bewährt hat.

Bei den älteren Meistern vermissen wir jene leickstc,
breite und kühne Technik und jene naive, rein mensch'
liche, mitten im modernsten Leben stehende Auffassung,
welche mns an dem besprochenen Hauptbilde der ncuc'U
Schule so sehr befriedigt. Sie folgen den altgewohntcU
Pfaden, indem sie möglichst anziehende oder „sensationcllc
Sujets hervorsuchen unv dieselbeu nach herkömmlichcU
Recepten bearbeiten. Das ist gleich der Fall bei eineu'
Bilde von Jean Paul Laurens, welches noch vor dec'
Ausstellung viel von sich reden machte und zu den
deutendsten Historienbildern des Salons gezählt nstuU'
Der Künstler hat sich schon früher durch mehrere BilveU'
„Die Erschießung des Herzogs von Enghien", „Der st'
Bruno", „Franz Borgia" u. A., einen beveutenden R>0
als Historienmaler erworben; auch diesmal bekundets
er von Iieuem seine anerkannte Gabe, cinen Stdst
charakteristisch zu gestalten und dramatisch zu belebeU-
So fesselt er zunächst das Publikum, welches er f^
dic Gegenstände seiner Darstellung zu interessiren weißi
allein auch den Kenner befriedigen die künstlerischcU
 
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