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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 12.1877

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C. C. Newton's zweiter Bericht über die olympischen Entdeckungen, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5785#0284

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C. T. Newton's zweiter Bericht über die olympischen Entdeckungen.

des Tempelbodens und dle Aufdeckung seines Grund-
plans schreibt, ist den Lesern bekannt.*) Ebensv
kann hinsichtlich der neucrdings gefundeuen römischen
Porträtstatuen und der auf antiken Gvunvmauern
(wahrscheinlich des Hippodamcion) errichteten frühchrist-
lichen Kirche westlich voin Tenipel auf die Kommissions-
berichte (oben, Sp. 48 l ff.) verwiesen werden. Sodann
wendet sich Newton zu deu Giebelskulpturen des Zeus-
tempels und erinnert an Pausanias' uur die Haupt-
figuren hervorhebende Schilderung des Kentaurenkampfes
im Westgiebel: „Jn der Mitte des Giebclfeldes befindet
sich Peirithoos; neben ihm einerseits Eurytion, der
Peirithoos' Weib geraubt hat und Käncus, der dem
Peirithoos beisteht, andererscits Theseus, welcher mit
einer Streitaxt die Kentauren abwehrt; der eine Kentaur
hat eine Jungfrau, der andere einen schönen Knaben
geraubt." Hieran schließt dlewton folgcnde Beschreibung
der bisher aufgefundenen Bruchstücke.

,,l) Das wichtigste dieser Fragmente ist der Ober-
theil ciner weiblichen Figur, von einem Kentauren um-
klammert. Nach seinem Maßstabe muß dies Stück
seinen Platz irgendwo uahe Ler Mitte gehabt haben,
daher wir es für einen Theil der von Pausanias be-
schriebenen Gruppe des Eurytion und der von ihm ge-
raubten Braut des Peirithoos halten dürfcn, welche ein
andrer Schriftsteller Deidnmeia nennt. Der Kopf dieser
Frauenfigur ist vollkvmmen erhalten, vom Körper ist
genug übrig, iim das Motiv der Gruppe zu ermitteln.
Der Kentaur hat seine Beute init dem rechten Arni um
die Taille gepackt, während sein rechtes Vorderbein sv
gebogen ist, daß der Huf an ihrer rechten Hüfte liegt.
Seine rechte Hand hat den Chiton der Braut von der
linken Schuller, wo er befestigt war, weggerissen, und
die andere Hand greift nach der so entblößten Brust.
Mit einer Hand sucht Deidameia vergebens, sich von
seinen rvhen Griffen loszumachen. Jhr rechtshin vor-
geneigtes Antlitz blickt nieder mit einem Ausdruck, in
welchem Scham und Empörung mit der Hoffnung auf
baldige Rettung geniischt scheinen. Dies ist eiuer der
wenigen Köpfe aus Phidias' Schule, welche ganz uuver-
sehrt sich bis auf uusere Zeit gerettet haben. Das Haar
ist fast ganz unter einer leinenen Haube verborgen,
welche niehrmals um das Haupt gewunden und über
der Stiru iu einem Knoteu zusammengebundcn ist. Die
Gestalt trägt eiuen Chitvn, welcher unter dem Gürtel
aufgeschürzt ist und über den rechten Schenkel herab-
fällt; darüber ist ein Ueberschlag (Diplotdion) auf der
rechten Schulter befestigt. Der linke Schenkel, welcher
sich gegen links vorwärts bewegt, ist unbedcckt. Die
Unterbeine von vberhalb der Kniee ab fehlen; vermuth-
lich hat diese Figur mehr als ein Drittel ihrer ursprüng-

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lichen Höhe eingebüßt. Vom Kentauren sind nur d>e
beiden Hände und das eine Borderbein übrig. Als vck
Gruppe vollständig war, muß sie einen jener gewaltige"
Gegensätze thierischcr Lust und beleidigten Schamgefühk^
dargestellt haben, welchen wir in den Metopen vcs
Parthenon und im phigalischen Friese begegnen. Selbst
in seiner jetzigen Verstümmelung ist vies Fragment eiN
Meisterwerk athenischer Kunst, dramatisch, doch nichl
dem Sinne wie der Laokoon, der sterbende Fechter odei'
die Skulpturen vom Mausoleuni dramatisch sind, sondei'v
mit einem selbstauferlegten Zwange, wclcher uns an v>e
für die ältere attische Tragövie so charakteristische «rllm!-'
gemahnt: eben durch das Maßvolle des Ausdruck^
steigert sich das Pathos.

„2) Ein Apollokopf von heroischer Größe. Dei
Stirn entlang laufen Reihen kleiner Locken in ctwad
steifer Anordnung; hinter diesen Locken ist eine Rille
den Marmor gehauen, vermuthlich für einen Kranz, vu
eine Anzahl bronzener Lorbcerblätter in der Nähe de^
Kopfes gefunben worden sind. Dieser Kranz war beidei-
seits ani Kopfe mit Nägeln befestigt. Das vortreffli^
erhaltene Gesicht ist von sehr schvnem, großen Stib
Man vermuthet, der Kopf möge zu einer Apollostatue
gehört haben, welche die Mitte des Westgiebels eiiigi"
nommen habe, enlsprechenb dem Zeus im östlich^
Giebelfelde. Zur Bestätigung dieser Vermuthung läßt
sich anführen, daß der Kopf gegenüber deni Mittelpunb
des Westgiebels, nahe der Gruppe des Eurytion »dd
der Deivameia, zum Vorschein gekomiuen ist.

„3) Pausanias giebt keine Andeutuug über vie Äit'
wie die Ecken des Westgiebels ausgefüllc waren. 2'"
östlichen wird das Lokal der Begebenheit von den beidcd
Flußgöttern Alpheios und Kladeos begrenzt, welche
deu entgegengesetzten Ecken des Giebelfelves liegen.
liegt Grund zu der Aunahnie vor, vaß die beiven west-
lich vom Tenipel gefundenen liegenden FrauenfiguH"
in ähnlicher Weise die Lokalität der Kentauromachie bi'
zeichneten, denn sie konnten im Westgiebel kaum andei^'
wo als in den Ecken angebracht sein. Eine derselbeü
(Nr. 3) liegt auf dem linken Schenkel; der Oberkörp^
ist dergestalt umgewendet, daß die Brust mit dem Giebek'
boden beinahe parallel läuft. Die jetzt oberhalb vc^
Ellenbogens abgebrochenen Arme haben ven Körpcr
dieser Lage gestützt. Der Kopf ist vollkommen erhalteU'
der Blick ist fest nach rechts gegen den Mittelpunkt dc^
Ganzen gerichtet; die Lippen sind leise geöfsnet.
den Unterkörper ist ein Mantel geschlungen, dessen eiiu'
Ecke über die rechte Schulter nach der linken Sei^
hinübergeworfen ist. Die Beine fehlen von unter de»
Knieen an. Diese Figur muß nach der Richtung dc^
Kopfes der Nordecke des Giebels zugewiesen werdeU'
Die Behandlung ist breit unv kräftig.

„4) Eine liegende weibliche Figur in ähnlicheU'

') Vergl. Zeitschr. XII, 197 ff.
 
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