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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 12.1877

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Berggruen, Oskar: Rubens und Rembrandt, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5785#0354

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Rubens und Rembrandt.

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und bewaffnet gemeinsam ausziehen: ist es da nicht
ziemlich gleichgiltig, wohin und wozu sie ausrücken?
Und sclbst die am meisten bcstrittene Zeit dieses Aus-
zuges ist zahlreiche Untersuchungen nicht werth, denn
wir wissen, daß „das nächtliche Dunkel deni Meister
verlraut und der Schatten sein gcwöhnliches, poetisches
wie dramatisches Ausdrucksmittel ist, sowie daß er überall,
in seinen Porträts, Jnterieurs, Legendcn, Landschaften
und Radirungen regclmäßig durch die Nacht den Tag
erzeugt".

Nicht ohne tiefes Jnteresse, aber nicht ohne manchen
scharfen Widerspruch wird man die eingehenden Aus-
einandersetzungen lesen, welche der Autor der „Nacht-
wache" gewidmel hat. Er verläßt die herkömmlichen
Pfade der Kritik und betritt das „technische Dickicht"
der Malkunst, wobei es ihm gar schr zu Statten kommt,
daß er selbst in alle Finessen von Pinsel und Palette
eingeweiht ist. Schließlich aber gclangt er zu Resul-
taten, die schon lange feststehen, denn es bezweifelt Nie-
mand, daß „Rembrandt zu den größten Koloristen ge-
hört, die cs jemals gegeben hat, daß die Palette sein
häufigstes und stärkstes Ausdrucksmittel ist und daß er
sich >n seinen Gemälden wie in seinen Nadirungen weit
besser durch die Farbe und deren Effekte als durch die
Zeichnung ausdrückt". Besondere Erwähnung verdienen
nur die feinen Bemerküngen, welche der Autor über die
Verwendung der Farben im Allgemeinen einstreut und
durch Vergleichung der berühmtesten Koloristen unter
einander erläutert. „Es ist durchaus nicht nöthig, viel
zu koloriren, um ein großes koloristisches Meisterwerk zu
liefern; Velazquez beispielsweise hat es verstanden,
mit wenigen trüben Farben ein wundervolles Kolorit
herzustellen". Rembrandt hat ebenfalls von den Farben
den sparsamstcn Gebrauch gemacht; er hat aber über-
dies seine Palette in einer Weise zusammengesetzt, wie
vor ihm kein anderer Maler. Er zuerst hat von jener
Art der Ausfassung, die man als Helldunkel bezeichnet,
in ausgedehntester Weise Gebrauch gemacht und in so-
fern der Malerei eine ncue Ausdrucksform erschlossen.
Unter allen malcrischen Ausdrucksweisen ist das Hell-
dunkel „am reichsten an Ellipsen, an nicht ausgedrückten,
aber doch verstandenen Gedanken und an Ueberraschungen,
somit auch mehr als jede andere Ausdrucksform zur
Wiedergabe der intimsten Gedanken und Empfindungen
geeignet". Könute man aunehmen, daß Rembrandt
zur Zeit, als er die „Nachtwache" schuf, uüt bewußtem
Vorsatze und nicht vielmehr aus künstlerischem Jnstinkt
die neue und von ihm immer mehr entwickelte Malweise
angewendec habe, so würde man dieses Bild als „Mani-
fest des Helldunkels." bezeichncn müssen. Er selbst aber
tritt seit diesem Bilde aus den herkömmlichen Kategorien,
welche man zur Unterscheidung der Maler und ihrer
Malweise anwendet, heraus; mit der bloßen Einreihung

unter die Koloristen geschieht ihm nicht Genüge. „Wärc
es gestattet, den Meister, der das Licht ganz außerhalb
der üblichen Regeln anwendet, demselben cine außer-
ordcntliche Bedeutung verleiht und ihm große Opstt
bringt, mit einem eigenen Worte zu bezeichnen, so solllc
man ihm den zwar barbarischen, aber doch zutreffenden
Beinamen des Luminaristen geben".

Rembrandt wäre in der That unerklärlich, wenn
„man in ihm nicht zwei verschiedene Naturen wahr--
nehmen könnte, welche von nahezu gleicher Stärkc und
jede für sich von unvergleichlicher Tragkraft waren und
in der Regel von einander getrennt mit dem größten
Erfolge wirkten, obgleich sie in einzelncn Fällcn stch
vereinigten und versöhnten". Neben dem Mystiker des
Lichtes steht der äußere Mensch, der eigentliche Malcr.
Und dieser letztere ist ein „klarer Geist mit strenger
Logik und strenger Hand, ganz entgcgengesetzt dcin
romantischen Genius Rembrandt, welcher sich dic Be-
wunderung der Welt errungen". Wenn Ler Maler in
ihm überwiegt, so weiß er mit klaren, einfachen uud
wolkenlosen Farben seinen Gegenstand auf das schärfste
zu charakterisiren und ihn in seiner natürlichen Phh-
siognomie auf das getreueste wiederzugeben; dann ist
„dieser Thaumaturg im Stande, uns die äußere Wclt,
so wie sie ist, in einem treuen und doch nur ihm eigencN
Abbilde vorzuzaubern" Die Werke dieser Art sinv
aber selten und niemals unter den Bildern zu finden,
deren Gegenstand der Künstler sich ersonnen, sondcrn
nur dann, wenn cr sich aus irgcnd einem Grunde blos
mit dem dargestellten Objekte beschäftigte und ihm untcr-
ordnete. Das ist zunächst bei einigen Porträts allcr-
ersten Ranges der Fall, unter welchen das des Bürger-
meisters Six obenan steht, das Rembrandt in jenein
Unglücksjahre 1656 malte, in welchem er, gealtert und
matcriell zu Grunde gerichtet, sich an die Rozengrackst
flüchtete und nur einen Schatz rettete: seinen Genius-
Bon diesem Bildnisse sagt Fromentin mit Recht, daß
es den gefährlichsten Vergleichen trotze, und daß kein
anderer Maler im Stande gewcsen wäre, ein Portriü
gleich diesem zu schaffen. Nachdem er die Vorzüge des
besprochenen Porträts und mehrerer anderer eingehcill
hervorgehoben, kann Fromentin die Frage nicht untec-
lassen, ob Rembrandt nicht besser daran gethan hättO
Zeit seincs Lebens Porträts wie das des Doktor Tulp
(in der „Anatomie"), des Kapitän Cock (in der „Nackst-
wache"), des Bürgermeisters Six oder des Martin Dacp
(in der Sammlung van Loon) zu schaffen, als sick)
eigene Sujets zu ersinden und sie in einer sonderbarew
zwar ausdrucksvollen, aber doch inkorrekten Sprachc
zu schildern, die Niemand außer ihm sprechen konntO. -
ohne in Barbarismen zu verfallen". Da ist der Punkü
wo sich in Fromentin, seiner „Roniantik" zum Trotz, dec
angeborene französische Positivismus stärker zeigt,
 
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