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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 12.1877

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Die Kunstindustrie-Ausstellung zu Amsterdam, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5785#0386

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Die Kunstindustrie-Ausstellung zu Amsterdam.

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einbürgerte; die kunstindustriellen Erzeugnisse der Kolonien
wurden immer mehr und mehr eingeführt und beein-
flußten den Geschmack der Städter wie des Landvolkes,
dessen schöne Trachten wie sein eigenartiges Stilgefühl
allmählich verloren gingen.

Dasselbe Holland indessen, das uns seit dreißig
Jahren stets durch sein „Chinesenthum" charakteristisch
erschien, hat sich so vollständig umgewandelt während
dieser Zeit, ^modernisirt in der guten und schlimmen
Bedeutung des Wortes, daß wir fast alle unsere
früheren Vorstellungen über Lanv und Leute über Bord
werfen müssen. Das von Haus aus konservative Volk
hängt immer noch sehr am Alten, entschließt sich sehr
schwer, vom Hergebrachten und Landesüblichen ab-
zuweichen, springt aber in's entgegengesetzte Extrem
über, wenn es einmal sich entschließt, dem Foitschritt
zn huldigen. Schämt sich der Holländer des „Alt-
väterischcn", das ihm nicht wenig anhängt, so nennt
er aber auch das gute Alte altväterisch und wird ent-
setzlich pictätlos gegen die Monumente seines Landes;
will er das Moderne, so hat er keinen Sinn für das
schöne Moderne, sondern nur für das Pomphafte, sei es
noch so geschmacklos, nur für das massiv Prunkvolle,
wenn auch noch so sehr aller Eleganz Baare; dabei hat
er, ohne sich dessen so recht bewußt zu sein, sich ein
gutes Theil ästhetischer Anlagen bewahrt, die oft gerade
da hervortreten, wo man sie am wenigsten erwariet und
der Entwickelung fähig sind, wenn ein ganzes Schock
bornirter Vorurtheile eimnal als daS wirklich Alt-
vätcrische erkannt und überwunden sciu werden.

Die Holländer müssen aber, um vorwärts zu
kommen, vor allem die Kunst ihres eigenen Landes im
Zusammenhang mit der geschichtlicken Entwickelung der
Kunst überhaupt betrachten lernen. So gut unsere ehe-
malige falschpatriotische Schwärmerei für die Gothik
als des „altdeutschen" Stiles durch kunsthistorische
Studien übeiwunden werden mußte, so mussen sich die
Holläuver durch Vertiefung in die Kunstgeschichte von
dem Vorurtheil frei machen, als ob die mittelalterliche
Baukunst ihres Landes nur als der Ausdruck licht-
schcuer ascetischer Finsterlinge, die Renaissance als
„Jnquisitionsstil" zu beirachten sei. Dem Sludium
der Kunstgeschichte muß das Studium der Baustile an-
gereiht werden, um sich von dem Vorurtheil zu be-
freien, als ob deren Formenwclt uubedingt abhängig sei
von dem Glauben der Völker, welche sie geschaffcn haben.
Wenn die Holländer darüber besser unterrichtet wäreu,
daß dic antikisireude Richtung Berlins nichts mit dem
hellenischen Heidenthum, dic vereinzelten Bemühungen
um Wiedereinführung des maurischen Stils nichls mit
dem Mohauiedanismus gemein haben oder hatten, wenu
sie wüßteu, daß man als Protestant Verehrer der Gothik
scin kann, wie Ungewitter, als strenger Katholik ihr

schärfster Gegner, wie Hübsch, als religiös indifferenter
Mensch Vertreter der Renaissance, wie die Mehrzalst
unsrer heutigen Architekten, so würden sie kaum hinter
allen Bestrebungen der Nijksadviseurs und des jetzig^
Kunstreferenten, Herrn de Stuers, die sie unablässtö
angreifen, einseitiges Vorgehen zu Gunsten des Katho-
licismus wittern.

Zur Förderung der Kunstinbustrie hat Holland w
seiner Ausstellung zu Amsterdam einen sehr wichtigeu
Schritt gethan; ist die Ausstellung, soweit sie voN
Holland selbst beschickt wurde, auch mehr oder minder
eine Jllustration zu dcm eben Gesagten, so verräth
sie doch recht viel guten Willen der Einsender und
manche verdienstliche Arbeit ist der Erwähnung werth-

Die nächste Veranlassung zu dem Arrangeuient
der Ausstellung lag in dem Wunsche der Abtheilung
Amsterdam des Verbandes der niederländischen Gewerbe-
vereine, zur Feier seines 25jährigen Bestehens und zu
ihrer Generalversammlung dem Publikum ein Bild der
heutigen Kunstindustrie Hollands vor Augen zu stellen
und durch eine internationale Konkurrenz auf den ver-
schiedensten Gebieten des Kunsthandwerkes, dic in Holland
gepflegt werden, einen Maßstab zur Beurtheilung des
Höhenpunktes holländischer Kunstindustrie im Vergleich
mit andern Ländern zu gewinnen.

So gut das Ziel dieser Ausstellung gewählt, so
zweckmäßig das Programm verfaßt war, so blicb voch
der Erfolg nicht wenig hinter den gehegten Erwartungen
zurück, und wenu Herr Custos Bruno Bucher in der
Frankfurter Zeitung diese wie andere Punkle ausführ-
lich bespricht (Nr. 22 l u. ff.: Niederländische Kunst-
fahrten) so wollen wir daranf hinweisen, daß das Pro-
gramm nicht hinlänglich und nicht rechtzeitig bekannt
gemacht war. Nicht zu läugnende Thatsache ist es, daß
wir in Amsterdam selbst erst 14 Tage nach Ablauf der
Anmeldefrist das Progrannn erhielten, ja daß wir erst
vurch deutsche Blätter von der zweimaligen Verlängerung
des Anmeldetermins um je einen Monat erfuhren; sclbst
ein Mitglied der Regelungskouimission wurde erst auf
solchem Umweg von der Thatsache benachrichtigt.

Die beiden Herren Sekretäre, Jngenieur Mynssen
und Architekt de Kruiff haben sich uni die Ausstellung
so sehr in jeder Beziehuug verdient gemacht, daß vieser
prinzipielle Mangel in der Behandlung der Aufgabe
doppelt zu bedauern ist. Ob das Programm in öffcnt-
lichen Blättcrn des Jn- und Auslandes ganz oder iin
Auszug rechtzeitig zum Abdruck kam, ist uns nnbekannt
geblieben, trotzvem wir die wichtigsten derselben stets
im Ange behielten. Auch bei dieser wie bei anderen
Ausstellungen wurden die üblichen Klagen über ihre
Unvollständigkeit ini Monient der Eröffnung, über den
mangelhaften Katalog und dergleichen Dinge laut, die
jedoch stets durch das uukorrekte Verfahren der Aus-
 
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