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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Der Kehlkopf Pauline Lucca´s und Herr Dr. Fieber
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0385

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Man kann durch die Stimmritze hindurch bis tief in die Luftröhre sehen, und es
heben sich die Knorpelringe dieser letzteren, durch die blassroth gefärbte Schleim-
haut hindurchschimmernd, deutlich hervor. — Ich schliesse diese Mittheilungen über
einen Kehlkopf, welcher zu den berühmtesten unserer Zeit gehört, mit dem Aus-
drucke meines besten Dankes an die liebenswürdige Besitzerin desselben, die mir
gestattete, Beobachtungen zu machen, deren weitere Verfolgung für die Kunst und
für die Wissenschaft in gleicher Weise von hohem Interesse erscheint“.
Wir würden solche laryngoskopischen Untersuchungen, wie. sie der genannte
Wiener Arzt mit den Stimmorganen der Frau Lucca vorgenommen hat, vom Stand-
punkte der Kunst aus gewiss mit Freuden begrüssen, wenn sie etwas wesentlich
Neues brächten. Namentlich dürften sie in diesem Falle den Herren Gesanglehrern
besonders willkommen sein und dazu beitragen, das noch so dunkle Feld der Ent-
wickelung der Tonscala in den verschiedenen Stimmregistern etwas schärfer zu be-
leuchten? Die Herren Aerzte und Physiologen haben sich diesen Forschungen von
jeher merkwürdig fern gehalten, und erst die Erfindung und Anwendung des Kehl-
kopfspiegels durch den Pariser Gesanglehrer Manuel Garcia hat es ihnen ermög-
licht, bei lebenden Personen bis zur Region der Stimmbänder vorzudringen. Die
weitgehendsten und sorgfältigsten Beobachtungen auf diesem Gebiete veröffentlicht
Professor Dr. C. L. Merkel in seinem Buche: Der Kehlkopf (Leipzig, J. J. Weber).
Diesem vortrefflichen Werke gegenüber wird sich die Zunft-Gelehrsamkeit allerdings
sehr zugeknöpft verhalten, wie es immer geschieht, wenn ein Buch populär ge-
schrieben ist. Dessen ungeachtet lassen sich die Resultate der Merkel’schen For-
schungen nicht wegdisputiren; sie sind eben bereits ein Ergebniss solcher Studien, denen
Herr Dr. Fieber am Schlüsse seiner Mittheilung „für die Kunst in gleicher Weise
wie für die Wissenschaft“ einen hohen Werth zuerkennt. Es bedarf also seitens
des genannten Herrn keines Hinweises auf „eine weitere Verfolgung der ihm ge-
statteten Beobachtung“, da diese, dem Merkel’schen Buche gegenüber, sehr über-
flüssig erscheint.
Durch die Mittheilung seiner Beobachtung giebt uns Herr Dr. Fieber nichts
weiter als eine Beschreibung des Bildes, das sich ihm im Spiegel gezeigt hat, und
knüpft daran Erklärungen, deren Annahme aus ganz irrigen Anschauungen hervor-
geht. Nachdem er von der Geräumigkeit und Symmetrie der Gaumenhöhle,*) und
der energischen Hebung des Gaumensegels beim Anschlägen eines Tons gesprochen
hat, fährt Herr Dr. Fieber fort wie folgt: „In einem so günstig formirten Raume
können die Schallwellen, welche dem Kehlkopfe entströmen, sich mächtig ver-
stärken“, das ist richtig; nun sagt er aber weiter: „und es unterliegt wohl keinem
Zweifel, dass das schöne An- und Abschwellen des Tones zum Theil in der Thätig-
keit der vortrefflich geschulten Gaumenmuskulatur seine Erklärung findet“, — und
das ist nicht richtig. Weiss denn der Herr Doctor nicht, dass ein An- und Ab-
schwellen des Tones die Thätigkeit ganz anderer Muskelgruppen erfordert, als die
der Gaumenmuskulatur? Die in der Kunstsprache sogenannte „messa die voce“,
das An- und Abschwellen des Tones, wird erzeugt durch die geschickte Leitung
und ökonomische Verwendung des Luftstromes, der von den Lungen ausgehend, in
Folge der Senkung des Thorax durch den Kehlkopf gedrängt wird. Es erfordert
also zunächst eine Herrschaft über die Brustmuskeln, die sich bei der Senkung des
Thorax entspannen und als Regulatoren des Luftstromes anzusehen sind. Ausser-
dem aber wirken die Muskeln mit, welche die Stimmbänder spannen und ent-
spannen.**) Die Thätigkeit der Gaumenmuskulatur aber hat auf ein schulgerechtes
An- und Abschwellen der Töne gar keinen Einfluss, die von dieser Muskelgruppe
zu erfüllende Aufgabe werden wir später besprechen.
Nun spricht Herr Dr. Fieber von den Stimmbändern, die „sehr stark und

*) Die extü’pirte Tonsille, welche der „ausserordentlichen Symmetrie etwas Eintrag
thut“, bewirkt eine grössere Geräumigkeit der Gaumenhöhle, und wird dadurch für die
Kraftentwickelung des Tones ein Factor gewonnen. Viele Sänger, namentlich jüdische
Vorsänger, unterziehen sich aus diesem Grunde der Operation des Entfernens der
Mandeln.
**) Beim weiblichen Geschlecht, sind ausserdem die Bewegungen des Zwerchfell«
von grossem Einfluss auf das An- und Abschwellen des Tones,

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