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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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1. Januarheft
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Zimmermann, Ernst: Die "Marcolinizeit"
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0190

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frivolen, spielerischen Motive bei weitem moralischere,
ernstere, inhaltsreichere zu treten hätten, deren Durch-
führung im Porzellan jedoch recht schwierig war, zumal
auch hier der so viel strengere, gesetztere Stil des
Louis XVI. in keiner Weise jene flotte, freie, launenhafte
Ausführung gestattete, zu der die vorhergehende Periode
dank dem beweglichen Rokoko so leicht gelangt war.
Die Gewinnung einer wirklich gefälligen, graziösen Por-
zellankleinplastik war darum jetzt eine weit schwierigere
Aufgabe, die nur einem ganz großen Künstler völlig ge-
lingen konnte. Zu seinem großen Unglück besaß aber
Meißen damals keinen einzigen. Denn Kändler, der
unermüdliche, starb schon im Jahre 1775 und derjenige
Künstler, der nun allein bedeutend genug war, um dieser
Kunst einigermaßen seine Signatur aufzudrUcken, der
Franzose Acier, den man schon in der vorhergehenden
Periode, zur Zeit, da man alles Heil aus Paris erwartete,
von dorther bezogen hatte, war keine Persönlichkeit, wie
jener eine gewesen war. Es fehlte ihm die Unerschöpf-
lichkeit der Phantasie, die leichte Grazie, das feinere Gefühl
für den Stoff, kurz, alles, was jenen einst in dieser Be-
ziehung so ausgezeichnet hatte. Er war überhaupt keine
wirkliche Persönlichkeit und die neben ihm tätig waren,
unter denen der Bildhauer Schönheit noch immer der
beste war, waren dies noch weniger. Sie schlossen sich
ganz seinem Schaffen an. Und so glückte es zwar Acier,
eine ganz neue Kleinplastik von bisher nicht vorhandenem
Inhalt und eigenartiger Gestaltung zu schaffen, die deut-
lich genug sich von der bisherigen abhob, doch aber in
keiner Weise an Leichtigkeit, Grazie, Geschlossenheit
der Form und sprudelndem Leben mit der bisherigen
sich messen konnte. Sie fiel ihr gegenüber zu ernst, zu
steif, zu gese'zt aus. Die Gruppenbildung war nicht
immer sehr geistreich, die Einzelheiten traten zu sehr
hervor und vollends ungeschickt war die Bemalung, die,
viel zu sehr deckend, die schöne Masse des Porzellans
zu wenig zur Geltung brachte. Auch gelangte sie jetzt,
indem sie für gewöhnlich das Aufsetzen breiterer Farb-
flächen vermied, statt dessen in Anlehnung an die Stoff-
muster der Zeit die bekleideten Figuren fast ganz mit
farbigen Streifen und reihenweis angeordneten kleinen
Blumen oder sonstiger Musterung überzog, zumeist zu un-
erfreulicher Unruhe, die auch die plastische Gestaltung
in ihren Einzelheiten nicht, wie es die frühere Bemalung
getan, hervorhob, vielmehr meist nur in Verwirrung brachte.
Plastik und Malerei waren demnach hier nicht mehr eins.
Trotzdem glückten auch damals noch, besonders unter
den Arbeiten, die Acier selber ausführte, ganz reizvolle
Sachen, die in ihren feineren Durchführungen, besseren
Gruppierungen und pikanteren Bemalungen keineswegs
die Mißachtung verdienen, die ihnen heute wohl nur, da
sie den früheren Schöpfungen Meißens nicht gleich-
kommen, noch immer zuteil wird (Abb. 3, 6). Sie
machen sich freilich oft besser in unbemaltem als be-
maltem Zustande, enthüllen erst dann, wenn jene ver-
wirrende Malerei fehlt, den nicht unbedeutenden Reiz
ihrer plastischen Erfindung und Durchführung (Abb. 1).
Daneben aber gab es freilich genug der weniger erfreu-
lichen Dinge, von auffallender Dürftigkeit der Erfindung,

zerfahrener Gruppierung und wenig feiner Durchführung,
darunter vor allem jene vielen kleinen Kinderfiguren,
die damals, dem Begehr der Zeit entsprechend, in fast
unübersehbarer Fülle geschaffen wurden, die, bei der
Einfachheit des Motives kaum stark variierbar, das Ge-
samtbild der damaligen Arbeiten recht eintönig gestaltet
haben. Sie haben nicht zuletzt die Meißener Kleinplastik
dieser Zeit um ihren Ruf gebracht.

Als dann aber der anscheinend niemals allzu arbeits-
freudige Acier sich von der Manufaktur zurückzog und
man auch hier wie überall damals, da nun die Zeit dieser
kleinen Schöpfungen entgiltig vorüber, den immer mehr
der reinen Antike sich nähernden Zeitströmungen ent-
sprechend, sich an die Ausbildung einer farblosen, un-
glasierten Plastik, der Biskuitplastik, machte, die teils
antike Figuren unmittelbar nachbildete, teils in ihrem
Sinne neue Werke schuf, war es mit der Meißner Plastik,
soweit sie eine wirklich selbständige und wirkliche Por-
zellankunst war, bald völlig zu Ende. Schon die so harte,
feste Masse der Manufaktur, im übtigen ein großer Vorzug
derselben, eignete sich recht schlecht für sie. Sie besaß
nicht die sanfte Weichheit, das feine Korn, wie die so
mancher anderen der damaligen Manufakturen, z. B. von
Fürstenberg oder gar von S&vres, das jene Plastik einst,
da ihm glasierte Figuren nur schwer gelingen wollten,
aufgebracht hatte. Dazu waren wiederum die beiden
Künstler, die sie hier ausbildeten, Jüchtzer und Matthaei,
keine irgendwie hervorragenden Meister und vollends
ihre Schaffensweise durch die strenge Geregeltheit ihrer
Vorbilder in ihrer Formenbildung wieder gebundener, denn
je. Sie waren allerdings einsichtig genug, durch be-
wußtes Arbeiten in die Tiefe auf starke Licht- und Schatten-
wirkungen auszugehen und so ihre Schöpfungen nach
Kräften zu beleben. Aber sie blieben trotzdem leer und
hart und können daher in der Regel nicht durch ihre
Durchbildung, vielmehr fast allein durch ihre Motive interes-
sieren, was aber meist das alleinige Verdienst ihrer Vor-
bilder, d. h. der Antike sind. Als mehr oder weniger ge-
treue Nachbildungen dieser mögen sie daher immer ihren
Platz einnehmen und dieser wird um so breiter sein, je
mehr die Zeit sich an jener wieder begeistert.

* *

*

So ist die Periode der Meißner Manufaktur, da der
Graf Marcolini ihr Vorstand und sich reichlich Mühe
gab, sie wieder einer Höhe entgegenzuführen, die ihrer
früheren entsprach, in der Tat keine Glanzperiode ge-
wesen, wie diejenige es war, in der das Zweigestirn
Herold und Kändler ihr ihre Signatur aufgedrückt und
ihr ihren Weltruf verschafft hatten. Um wieder eine
solche heibeizuführen, war die Zeit nicht mehr günstig,
die Kräfte, die ihn zur Verfügung standen, nicht be-
deutend genug, und der große Vorsprung, den andere
Fabriken inzwischen gewonnen, nicht mehr recht einholbar,
um wieder an die Spitze der damaligen Porzellankunst
treten zu können. Sie hat mehr der Not gehorchend, als
dem eigenen Triebe, viel Unbedeutendes schaffen und
auch sonst sich manche künstlerische Einschränkung
gefallen lassen müssen. Daneben auch nicht mehr den
sicheren Geschmack gezeigt, der den vorhergehenden Peri-

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