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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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1. Januarheft
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Fechter, Paul: Expressionismus und Theaterdekoration
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0192

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das Nicht-Seiende: für die Menschen von heute, so weit
sie mit Kunst zu tun haben, bleibt er der realste Faktor.
Vor allem im Theater.

Andere Maler und Regisseure fühlten diesen Wider-
spruch und suchten ihn auf anderen Wegen zu lösen.
Die „Sturmbühne“ Herwarth Waldens brachte August
Stramms „Sancta Susanna“ zur Aufführung. Der Text
schreibt als Ort der Handlung das Innere einer Kloster-
kirche vor. Die Regie hatte aber resolut auf jeden
Naturalismus der Szene verzichtet, das Bild rein aus
Farben entwickelt. Der Hintergrund zeigte unten einen
Halbkreis in tiefem Rot, darunter breite konzentrische
Ringe in starkem reinem Gelb, Blau, zuletzt Schwarz.
Vor diesem Regenbogen spielte sich auf wenig Stufen
die Handlung ab. Um die Gestalten der Menschen mehr
in das bildhaft Flächige hineinzubeziehen, hatte man auch
auf jeden Naturalismus des Kostüms verzichtet (bis auf
zwei Episodenspieler, die den Stil zerbrachen) und die
Figuren in Gewänder gesteckt, die ebenfalls aus Flächen
reiner ungebrochener Farben, Gelb, Rot, Blau, Schwarz
zusammengesetzt waren. Es ergab sich ein starker bild-
mäßig Zwei- und Dreidimensionales einender Eindruck,
der namentlich auf dem kleinen Bühnenraum des Künstler-
hauses nicht Übel wirkte. Wie weit ein Theater von
normalen Abmessungen das hier Versuchte übernehmen
könnte, wie vor allem die Farbe über die rein dekorative
Wirkung, die sie hier übte, zu einer expressionistischen
im Sinn der Dichtung gebracht werden könnte, müßte
ein Experiment mit größeren Mitteln lehren.

Vom Raum ausgehend hat die Volksbühne Friedrich
Kayßlers, für die Ewald Dülberg und Karl Jakob Hirsch
als Maler wirkten, das Problem zu lösen gesucht. Diese
gingen gewissermaßen nicht vom Expressionismus, sondern
vom Kubismus aus, den sie ins Räumliche zurück über-
setzten, bauten mit Würfeln, Rechtecken, geometrischen
Formen dreidimensionale Gebilde, deren Wirkung sie
dann durch Anstrich mit starken Farben ins Expressio-
nistische zu steigern suchten. Das Schlußbild von Georg
Kaisers „Gas“ ist (trotz mancher Einwände) als Eindruck
im Gedächtnis geblieben. Es handelt sich hier um ein
Entgegenkommen an die nicht zu eliminierende kubische
Existenz des Schauspielers, um eine Rückkehr zu einem
symbolhaft gehöhten Naturalismus. Die Dinge sollen
nicht durch das farbige Bild, sondern durch ihr farbiges
Dasein wirken: der Maler tritt hinter den Architekten,
der sich im Räumlichen auswirkt, zurück. Man denkt
an die Versuche, die Bühne dem Architekten zu unter-
stellen, an Fritz Schumachers Dresdner Hamletinszenierung,
von der diese Experimente der Volksbühne eine expres-
sionistische Weiterbildung darstellen.

Konsquenter und rücksichtsloser ging die „Tribüne“
Karl Heinz Martins in Tollers „Wandlung“ an die Aufhebung
des Widerspruchs. Sie stellte den Schauspieler und das
Wort an die erste Stelle und beschränkte die Dekoration
auf ein Mindestmaß, schon im Raum. Sie setzte gewisser-
maßen nur eine Andeutung hin, ein Aushängeschild, —
und überließ das übrige der Phantasie. Der Bühnenraum
war dunkel mit Stoff ausgeschlagen; in der Mitte des
Hintergrundes stand, wie ein Versatzstück, ein gemaltes

Bruchstück des jeweiligen Orts, an dem sich die Handlung
abspielte. Ein Stückchen Wand mit einem schief ge-
malten Fenster war ein Zimmer, ein Atelier; ein lehmiger
ansteigender Boden mit ein paar Drahtverhauen war ein
Schützengraben: der Teil mußte für das Ganze stehen.
Jeder Naturalismus, auch der dekorative, war behoben;
trotzdem ergaben sich zuweilen in Gruppen um diesen
Zentralpunkt starke Bildwirkungen. Ob aber bei Wieder-
holungen, bei Anwendung des Prinzips auf andere Werke
nicht doch das Negative, das hier vorangeht, den Ein-
druck und die Phantasieanregung abschwächt, bleibt ab-
zuwarten: das Expressionistische als dekoratives Moment
kam hier jedenfalls kaum noch zur Geltung; es war vom
Wort, von der Literatur aufgesogen.

Von den vielen übrigen Unternehmungen, die in
verwandter Richtung gehen (man denke etwa an Cesar
Kleins vortreffliche Bilder zu Lauckners Christa im Les-
singtheater, bisher das gelungenste Kompromiß zwischen
Bühne und Maler), hebt sich noch eines heraus, wichtiger
vielleicht als alle die andern, weil es am meisten Zukunfts-
möglichkeiten enthielt: Ludwig Bergers Cymbelininsze-
nierung bei Reinhardt. Und zwar nicht so sehr seiner
malerisch-dekorativen Einrichtung wegen, als um der
fruchtbaren Nebenwirkungen willen, die sich ergaben.
Ernst Stern hatte für das Werk eine Dekoration entworfen,
die für sämtliche Bilder stehen blieb: eine Art flachen
barocken Löwentors ohne Löwen, in halber Bühnenhöhe,
über das oben, in leichter Wölbung, ein Weg für die Schau-
spieler ging, dahinter der gewölbte Himmel. Je nach Be-
darf stellte die Szene einen Garten, ein Gemach vor; der
größere Mittelbogen des Tors wurde durch wechselnde
Vorhänge betonend geschlossen, — das übrige mußte das
Licht besorgen. Und es war phantastisch, was alles rein
durch wechselnde Beleuchtung aus dem einfachen Deko-
rationskörper erstand. Vordergrund und Bogen lagen im
Dunkel, nur der Himmel strahlte rötlich; eine Felsland-
schaft von steiniger Öde breitete sich aus. Der Himmel
ward dunkel, Licht fiel nur auf den Mitteleingang: die Ein-
siedlerhöhle am Fuß des Berges war, ohne das ein Stück
gerührt ward, da. Der Raum, vom Licht gewandelt,
schuf sie, er trug Dinge und Menschen und gab mehr
an Wirkung her, als die stärksten malerischen Deko-
rationen.

Und hier liegt, will es scheinen, das fruchtbarste
Feld für die Zukunft, weil hier die beiden Faktoren in
Beziehung gesetzt sind, die sich innerlich und symbolhaft
am nächsten sind: Raum und Licht. Die Malerei, auch
die expressionistische, kann direkt mit dem Raum immer
nur ein Kompromiß schließen: ihre Welt ist die Fläche,
das Zweidimensionale, an dem sie die Geheimnisse des
Raums entwickelt. Das Theater aber kann, darin Erbe
der Kirche, den Raum nicht entbehren. Alle Versuche,
ihn zugunsten des Bildhaften auszuschalten, müssen ver-
sagen, kommen über Verlegenheit nicht hinaus. Gelingt
es aber, ihn zum Sprechen zu bringen, seine Geheimnisse
zu enthüllen, so vermag er rein aus sich viel stärkere
Bildwirkungen, die expressionistisch an das Gefühl rühren,
herzugeben, als die schönste expressionistische Theater-
malerei. Zu diesem Sprechen aber bringt ihn das Licht,

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