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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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1./2. Märzheft
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Rosen, Georg von; Leinburg, Mathilde von [Übers.]: Künstlererinnerungen an Carl Plagemann, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0277

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Ich fragte den Konsul, ob er zufällig wüßte, was
aus der Witwe Plagemanns geworden wäre, und bekam
die Antwort, daß sie ständig in Rom sei, aber seit kurzem
sich wieder verheiratet habe mit dem Besitzer eines Kaffee-
hauses „Caffö Garibaldi“, wie er glaube, in der
Via del büfalo. Diese Mitteilung freute mich sehr,
da ich nun vielleicht das Vergnügen haben konnte, noch
einmal diese freundliche Signora wiederzusehen, die mir
in meinen Knabenjahren soviel unverdiente Güte er-
wiesen hatte.

So begab ich mich also direkt vom Konsulat in die
Via del büfalo und entdeckte bald das Schild zum
Caffe Garibaldi — eine ominöse Benennung, da es ja
zugleich auch den Gedanken an Freund Plagemann in
sich trug!

Es war mitten am Tage, während die meisten Römer
ihre Siesta halten, und folglich war der Saal, als ich das
Fliegennetz, das die Türöffnung verdeckte, fortzog, leer
von Gästen; aber weiter weg, hinter dem breiten Laden-
tische, wen anders bekam ich zu sehen, halbschlummernd
sitzend auf einem großen Lehnstuhl, als Sora Maria selbst!

Bei meinem Eintreten hob sie den Kopf und be-
merkte mich:

„Santo Dio! Giorgio!“ Hastig erhob sie sich, kam
mit ausgestreckten Händen auf mich zu und zog mich zu
einem Stuhl neben ihren gewohnten Platz.

Sie war, trotz der zwölf Jahre, die vergangen waren»
seitdem ich sie zum erstenmal gesehen hatte, nur wenig
verändert; vielleicht hatte sie, wie die Mehrzahl der
Frauen romanischen Stammes, etwas Rot aufgelegt, aber
die Gesichtszüge waren ebenso rein und die Augen
lachten ebenso froh und schelmisch wie früher. Fort-
fahrend redete sie unbenommen schwedisch weiter, aber
nun rief sie dem Kellner, der vom Nebenzimmer herein-
guckte, auf italienisch zu:

„Antonio, einen caffö nero für diesen Herrn —
aber buonissimo!“

Ich sagte ihr, wie leid es mir getan habe, von
Plagemanns unerwartetem Hinscheiden zu hören, und
fragte nach der Ursache davon.

Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Ach“, sagte
sie, „povero Carlo mio, er war nicht glücklich in
den letzten Jahren! Er, der immer so froh und faceto
war, Sie wissen es ja, war auf einmal verdrießlich, un-
ruhig, redete so wenig . . . und was das Ärgste war,
er wollte nicht einmal mit mir, seiner Frau, über seine
traurigen Gedanken und Kümmernisse sprechen. Aber
dann malte er ein Gemälde für eine Kirche, weit weg in
der Gegend von F o 1 i g n o , und ein anderes für ein
Kloster in Roma, war gut Freund mit den Mönchen
und Priestern, und von da an schien er wieder vie
ruhiger und froher.

Eines Tages kleidete er sich schwarz mit weißer
Krawatte, dann sagte er: „Marietta, ziehe deine besten
Kleider an, wir gehen in den Vatican.“ — Ich war ganz
verwundert und fragte: „Aber, caro mio, warum in
den Vatican? Sollen wir zum Santo Padre?“ Er
antwortete bloß: „Nein, du sollst sehen, was Gott getan
hat!“

Und wir nahmen eine cittadina und fuhren zur
Piazza San Pietro; im Wagen hielt er meine Hand. Wir
fuhren zu den Brückentoren; dort gingen wir die große
Treppe hinauf und kamen in einen s a 1 o n e , da waren
viele monsignori und ein vescovo, und als sie
die ersten Worte gesprochen hatten, verstand ich, daß
Carlo cattölico werden wollte. Und ich war so
froh, daß ich am liebsten geschrien hätte; früher dachte
ich immer: wenn wir sterben, können wir nicht mehr
Zusammenkommen! Aber nun haben wir den gleichen
Himmel!“

Sie wischte die Tränen weg. „Graz io Dio, von
diesem Tage an wurde er ganz heiter und gar nicht mehr
betrübt. Aber statt dessen wurde sein Körper krank.
Er hatte oft f e b b r e und Schmerzen in der Brust und
im Rücken ... ich war erschrocken, aber m e d i c o
sagte, es wäre das Beste, er käme nach San S p i r i t o
in richtige Pflege. Ich durfte alle Tage bei ihm sein,
aber er wurde immer schwächer, so daß m e d i c o eines
Tages sagte, er könne nicht mehr leben. O, wie war
ich verzweifelt! Aber er selber war sehr vergnügt, so
gut gegen mich, immer ruhig und ohne Sorgen. Das
war so sonderbar; man möchte glauben, Gott habe bloß
gewartet auf seine — wie sagt man? — converzione,
ihn zu sich zu nehmen! Nach nicht mehr als zwei
Wochen ging er zur ewigen Ruhe ein. Er starb in
meinen Armen.“

Sie blickte vor sich hin, fast an meine Gegenwart
vergessend. — Um die Gedanken etwas abzulenken,
fragte ich mit gedämpfter Stimme, ob sie sich erinnern
könnte, wo ein vortreffliches Selbstporträt Plagemanns
aus jüngeren Jahren, das ich im Atelier in Stockholm
gesehen hatte, hingekommen sei; es hatte nämlich damals
auf mich einen so starken Eindruck gemacht, daß ich
alle Veranlassung hatte, anzunehmen, daß es eines von
des Künstlers besten Werken war.

Es war ein Brustbild in natürlicher Größe, Halbprofil
nach rechts, in italienischer Tracht aus dem 16. Jahr-
hundert mit weiten Ärmeln (wie auf Rafaels Casti-
g 1 i o n e - Porträt) aus, wie ich mich zu erinnern glaube,
grüngelbem Seidenbrokat. Nach des Meisters eigener
Angabe, war es bei Nacht, beim Scheine einer an der
Decke aufgehängten, starkes Licht ausstrahlenden Lampe
gemalt worden, so daß die Schatten unter den Augen
und das gelockte Haar schwer und dunkel hervortraten.

Frau Maria antwortete, daß das Porträt wahrscheinlich
in Stockholm verkauft wurde, entweder bei der Auktion
oder unter der Hand, aber jedenfalls nicht in ihrer Gegen-
wart, weshalb sie, leider, gar keine Auskunft geben könne,
in welche Hände es gelangt sei.

Das war niederdrückend, denn hiermit war alle Hoff-
nung, wenigstens für die Gegenwart, diese, wie sie mir
vorschwebt, vornehmste Porträtmalerei Plagemanns auf-
zuspüren, zunichtegemacht. Möchte es durch irgend
einen glücklichen Zufall einer ferneren Zeit vergönnt sein,
diese Arbeit, die, im Falle meine Erinnerung nicht trügt,
geeignet wäre, in unserem Nationalmuseum Plagemanns
Kunst volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, der
Vergessenheit zu entreißen.

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