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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

DOI Heft:
1./2. Märzheft
DOI Artikel:
Rosen, Georg von; Leinburg, Mathilde von [Übers.]: Künstlererinnerungen an Carl Plagemann, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0278

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Aber die Zeit war vergangen; einer und der andere
Gast begann schon zu kommen und ich mußte mich
verabschieden von dieser einfachen, aber feinen und
herzensguten Frau. Tags darauf verließ ich die Stadt
und es ist mir danach niemehr gelungen, etwas über ihr
späteres Schicksal zu erfahren; innerlichst hoffe ich aber,
daß es sich so glücklich, wie sie es in allem verdiente,
gestaltet haben möge.

Auf der Rückreise überdachte ich „Sor Carlos“
wunderliches Ende. Was konnte wohl dieses alten
„Priesterhassers“ unfaßbare Bekehrung verursacht haben?
Er, der so oft San Pietro und seine Nachfolger ver-
höhnt hatte, hatte geendet wie ein Getreuer der allein-
seligmachenden Kirche . . . welches Rätsel! Aber da
stolperte ich plötzlich über das Wort allein selig-
machend, — lag vielleicht darin die Lösung? — Ja,
warum nicht!

Er, der in der Stadt der Städte den besten Teil
seines Lebens zugebracht und während dieser Zeit un-
ablässig ihre seelisch berauschende Atmosphäre einge-
sogen hatte, konnte wohl, trotz seiner damals durch
äußere Umstände bedingten Ansichten, unwissentlich in
sich den Samen zu ungeahnten Sympathien aufgefangen
haben, der bloß einen Sonnenstrahl der Gnade brauchte,
um in Blüte auszuschlagen.

Er war einige Jahre weggewesen; bei seiner Wieder-
kunft nahmen seine von den früheren einseitigen Ein-
flüssen freigemachten Ansichten wahrscheinlich neue,
mehr folgerichtige Formen an, die ihm dadurch kamen,
daß er den uralten Staat, innerhalb dessen er während
ein paar Jahrzehnten sorgloser Jugend Gastfreiheit und
Arbeitsruhe genoß, nun von einem bis dahin unbekanten
Standpunkt aus betrachtete.

Früher war er, ohne persönliches Urteil, in die
Begeisterung für die Befreiung Italiens durch ausländische
Gewalt hineingezogen worden; nun, im reifen Alter, ging
ihm endlich eine Wahrheit, die seine ehemaligen Partei-
freunde natürlich nie in Erwägung gezogen hatten, auf,
nämlich die, daß ihre Forderungen ja nicht dem Papst-
staate, der eine rein italienische Monarchie, die älteste

und historisch rechtgiltigste in Europa war, gelten durften
oder konnten.

Und wenn er sich nun außerdem mit nüchternen
Augen umsah in diesem Rom, das beständig als unter
der Macht der Päpste geistig unterdrückt geschildert
wurde, wo aber überall, wie ganz neue Erscheinungen,
Äußerungen wissenschaftlicher Bildung, Zeichen von der
Freiheit des Individuums und der Arbeit, sowie mannig-
fache volksfreundliche Staats- und kommunale Ein-
richtungen anztreffen waren, und er dabei an die Erkennt-
lichkeit dachte, die er, als Künstler, dem Papsttum —
dem größten Mäzenaten aller Zeiten — schuldete, wird
er sich übei seine frühere Verblendung gewundert und
bekümmert haben in dem Bewußtsein, daß die alten
umstürzlerischen Kräfte, denen er selbst einmal bei-
stimmte, fortdauernd an der Arbeit waren, nicht nur die
geistige und soziale, sondern sogar auch die ästhetische
Umgestaltung seiner, jetzt noch mehr geliebten, alten
Stadt zu bewerkstelligen. Hiervon war der Schritt ja
nicht mehr weit zu einem geheimen Erkennen seiner
Jugendirrungen und zu einem in ihm aufdämmernden
Bedürfnisse, sie offenherzig abzuschwören. Das Ringen
mit seinem alten „Ich“ wird wohl hart gewesen sein,
aber das erhabene Vorbild eines andern, unendlich
größeren und schwereren Streites, den, den die von
Feinden umgebene römische Kirche zur Verteidigung des
Rechtes der katholischen Welt ausgekämpft hatte, gab
ihm Kraft zur Überwindung, und der Anblick des nun
alten, in seinen Grundsätzen stets unerschütterlichen und
im Widerstand gegen die Umstürzler unbeugsamen Pius
erfüllte ihn schließlich mit Bewunderung und Ehrfurcht
für denselben, gegen den er sich früher einmal mit Hohn
und Spott nicht genugtun konnte.

Eines Tages sah er schließlich ein, daß es für ihn
keine andere Versöhnung, als volle Unterwerfung unter
die Macht, die alleinstehend, aber felsenfest, ihre
Wahrheit unangetastet durch die Zeiten, unter getreuer
Wacht an den Gräbern der Apostel, bewahrt hatte, gab.
Und er warf sich vor das Kreuz.

Ja, so ist es wahrscheinlich gegangen, bis San
Pietro siegte.

Hosemann

Bauersfrau Unter den Linden

Auktion der Doubletten des Berliner Kupier-
stichkabinetts Amsler und Ruthardt, Berlin

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