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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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1. Juniheft
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Glück, Gustav: Die Ausstellung der Wiener Gobelinsammlung
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0378

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Triumph des Todes (nach Petrarca),

Französisch, Anfang des 16. Jahrh.

abstufungen, dazu oft auch noch aus Gold und Silber,
die Wunderwerke hervorbringt, wie wir sie hier vor uns
sehen. Kunst und Kunsthandwerk vereinigen sich zu
einer ganz eigenartigen Wirkung, die mit der des ge-
malten Bildes nicht verglichen werden darf. Vor allem
ist die Kunst der Weberei in der Modellierung der
Körper, in der Durchführung des Helldunkels trotz ihrem
ungeheueren Reichtum an Abstufungen der Farbe be-
schränkter als die Malerei und mehr an die Flächen ge-
bunden, als diese. Aber gerade aus dieser Beschränkung
entsteht ein eigenes Stilgefühl. Nie wird hier die volle
Illusion der Wirklichkeit beabsichtigt "und ein weiter
Abstand zwischen Natur und Kunst ergibt sich aus dem
Eindruck des verwendeten köstlichen Materials an Seiden-,
Woll- und Metallfäden.

Dieser wunderbare Reiz des Flächenhaften und zu-
gleich Unwirklichen begegnet uns schon in den frühesten
Bildteppichen, die uns erhalten geblieben sind. Die
Wiener Gobelinsammlung, aus deren gewaltigem Be-
stände von neunhundert Stücken hier eine mit feinem
Geschmack und klugem Verständnis getroffene Auswahl
von hundert der kostbarsten und bezeichnendsten gezeigt
wird, besitzt keine Beispiele aus dem Mittelalter. Die
frühesten stammen aus der Zeit um 1500 und von da
ab wird die Reihe fast lückenlos. Schon im ersten Saale
der Ausstellung empfängt uns der volle Zauber der
Kunstgattung in drei erlesenen Stücken einer aus dem
Anfänge des sechzehnten Jahrhunderts stammenden
französisch-burgundischen Serie der sechs Triumphe
Petrarcas, eines Gegenstandes, der, in freier Umbildung
der Dichtung, in der Kunst dieser Zeit höchst beliebt
gewesen ist. Es sind schöne, reiche Kompositionen mit
dem ganzen mittelalterlichen Apparat von Allegorien,
mythologischen und historischen Personen, der nach
Gegenstand und Stimmung noch in einem der größten
Meisterwerke der deutschen Literatur, im zweiten Teile
von Goethes Faust, nachklingt. Der Stil der Zeichnung
ist streng und edel, die Farben sind tief und zumeist
stark gebrochen, es fehlt noch an dem Glanz der Metall-

fäden, der Eindruck ist aber deshalb nicht weniger
harmonisch.

Von allem Anfang an ist die Kunst der Wandteppiche
nicht nur der Form, sondern auch dem Inhalt nach höchst
interessant. Sie umfaßt den gesamten gewaltigen Stoff-
kreis des Mittelalters und der Renaissance, profane
Gegenstände ebenso wohl wie religiöse. Unter den profanen
Vorwürfen sind Allegorien und Triumphzüge, wie die
eben genannten, besonders bevorzugt, und gerade in der
ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts, der Blütezeit
der Brüssler Webekunst, kommt hier die ganze Festes-
freudigkeit des niederländischen Volkes zum Ausdruck,
die auch sonst in großartigen, reichen Aufführungen,
Feierlichkeiten, Schauspielen, besonders bei Gelegenheit
von Prozessionen und von Monarcheneinzügen zutage
tritt. Hierher gehören die prachtvollen Beispiele, die die
Ausstellung uns darbietet: die Allegorien der sieben
Tugenden und die von Peter Coeck von Alost ent-
worfenen der sieben Laster. Eine Mischung von Alle-
gorie und Mythologie bietet der von italienischen Künst-
lern herrührende bildliche Schmuck eines der schönsten
und seltensten Stücke der Sammlung, des Thronhimmels
aus dem Jahre 1566 mit der Geschichte Plutos und
Proserpinas, eines Wunderwerks von fürstlicher Pracht.

In allen diesen Erzeugnissen der Brüssler Werk-
stätten zeigt sich ein ungeheurer durchaus prunkliebender
und dabei doch höchst geschmackvoller Reichtum an
Formen, die im Anschluß an die italienische Renaissance,
besonders auch in den Teppichbordüren, die nicht genug
beachtet werden können, eine unerschöpfliche Freiheit
der Erfindung aufweisen, und an Farben, die in un-
zähligen, feinsten Abtönungen, durchwirkt von Gold und
Silber, eine wahrhaft berückende Wirkung ausüben. Das
Edelste, was diese Kunst zu bieten vermochte, erblicken
wir in einer von den mythologischen Serien, in der köst-
lichen Reihe der aus Ovids Metamorphosen geschöpften
Szenen aus der Geschichte des Gottes Vertumnus und
der Nymphe Pomona, von der drei der schönsten Stücke
vorgeführt werden. Hier verbinden sich die Einfachheit

Vertumnus und Pomona. Brüssel um 1550

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