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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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1. Juniheft
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Glück, Gustav: Die Ausstellung der Wiener Gobelinsammlung
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0379

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Die Taufe Christi. Brüssel, Anfang des 16. Jahrhunderts

Stile erfundenen Verdüren aus den Werkstätten von
Enghien in Gramont gehören zu dem Schönsten, was es
auf diesem Gebiete gibt.

Nicht weniger großartig und nicht weniger künstle-
risch vollendet sind die Bildteppiche des sechzehnten
Jahrhunderts, die religiöse Gegenstände wiedergeben.
Auch hier stammen die frühesten Beispiele aus der Zeit
bald nach 1500. Es sind dies zwei Einzelteppiche mit
der in der Hauptgruppe übereinstimmenden Darstellung
der Taufe Christi, durch den strengen autochthonen Stil
der Zeichnung und die Tiefe der religiösen Empfindung
noch den Geist des 15. Jahrhunderts verratend und durch
die helle, zarte Färbung an die unvergleichlichen nieder-
ländischen Bilderhandschriften erinnernd, in denen auch
ähnliche Bordüren sich finden, wie hier, wo das eigent-
liche Bild von wundervollen mit Vögeln belebten Ranken
von Blumen und Früchten umgeben ist, in deren einer
höchst kunstvoll die damals beliebte Darstellung der
Wurzel Jesse, der Vorfahren Christi, verwebt ist. Nun
folgt — ausgehend von der gewaltigen Anregung, welche
die hochberühmten Raffaelischen Teppiche, deren erste
Exemplare in Brüssel gewebt wurden, den niederlän-
dischen Künstlern geboten haben — eine ganze Reihe
von religiösen Zyklen, die fast alle auch aus Brüssler
Werkstätten stammen, mächtige, reiche, wohl abgewogene
Kompositionen mit häufig überlebensgroßen Figuren, in
hellen lebhaften Farben mit reicher Verwendung von
Goldfäden. Wir nennen hier nur die Folgen: das Leben
Abrahams nach Kartonen des Brüssler Hofmalers Ber-
naert van Orley, darunter die hinreißend großartige
Komposition der Teilung des Landes zwischen Abraham
und Lot, mit den beiden unübertrefflich schwungvollen,

der auf wenige Figuren beschränkten Komposition, die
Betonung des Landschaftlichen und des rein Ornamentalen,
eine zarte, gleichsam gehaltene Empfindung in Ausdruck
und Bewegung, Eigenschaften, die den — wahrscheinlich
französischen — Zeichnern der Kartone zu danken sind,
mit den hellen, fein abgestuften und doch fast glitzernden
Farben der Brüssler Webekünstler zu einem Gesamtein-
druck von ganz unerhörtem, märchenhaften Reiz.

Solchen unvergleichlichen Meisterwerken gegenüber
hat selbst eine so kostbare mythologische Serie, wie es
die für König Franz I. von Frankreich in Fontainebleau
im Stile des Italieners Primaticcio gewebte ist,
einen schweren Stand. Die Wirkung dieser Teppiche
mit den Darstellungen des Goldregens des Danae, des
Todes des Adonis und des Kampfes der Kentauren und
Lapithen ist fast überreich und bunt, obwohl die an
Michelangelos Gestalten gebildeten edlen Fotmen des
Nackten Freunde italienischer Kunst immer wieder an-
zuziehen vermögen werden. Unter den übtigen gegen-
ständlich profanen Bildteppichen, von denen einige
Stücke aus den Serien der Geschichte des Juan de Castro
und der Schäferszenen als Beispiele der Historie und
des Sittenbildes nicht unerwähnt bleiben mögen, stehen
wohl der Serie des Vertumnus und der Pomona die
schönen Ansichten von Gärten mit Laubengängen am
nächsten, die für den Kanzler Karl V. Granville in Brüssel
gewebt worden sind. An diesen landschaftlichen Gegen-
stand schließen sich eine Anzahl von Verdüren an,
wie man sich gewohnt hat, Bildteppiche zu nennen, die
nur aus Motiven von Pflanzen und Blumen zusammen-
gesetzt sind. Hier feiern der Flächenstil der Karton-
zeichner und die Kunst des Bildwirker fast ihre höchsten
Triumphe: die berühmten Wappen Karl V. mit ihrem
Gewebe von herrlichsten Blumen und einzelne in großem

Wappen Karls V. Brüssel, um 1540

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