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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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1. Juniheft
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Glück, Gustav: Die Ausstellung der Wiener Gobelinsammlung
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0380

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überlebensgroßen Mittelfiguren, das Leben des Apostel
Paulus und das Buch Josua, beide nach den Zeichnungen
von Orleys Schüler Peter Coeck von Alost, darunter
die der Malerei kaum zugängliche, nur in der Bildwirkerei
mit ihrer Betonung des Unwirklichen mögliche Darstellung
des Stillstehens des Wassers des Jordan, damit das Volk
Israel trockenen Fußes durchziehen könne. Es steckt
ein ganz großer Stil in diesen Entwürfen und hier lernt
man die Kunst dieser Maler weit höher schätzen als in
ihren Ölgemälden.

Ein bedeutenderUmschwungvollzieht sich in der Kunst
der Bildwirkerei im siebzehnten Jahrhundert. Schon dem
Gegenstände nach bemerkt
man ein starkes Zurücktreten
der religiösen Motive. Aber
die größte Veränderung voll*
zieht sich in Technik und
Stil. Die Weberei bedient
sich anderer Mittel, sie wird
gröber und sozusagen brei-
ter, sie verzichtet auf die
zarten Farbenabstufungen
und vor allem auch auf die
glänzende Beigabe von Gold
und Silber. Sie entspricht
damit der Forderung des
Jahrhunderts nach einem
neuen Stile, den wir den
Barockstil nennen und dem
es um malerischen Schwung
und weite Fernwirkung in
erster Linie zu tun ist. Wie
in der gesamten Malerei des
Nordens, so wird auch in
der Brüssler Bildwirkerei
und bald auch in der fran-
zösischen, die schließlich
der niederländischen den
Rang abgewinnt, der Stil
eines Künstlers herrschend:
es ist Rubens, der auch
dieser Kunstgattung den
Stempel seiner gewaltigen
Eigenart aufdrückte. Seine
groß gedachten und mit
Rücksicht auf die Flächen-
kunst der Weberei eifun-
denen, auf landwirtschaft-
liches und sonstiges Bei-
werk verzichtenden Kompositionen beschäftigen sowohl die
Brüssler, als auch die Pariser Werkstätten. Er ist auf
der Ausstellung durch ein Stück aus der Geschichte des
Decius Mus, deren prachtvolle von van Dyck in Öl
ausgeführte Kartone die Liechtensteinsche Galerie in Wien
besitzt, und durch drei Teppiche aus der Folge des
Lebens Kaiser Konstantins vertreten. Kein anderer von
seinen Zeit- und Schulgenossen hat auf demselben
Gebiete so glücklich und erfolgreich gearbeitet wie
Jakob Jordaens: die nach seinen Kartonen in

Brüssel gewebten Folgen des Reitunterrichts Ludwig XIII.
und der Szenen aus dem Landleben weisen einen großen
monumentalen Zug auf und zugleich auch eine Eigenart,
die sich neben Rubens sehen lassen darf. Eine für die
Folge bedeutsame Neigung zum Malerischen und Ab-
wendung vom Flächenhaften zeigen die technisch außer-
ordentlich vollendeten, tief gefärbten französischen Gobe-
lins, die nach Charles Lebrun die Geschichte
Alexanders des Großen schildern.

Im achtzehnten Jahrhundert macht sich ein neuer-
licher Antrieb nach der Seite des malerischen Naturalis-
mus geltend. Die Brüssler Weber lassen zugunsten der

stärkeren Jllusion die Bor-
düre weg, schildern Bauern-
kirmessen nach T e n i e r s,
Hafenansichten, Soldaten-
szenen und erreichen den
höchsten Reiz in der feinen
Abtönung sonniger land-
schaftlicher Hintergründe.
Mannigfaltiger ist die fran-
zösische Bildwirkerei dieser
Zeit, von der aber die Aus-
stellung keinen ganz voll-
kommenen Begriff zu geben
vermag. Die naturalistische
Seite dieser Kunst ist durch
eine der technisch unge-
heuer vollendeten „kalekuti-
schen Landschaften“ nach
Frangois Desportes,
zugleich als Tierstück un-
übertrefflich, die dekorative
durch einige herrliche
Stücke aus verschiedenen
Folgen lothringischer Wap-
pen vortrefflich vertreten.
Wer aber die Luft des fran-
zösischen Rokoko atmen
will, der muß sich in das
sogenannte „Rote Zimmer“
der Wiener Burg begeben,
dessen kostbarer einheit-
licher Schmuck aus herr-
lichen Gobelins der Pariser
Manufaktur besteht: nicht

nur die Wände, sondern
auch die Lehnstühle und
Kanapees, dazu noch ein
mehrteiliger Wandschirm sind mit Bildwirkereien bedeckt,
die auf himbeerrotem Grunde in den feinsten Farbenab-
stufungen von N ei 1 s o n gewirkt, im ornamentalen Teile
von Tessier, im figuralen von Boucher entworfen
sind und die reizenden mythologischen Szenen der so-
genannten „sujets de la fable“ enthalten.

Die schwierige Auswahl der hervorragendsten Stücke,
die feinsinnige Anordnung in den Räumen, kurz die
außerordentlich mühevolle Veranstaltung der aufs glän-
zendste gelungenen Ausstellung hat ein Komitee geleistet,

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