Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen
— 1.1919/20
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0426
DOI Heft:
1./2. Juliheft
DOI Artikel:Bogeng, Gustav A. E.: Betrachtungen zur Buchkunstbewegung der Gegenwart, [4]: die französische Liebhaberusgabe
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Emil Orlik Schopenhauer 1920
Steindruck Neue Kunsthandlung, Berlin
leistungen wiederzugewinnen waren, weit weniger jedoch
der französischen Typographie und überhaupt den An-
schauungen über eine Kunst im Buchdruck, da hier die
emporführenden Entwicklungslinien fehlten und das An-
knüpfen an vergangene Vorbilder keine ausreichenden
Beispiele für eine gedeihliche Weiterarbeit liefern konnte.
Dazu kam weiterhin noch, daß in Frankreich mit seiner
alten Bibliophilie der Sammlergeschmack sehr viel mehr
als in Deutschland den Buchgeschmack entscheidend
beeinflußen konnte. Daß die „Baisers“ und den „Faust“,
Eisen und Lacroix, nur ein halbes Jahrhundert trennt,
wäre dann wohl kennzeichnend für eine Epoche, be-
deutsam für die Buchkunstentwicklung Frankreichs, wenn
beide Werke als Mittelpunkte einer Büchergruppe gelten
könnten. Aber der „Faust“ blieb nur die vereinzelte
Bemächtigung der Buchform durch einen unbekümmerten
Künstler, während Dorats Gedichtsammlung mit ihren
Konventionen ebenso 1770 wie 1870 die Vorherrschaft
hatte.
ln der Buchkunstgeschichte Frankreichs ist das Buch
mit Kupferstichverzierungen des achtzehnten Jahrhunderts
ein Höhepunkt und dieses Rokokobuch ist in seiner
Sonderart unübertroffen geblieben. Keineswegs deshalb,
weil Künstler allerersten Ranges es schmückten. Und
auch keineswogs deshalb, weil es als buchgewerbliches
Erzeugnis ein einheitliches Streben, das Buch in seiner
größten Vollendung zu verkörpern, gezeigt hätte. Viel-
mehr wurden ihm seine Eleganz, sein Geschmack, seine
schätzenswerten Bucheigenschaften dadurch gewonnen,
daß es das Buch der Mode gewesen ist, die es sich aus
Bedürfnissen des gesellschaftlichen Lebens geschaffen
hatte. Daraus und fast ausschließlich daraus entwickelten
sich seine glänzenden Eigenschaften und es war kaum
ein Zufall, daß Entstehen und Vergehen der galanten
Kupferstichwerke in einem Halbjahrhundert (von itwa
1730 1780) sich fast ausschließlich auf Pariser Boden
vollzogen hat, dessen ursprüngliches Gewächs sie waren
und blieben. Was den alten Buchmalereien, was den
Meisterschöpfungen der Wiegendruckzeit ihre höchste
Kraft gab, war die (aus einer einheitlichen Weltan-
schauung gewonnene) Empfindungsinbrunst ihres
Werkes. Auch die französischen Buchmeister, die im
fünfzehnten, im sechzehnten Jahrhundert ihre köstlichen
Bücher schufen wie Simon Vostre seine Livres d’heures,
wie der dem Buchmechanismus und Buchorganismus
nachsinnende Geoffroy Tory, haben noch den aus einer
solchen Gesinnung gewonnenen Rythmus bester Arbeit,
deren nicht eilendes und nicht zögerndes Tempo Aber
sie sind doch schon die Ausnahmen von der gewerb-
lichen Verflachung der Buchherstellung (und der eben
genannte Vostre ist als „Fabrikant“ seines „Artikels“
nebenbei noch ein ausgezeichneter Geschäftsmann ge-
wesen). Ihre Nachfolger im siebzehnten Jahrhundert
erscheinen bereits als Anhänger eines Artistentums, das
aus der Flächenkunst eine Oberflächenkunst machte und
deren Erbe nahm nun das Raffinement des Rokoko-
buches auf.
Die französischen illustrierten Bücher des acht-
zehnten Jahrhunderts sind, so reizvoll alles bei ihnen
zusammenstimmen mag, von den ausgesuchten Papieren,
auf denen sie gedruckt wurden bis zu den ausgesuchten
Ziegenledern, die ihren von den Buchbindern in der Mode
ausgeschmückten Einbänden dienten, durchaus keine
Buchkunstschöpfungen in jenem höchsten Sinne, in dem
die Auffassung unserer Gegenwart die Entstehung eines
Buches, eines Buchdruckerzeugnisses, als ein Ganzes
Emil Orlik Mädchen aus Niingata
Radierung
422
Steindruck Neue Kunsthandlung, Berlin
leistungen wiederzugewinnen waren, weit weniger jedoch
der französischen Typographie und überhaupt den An-
schauungen über eine Kunst im Buchdruck, da hier die
emporführenden Entwicklungslinien fehlten und das An-
knüpfen an vergangene Vorbilder keine ausreichenden
Beispiele für eine gedeihliche Weiterarbeit liefern konnte.
Dazu kam weiterhin noch, daß in Frankreich mit seiner
alten Bibliophilie der Sammlergeschmack sehr viel mehr
als in Deutschland den Buchgeschmack entscheidend
beeinflußen konnte. Daß die „Baisers“ und den „Faust“,
Eisen und Lacroix, nur ein halbes Jahrhundert trennt,
wäre dann wohl kennzeichnend für eine Epoche, be-
deutsam für die Buchkunstentwicklung Frankreichs, wenn
beide Werke als Mittelpunkte einer Büchergruppe gelten
könnten. Aber der „Faust“ blieb nur die vereinzelte
Bemächtigung der Buchform durch einen unbekümmerten
Künstler, während Dorats Gedichtsammlung mit ihren
Konventionen ebenso 1770 wie 1870 die Vorherrschaft
hatte.
ln der Buchkunstgeschichte Frankreichs ist das Buch
mit Kupferstichverzierungen des achtzehnten Jahrhunderts
ein Höhepunkt und dieses Rokokobuch ist in seiner
Sonderart unübertroffen geblieben. Keineswegs deshalb,
weil Künstler allerersten Ranges es schmückten. Und
auch keineswogs deshalb, weil es als buchgewerbliches
Erzeugnis ein einheitliches Streben, das Buch in seiner
größten Vollendung zu verkörpern, gezeigt hätte. Viel-
mehr wurden ihm seine Eleganz, sein Geschmack, seine
schätzenswerten Bucheigenschaften dadurch gewonnen,
daß es das Buch der Mode gewesen ist, die es sich aus
Bedürfnissen des gesellschaftlichen Lebens geschaffen
hatte. Daraus und fast ausschließlich daraus entwickelten
sich seine glänzenden Eigenschaften und es war kaum
ein Zufall, daß Entstehen und Vergehen der galanten
Kupferstichwerke in einem Halbjahrhundert (von itwa
1730 1780) sich fast ausschließlich auf Pariser Boden
vollzogen hat, dessen ursprüngliches Gewächs sie waren
und blieben. Was den alten Buchmalereien, was den
Meisterschöpfungen der Wiegendruckzeit ihre höchste
Kraft gab, war die (aus einer einheitlichen Weltan-
schauung gewonnene) Empfindungsinbrunst ihres
Werkes. Auch die französischen Buchmeister, die im
fünfzehnten, im sechzehnten Jahrhundert ihre köstlichen
Bücher schufen wie Simon Vostre seine Livres d’heures,
wie der dem Buchmechanismus und Buchorganismus
nachsinnende Geoffroy Tory, haben noch den aus einer
solchen Gesinnung gewonnenen Rythmus bester Arbeit,
deren nicht eilendes und nicht zögerndes Tempo Aber
sie sind doch schon die Ausnahmen von der gewerb-
lichen Verflachung der Buchherstellung (und der eben
genannte Vostre ist als „Fabrikant“ seines „Artikels“
nebenbei noch ein ausgezeichneter Geschäftsmann ge-
wesen). Ihre Nachfolger im siebzehnten Jahrhundert
erscheinen bereits als Anhänger eines Artistentums, das
aus der Flächenkunst eine Oberflächenkunst machte und
deren Erbe nahm nun das Raffinement des Rokoko-
buches auf.
Die französischen illustrierten Bücher des acht-
zehnten Jahrhunderts sind, so reizvoll alles bei ihnen
zusammenstimmen mag, von den ausgesuchten Papieren,
auf denen sie gedruckt wurden bis zu den ausgesuchten
Ziegenledern, die ihren von den Buchbindern in der Mode
ausgeschmückten Einbänden dienten, durchaus keine
Buchkunstschöpfungen in jenem höchsten Sinne, in dem
die Auffassung unserer Gegenwart die Entstehung eines
Buches, eines Buchdruckerzeugnisses, als ein Ganzes
Emil Orlik Mädchen aus Niingata
Radierung
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