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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

DOI Heft:
Heft 6 (Märzheft 1931)
DOI Artikel:
Megerle, Karl: Wirtschaftliche Laienpredigt
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0458

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Wirtschaftliche Laienpredigt

1.

^^>as Jahr lgzo ist gewiß ein Jahr der Desillusionierung gewesen. Liest man
aber als wirtschaftlicher Laie, nur mit cinem gesunden Menschenverstand und
etwas Blick für menschliche und politische Wirklichkeiten begabt, die klugen Betrach-
tungen der Wirtschaftsführer zur Iahreswende, wobei eS zwischen Unternehmer und
Gewerkschaftler wenig prinzipielle Meinungsverschiedenheiten gibt, dann muß man
feststellen, daß es die Wahrheit in deutschen Landen noch immer schwer hat, durch
den Nebe! der Verblendung durchzuscheinen. Denn was die Fachleute, bis hinauf zum
Reichsfinanzminister, anpreisen und vermuten, erwarten und erhosfen, beschwören und
verdammen, scheint unS deshalb so wertlos, weil allos irgendwie auS dem Glauben
an den neuen Baal des letzten Jahrzehnts stammt: aus dem Glauben an eine Kraft,
die alle Wirtschaftshirne beduselt hat, an die Konsumkraft. Vom Produzenten auS
gesehen, wird diese Kraft auch Kaufkraft genannt, aber hinter dem wirtschaftlich
eigentlich etwas anderes bedeutenden Ausdruck Kaufkraft steckt heute ebenfalls jene
fabelhafte Konsumkrafttheorie, von der wir das Ende der Krise,
die „Ankurbelung" der Wirtschaft, kurzum die neue Konjunktur erwarten. Kaufleute,
Fabrikanten, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Parlarnentarier beten zu diesem Götzen
täglich und stündlich. blnd lag nicht jede deutsche Reichs-, Staats- und Kommunal-
regierung bisher vor ihm auf den Knien und brachte ihm unerhörte Opfer an AuS-
gaben und Verschwendung, so daß sich der kleine Mann nur ein Beispiel an seiner
Regierung zu nehmen brauchte, um es in der Kunst des KonsumS ebenso schnell ebenso
weit zu bringen? blnd hat nicht Gustav Strcsemann den Kritikern seiner Außenpolitik
eines Dages ärgerlich zugerufen, sie sollten nicht vergessen, daß wir ein wasfenloseS
Volk seien, daß die einzige Wasfe, die unS geblieben, die Konsumkraft oon 60 Mil-
lionen Deutschen sei? sfn ^der Tat war unsere Außenpolitik auf dieser geistigen Grrmb-
lage aufgebaut, einer Grundlage, die notwendig von einer Kraft, die Entbehrenkön-
nen heißt und vor Zeiten Gewaltiges geleistet haben soll, nichts wissen konnte, nichts
wissen durfte, weil eben jener Gott keine anderen Götter neben sich duldet.

2.

Wir wissen nun wohl, daß Krieg, Revolution, vor allem ^snflation und ähnliche
Ereignisse die seelischen Voraussetzungen für diesen Kult geschasfen, oder ihn minde-
stens begünstigt haben. Wenn wir zunächst aber davon absehen, unsere Gedanken-
gänge diesen Gebieten zuzuwenden, so tun wir es deshalb, weil diese Ereignisse nicht
genügen, um den heutigen Zustand zu erklären. Sie hätten unS im Gegenteil sehend
machen müssen. Die Wurzel der Krise steckt tiefer. Sie steckt in der Erde dessen,
was man mit den Begriffen Jndividualismus, LiberalismuS, Fortschrittsglauben,
Säkularisierung deS LebenS nur andeuten kann. Nirnmt man dem Wort Konsum-
kraft sein wissenschaftliches Mäntelchen, so kommt darunter eine robuste Verbrauchs-
kraft zutage, die schlicht und rund sagt: je mehr du verbrauchst von allem, was die
Wirtschaft an Waren und Leistungen erzeugt, desto besser für die Wirtschaft. Llnd
so wird plötzlich zu einer Tugend, was zu unserer Väter Zeit als eine „Not"
empfunden wurde: daß man nämlich gezwungen war, daS sauer verdiente Geld
wieder auszugeben für das, was des LebenS „Nahrung und Notdurft" forderte.
Nun muß man sich einmal darüber klar werden, was seelisch und biologifch „ver-
brauchen" heißt, ganz abgesehen zunächst von der wirtschaftlichen und nationalen
Seite. Jn dem Wort brauchen liegt ja schon ein Stück Zwang und Notwendigkeit.
Was man nicht zu haben, zu kaufen „braucht", läßt man besser liegen. Der Tech-
niker zerquält sich das Hirn, den Nutzeffekt seiner Maschinen herauszufinden, wo
sie am wenigsten „verbrauchen" und verbraucht werden. Aber die Wirtschaft ver-
kündigt mit Millionen Glühbirnen: verbraucht so viel und so schnell wie möglich.

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