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Südwestdeutsche Rundschau: Halbmonatsschrift für deutsche Art und Kunst — 1.1901

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Morawe, Christian Ferdinand: Die Darmstädter Spiele 1901
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https://doi.org/10.11588/diglit.12765#0195

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Frage: wann, wo, durch wen wird endlich einmal Kunst
selbständig und die Diaspora der Künste zur Symphonie,
die Kunst zur Krone im Leben der Menschheit? Diese
bange Frage wäre nicht verstummt.

Die Edelsteine der Krone sind bis heut zerstreut,
verteilt, und so schön ein jeder sein mag, es fehlt
ihnen die Fassung; es fehlt der Künstler die Kleinode
zusammenzufügen zu dem einen harmonischen Ganzen.
Der Künstler des Geniessens aber fehlt auch - das ist
das künstlerisch durchaus gebildete Publikum, abgesehen
natürlich von Denen , die als wertvolle Ausnahmen aus
diesem Allgemeinbegriff herausragen. Zum Beispiel :
Wir besuchen ein Konzert. Da hören wir eine wunder-
bar erdachte Musik von Künstlern vorgetragen, die eine
reiche Seele mit äusserstem technischen Können ver-
einen. Das sind schon zwei Edelsteine. Der dritte sind
wir; wir beweisen es allein durch unsere Gegenwart
und die Liebe, mit der wir den Tönen lauschen und
die Technik des Spiels verfolgen. Doch zur Krone
fehlen noch gar viel Kleinodien. Denn : wir sind zwar
ins Theater gegangen, in ein Stadttheater, in ein Opern-
haus, in ein Variete, in einen Saal mit irgend einem
stolzen pomphaften Namen, in eine Stadthalle — doch wo
sind wir? In einem prätenziösen, überladenen Kasten, in
einemKeller, einerHöhle, einem Bahnhof, einer Bierkneipe,
einer Scheune. Poesielose Zugänge, schlechte Garderoben,
Gedränge, Unbequemlichkeit stellen die Genussfähigkeit
der Eintretenden schon auf harte Proben ; drinnen hört
die Poesielosigkeit keineswegs auf, sie zwingt uns in
grosse weisse Bogenlampen zu blicken , bis die Augen
schmerzen, Finsternis an anderen solcher Stätten lässt
uns fehltreten. Zusammengepfercht wie eine Herde
sitzen die Massen rauschend und knisternd, Einer stört
den Anderen, Keiner kann dem Anderen weichen. So
hockt man auf unbequemen Stühlen und sieht auf dem
Podium einen schwarzen Kasten — das Klavier, sieht
Notenständer, die man überall gleich nüchtern erblicken
kann, die nur Sache sind, weiter nichts. Sieht die
 
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