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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 1.1897-1899

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4. Heft
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Kasser, Hermann: Der Harnisch von Mann und Ross des Lorenz Colman im historischen Museum zu Bern
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https://doi.org/10.11588/diglit.37715#0096

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86

Zeitschrift für historische Waffenkunde.

I. Band.

Wie ist nun trotzdem die fragliche Tradition
entstanden? Dies ergiebt sich am besten aus der
Vergleichung von Beschreibungen schweizerischer
Merkwürdigkeiten, wie sie im XVIII. Jahrhundert,
als die Schweiz anfing, das Reiseziel des Auslandes
zu werden, vielfach verfasst worden sind. Wir heben
ein paar Beispiele heraus.
Abraham Ruchat, Pfarrer zu Aubonne (Waadt),
der 1714 zu Leiden unter dem Pseudonym G. Kyp-
seler «Delices de la Suisse» herausgab, schreibt
S. 115 vom Berner Zeughaus: «Das Arsenal ist schön
und gross und eines der am besten ausgestatteten
der Schweiz. Man zeigt daselbst die Rüstungen
Berchtolds V., Gründers der Stadt, und die Figur
von Hans Franz Nägeli, Generals der bernischen
Armee, als sie Karl III., Herzog von Savoyen, be-
kriegte und ihm die Landschaften Waadt, Gex und
Ghablais entriss.» — Ueber dieses Werk fällt Gottl.
Eman. v. Haller in seiner «Bibliothek der Schweizer-
geschichte» I, S. 147, folgendes Urtheil: Es sei
fehlerhaft und unvollständig. «Die Heftigkeit und
Partheylichkeit aber, mit welcher er den Toggen-
burger Krieg (1712) beschreibt, wie auch seine Leicht-
gläubigkeit in verschiedenen andern Sachen, sollen
diesem Werk billig die Verachtung eines vernünftigen
Lesers erwerben.»
1732 erschienen die «Deliciae urbis Bernae» von
Grüner. Dieser, offenbar obigen Autor noch er-
weiternd, sagt, man zeige im Berner Zeughause «die
Waffen und Harnisch Hertzog Berchtolds von Zer-
ringen, Stiffters der Stadt Bern, und Cuno's v. Buben-
berg, des Baumeisters derselben, item den Pferde-
harnisch Junker Hans Frantzten Nägelin, der anno
1536 dem Hertzog Carolo III. von Saffoy das Pais
de Vaud zu Händen der Stadt Bern abgenommen
sammt einer grossen Quantität allerhand Harnisch.»
Ja der Harnisch Berchtolds V., von dem das
Inventar von 1687 noch rein nichts wusste, ebenso-
wenig von demjenigen Nägeli’s, spukt noch in der
zweibändigen «Description topographique ethistorique
de la Ville de Berne» von Walthard, Bern 1827,
S. 67: «On y conservait (vor 1798) egalement l’armure
et la cuirasse du duc de Zaeringue; celle de Jean
Francois Naegueli, qui conquit le Pays-de-Vaud en
1536, y est encore.»
Aus diesen Quellen ergibt sich unseres Er-
achtens Folgendes: Im XVII. Jahrhundert galt die
Maximilianrüstung als ehemaliges Eigenthum der
Familie von Luternau. Im XVIII. Jahrhundert wurde
dieselbe infolge der Sucht, die bedeutendsten Waffen-
stücke berühmten Persönlichkeiten zuzuschreiben,
dem Schultheissen Nägeli zugeschoben, jedenfalls mit
ebensowenig Berechtigung, wie man die Harnische
Herzog Berchtolds V. und seines Dieners Cuno von
Bubenberg zu besitzen vorgab. Die letzten beiden
Namen wurden später als unhistorisch wieder aus-
gemerzt, derjenige Nägeli’s dagegen erhielt sich,
weil die Erinnerung an die ältere Bezeichnung (von
Luternau) erloschen und zeithalber in der That eine
Möglichkeit vorhanden war, dass Nägeli die ihm zu-

geschriebene Rüstung getragen hatte. Heute wird
es geboten sein, zur älteren Tradition zurückzukehren,
die, wenn auch einstweilen dafür urkundliche Be-
lege fehlen, doch nicht sensationsbedürftigen Zeug-
hausdienern und Publicisten entsprungen ist.
Das Geschlecht von Luternau gehört zu den
ältesten Adelsfamilien der Schweiz. Viele Urkunden
in Band II.—VII. der «Fontes rerum Bernensium»
erweisen, dass es als Ministerialen der Grafen von
Kyburg bereits im XIII. und XIV. Jahrhundert in
der Gegend von Langenthal (Oberaargau) begütert
war. Mit dem Kloster St. Urban lag es im XIII.
Jahrhundert Jahrzehnte lang in Fehde. Seinen Ur-
sprung leitet es her vom Hofe Luternau in der luzer-
nischen Pfarre Battisholz, verzweigte sich später nach
dem Aargau, nach Bern, Solothurn und Biel. Es be-
sass zeitweise die Herrschaften Castelen und Escholz-
matt im Canton Luzern, Licbegg, Tx-ostburg, Schott-
land, Eiswyl, Rohrbach, Grimmenstein, Wynigen
und Belp im Canton Bern; er genoss Bürgerrechte
in den Städten Sursee, Zofmgen, Aarau, Beim, Solo-
thurn und Biel und gehörte seit 1669 zu den so-
genannten sechs privilegirten Geschlechtern in Bern,
die im Rath den Vorsitz gleich nach den vier Ven-
nern führten. Im Wappen führt es im schwarzen
Felde eine weisse, mit drei Zinnen versehene Mauer,
als Helmzier einen Brackenkopf. Harnische wie der
vorliegende können also sehr wohl in seinem Be-
sitze gewesen sein.
Der Harnisch (Fig. 1), von dem vollständigen
Typus der geriffelten, sogenannten Maximilians-
harnische, zeigt ganz die charakteristischen Formen
der frühesten Harnische der Renaissance, wie sich
solche nicht ohne instiuctives Einwirken des Kaisers
Maximilian I. zwischen 1490 und 1508 herausgebil-
det hatten. Die bereits durchgcbildeten Einzelnheiten
lassen ihn uns um 1510 entstanden sein. Die eigen-
tümlichen und hervortretenden Merkmale jener Pe-
riode der Ilarnischmode sind am Mannsharnisch das
stark nach rückwärts ausgetiiebenc Scheitelstück im
Nacken, um bei einem Sturze den Aufschlag zu
mildern, die hohen Brechränder, die weit nach ab-
wärts reichenden geschobenen Achselstücke mit stei-
fen Flügen und besonders die weit vorgetriebene
Kugelbrust mit stark ausgeschnittenen Armausschnitten
und bereits beweglichen Einsätzen. Eine hier auf-
tretende Beigabe macht uns den Harnisch zu einer
grossen Seltenheit, ja vielleicht zu einem Unicum:
der hier an einem Feldharnische ersichtliche, wenn
auch nur schwache, stangenförmige Rasthaken
Der Reisspies wurde im Felde nur auf den «Rüst-
haken » aufgelegt, der an der rechten Brustseite an-
geschraubt war. Ein Rasthaken rückwärts war nur
bei Stech- und Rennzeugen angewendet, bei denen
die schwere Stech- oder Rennstange einen Gegen-
halt unbedingt benöthigte. Hier finden wir einen
Rasthaken an einem Feldharnische; er verdankte sicher
nur einem individuellen Wunsche des Eigentümers
sein Entstehen, der sich im Gefechte schwererer
Reisspiesse bediente als der gewöhnlichen.
 
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