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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 1.1897-1899

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9. Heft
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Fachliche Notizen
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https://doi.org/10.11588/diglit.37715#0254

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236

Zeitschrift für historische Waffenkunde.

I. Band.

schatten (solanum nigrum), Tollkirsche (atropa bella-
donna), Stechapfel (datura stramonium), Bilsenkraut (hyo-
scyamus niger), während der Gebirgsbewohner auf die
giftige Eigenschaft des Alpenhahnenfusses (ranunculus
thora) vertraute. Die in diesen Gewächsen wirksamen
scharfen Giftsäfte rufen im Allgemeinen Benommensein
des Sensoriums, Herzschwäche, maniakische Delirien und
Starrkrampf der Muskeln hervor.1)
Hasserfüllte Tücke schreckte also thatsächlich einst
nicht davor zurück, die blanke Klinge mit einem Gift-
stoffe zu besudeln. Wenn sich das Vorkommen ver-
gifteter Waffen nur aus Literaturberichten nachweisen
lässt, wenn sich jene nirgends in Sammlungen vorfinden,
so erklärt sich das daraus, dass derartige Waffen meist
recht unlauteren Zwecken dienten. Das Arsenal des
Bravo aber war keineswegs von solcher Art, um die
Aufmerksamkeit des Kunsthistorikers zu erregen. Fiel
endlich der gewerbsmässige Meuchler der Vergeltung
anheim, so verschwand mit dem Ehrlosen dessen Hand-
werkszeug in den Depositenämtern der Gerichte, wo es
vielleicht nach vielen Jahren gelegentlich einer General-
reinigung des Amtsgebäudes einfach als werthloses Zeug
weggeworfen worden sein mochte. War auch der künst-
lerische Werth einer derartigen Waffe gleich Null, so konnte
sie doch vom kulturellen und psychologischen Stand-
punkte aus die höchste Beachtung verdienen. Man studiere
z. B. nur einmal die bei den ländlichen Gerichten un-
beachtet herumliegenden, den rauflustigen Burschen des
Gaues abgenommenen Tanzbodenwaffen und man wird
staunen, welcher erfinderische Scharfsinn, welche hinter-
listige Niedertracht sich in diesen meist selbstgefertigten
Handwehren, all diesen Schlagringen, Reibeisen, haar-
scharfen, in der Faust leicht zu verbergenden Messer-
chen u. dergl. verkörpert. An diesem kunstlos gearbei-
teten und doch so raffinirt ausgedachten Kleinkram
bäuerlicher Waffenhausindustrie geht der Waffenhistoriker
vorüber, obwohl ihm vielleicht gerade diese einfachen
und trotzdem so gefährlichen Sächelchen manche werth-
volle Anregung, manchen schätzenswerthen Fingerzeig
darzubieten vermöchten. Endlich sei auch darauf hin-
gewiesen, dass ein Jeder, welcher seine Dolchklinge ein-
mal vergiftet haben mochte, dieselbe nach dem Gebrauche
gewiss sorgsam reinigte, wie auch das--Putzen und Ab-
schleifen des Stahles mit Ursache sein wird, dass man
noch in keiner einzigen Waffensammlung Giftspuren an
einer Klinge auffinden konnte.
Auch Buttin meint, durch das Aeussere des Genu-
esermessers habe sich schwerlich Jemand, am wenigsten
jedoch ein Polizeiorgan, über dessen eigentlichen Zweck
täuschen lassen, und fügt bei, diese Waffe sei um so
gefährlicher gewesen, als die feine, schmale und starke
Klinge selbst durch die engen Maschen eines Panzer-
hemdes drang. Sollte dieser Ausspruch Buttins nicht gerade

Bandlin, Die Gifte und ihre Gegengifte, Basel 1869. •—
Böhm, Die Gifte (in Ziemssens Handbuch der Pathologie), Leipzig
1879. — L. Lewin, Die Pfeilgifte, Berlin 1894. — Derselbe,
Lehrbuch der Toxikologie, Wien 1897. — E. v. Hofmann, Lehr-
buch der gerichtlichen Medicin, 1898.

! geeignet sein, des Dr. Gross Annahme bis zu einem
gewissen Grade zu stützen? Wer belastete denn seinen
Körper mit einem wenn auch noch so feinen Panzer-
hemd? Doch nur solche Personen, welche durch ihre
Geburt, durch ihr Amt, ihren Reichthum auf der Höhe
der Menschheit standen und Anschläge gegen ihr Leben
zu fürchten hatten. Derjenige nun, in dessen Interesse
es lag, einen solch vornehmen Herrn aus dem Wege zu
räumen, wird sich nicht bloss nach einer sicher treffen-
den Hand umgesehen, sondern auch darnach getrachtet
haben, diese Faust mit einer unter allen Umständen
tödtlich wirkenden W?affe zu bewehren: Und welches
Mittel mochte dem Anstifter des Meuchelmordes dazu
tauglicher erscheinen, als eine feine, an der Klinge leicht
und sicher anzubringende Giftpasta? Da brauchte der
ehrlose Geselle nicht einmal zu kräftig zuzustossen, da
ein in’s Blut eingedrungenes Atom dieser heilllosen Salbe
dessen Zersetzung hervorrief und den kräftigsten Mann fällte.
Freilich verdankte es mitunter eine Waffe der Laune
ihres Constructeurs, wenn sie den oberflächlichen Beob-
achter über ihre wahre Natur täuschte, indem sie in dem-
selben den Eindruck eines Werkzeuges hervorrief. Es
sei diesbezüglich an die Belluneser fussetti der venetia-
nischen Marinebombardiere erinnert. Diese Gattung
Dolche hatte auf der Klinge eine numerirte Gradein-
theilung eingeschlagen, welche ein Kalibermass fingirte.
Durch diese Beigabe sollte die Wraffe zu einem artille-
ristischen Hilfswerkzeuge gestempelt werden. So wurde
es den Bombardieren möglich, in Venedig, trotz des
allgemeinen Verbotes des Wraffentragens, mit einer Seiten-
waffe zu paradieren. Die besondere Stellung, deren sich
die Jünger der heiligen Barbara im Heerwesen der älteren
Zeit erfreuten, brachte es mit sich, dass sich damals der
Constabler manches herausnehmen durfte, was dem ge-
meinen Kriegsknechte nicht durchgegangen wäre. Und
so trug wohl auch der Hohe Rath der Meinung der aber-
gläubischen Menge, in deren Augen der Artillerist ein halber
Schwarzkünstler war, welcher stets «mehr als Brotessen»
können musste, Rechnung und gab sich den Anschein, als
glaube er wirklich an die Unverfänglichkeit dieser Art von
Kalibermassen. Dass jedoch das Genuesermesser nicht
unter diese Gruppe von werkzeugartigen Waffen gehört,
dass es kein harmloses Nähmesser eines friedfertigen
Reisenden, sondern vielmehr in geübter Hand eine furcht-
bare Stosswaffe war, dafür sprechen nicht nur die savoyi-
schen Strafmandate, es zeugt dafür auch der am unteren
Ende der Klinge, dort, wo dieselbe in die Angel über-
geht, angebrachte Ausschliff, welchen es mit den meisten
italienischen Dolchen, die einer Parirstange entbehren,
gemeinsam hat. Dieser Ausschliff diente nämlich dem
Daumen zum Stützpunkte, um mit grösserer Kraft einem
von unten nach aufwärts ziehenden Stoss führen zu
können.
Mit dem Wunsche, dass diese hier niedergelegten
blossen Vermuthungen mit dazu beitragen mögen, die
richtige Erkenntniss von dem wahren Charakter einer
geheimnissvollen Waffe anzubahnen, sei diese Skizze der
nachsichtigen Würdigung aller Freunde der historischen
Waffenkunde empfohlen.
 
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