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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (2) — 1822

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No 44-52 (Juni 1822)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22119#0241

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Nacht einen Brief an ſeine Frau, und ſandte ihn
am fruͤhſten Morgen durch einen Bauerknaben nach
der Stadt. „Wenn die Antwort zuruͤckkommt —
ſagte er zu dem neuen Paͤchter mit einem hoͤhniſchen
Kopfnicken — ſo wirſt du bald erkennen, wen du
als den Herrn dieſes Guts zu ehren haſt.“

(Die Fortſetzung folgt.)

Beurtheilung
der auf dem Großh. Hoftheater zu Karlsruhe
gegebenen Vorſtellung des Melodrams:
„Die Waiſe und der Morder.“

Sortſeßsung.
Der prägnanteſtie Moment aber, welcher es auch ſeyn ſoll,
war, als ſie eben bei ihrer Erkennung des Mörders — außer
andern ſemiotiſchen Zeichen ihres Geſichtes, der Bläſſe, der
Verlängerung der Züge — die von der zerreißendheftigen Er-
ſchütterung gelöstwerdende und ſich gewaltſam loswickelnde
Zunge gleichſam nur halbgebildete, noch nicht ganz artitulirte
Worte formte.
Worte aus, welche ſie dem Texte nach hätte ſprechen ſollen
— „Mörder — Vater“ — war Alles. Die Kopula und die
bios begleitenden Redetheile waren verſchluckt, weil ihr jene
ſchon genug ſchienen. In dieſer Wahrheit ſoll ihr Madame
Neumaͤnn nachgeſtanden ſeyn, weil ſie die Worte auf ein-
mal in Einem harten Anſtoß ſoll hervorgewälzt haben. Die
berührte Sprachungelentigkeit war auch noch zum Theil — und
wie konnte es anders ſeyn — in den Worten hoͤrbar — „Ich!
— reich! — Friederike! Gott, ich danke dir!“
Was die übrigen Perſonen betrift, ſo haben ſie alle im Stück
ſelber ein ſchwaches Intereſſe, wenn man nicht noch den jun-
gen Gärtner Babylas ausnehmen will. Den Mörder berühre
ich ungern als wichtig. — Hr. Mayerhofer, der keine
Nolie verdirbt, gab den ſtillinnigen Maurice mit gefäalliger
Wahrheit, wie überhaupt in gemähigten Rollen dieſer Künſtler
ſtets eine ſchne Haltung zeigt. — Friederike, Mauricens Toch-
ter, wurde von Dem. Schulz in aller Licblichteit ihres eige-
nen Karakters gegeben. Ueberhaupt ſtehen dieſer jungen Kunſt-
lerin dieſe Art Rollen unvergleichlich an. So wie ſie nur auf-
tritt und ſich bewegt und um ſich blickt und den Mund öffnet/
oder auch nur das Koöpfchen ſeitwärts neigt, lächeln uns alle
Grazien an. Möge ſie alles offentliche Lob immer nur ſo ver-
nehmen, daß ſie die zaͤrte Grenze ihrer ſchoͤnen Sittlichkeit nie
über ſchreite. Nur in ihrer ſchuldloſen Unbefangenheit kann ihr
wahrer Reiz beſtehen. Durch eine bloße Trüdung würde fe-
ihn zernichten. — Martial iſt vom Dichter faß bis ins Komi-
ſche hingehalten, was gemildert noch die Farbe der Idylle trägt,
aber hier, wie ſchon vemerkt, etwas Storendes hat. Es iſt der
damit beabſichtigte Kontraſt gegen das Ernſte des Stückes zu ſehr
in lezteres hineingewebt, um nicht ſtorend zu ſeyn. Auch kann

man es kaum glauben, dab der in Nuheſtand verſezte Krie ger,

ö der noch im Alter die derbe militäriſche Ehrlichteit zeigt,
die erſe Entdeckung des Moͤrders machen würde, welche eben
ſo gut und noch leichter der teinſinnige Maurice, jchen als Rünſt-

Die Künſtlerin ſprach da nicht einmal alle

ven ſoll.

ler ein phyſtognomiſcher Menſchenkenner, bei aller ſeiner gut-
muthigen Kunſtlereinfalt kätte machen können. Hr. Schulz
gab den Martial recht brav. Er ſpielte mit der noͤthigen Mä-
ßigung. Dieſer Kunſtier gehört überhaupt zu denen, welche
nicht bloßer Routine folgen, ſondern reflektiren und von denen,
wenn ihnen auch manches nicht gelingen ſollte, man doch nicht
ſagen koͤnnte, daß es aus Leichtſinn oder Ungeſchicklichkeit ge-
ſchehen. ö (Fortſ. f.)
Großherzogl. Schaubuͤhne in Mann heim.
Dienſtag, den II. Juni, 1822.
Die Soldaten. Schauſpiel in 5 Abiheilungen,
von Arreſto. ö
Gewiſſermaßen ein Pendant zum Lorbeerkranz, weniaſtens
hinſichtlich der breiten Moral, des kleinen Dienſtes in Garni-
ſonen, der vorherrſchenden Subordmation und der erbärmli-
chen Spielereien prunkender Gefühle. Die fidele Tochter des
Generals liebt einen Unteroffizier, das billigt der alte Feld-
herr; der brauſende Major liebt eine Feldwebels Wittwe,

die koppelt das Fräulein zuſammen: Ler Sohn des Generals

iſ ein liederlicher, aber doch ehrliedender Tangenichts, den
will der Vater durch offentliche Schande beſſern, und der
Herr General, ein Demagog im Soldatenrock, geht bras
dessus, bras dessous mit ſeinem Feldprediger, Feldwebel und
Unteroffizier. Hol der Henker ſolche Alfanzereien, die konnen
wohl zu naiven Situationen und zu hochtrabenden Worten
Gelegenheit geben, aber ſie ſind kein Gegenſtand für drama-
tiſche Kunſt. Die Aufführung war theils lobens ⸗theils ta-
delnswerth. Hr. Brandt gab den Hitzkopf von Maͤjor mit
der gemüthlichſten und beſten Laune von der Welt. Hr. Lö-
we den Unterolfizier mit Anſtand und Würde, aber vielleicht
mit zu viel Graͤzie und Phantaſie, doch iſt dieſe Abweichung
von der feſten Haltung des dienſtliebenden Soldaten durch die
Liebe zu entſchuldigen, die ein bochadeliges Fräulein auf ihn
wirft, und vorausſetzen läßt, daß er mehr als ein Unteroffizier
iſt. Frau v. Buſch errang als Wiitwe Felden einen ent-
ſchiedenen Sieg über die Art und Weiſe, wodurch ſie ſich im
entgegengeſezten Fache als Künßlerin auszeichnet. Frln.
Müller hatte als Emilie mehrere ſchöne Momenne, zeichnete
aber manche Szene mit zu lebhaften Farben, und war nicht
frei von manierirter Naivität. Hr. Grua d. J. genügte als
Fahnenjnnker v. Schrankenau zwar in den lezten Akten, durch
den Anflug eines beſſern Gefühls, durch tiefe Neue, und durch
zermalmenden Abſcheu vor öffentlicher Entehrung, in den er-
ſten Akten aber hätte er den kecken, brutalen und liederlichen

Burſchen beſtimmter zeigen ſollen, beſonders da ſeine Ver

dorbenheit mehr aus der Erzählung, als aus der Handlung
hervorgeht. Hr. Lay gab den General mit Feſtigkeit und
Herzensmilde, konnte aber einer gewiſſen Ungefugigkeit des
Dialogs nicht Herr werden. Hr. Vineenz (Moſes) ko-
pirte den gemeinen Handelsjuden mit Gluck, doch gehört
zur Vervollkommnung in ſolchen Rollen mehr Aneignung
des jüdiſchen Akzents. Hr. Gerl (Feldprediger Graun)
gab das wurdige Bild eines tugendhaften, ſeelenfrohen Grei-
ſes, wie man mit Heiterkeit leben, und mit Reſignation ſter-

Erlach-
 
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