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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 5
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Lill, Georg: Die Würzburger Alabastermadonna
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Lill, Georg: Die Würzburger Alabastermadonna
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0249

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dem enganliegenden üntergewand, deffen Fältelungen um den Gürtel ßerum faft meßr
eingerifet als plaftifcß gebildet find, dann im Mantel, der im großen faft müden Fluß
zur linken Fjüfte lenkt und nur durch die tiefe Rinne an der rechten ßüfte und dem
Faltengeriefel an der Linken einen dramatifcßeren Akzent erßält. Rein lyrifcß ift da-
gegen, wie fid) die Stoßfalte gegen den leicßt vorgefe^ten rechten Fuß legt.
Klas ßcß in diefer Gewandbeßandlung ausfpricßt, lebt dann in dem ftill ßnnenden,
felig Weiteren Antli& oder in den wundervollen, fcßlanken, ariftokratifcßen fänden.
Es ift Fraulicßkeit in der fcßönften, weicßeften Anmut, oßne Koketterie, in naturßafter,
unbewußter Scßönßeit blüßend. Volle Klangen, kleine Augen, Siumpfnafe, zugefpi^ter
Mund und leicßt vorfpringendes, weiches Kinn. Eingeraßmt von einem dekorativ
wellig ftilißerten Fjaar, bedeckt von einem Scßleiertud), das ftarke Schattentiefen als
Raßmen bildet, darauf eine Krone mit Steinen und Blättern. Auf der linken Hand,
deffen Mittelßnger ein Ring ziert, fi£t das Kind, das in geradezu bewußtem Gegenfa^
zu der zarten, verträumten Idealfcßönßeit der Mutter naturaliftifcß robufter geftaltet ift.
Klobig im Geßcßtsausdruck, mit abfteßenden Klatfcßeloßren, ftarker Stumpfnafe, die
Finger kindlich in den Mund fteckend, mit der Rechten, die es auf der Bruft der Mutter
legt, faßt es ziemlich roß ein Vögelcßen an den Flügeln. Am linken Handgelenk
baumelt ein Scßellcßen. Das Körperchen ift nackt bis auf den Unterkörper, der in ein
Cucß eingefcßlagen ift.
Der feltenfte Reiz, der die Figur auszeicßnet, ift jedocß die farbige Faffung. Kloßl
Jaßrßunderte lang ftand ße an einem Haufe refp. deffen Vorgänger, Joßanniter-
gaffe 7, immer und immer wieder gegen die Verwitterung mit ölfarbenüberftricß ge-
fcßütjt, für Sandftein angefeßen. Als ße nun kurz vor dem Kriege vom Luitpold-
mufeum erworben wurde, ftellte es ficß durcß eine kleine Brucßftelle ßeraus, daß fie
Alabafter war, außerdem bei einer gefcßickten Entfernung der Überftreicßungen zur
größten Überrafcßung, daß fie eine wundervolle alte Faffung befaß. Der fcßon an und
für ßcß farbige Stein ift durcß einen ganz vorßcßtig lafierenden Auftrag in feiner Klir-
kung ideal gefteigert, oßne irgendwelche naturaliftifcße Abficßten, wodurch das feltfam
Myftifcße der Erfcßeinung nocß gefteigert wird. Der Mantel zeigt ein fanftes Himbeer-
rot, der Gürtel ift rot, die Schüße fcßwarzbraun, die Bordüre am Mantel durcß zwei
rote Linien und lilienartige Blüten gegeben. Die Klangen ßnd ßeifcßfarbig geßößt, die
Augen aufgemalt, nur Haare und Halsborde ftärker durcß Gold ßerausgeßoben. Am
Sockel wecßfeln die Feldervertiefungen mit den Rändern in Rot und Grün.
Es ift nun ganz ausgefcßloffen, daß die aucß tecßnifcß ganz außerordentlich fubtile
Arbeit einmal fürs Freie gearbeitet worden ift. Möglicherweife ftand ße früßer in der
St. Oswaldskircße, der an diefer Stelle gelegenen Joßanniterordenskomturei, die 1814 ab-
geriffen wurde. Docß ift das fcßließlicß gleichgültig. Noch wichtiger erfcßeint die Frage,
woßin die Figur zeitlich und örtlich zu fetten ift. Pinder ßat fie vor ißrer Kliederßer-
ftellung, im alten 3uftand unbedenklich in den unterfränkifcßen Kreis, und zwar in die
Nacßfolgerfcßaft des Hoßenloßemeifters in den Anfang des 15. Jaßrßunderts gefetjt. Da-
gegen erßeben ficß nunmeßr Bedenken.
Oßne 3weifel ßängt die Klürzburger Alabaftermadonna auf das engfte mit dem fran-
zößfcßen Idealtgpus der erften Hälfte des 14. Jaßrßunderts, wie er aucß nacß den Rßein-
landen vorgedrungen ift, zufammen. Es ift die ßoldfelige, grazile Madonna, die die
Verkörperung des feudalen Scßönßeitstypus bildet. Die eigenartige myftifcße Verbin-
dung von Irdifcßem und Überirdifcßem, die keufcße Demut mit aller Süßigkeit eines
fcßönen vorneßmen Kleibes, geiftig noch einmal im Gegenfatj von der traumvollen
Reife des jungen Weibes zur fpielerifcßen Naturßaftigkeit des Kindes. Diefes Ideal,
wie wir es an der Katßedrale von Paris, zu Maifoncelles, zu Saint-Die pnden1. 3u
unferer Figur fteßt noch im näßeren 3ufammenßang die Louvre-Madonna aus der
1 Vitry-Briere, Documents de sculpture fran^aise du moijen-äge, Paris 1904, pl. 93.
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