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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Januar bis Juni)

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Nr. 1-26 (2. Januar 1901 - 31. Januar 1901)
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https://doi.org/10.11588/diglit.37096#0017

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XXXM. Jahrgang. — «r. 1.

Mittwoch, 2. Januar 1901.


Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich 50 Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durchtzdie Post> be-
zogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschließlich Zustellgebühr.
Anzeigenpreis: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Anschlag der Inserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung
und den Plakatsäulen. — Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Bestellungen
auf die Heidelberger Zeitung für das 1. Vierteljahr 1901
werden bei allen Postanstalten, den Briefträgern, den
Agenten, bei den Trägern in der Stadt, sowie in der
Expedition, liniere Neckaritr. 21. angenommen.
Bezugspreis: monatlich nur 50 Pfg., frei in's Haus
gebracht, nur 40 Pfg. in der Expedition oder in den
Zweigstellen bei den Herren Loui s Fr ank. Kolonialwaren-
handlung, Hauptstraße 182 am Markt, C. F. Beisel,
Schreibwarcnhaudlung, Hauptstr. 3t. JosephSchroff,
Perkeodrogerie, Rohrbach nstr. 58, und Georg Moock,
Kolonialwarenhandlung, Brückenstraße 28 abgeholt; durch
die Post bezogen, Mk. 1.35 vierteljährlich, mit Zustellgebühr
Mk. 1.77.

Zeitbetrachtungen.
Jetzt ist es eine unumstößliche Thalsache, daß wir im
zwanzigsten Jahrhundert leben. Offiziell ist zwar die
Jahrlmnderlwende schon vor Jahresfrist gefeiert worden,
aber das waren nach unserer Ansicht Vorschußlorbeeren
und davon sind wir kein Freund, mag nun eia neues
Jahr, ein neues Jahrhundert oder ein Feldmarschall da-
mit bekränzt werden. Das alle Jahrhundert hat den Um-
fang der Erde ganz wesentlich vermindert. Zwar, nach
geographischen Meilen ist er sich gleich geblieben, aber
nach Stunden gemessen ist er sehr zusammengeschrumpft,
so daß die Erdteile ganz nahe beieinander sitzen und
früher einander ferne Völker jetzt Nachbarn geworden sind.
Die Völker grenzen jetzt alle aneindcr und mit ihren wirt-
schaftlichen und Handeisinteressen greifen sie so ineinander
über, daß sich ein wahrer Völkerfilz zu bilden beginnt.
Die Internationale zieht am Horizont herauf; aber es ist
eine ganz andere, als die Träumer und Wcltbeglücker sie
sich und Andern vorgemalt haben. Stand das neunzehnte
Jahrhundert unter der nationalen Idee, so wird das
zwanzigste den sich darauf gründenden internationalen Ge-
danken weiter ausbilden, der unter dem Namen „Welt-
Politik" seinen Schatten schon vor einiger Zeit in die
Zukunft vorausgcworsin hat. Wehe dem Staat, der, auf
der Wage der Weltpolilik gewogen, als zu leicht befun-
den werden wird!
England hat seiner weltpolitischen Stellung in der Zu-
kunft halber den Buren einen Krieg aufgezwungen. Es
kämpft ihn nicht rühmlich und wenn es auch schließlich
siegen sollte, so hat sein militärisches Ansehen doch sehr
gelitten. Sollte England fortfahren, für seine Weltmacht-
stellung nur Geld und Söldnertruppen aufzuwenden, dann
Wirdes früher, als man vielleicht heute denkt, von denjenigen
Völkern überflügelt und zu Boden gedrückt werden, die
das Blut ihrer gesamten Jungmannschaft daran setzm.
Den Engländern wäre sehr zu empfehlen, alle Tage eine
Seite aus der Geschichte Karthagos zu lesen.
Wenn man heute von Weltmächten und Weltmachts-
Politik spricht, dann denkt man nur an Völker und Staaten
der weißen Rassen, an Deutschland, England, Rußland
und die Vereinigten Staaten von Nordamerika. Aber sie
sind Nicht die einzigen kullurfähigen Völker; der gelbe
Manu ist auch da, und was er zu leisten vermag, wei n

einmal der Geist des Fortschritts über ihn kommt, das
sehen wir an den Japanern. Steht bei den Chinesen
ein ähnliches Erwachen zu erwarten? Europa hat ja
gegenwärtig ausgiebige Gelegenheit, die Chinesen zu
studieren. Sicht man, wie einige Tausend europäischer und
amerikanischer Soldaten das 400 Millionen-Reich über den
Haufen rennen, so ist man verführt, die Chinesen mit den
Indern auf eine Stufe zu stellen. Allein nichts wäre
verkehrter. Das heutige China ist nur vergraben unter dem
Staub des chinesischen klassischen Altertums. Der gegen-
wärtige Einbruch der Europäer hat wenigstens streckenweise
diesen Staub aufgewirbelt. Ein furchtbarer Stoß Hot
China getroffen und es aus seinem Schlafzustand auf-
gerüttelt. Wird es wieder in ihn zurückfallen, oder wird
es vollends aufwachen? Wenn die nächste Zeit die letztere
Frage imt Ja beantwortet — und das ist sehr leicht mög-
lich — dann wirb zu Beginn des neuen Jahrtausends der
Ausspruch des deutschen Kaisers als Weckruf und Not-
schrei durch Europa ballen: Ihr Völker Europas, wahret
eure heiligsten Güter I

Deutsches Reich.
— Durch eine Kabinetsordre vom 29. v. Mts. wurde
Generalmajorv.H ö p fne r vom Kommando der 3. ostasiat.
Jnfanteriebrigade enthoben und Oberst v. Rohr sch eidt,
Kommandeur des 5. ostasiatischen Infanterieregiments, mit
der Führung der genannten Brigade beauftragt. Der
„Nationalzeitung" zufolge ist Generalmajor v. Höpfner von
Darmkrankheit befallen worden.
— Nach einer der Inspektion des Bildungswesens zu-
gegangenen Mitteilung des Kapitänleutnants Werner haben
bei dem Untergang des Gneiscnau 76 Personen Ver-
letzungen erlitten. Dieselben bestehen bei 73 Mann in
Hautabschürfungen und Quetschungen leichter Art, nur ein
Matrose und zwei Schiffsjungen sind schwer verletzt. Der
Stab des Schiffes ist verhältnismäßig am schwersten be-
troffen worden. Von 19 Mann sind 3 tot und 10 ver-
letzt. Der deutsche Konsul meldet: Die Leichen des
Kapitänleutnants Berninghaus, des Feuerwerksmaats
Ruche und der Schiffsjungen v. Sperl, Johannsen und
Scheck sind geborgen. Die Ta u che r a rbc iten zur
Hebung der Geschütze des „Gneise nau" haben be-
gonnen. Die drei neu aufgefundenen Leichen wurden
feierlich bestattet. Der Rumpf des Schiffes soll mittels
Dynamit in die Luft gesprengt werden, da es unmöglich
ist, ihn zu bergen.
— ZurWarenhausfrage führt ein Berliner Brief
des „Hannov. Kur." aus, daß das glänzendste
Weih n a ch ts fe st in der Reichshauptstadt diesmal ohne
Zweifel die großen Warenhäuser gemacht hätten,
in denen sich die kauflustigste Menge zeitweise in gerade-
zu beängstigender Weise drängte und wo schon am Tage
vor Weihnachten mehrere Abteilungen ausverkauft gewesen
wären. „Wir befinden uns nun einmal", so heißt es in dem
Briefe, „>m Zeitalter der großen Warenhäuser, in denen
alles zu haben ist, was es auf Erden giebt, und daran
vermag keine Spezialsteuer etwas zu ändern. Unter dem
Zeichen des Wa-enhaussteueraesetzcs führte Wertheiin leinen

Johanne Kallmeier.
Eine Dorfgeschichte von E. Merx.
1) (Nachdruck verboten.)
„Ich, Christian Kallmeier, bin der reichste Bauer im Dorfe."
Mit diesem seiner Erscheinung aufgeprägten Bewußtsein durch-
schritt er die Dorfstraße, stand vor der Pforte seines großen
Bauernhofes, saß im Kirchstuhl der Kanzel gerade gegenüber, und
legte zwischen die roten Pfennige armer Leute seine Silbermünze
auf den Kirchenteller am Ausgang. Er that dies nicht in der
guten Absicht, die Kirchenkasse zu bereichern, er that es um sich
vor den Leuten zu zeigen; nach dem Gotteslohn verlangte ihm
Nicht. Ehrgeiz und Geiz führten in ihm einen nie endenden Krieg,
bald siegte der eine, bald der andere, Habsucht und achter Bauern-
stolz kamen hinzu, mit diesen vier Feinden der Zufriedenheit hatte
er sich schon viele Jahre hindurch geschlagen, war aber dabei der
große ansehnliche Hofbesitzer geworden, als welcher er bei Beginn
dieser Erzählung dasteht. — Er war Regent in seinem Dorfe
wie der Fürst in seinem Lande; hatte wie dieser seine Freunde,
Feinde, Neider und Schmeichler. „Besser beneidet als beklagt!
das ist mein Glaubensbekenntnis. Ich kann thun was ich will,
und ich erreiche was ich will". In dörflichen Angelegenheiten
war dies auch meist der Fall, nicht ganz so in seiner Familie.
Frau Lieschen Kallmeier — stand ihm ebenbürtig als Gattin
zur Seite, sowohl in Gestalt als Gesinnung; sie trug mit Stolz
und Anmaßung an ihrer Sonntagskirchenhaube die breitesten
schwarzen Samtbänder und die längsten goldenen Ohrbammeln
in ihren ungewöhnlich großen Ohren. Sie schickte den Kranken
im Dorfe die kräftigsten Suppen, wenn der „Doktor aus der
Stadt" bei ihr vorgesprochen und gesagt hatte, „Sie, liebe Frau
Kallmeier, werden nun mit mir zugleich durch Ihre gute Küche
die Kranke wieder auf die Strümpfe bringen." — Sie verhielt
sich dabei genau so wie ihr Mann, welchem der Landrat des
Kreises bei Gelegenheit, als es sich um Rücksprache und Plan zu
einem Armenhausbau handelte, gesagt: „Auf Sie, lieber Freund,
habe ich dabei gerechnet, ich wußte, daß Sie Ihre milde Hand

! in den großen Beutel stecken würden. Hier die Liste zur Unter-
zeichnung der Beiträge."
Der „liebe Freund", das war ein starkes Zugmittel! Die
umherstehenden „kleinen Leute" hatten es gehört — und der Freund
des Landrats zeichnete eine große Summe. Das ironische Lächeln
desselben mit Blick auf den Baumeister nahm er nicht wahr, die
.Nachbarn aber meinten mit einem Hinweis auf die Herren: „Die
' wußten ihn zu fangen; ja, unser Landrat ist ein Schlaukopf!"
Nach solchen Stegen des Stolzes und Ehrgeizes traten Habsucht
und Geiz wieder die Herrschaft an; dann wurde dem Bettler
der Pfennig und ein Stück Brot verweigert, und dem Schuh-
macher ein Groschen von der Rechnung gestrichen.
Zwei Kinder besaß dieses harmonisch lebende Ehepaar, einen
Sohn und eine Tochtee, diese etwa zwei Jahre jünger als der
Bruder; die Geschwister liebten sich nicht; sie waren von der
Natur durchaus ungleich ausgestattet; schon bei ihren kindischen
Spielen stimmten Neigungen und Wünsche nie überein. August
wollte herrschen, kommandieren und ahmte den Ton des Vaters
nach, dem er sehr ähnlich zu werden schien- Er war ein strammer
breitschulteriger Bursche mit dickem Kopfe und einem Wust von
hellblondem, ins rötliche spielenden Haar darauf, hatte wasser-
blaue, vorliegende Augen, eine plumpe Nase, großen Mund und
breite Hände und Füße. Die Schwester Johanne war schmächtig
und klein, hatte angenehme sanfte Gesichtszüge, braune Augen,
braunes, sehr reiches langes Haar, eine feine spitze Nase und einen
hübschen Mund, dessen Lippen nur die Röte des gesunden Blutes
fehlte. Ihre kleinen Figur war wohl proportioniert; Hände und
Füße schmal — gar nicht bäuerlich, ihre ganze Erscheinung fein
— nicht nach dem Geschmack der Eltern und der Landleute
überhaupt. Diese meinten, „wenn man es nicht selbst erlebt
hätte, würde man nicht glauben, daß diese Kinder von einem
Stamme wären. Der Junge ähnelt dem Vater, das Mädchen aber
keinem von den Eltern."
Die Geschwister lebten in beständiger Fehde mit einander,
und aus solcher entwickelten sich schon früh ihre nicht liebenswerten
Eigenschaften. Dem Jähzorn Augusts setzte Johanne entschieden
Eigensinn gegenüber; verlangte er, sie solle mit ihm sprechen, oder
laufen nach einem gestreckten Ziel, dann schwieg sie, und setzte

letzten Erweiterungsbau auf. durch den er zunächst Ersatz
schaffen wollte für die von der Warenhaussteuer zu er-
wartende Einbuße, durch den er schließlich sein Warenhaus,
außen wie innen, zu einer der Sehenswürdigkeiten der
Reichshauptstadt gemacht hat. Man muß die Entwicklung
des modernen Erwerbslebens beklagen, weil Hunderte und
Tausende kleinere Existenzen dadurch vernichtet werden;
aber man wird sie kaum aufhalten können, weil das Publi-
kum in seiner ungeheuren Mehrheit diesen Zug der Zeit
fördert."
Württemberg. Stuttgart, 31. Dez. Der nach dem
Rücktritt des Frhrn. v. Mittnacht mit der vorläufigen
Führung des Ministcrpräsidiums betraute Kriegsminister
Freiherr Schott v. Schottenstein ist zum Präsi-
denten des Staatsministeriums ernannt worden.
Sachsen-Weimar. Weimar, 31. Dez. Die gestern
Abend und heute Früh über das Befinden des Groß Her-
zogs ausgcgebencn Berichte besagen, daß bisher bedenk-
liche Schwächean fälle eingetreten sind. Die Herzthä-
tigkeit läßt in bedrohlicher Weise nach. Bulletins von
heute Mittag 12 Uhr besagen: nach mehrstündigem, tiefen
Schlafe ist der bedrohliche Schwächezustand vorüber.
Der Großherzog zeigte wieder Teilnahme und nahm auch
etwas Nahrung. Temperatur 37,6 Gr.

Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Grotzherzog haben dem
früheren Privatdozenten au der Universität Freiburg, derzeitigen
Direktor-Kustos der Landes-Bildergallerie, Dr. Gabriel Tsrey
in Budovest, das Ritterkreuz erster Klasse des Ordens vom
Zähringer Löwen, dem Königlich Preußischen Generalmajor a. D.
Kocppel das Kommandcurkreuz zweiter Klasse des Ordens
Bertholb des Eisten, dem Obersten Eugen Ehrensberger,
Kommandeur des Königlich Bayerischen Infanterie-Regiments
Nr. 16, Großhrrzog Ferdinand von Toskana, das Kommandeur-
kreuz zweiter Klasse des Ordens vom Zädriuger Löwen, dem
Königlich Preußischen Generalmajor BraumülIer, Kommandeur
der 68 Jnfant.rte-Brigade, das Kommandeurkreuz erster Klasse
des Ordens vom Zähringer Löwen, dem Direktor der Groß-
herzoglichen KunstkaUe, Pros. Hans Thoma, das Kommandeur-
kreuz zweiter Klasse der- Ordens vom Zähringer Löwen, den
Königlich Preußischen Leutnams Freiherr«, von Rotberg
(Albert) vom 1. Badischen Leib-Grenadier-Regimeni Nr. 109 und
Fretherrn Gayling von Altheim vom 1. Badischen Leib-
Dragoner-Regiment Nr. 20 das Ritterkreuz zweiter Klaffe mit
^ Eichenlaub des Ordens vom Zähringer Löwen verliehen und den
1 Landgerichtsrat Dr. Puchelt in Heidelberg des Dienstes als
, Untersuchungsrichter enthoben und an seiner Stelle den Land-
j gerichtsaffcffor Dr. Bauer zum Untersuchungsrichter beim
Landgericht Heidelberg ernannt.
— In Vollzug des Z 2 der landesherrlichen Verordnung vom
15. September v. I., die Dtenstkaulionen der Beamten betreffend,
ist von Großh. Ministerium der Finanzen als Zeitpunkt für die
Rückzahlung der Dienstkautionen der Beamten der 1. Aprtl 1901
festgesetzt worden Die Rückgabe der Kautionen wird hiernach
im Laufe des Monats März 1901 erfolgen, bis zu dessen letztem
Tag die Kauiionszinsen entrichtet Nerven.
Karlsruhe, 31. Dezember. Am Sonntag Vormittag
nahmen der Großherzog und die Großherzogin an dem
Gottesdienst in der Schioßkirche teil, vei welchem Hofoikar
Frommel die Predigt hielt. Zur Mittagstafel erschienen
die Mitglieder der Großherzogiichen Famllie. Abends be-
suchten die Höchsten Herrschaften die Vorsüllungen im
Großherzogiichen Hoflhealer. Heute Vormsttag 10 Uhr
empfing der Großberzog den Staalsminister Dr. Nokk und

oder legte sich nieder. Stieß er sie, was eine Lieblingsunart von
ihm war, dann weinte sie und schüttelte nur verächtlich den kleinen
Kopf, nahm er ihr etwa Aepfel und Bretzel aus ihrem Kästchen,
so warf sie ihm den ganzen Inhalt vor die Füße, fuhr aber gar
der Vater dazwischen und strafte beide Kinder, so sah sie diesen
tagelang nicht ins Gesicht, wollte die Mutter durch kleine Ge-
schenke sie in bessere Laune versetzen, so nahm sie diese gar nicht
an: „Behalt Deine bunten Tücher und Schürzen, ich will sie nicht;
ich will nichts Besseres haben als die Tagelöhnerkinder, die Du
nicht leiden kannst, die trockenes Brot essen sollen, und die der
Vater vom Hofe jagt. Butter auf das Brot will ich nicht. Deinen
Honig kannst Du auch behalten — ich mag nicht essen." Einmal
hatte sie nach einer vom Vater im Zorn einpfangenen Ohrfeige
einen ganzen Tag hindurch Speise und Trank anzunehmen ver-
weigert und kein Wort gesprochen. Mit Gewalt und Strenge
war ihr nicht beizukommen, und für die Freundlichkeit der Mutter
blieb sie auch unempfänglich. Schweigen, Weinen und Hungern
waren die Waffen, mit denen sie gegen die Erziehungsversuche,
sowie gegen die Liebesbeweise roher Eltern ankämpfte. August
hingegen trotzte wohl eine Weile nach erhaltenen Strafen, ver-
antwortete sich aber, und ließ sich von der Mutter durch Lieb-
lingsspeisen und neue Westen mit blanken Knöpfen bald be-
schwichtigen. Hatte der Vater in großem Jähzorn ihn blut-
rünstig geschlagen, was zuweilen vorkam, so lachte der Junge
hinter seinem Rücken und sagte: „Dafür muß der Alte blechen"
— und war bei dem „Alten", wie ihn sein August nannte, der
erste Aerger vorüber, dann griff er auch: in seine Tasche und der
Junge des „reichen Kallmeier" hielt die Hand ans und lief, ohne
Dank zu sagen, zu einigen Kameraden hinaus ans die Straße und
in den dörflichen Kramladen hinein, kaufte dort für Alle von den
süßen Sachen, welche im hohen Glase des Ladenfensters anlockend
standen. Verteilte dann Gerstenznckerstangen, Chokoladenplätzchen
und Annisküchelchen, — aber beim nächsten Spiel mußten ihm
die Jungen unbedingt gehorchen; er war der reiche August, der
Herrscher über die armen Dorsinngen — und um dies zu er-
reichen hatte er gerade die ärmsten derselben zu seinen Spielge-
fährten ausgewählt. Spielten sie „Räuber und Soldaten," so
war er der Räuberhauptmann, bet den Schlittenfahrten vom
 
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