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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Januar bis Juni)

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Nr. 51-76 (1. März 1901 - 30. März 1901)
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Samstag, 16. März 1901.

Erstes Blatt.

43. Jahrgang. — wr. 64.


Zd.A




Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familicnblättern monatlich SO Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg.
zogen vierteljährlich 1.35 Ml. ausschließlich Zustellgebühr.
Anzeig enpreis: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Anschlag der Inserate am den Plakattafeln der
und den -Plakatsäulen. — Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Durch die Post be-
Heidelberger Zeitung

Deutsches Reich.
— Sobald der Kaiser, dessen Genesung erfreuliche Fort-
schritte macht, völlig von seiner Verletzung wieder herge-
stellt ist, wird aus London eine besondere Abordnung in Berlin
eintreffen, um im Aufträge des Königs Eduard die übliche
förmliche Anzeige von der Thronbesteigung des Königs
zu machen. An der Spitze dieser Abordnung, die von
Berlin nach Petersburg weiterreist, um am dortigen Hofe die
gleiche Anzeige zu erstatten/ steht der Herzog von Aber-
corn, der bis zur Thronbesteigung des Prinzen von
Wales der Chef des Hofstaates und Oberkammerherr
(Arvow ok tsts stols) des Prinzen war. Der Herzog
von Abercorn gehört einer der ältesten schottischen
Familien an; er ist zur Zeit 63 Jahre alt.
-H— Ahlwardt, der schon über Jahresfrist verschollen zn
sein schien, ist in seinem Wahlkreise Friedeberg-Arnswalde
wieder aufgetaucht. Wie wir dem Friedeberger Kreisblatt
entnehmen, war für Montag den 11. d. M. ein Vortrag
von ihm über „Meine Erlebnisse in den letzten zwei Jahren,
Könitz und Transvaal" angekündigt. Der Clown des
Reichtages lebt also noch.
Deutscher Reichstag. Berlin, 15. März. Erste
Beratung des Ergäuzungetats zur Chinavorlaie.
Reichskanzler Graf Bülow führt aus: Seitdem ich zultzt
die Ehre hatte, über die in China gepflogenen Verhandlungen in
diesem hohen Hause zu sprechen, sind diese zwar langsam, doch
stetig vorgeschritten, und wir sind der'Regelung der Verhältnisse
in China ein gut Stück nähergekommen. Wenn ich sage, die Ver-
handlungen seien langsam vorgeschritten, so soll darin keine Kritik
liegen, weder der Vertreter in Peking noch der Regierungen. Viele
Köpfe unter einen Hut zu bringen, ist immer mühsam, und im
vorliegenden Fall sollen sich nicht nur die Vertreter der Mächte
untereinander verständigen, sondern ihre Beschlüsse sollen auch von
den Regierungen ratifiziert werden, und die Absichten, Aspirationen
und Interessen der Regierungen gehen ge ade in China bisweilen
auseinander. Da eine Einigung herbeizuführen, ist nicht immer
leicht. Daß es trotzdem gelungen ist, ein gemeinsames, vernünf-
trges Friedcnsprogramm aufzustellen, gereicht nicht nur den Ver-
tretern in Peking zur Ehre, sondern beweist auch, daß das, was
die Kabinette wollten, namentlich die Einigkeit der Mächte
aufrecht zu erhalten, bisher noch immer gelungen
> ft trotz gewisser in der Natur der Verhältnisse oder in der Ver-
gangenheit b gründetet Divergenzen. Der Reichskanzler betont,
daß an den schuldigen Mandarinen ein Exempel statuiert werden
u>üsse, um der Wiederkehr von Exzessen vorzubeugen, aber n cht
Ms irgend welchem Blutdurst. Die Sühncmission des Prinzen
Tschung wird Kaiser Wilhelm, wie ich vor einigen Tagen nach
Peking telegraphierte, erst empfangen, wenn sich China den For-
derungen der Mächte gefügt hat und die Verhandlungen durch
Unterzeichnung abgeschlossen sind. Ein von allen Mächten aner-
kanntes Programm über die Entschädigungsfrage steht
doch richt fest. China hat die Verpflichtung, den durch die Wirren
entstandenen Schaden zu vergüten, bedingungslos anerkannt. Ueber
die Höhe ist gegenwärtig nom lein klarer Begriff zu gewinnen.
Bezüglich der Deckungsfrag- sind die Gutachten von 4 deutschen
Mnakennern eingeholt worden, die erfreulicherweise übereinstimmen.
Bon der Kontrole des gesamten chinesischen Staatswesens wollen
iw nichts wissen; das beste und sicherste Objekt seien die Seezölle,
°ie ohne dauernde Schädigung des Handels erhöht werden können.
Aer Reichskanzler teilt sodann eine Anzahl der der P-kinger
/iesandtenkonferenz in dieser Beziehung zugegangenen Fragen mit,
sowie eine Note an den deutschen Botschafter in London, worin
wese Fragen beantwortet werden. UnsereTruppenwerden
Aus Tschili zurückgezogen werden, sobald die
^riedensbedingungen erfüllt sind. Mit bloßen Ver-
jEchungen begnügen wir uns nicht. Auch das Oberkommando

wird nicht einen Tag länger aufrecht erhalten werden, als notwendig
ist. Der Reichskanzler skizziert dann diediplomatische Lage
bezüglich Chinas. Es giebt Mächte, deren Interesse in China
wirtschaftliche sind, und andere, die mehr politische Ziele
dort verfolgen. Deutschland gehört zur ersteren
Kategorie. Deshalb ist das deutsch englische Abkommen ab-
geschlossen worden, das keine geheimen Abmachungen enthält und
sich nicht auf die Mantschurei bezieht. In der Mantschurei hat
Deutschland keine nennenswerten Interessen. Solange China
nicht die Bedingungen der Kollektivnote erfüllt hat, würden wir
Abmachungen bedauern, die China, gleichviel mit wem, abschließsn
sollte. Alle Mächte gaben die feierliche Erklärung, daß sie in
China keine Sonderzwecke verfolgen. Privatgesellschaften began-
nen China allerlei Konzessionen abzuzwackcn. Wäre dies fort-
gesetzt worden, so würde China schließlich eine ausgepreßte
Citrone sein, von deren Saft wir nichts erhielten. Wir ver-
langen von den Chinesen eine schleunige Erfüllung der Friedens-
bedingungen und haben sie im übrigen mit ihren Wünschen an
die Pekinger Gesandtenkonfermz verwiesen. - Man hat von
einer Isolierung Deutschlands in China gesprochen und daß wir
diese oder jene fremde Macht als Stütze brauchen. Das eine ist
so unzutreffend wie das andere. Von einer Isolierung kann
schon deshalb nicht die Rede sein, weil wir mit Erfolg bestrebt
sind, das Konzert der Mächte zusammen zu halten. Einer
Stütze bedürfen wir nicht, weil wir zu keiner Zeit
Sonderansprüche geltend machten. Auch die Behauptung, daß
durch die chinesische Sache unsere Beziehungen zu Rußland
alteriert seien, ist unzutreffend. Von einem scharfen oder gar
unversöhnlichen Gegensatz zwischen beiden Mächten ist in China
so wenig die Rede wie irgendwo. Mit England ist wegen
der Gleichartigkeit der Handelsinteressen das Dangtseabkommen
abgeschloffen worden. Ebensogut wie zu Rußland und England
ist unser Verhältnis zu Amerika, Frankreich und
Japan. Amerika beteiligt sich mit Eifer an den Verhandlungen
und wünscht namentlich die Erhaltung der chinesischen Integrität.
Zwischen uns und Frankreich besteht, wie überhaupt an den
meisten Punkten der Erde, so auch in China gar kein
sachlicher Gegensatz. Was Japan angeht, so erkennen wir die
GroßmachtsteUung an, die dieses hochbegabte Volk durch seine.
Jnielligen; im fernen Osten erlangt hat. Daß wir von Oester-
reich und Italien auf das Loyalste unterstützt wurden, ist selbst-
verständlich bet dem unerschüitcrten Bestand des Dreibundes.
Uns kommt cs darauf an, in China baldmöglichst friedliche Zu-
stände herbeizuführen und unseren Besitzstand und unsere Han-
delsinteressen aufrecht zu erbalten. Wir wollen mit den anderen
Mächten loyal Zusammengehen, um angemessene Entschädigung
für die Kosten der Erpedition erlangen. Für diese Politik erbitte
ich dre Unterstützung des hohen Hauses. (Beifall.)
Es sprechen weiter über die Vorlage die Abg. Richter (fr.
Volksp.), Graf Stolberg-Wernigerode (kons.), Bebel
(Soz.), Dr. Bachem (Zentr.) Bassermann (natl.), Schräder
(freis. Vpt.). Der Reichskanzler wendet sich gegen Bebel
und Richter. Die Erörterung schließt mit Ausführungen des
Abg. von Thiedemann (Reichsp.s auf welche wir, wie auf die
Erklärungen der vorhergehenden Redner noch ausführlicher zurück-
kommen werden. Die Vorlage wird nicht an die Kommission verwiesen.
Eine längere Debatte knüpft sich an die Forderung von
150000 Mk. erste Rate, Beitrag des Reiches zum Wieder-
aufbau der Hohkönigsburg.
Abg. Bassermann (natl.) befürwortet die Annahme, es handele
sich für das Reich nur um die Summe von 750000 Mk., um eine
festbestimmte Subvention. Die ganze Frage würde über Gebühr
aufgebauscht. ______
Abg.' Dr. Oertel (kons.» stimmte Bassermann zu. So er-
bärmlich und jämmerlich sei die Finanzlage doch nicht, daß wir
nicht in 5 Jahren 750000 Mk. bewilligen können.
Abg. Bindewald (Reformpartei» spricht sich gegen die
Bewilligung aus. Die Poesie der Ruine ging dann zum Teufel.
Der Reichstag habe keine Veranlassung, Privateigentum des
Kaisers aufzubauen. In dem Neubau ein Museum anzulegen,
fei der Gipfel des Unsinns-
Staatssekretär Dr. Graf v. Posad o w s ky erklärt: Das
Reichsoberhaupt wünsche die Wiederherstellung der Burg lediglich,
um sie öffentlichen Zwecken zu widmen.^

Nachdem der Abg. Blos (Soz.) noch dagegen gesprochen,
wird ein Vertagungsantrag angenommen.
Morgen Rest der heutigen Tagesordnung, vorerst zweite
Lesung des Nachtragsetats.
Bayern.
München, 14. März. Der Prinz-Regent hat,
wie das „Verordnungsblatt des Kriegsministeriums" be-
kannt giebt, mit allerhöchster Entschließung vom 6. März
bestimmt, daß an Stelle der Bezeichnung „Gemeiner" die
nachfolgenden Namen bei den einzelnen Truppen zu treten
haben: Bei den Infanterie-Regimentern „Infanterist", bei
den Schweren Reiter-Regimentern „Reiter", bei den
Ulanen-Regimentern „Ulan", bei den Chevaulegers-
Regimentern „Chevauleger", bei den EskadronS Jäger zu
Pferde „Jäger zu Pferd", bei den Pionieren und Verkehrs-
truppen „Pionier" und beim Train „Trainsoldat".

Aus der Karlsruher Zeitung.
— Revisor Eduard Merkel in Ettlingen wurde zum Be-
zirksamt Karlsruhe, die Revidenten Gustav Karb in Staufen
zum Bezirksamt Ettlingen. Stefan Brecht in Boxberg zum Be-
zirksamt Staufen, Ernst Götz in Tauberbischofsheim zum Be-
zirksamt Boxberg, Karl Eckert in Engen zum Bezirksamt Achern,
Hermann Bickel in Bonndorf zum Bezirksamt Engen, August
Armb ruster in Villingen zum Bezirksamt Bonndorf versetzt.
Karlsruhe, 15. März. Die Großherzogin hielt
sich gestern auf dem Rückweg von Wiesbaden in Frank-
furt auf und besuchte dort den Prinzen und
die Prinzessin Friedrich Karl von Hessen.
Die Ankunft hier erfolgte um Vs 11 Uhr. Heute
Vormittag empfing der Groß Herzog den Minister Dr.
Buchenberger zum Vortrag. Zur Frühstückstafel kamen
der Prinz und die Prinzessin Max. Nachmittags hörte der
Großherzog den Vortrag des Geheimen Legationsrats vr.
Freiherrn von Babo. Abends besuchten der Großherzog und
die Großherzogin das Konzert des „Münchener Kaim-Or-
chesters" unter der Direktion des Kapellmeisters Weingartner
in der Festhalle.

Ausland.
England.
— Auf einem Bankett der Handelskammern
hielt Lord Salisbury eine Rede, in der er sagte, eS
gereiche der britischen Nation zur hohen Ehre, daß ihre
Einigkeit und Macht nach so vielen Monaten des Kampfes
nicht abgenommen habe. Er zweifle, daß irgend eine an-
dere Nation etwas ähnliches hätte leisten können. Salis-
bury sprach sodann über den englischen Handel und be-
tonte, daß ein mehr praktisches Erziehungssystem notwendig
sei, um den Gegnern, die immer gefährlicher würden, ge-
wachsen zu sein. Einer der größten Fehler der Engländer
sei die m a n g eln d e, Kenntn is fremder Sprachen.
Es sei notwendig, daß alle handeltreibenden Engländer
Deutsch und Französisch können. Er glaube nicht, daß der
englische Handel im Niedergange begriffen sei; sollte dies
aber doch der Fall sein, so sei dies der Einmischung der
Parlamente zuzuschreiben. Jedenfalls müsse man auf der
Hut sein, denn wenn man Erfolge erzielen wolle, müsse
man stets wachsam sein. Im weiteren Verlaufe des
Banketts wurde auf die französischen Handelskammern ein

85»

Gentiane.
Roman von I. Wege.
(Fortsetzung.)

Hier und da sah er kleine Gruppen eifrig flüsternder
"uix stehen, es mochten Liebespaare oder klatschende Dienst-
°ter> sein, die sich den milden Frühlingsabend zu nutze
'achter. In einer sehr engen Gasse stieß er auf einen
Oberen Trupp anscheinend sehr aufgeregter Menschen, die
»hm hergingen. Die Enge des Weges zwang ihn, ein
/peuche,, langsam hinter ihnen herzuschreiten, um eine Lücke
ia„ Durchschlüpfen zu erspäven. Da hörte er einen Mann
»Ree, daß die junge Frau schon fortgemußt hat, lo
so ^ hübsch und so glücklich," „Na, das is noch man
d - ft eigen Glück", erwiderte eine Frau, „und ich dank'
y^ur, wenn einer ihr Mann mit einer anderen weglaufen
»I. was Du snakst, das ist doch nicht wahr."
i» das nicht wadr ist? Das muß ich doch besser wissen,
^7.wasche NU all sieben Jahr bei der Tante von das fremde
hg/P">n, und die Köchin hat mir gesagt, das Stubenmädchen
Dn,. ^ gesagt, die war' rein toll verliebt in den jungen
g,„'sor. und sie wollt' nickt wieder fort, wenn er nicht mit-
ä > und er wollt seine Frau verlassen ihrethalben. .
ke„^,"Uin die Kreatur! Na, denn muß er rein toll sein. Ich
ich « bab' ihr ein Paar Schuh gemacht, so fein wie
Ab "op konnte, denn sie ist ja ein schönes Frauenzimmer,
bew- ichrie, die wären ja viel zu groß, und wie ich ibr das
w "o»ien wollte, daß das nicht wahr wär', da sprang sie auf
wckde Katze und schlug mir die Schuhe um die Ohren.
lvt°« dem Gelde für all meine Arbeit Hab' ich noch keinen
""Keller zu sehn gekriegt."
das weiß ich, nne das ist." seufzte eine kleine ver-
gew/I'" Näherin, „ich Hab mit der auch schon was durch-
«Mder-in Da ist doch die gute junge Frau Doktorn eine
^ Person, die war immer so freundlich zu mir und fragte

allemal, was mein arm alt Multing machte, und wie ich eins
krank war, hat sie mir alle Tage solch feines Essen geschickt.
— Und nu soll sie fick selber umgebracht haben — nee, ich
kann's noch gar nicht glauben!"
Länger vermochte Oswald das Gespräch nicht anzuhören,
ihm war zu Mule wie einem Verdammten, der seinen Urteils-
spruch vernimmt. So sehr ihn jeder Schritt reute, der ihn
nicht seinem Ziele näher führte, wandte er sich doch um
und eilte durch eine andere Gasse seinem Hause zu. Als er
dorthin kam, fand er auch einen Menschenknäuel, aus dem
ähnliche Bemerkungen erklangen, vermischt mit den heftigsten
Verwünschungen gegen ihn. Er drückte sich den Hut tief ins
Gesicht und drängte sich hindurch; als er zur Tdür herein-
trat, vermochte er sich kaum der nachdringenden Neugierigen
zu erwehren.
Das Mädchen kam eben, gefolgt von einem Manne, die
Treppe herab, mit einem Lichte in der Hand, dieses beleuchtete
grell ihr entsetztes Gesicht und warf zitternd ungewisse
Strahlen auf einen großen, dunklen Gegenstand unten im
Flur, es war eine schwarz verhangene Bahre. Oswald stürzte
dahin, riß die verhüllende Decke herunter, und da lag vor ihm
sein junges Weib, kalt und leblos, die marmorbleichen Züge
wie im Schmerz erstarrt. Er warf sich über sie und rief sie
beim Namen, mit Küssen und Thränen suchte er sie zu er-
wecken, aber alles vergeblich, sie rührte sich nickt. Der Toten-
gräber, der sie hergebracht, stand anfangs mit dem weinenden
Mädchen scheu in der Ecke, dann aber trat er zu Oswald
und sagte begütigend: „Lassen's man gut sein, sie mag wohl
noch mol lebendig werden, aber dann muß sie in ihrem
eigenen warmen Bette liegen. Ich will Ihnen helfen, sie
hcraustragen, den Krischahn habe ich gleich zum Doktor
geschickt."
Oswald fügte sich sogleich diesem verständigen Rate, sie
trugen die anscheinend Leblose hinauf und legten sie auf ihr
Belt. Dann erzählte der Alte, er sei heut über Land ge-
wesen, deshalb hätte das Kirchhofthor länger als gewöhnlich
offen gestanden; ehe er es dann geschloffen, wäre er noch
einmal hineingegangen, um zu sehen, ob Ntemand mehr drin

wäre, denn die entfahmten Rangen trieben m der Dunkel-
heit gern allerlei Unfug an den Gräbern; da hätte er denn
nicht weit vom Wege ab eine dunkle Gestalt liegen sehen. Er
habe gemeint, es sei eine, die in ihrem Herzeleid ganz die
Zeit vergessen hätte, deshalb hätte er ihr zngerufen, sie möchte
sich aufmachen, er wolle schließen. Als er keine Antwort er-
halten und die Gestalt sich gar nicht gerührt hätte, wäre er
zu ihr hingegangen und hätte sie gerüttelt, aber noch kein
Lebenszeichen. Da hätte er sich dann den Krischabn gerufen
und sie mit ihm hineingetragen: am Lichte hätten sie die gute
Frau Doktor erkannt und sie deshalb gleich nach ihrer Woh-
nung gebracht; während er dann hinaufgegangen wäre, um
ihn zu benachrichtigen, wäre der Krischahn nach dem Doktor
gelaufen, der nun gleich kommen müßte. Oswald belohnte
den Alten reichlich und schickte ihn dann in die Küche, wo er
sich das für die Herrschaft vergeblich zubereitete Abendessen
schmecken ließ.
Oswald blieb in dumpfer Verzweiflung allein bei seinem
Weibe, das die zärtlichsten Worte der Liebe, die reuevollsten
Klagen nicht zn erwecken vermochten. Ihr Körper zeigte keine
Wunden, und doch schien alles Blut daraus gewichen, selbst
die Lippen waren bleich und die Augen waren geschlossen wie
in tiefem Schlafe. Der schmerzliche Ausdruck ihrer Züge
schnitt Oswald tiefer ins Herz, als die bittersten Klagen,
die härtesten Vorwürfe aus ihrem Munde hätten thun können.
Er ergab sich aber nicht müßigem Jammer, sondern bemühte
sich immer und immer wieder durch Reiben und Hauchen
Wärme und Leben bei ihr hervorznrufen, alles vergebens-
Endlich kam der Arzt, dem Krischahn schon den Thatbestand
kurz erzählt hatte. Bei seinen Wiederbelebungsversuchen
schüttelte er mehrmals bedenklich den Kops, endlich aber meinte
er doch, er glaube, daß noch nicht alles Leben erloschen sei,
er halte ihren Zustand für einen durch heftige Gemütsbewegung
hervoraerufenen Starrkrampf und hoffe, daß sie nach einiger
Zeit, vielleicht erst nach Stunden, erwachen würde, dann möge
man ihn sogleich rufen lassen.
(Fortsetzung folgt.)
 
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