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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Januar bis Juni)

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Nr. 1-26 (2. Januar 1901 - 31. Januar 1901)
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Dommstlm, 17. Januar 1901

Grstes ME.

xxxxm. Jahrgang. — Air. 14.


Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich 50 Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post be-
zogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschließlich Zustellgebühr.
Anzeigenpreis: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzcile oder deren Raum. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Anschlag der Inserate auf den Plakattafcln der Heidelberger Zeitung
und den Plakatsäulen. — Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Die „Heidelberger Zeitung" kostet nach wie vor frei in's Haus gebracht im Monat nur SO Pfg.
Expedition oder bei unseren Zweigstellen abgeholt nur 40 Pfg.

in der

Deutsche Truppenführung in englischer
Beleuchtung.
Die englische Zeitung „Daily Expreß" bringt eine
Kritik zweier englischen Offiziere über die deutsche Krieg-
führung in China, welche in England Aufsehen erregt.
Bon deutschen Blättern weisen einige jedes Eingehen auf
diese Kritik ab mit dem Hinweis auf die wahrhaft geniale
-- Unfähigkeit, welche die englischen Truppenführer in
Südafrika bewiesen haben; andere meinen, wir hielten uns
Militärisch nicht für unfehlbar und könnten das fremde
llrteil immerhin zur Selbstprüfung verwenden. Wir schließen
Uns dieser letzteren Ansicht an in dem Sinne, daß man
auch aus dem schlechtesten Buche etwas lernen kann. Aller-
dings muß dann in besagtem Buche irgend etwas stehen,
«ns dem man Folgerungen ziehen kann. Wir wollen sehen,
ab das bei der Kritik der englischen Offiziere der Fall ist.
Diese beiden schreiben:
Der Kriegsgott, den die Deutschen anbeten, heißt Methode,
Und die Verwendung überwältigender Truppenmassen unter
Leitung einer unbeugsamen, strammen Methode haben ihnen ihren
Auf verschafft, von dem sie noch immer zehren. Die deutschen
Offiziere sind sehr tüchtig, aber vollgestopft mit Theorie und
Vuchweisheit aller Art. Unermüdlich zitieren sie ihre Jnstruktions-
aücher und sind in der Aktion von einer Reihe trockener Regeln
beeinflußt, die ihnen wahrhaft angehefter zu sein scheinen. Ein
Deuticher würde alles wagen, vorausgesetzt, daß er eine Buch-
buwrität zur Begründung seines Vorgehens anführcn könnte;
«der es scheint ihnen an Selbstbewußtsein, alles zu riskieren, zu
letzte».
Ehe wir auf die — englische — Begründung dieser
Ansicht uns einlassen, wollen wir diese Sätze uns einmal
daher betrachten.
Also: „wir zehren noch immer von unserem Ruf";
damit ist demnach ans den Feldzug 70/71 hingewiesen,
der ihn uns verschafft hat. Nun, wir meinen, die
»Methode" von 1870/71 ist so übel nicht gewesen;
Mr haben mit ihr eine Armee besiegt, welche damals als
die beste der Welt galt und ein mächtiges Volk nicderge-
diorsen, das an kriegerischem Sinn und Geschick, an Mut
Und Opferwilligkeit, an reichen Hilfsmitteln aller Art uns
durchaus ebenbürtig war. Wäre ein klein wenig von
dieser Methode nicht vielleichtden Eng ländern sehr
Nützlich, die mit hundertfacher Uebermacht an Menschen
Und Kriegsmaterial, in ungehinderter Benutzung des größten
Kolonialreiches der Welt als Basis, seit fast 1*/, Jahren
°>n einfaches Hirtenvolk von aller Verbindung mit der Welt
abgeschlossen haben und dies immer noch nicht bezwingen
'vnnen trotz einer Kriegführung, welche an brutaler Grau-
samkeit in Wahrheit an dieUnthaten der Hunnen erinnert?
Das Wort „Merhode" soll augenscheinlich, wie auch
die folgenden Sätze lehren, als Resultat einer Buch-
Weisheit äufgcfaßt werden. Selbst die flüchtigste Be-
obachtung der Entwickelung unserer Truppenführung von
1884—1870 muß auch dem Laien zeigen, wie unsere
Führung ihre fundamentalen Sätze aus dem Leben,
Ms den Erfahrungen der Gefechtsfelder entnommen hat.
M selbst während des letzten Krieges wurden die Lehren
der eisten Schlachten sehr sorgsam in den nachfolgenden
^Ur Geltung gebracht. Wer da aber glaubt, daß wir auf
dsN Lorbeeren des 70er Krieges eingeschlafen sind, der
huscht sich gewaltig. Nein, mit derselben Rührigkeit wie
b'ar dem Kriege, mit demselben Eifer und derselben Pflicht-
teile jst unsere Armee sofort nach dem Kriege an die
Artbildung und Weiterentwickelung gegangen. Jenes
Scherzwort des deutschen Unteroffiziers beim ersten Exerzieren
n der Waffenruhe: „Jetzt hat der Spaß mit dem Kriege
ierir End', jetzt fängt wieder der Ernst an," enthält den
Allsten Kern deutscher Gewissenhaftigkeit.
Unsere Offiziere seien „sehr tüchtig, aber vollgestopft
Theorie und Buchweisheit". Wir glauben es herzlich
dern, daß die englischen Offiziere von Theorie und Buch-
Weisheit nicht im mindesten beschwert sind. Das sieht man
^ Südafrika, wo die Führer zum Gespött der ganzen
^elt, einschließlich der eigenen Landsleute, geworden sind,
"7 diese Asutlöwsu in Uniform, deren Tapferkeit außer
llem Zweifel ist, welche aber sich weder um die AuS-
Udung ihrer Truppen kümmern, noch auch die geringste
Mung von den einfachsten Grundsätzen rationeller Trup-
euführung haben. Mit echt englischer Einseitig-
schöpfen sie historisch-taktische Weisheit im günstigsten
auA hem „englischen Siege", der Schlacht bei

Waterloo, aus der sie schließlich eigentlich nur lernen
könnten, daß sie ohne Blüchers, des Deutschen, Hülfe ret-
tungslos verloren gewesen wären. Was konnten die eng-
lischen Offiziere aus der Praxis des letzten Vierteljahr-
hunderts denn lernen, wo sie stets gegen Wilde und
Halbwilde mit der Uebermacht leichte sogenannte Siege
erfochten haben? Unterschätzung des Gegners und das
ist ihnen im Burenkriege bitter heimgezahlt worden. Hätten
die englisch-afrikanischen Führer nur die „Buchweisheit"
deutscher Leutnants besessen, es Wäre ihnen nicht so jäm.
merlich schlecht ergangen. Wer erinnert sich nicht an den
englischen General Hart, der am 15. Dezember 1899
in der Schlacht von Colenso ohne Aufklärung drauf los
marschiert und die ihm angewiesene Liiäls vrikt „verfehlt",
statt dessen aber in einem ringsum besetzten Flußbogen in
ein Kreuzfeuer geräth, das seine Brigade fast vernichtet;
oder an den General Methuen, der bei Magersfontein
mit 12 000 Garden und Hochländern, der Elite des
Heeres, gegen 6000 Buren vorgeht, eine Brigade beim
Train zurückläßt, die zweite in nutzlosen Frontangriffen
fast aufreibt und dann die dritte ebenso nutzlos dem Feuer
aussetzt, um endlich wieder Kehrt zu machen, ohne das
Mindeste erreicht zu haben.
Da wollen wir doch lieber bei der „Buchweisheit"
bleiben. Von den reinen Praktikern gilt immer noch das
Wort Friedrichs des. Großen: „Ein. Maulesel, der 15
Jahre unter Prinz Engen gefochten, bleibt immer — ein
Maulesel." Die Nutzanwendung unterlassen wir aus inter-
nationaler Höflichkeit.
Aber wie steht es mit dem „unermüdlichen Zitieren
der Jnstruktionsbücher" und der „Beeinflussung durch trockene
Regeln in der Aktion"? Wer, wie so viele Deutsche,
mehrere Kriege mitgemacht hat, wird sich mit uns des
Lachens nicht enthalten können. Es giebt keine Armee der
Welt, welche ein so einfaches kurzes Reglement
hat, wie die unsrige und eben so wenig eine, deren
F eld di en sto rdnun g bei genial zusammengestellten
Grundsätzen so viel Spielraum für das eigene
selbständige Denken und Handeln läßt. Und wir,
welche wir den unendlich verschiedenartigen und über-
raschenden Wendungen des 70er Krieges stets neue Aus-
kunftsmittel entgegen zu fegen wußten, wir sollten nur
durch eine „Buchautorität" unsere Handlungen im Felde
begründen? Nun — hören wir, was ein wahrer Kenner
der deutschen Armee, einer der bedeutendsten Kriegshistori-
ker, der Generalleutnanr im russischen Generalstabe Woide
sagt in seinem Werke über 1870, das wie eine militärische
Bibel von allen gebildeten Offizieren der Welt eifrig
studiert wird, unfern beiden kritisierenden Engländern
aber wohl jedenfalls fremd geblieben ist:
„Die Quelle, aus welcher D.utschland schöpfte, war
nichts anderes, als die W i ss en s ch a f t." — Deutschland
erzog sich durch seine Wissenschaft eine ganze Schar er-
leuchteter Kriegsmänner um scheute sich nicht, ihnen durch
das Recht der Selbstthätigkeil Freiheit zum Handeln zu
gewähren.
„Und wenn man der Sache auf den Grund geht, so
muß man gestehen, daß die Schlacht, (bei Spicheren) ab-
gesehen von der Tapferkeit der Truppen, recht eigentlich
durch die kühne Selbstthätigkeit und Entschlußfähigkeit der
unteren deutschen Führer, vom Brigadekommandeur bis zum
Zugführer, gewonnen wurde. Nur die äußerste Thatkraft
der Offiziere, ihre Aufopferung, ihr Verständnis, ihre
Gewandtheit — — — — vermochte-— diese
Erfolge zu erringen. — — —
„So gelangen wir zu dem Schluffe —-, daß
zwei ganz verschiedene Systeme mit einander rangen, und
daß der Sieg dem vollkommeneren derselben zu Teil wurde.
Das eine dieser Systeme äußerte sich in einer durch und
durch lebens- und verständnisvollen, selbständigen und
fruchtbringenden Thätigkeit — — —"
So urteilt der erfahrene und geistvolle Russe über unsere
„Methode" und über die Art, wie sie unsere Offiziere im
Kriege 70 anwendeten. Unsere jetzigen Offiziere in
China sind die Schüler jener Kriegsmänner von 70;
und was wir von ihnen bisher gehört haben, rechtfertigt
unser in Deutschland felsenfest stehendes Vertrauen, daß
sie gelehrige Schüler waren und daß die Söhne ihrer
Väter würdig find. Lieb' Vaterland, magst ruhig sein!

Es soll unfern Offizieren „an Selbstbewußtsein, Alles
zu riskieren, fehlen". Dem Himmel sei dank, ja. Unser
großer Moltke hinterließ uns das Wort: „Erst wägen,
dann wagen." Wir nennen „Alles riskieren" nicht Selbst-
bewußtsein, sondern Gewissenlosigkeit. Unsere Of-
fiziere führen aber auch nicht Mietlinge, deren Leben und
Wohl ihnen gleichgültig ist, in den Kampf, wie die eng-
lischen Offiziere, sondern deutsche Bürger, aus deren
Reihen sie selbst hervorgegangen sind und deren Blut
ihnen so kostbar ist, wie das ihrer Brüder und kost-
barer als das eigene. Wenn es aber gilt, dann brauchen
unsere Offiziere nur darum besorgt zu sein, ihre braven
Leute zurückzuhalten. Wer in der Welt wird cs wohl
wagen, an der ungestümen deutschen Tapferkeit, an der
deutschen Pflichttreue bis zum Tode zu zweifeln?
Was bleibt nun von dem gesamten englischen Urteil
übrig? Wir können den beiden Kritikern nur zuerkennen,
daß es ihnen „an Selbstbewußtsein, Alles zu riskieren"
— auf dem Papier wenigstens — nicht fehlt. Denn es
scheint, uns ein sehr großes Risiko, über Sachen urteilen
zu wollen, von denen man nichts, aber auch gar nichts,
versteht. Unsere Ausführungen werden keinen Verständigen
in Zweifel lassen, daß diese beiden „stsroes" von den ele-
mentarsten Grundsätzen der Truppenführung keine Idee
haben, daß ihnen die kriegsgeschichtlichen Thatsachen gänz-
lich fremd sind, daß sie von dem Wesen der deutschen
Armee nicht die mindeste Kenntnis und Vorstellung besitzen.
Und dabei so absprechend urteilen zu wollen, das ist in
der Thai Selbstbewußtsein, aber das Selbstbewußtsein der
Borniertheit.
Aber wir wollen gerecht sein in unsrer Beleuchtung,
gerecht wie die Sonne, welche gleichmäßig ihre Strahlen
wirst aus Kluge und Dumme, und xrns die englische Be-
gründung anseyen. Begründung? ja wirklich, aber sie ist
auch darnach. Es wird ein Beispiel angeführt, Weg-
nahme einer befestigten Boxerstellung, von der man aller-
dings bisher nichts gehört hat. Doch lassen wir unsre
— von Buchweisheit jeder Art unbeschwerten — Praktiker
selbst reden:
Nach reichlicher Erwägung brachen unsere teutonischen Bundes-
genossen auf. Da gab es natürlich Aufklärungs-Kavallerie, an-
geordnet nach den besten Traditionen von 1871 — Abstand und
Zwischenraum tadellos. Die übrigen Truppen waren nach den
allerbesten deutschen Theorien verteilt, mit ausreichenden Stäben,
Verbindungsmännern und Leitung. Das Ganze war offenbar
darauf berechnet, die deutschen Methoden in dem Glanze voll-
ständigster Vollkommenheit zu zeigen. Unzweifelhaft würde sich
diese Moral aus der Erstürmung der feindlichen Stellung ergeben
haben. Die Vollendetheit der deutschen Pläne war nur zu
groß, um ihnen Erfolg zu verleihen. Die Kavallerie
bekam nichts zu thun und sah überhaupt keinen Feind, zum
großen Verdruß der Haupttruppe, nach all de» maschinenmäßigen
Vorbereitungen. Die Thatsache war eben, daß die Sikhs
und LancerS zu rasch gewesen waren, denn mit der
raschen Auffassung alter Schtachtendegen hatten sie ihre Be-
wegungen mit solcher Schnelligkeit vorgenommen, daß die
Bengal-Kavallerie, unterstützt von der Äikh-Znfanterie, den
Schauplatz erreichte und stürmte, lange bevor die deutsche
Kavallerie sichtbar wurde. Als sie ankam, geschah
es nur, um zu entdecken, daß die britische Flagge bereits
über dem Platze wehte.
Wir wollen bei dieser geheimnisvolle» Episode einmal
ganz davon absehen, daß sie das Gepräge einer ganz ober-
flächlichen — durch Sachkenntnis ungetrübten — Flunkerei
offen an der Stirne trägt. Bei einheitlichem Kommando
sollen die augenscheinlich zur Flankierung bestimmten Eng-
länder selbst mit Infanterie auf dem Gefechtsfeld erschienen
sein, „lange bevor die deutsche vorgegangene Aufklärungs-
Kavallerie sichtbar wurde"? Da ist Jägerlatein eine
Heilswahrheit dagegen. Aber angenommen, es wäre wahr,
wie leicht kann sich dann jeder Zettungsleser das Bild kon-
struieren. Die Bengal-Kavallerie ist in aller Eile oorge-
gangen, also doch wohl bedeutend schneller wie die Sikh-
Infanterie, und hat, von dieser unterstützt, die befestigte
Stellung erstürmt. Gibt es vielleicht noch irgend einen Menschen
auf der Welt, der so dumm ist, an die Erstürmung einer
Befestigung durch Kavallerie heutzutage zu glauben?
Immer ausgenommen unsere beiden famosen englischen
„Praktiker". Die Sache ist sehr einfach. Die Chinesen
rissen, wie immer bei diese« kleinen Befestigungen, beim
Herannahen der Kavallerie aus. Die Fahuenentfaltung
reiht sich würdig anderen liebenswürdigen Hinterlisten der
Engländer gegen ihre Bundesgenossen an.
 
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