Samstag, 13. April 1W1.
Gastes Blatt.
43. Jahrgang. — üir. 86
Nnieiaenvreis: 20 Pfg. für die Ispaltige Petttzeile oder deren Raum. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermä
«nze, g np „nd den Plakatsäulen. - Fernsprech-Anschluß Nr
Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich SV Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 4V Pfg. Dur» die Post be-
i Me Zustellgebühr.
ermäßigt. — Anschlag der Inserate aus dm Plakattaseln der Heidelberger Zeitung
, 82.
Die Leipziger Sozialdemokraten.
In dem Leipziger Aerzte streik hat bekanntlich der
„Vorwärts", das führende Blatt der Sozialdemo-
kratie, den Aerzten gegen den sozialdemokratischen
Kassenvorstand Recht gegeben. Insbesondere hat er aner-
kannt, daß die Vertrauenskommisston der Aerzte schon vor
dem Krankenkassengcsetz bestanden hat und daß sie im Ver-
trag zwischen der Kasse und den Aerzten anerkannt ist.
Außerhalb Leipzigs macht es in den Kreisen der
Sozialdemokratie einen beklemmenden Eindruck, daß die
dortigen Genossen so aus der Rolle fallen und als Arbeit-
geber sich als ganz bösartige Tyrannen zeigen und alle
Parteigrundsätze, die sie als Arbeitnehmer verfechten, ein-
fach über Bord werfen.
Me „Frkf. Ztg." die zur Sozialdemokratie immer
sehr freundlich gestanden ist, fällt über die Leipziger ein
sehr ungünstiges Urteil. Stellt man, so schreibt sie,
hie dortigen Vorkommnisse der jüngsten Zeit zusammen,
so muß man zu der Ueberzeugung kommen, daß die
„Genossen" von Leipzig und Umgebung eine traurige
Gesellschaft find oder vielleicht richtiger: geworden sind,
unter dem Einflüsse einer Clique, die den Namen So-
zialismus schändet. Denn aller Sozialismus, mag er
Purer Marxismus, Bernsteinerei oder sonst was sein,
hat zur Voraussetzung, daß die, welche fich zu ihm be-
kennen, von einem starken Gemeinschaftsgefühl beseelt
sind, kleinlichen Egoismus unterdrücken und der Gerech-
tigkeit dienen. In gewissen Kreisen der Leipziger So-
zialdemokratie ist aber von alledem gerade das Gegen-
teil zu finden. Ihr Gemeinschaftsgefühls ist Sonder-
bündelei und Ignorierung von Parteibeschlüssen, ihr
Egoismus blüht, und Gerechtigkeit? Ei, die Leute ähneln
ja bereits den Ultramontanen, die Toleranz verlangen
und verweigern, je nachdem sie Minorität oder Majorität
find. Daß Macht korrumpiert, ist ein alter Erfahrungs-
satz. Die Sozialdemokratie hat verhältnißmäßig wenig
Macht, aber in Leipzig ist sie trotzdem schon so weit.
Sollte das ein Anzeichen dafür sein, daß diemoderne
Arbeiterbewegung ihren Höhepunkt
bereits überschritten habe?
Für die bürgerlichen Parteien bieten die Vorgänge in
Leipzig nichts Ucberraschendes. Sie bestätigen vielmehr das
Urteil derselben über die Sozialdemokratie. Das lächer-
liche Evangelium, wonach in den Kreisen, aus denen sich
die Sozialdemokratie rekrutiert, die menschlichen Tugenden
stärker ausgeprägt seien, als im Bürgertum, hat man dort
nie geglaubt. Die herrschende soziale Ordnung besteht
nicht von ungefähr; sie sondert die Bevölkerung doch im
Großen und Ganzen richtig nach ihrer moralischen und
intellektuellen Tüchtigkeit. So lange die Sozialdemokraten,
die Einzelnen wie die Partei, nicht Gelegenheit haben, zu
zeigen, was sie eigentlich sind und können, ist es für sie
leicht, sich als ideale Helden aufzuspielen. Wo sie aber
zur Macht gelangen, deren Besitz die „Franks. Ztg." als
korrumpierend bezeichnet, da sieht man sofort, daß sie
schneller und mehr durch den Machtbesitz „korrumpiert"
werden, wie das vielgcschmähte Bürgertum, das besser mit
der Macht Gerechtigkeit und Wohlwollen zu verbinden
weiß, wenn auch bei ihm gewiß Manches zu wünschen
übrig bleibt.
Den Kernpunkt des Streites in Leipzig deckt fol-
gender Aufruf der Kassenärzte an die Kassenmitglieder
auf. Als im Jahre 1900 infolge der großen Jnfluenza-
epidemie durch die Arbeitsunfähigkeit vieler Kassen-
mitglieder der Ortskrankenkasse zu Leipzig größere Aus-
gaben als früher entstanden waren, bestellte der Vor-
stand eine Anzahl Kassenärzte, deren arbeitsunfähige
Patienten mehr als 36 Prozent aller Kranken betrugen,
zu sich und teilte denselben mit, daß sie ihre Kassenarzt-
Stellen verlieren würden, falls sie wieder einen gleichen
Prozentsatz Mitglieder arbeitsunfähig schreiben würden.
Also: Diese Aerzte, aber auch alle anderen Kassen-
arzte, waren, falls sie wieder der unglückliche Zufall
traf, mehr als 36 Prozent Arbeitsunfähige unter ihren
Kassenkranken zu haben, vor die Wahl gestellt, ent-
weder ihre Kassenpraxis zu verlieren oder gegen
Ehre und Gewissen zu handeln und Kranke für
Arbeitsfähig zu erklären, die in Wirklichkeit a r -
« eitsunfähig waren. Der e i n z i g e R ü ck h a l t,
°en die Kassenärzte bis jetzt gegen ein derartiges Will-
kürregiment hatten, war dieVertrauenskommis-
>ion der ärztlichen Bezirksvereine. Und
mese Vertrauenskommission — deren Fortbestehen den
wichtigsten Punkt des von dem gegenwärtigen Vorsitzen-
Lwr des Kassenvorstandcs Herrn Kommerzienrat Dr.
Willmar Schwabe und Herrn Apotheker William Stein-
metz eigenhändig Unterzeichneten kassen-
Nztlichen Vertrages bildet, wurde von demselben
, o rstande in einem Rundschreiben voni 8. Februar
^01 für ausgehoben erklärt. Wenn der Vorstand
Ortskrankenkasse diesen offenkundigen Vertrags-
u ch nicht zurücknimmt, so geraten die Kassenärzte in
ös? vollkommenste Abhängigkeit vom Kassenvorstarid. Und
>unrr können sie die Kassenmitglieder nicht mehr so be-
^Ndeln, wie sie es als gewissenhafte Aerzte
möchten, sondern nur so, wie es der Kassenvor-
stand dekretiert, oder — sie müssen
gehen. Darum müssen sie mit aller Macht gegen
diesen offenkundigen Vertragsbruch kämpfen; darum
allein, nicht um pekuniären Vorteil zu erlangen, sondern
um derr Vorstand zur Zurücknahme dieses offenkundigen
Vertragsbruches zu zwingen, haben sie ihre kassenärztliche
Thätigkeit eingestellt, viele von ihnen mit der
Gefahr, ihre ganze Existenz zu verlie-
ren. Mitgliederder Ortskrankenkasse!
Dies ist der einzige Punkt, um den der Streit zwischen
dem Kassenvorstand und seinen Aerzten entbrannt ist."
Deutsches Neich.
— Der Unterstaatssekretär im Reichsschatzamt, Wirkl.
Geh. Rat Dr. Aschenborn, tritt am 1. August
in den Ruhestand.
— Die Vorgänge, die sich in Toulon und
Nizza abspielten, werden in Berlin mit der Ruhe und
Gelassenheit beobachtet, die das Publikum an den Tag
legt, wenn es im Theater einem Schauspiel beiwohnt,
das Wohl einige interessante Momente aufweist, aber im
Grunde doch kalt läßt, weil der ganze Gehalt des
Stückes kaum den kostspieligen und komplizierten Apparat
rechtfertigt, mit dein es in Szene gesetzt worden ist.
— In Deutsch-Südweftnfrika sind zwischen den B a-
st a r d - S t ä m m en , einer Mischrasse aus Kap-
Holländern und Hottentotten und der dortigen deut-
schen Verwaltung Streitigkeiten ausge-
brochen. Die Bastards galten bisher als das deutsch-
freundlichste eingeborene Element der Kolonie.
— Der frühere Gouverneur von Deutsch-Ostafrika,
Generalmajor v. Liebert, ist der „Deutschen Tagesztg."
zufolge durch Kabinetsordre vom 9. ds. mit der Führung
der 6. Division (Brandenburg) beauftragt worden.
Bonn, 12. April. Der Kaiser und der Kron-
prinz treffen am 24. April vormittags hier ein. Um
12 Uhr mittags findet in der Aula der Universität die
Immatrikulation des Kronprinzen in Gegen-
wart des Kaisers, des akademischen Senats und des ge-
samten Lehrkörpers statt.
Cronberg, 12. April. Die Königin von
England hat heute Vormittag zur Erinnerung an
ihren Besuch im Harke von Friedrichshof einen Baum
gepflanzt. Um 1 Uhr fand zum 35. Geburtstags-
feste der Prinzessin Adolf von Schaumburg-Lippe Früh-
stückstafel statt, woran auch Prinz Heinrich teilnahm.
Die Abreise der Königin von England ist auf morgen
Mittag 12 Uhr festgesetzt. Sie reist zuerst nach Frank-
furt, stattet dem Prinzen Friedrich Karl von Hessen einen
Besuch ab und fährt um Mitternackt nach London weiter.
Prinz Heinrich, dessen Familie morgen früh aus Jugen-
heim kommt, reist nachmittags mit derselben nach Kiel ab.
Baden.
— In der „Bad. Post" spricht sich H. B. (Professor
Baumeister) sehr günstig über den Erlaß der preußischen
Regierung inbezug aus die Wohnungsfrage aus. Er
knüpft daran den Wunsch, daß die preußische Staatsver-
waltung nun auch praktisch ein Vorbild geben möge.
Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben dem
italienischen Generalkonsul Otto Bornhansen in Mannheim
die Erlaubnis zur Annahme und zum Tragen des ihm verliehenen
Kommandeurkreuzes des Italienischen Kronordcns, dem Konsu-
latssekretär des Kaiserlichen Generalkonsulats in Konstantinopel,
Roman Heinrich Brün d el di- Erlaubnis zur Annahme und
zum Tragen des ihm verliehenen türkischen Medjidis Ordens 4.
Klasse erteilt, die Freiin Sophie von Rotberg zur Hofdame
der Großherzogin ernannt, den Vorstand der Gewerbeschule in
Rastatt, Rektor Eduard Kuhn und jenen der Gewerbeschule in
Wertheim, Rektor Wilh. Nuß, auf Ansuchen unter Anerkennung
ihrer lanpiöhrigm und treu geleisteten Dienste auf 1. Mai d. I.
und den Professor Gerhard Zutt am Gymnasium in Lörrach
auf sein Ansuchen bis zur Wiederherstellung seiner Gesundheit in
den Ruhestand versetzt.
— Die erledigte Bezirkstterarztstelle, in Bruchsal ist dem
Großh. Bezirkstierarzt Gustav Gehri in Buchen übertragen
worden.
Karlsruhe, 12. April. Gestern Vormittag empfing
der Großherzog den Präsidenten des Ministeriums des
Innern Geheimerat Dr. Schenkel zu längerem Vortrage.
Nachmittags begab sich die Großherzogin nach Baden,
zum Besuch der Prinzessin Wilhelm, von wo dieselbe abends
wieder hierher zurückkehrte. Im Laufe des gestrigen Abends
nahm der Großherzog verschiedene Vorträge entgegen. Der
Erbgroßherzog und die Erbgroßherzogin sind
in der Nacht vom Mittwoch zum Donnerstag von Kob-
lenz nach Abazzia abgereist. Heute Vormittag empfing der
Großherzog den Kommandierenden General des 14. Armee-
korps General der Kavallerie von Bülow und darnach den
Minister Dr. Buchenberger zur Vortragserstattung. Mittags
12 Uhr 41 Minuten kam Prinz Albrecht von Preußen,
Regent des Herzogtums Braunschweig, von Baden hier an.
Derselbe wurde von dem Großherzog am Bahnhof empfangen
und zum Großherzoglichen Schlosse geleitet, wo die Groß-
herzogin ihren Vetter freudig begrüßte. Die Rückkehr des
Prinzen nach Baden erfolgte nachmittags 4 Uhr 20 Min.
Der Großherzog gab demselben das Geleite zum
Bahnhof. Abends hörte Seine Königliche Hoheit der
Grobherzog den Vortrag des Legationsrats Dr. Seyb.
Ausland
Frankreich.
Paris, 12. April. Wie der „Gaulois" aus
Petersburg meldet, wird Minister Delcassck
dort am 22. April erwartet. Sein Aufenthalt sei
auf 6 Tage berechnet. Er werde mit Graf Lamsdorff
nicht nur über die o st a s i a t i s ch e n Angelegenheiten,,
sondern auch über die Orientfrage und verschiedene
europäische Fragen beraten.
Lens (Departement Pas-de-Calais), 12. April.
Der Bergarbeiterkongreß nahm einen Be-
schlußantrag an, worin die Altersrenten von mindestens
2 Franken täglich, ferner der Achtstundentag und gesetz-
sicher Mindestlohn verlangt werden.
Belgien.
Aus Brüssel wird berichtet: Me katholischen Pro-
fessoren der Universität Gent haben ein Ve h m g e r i ch t
gehalten über den Professor Renard, den berühmten
Geologen, der aus der katholischen Kirche ausgetreten
ist und sich verheiratet hat. Es wurde folgender Beschluß
gefaßt: „Da Herr Renard, früher Priester, mit der
Kirche gebrochen hat, angeblich, weil seine wissenschaft-
lichen Arbeiten dazu geführt haben; da die Ehe, die er
einging, trotz der feierlichen Schwüre, die ihn banden,
sowie sein erklärter Widerspruch zwischen Wissen und
Glauben geeignet sind, das gesamte Professorenkollegium
und die Universität selbst öffentlich herabzusetzen; da
ferner die katholischen Hochlehrer der Universität Gent,
wenn sie ferner im Amte verblieben, anscheinend mit
einem Kollegen praktieren würden, den sie unwürdig
erachten für die Besetzung eines Lehrstuhls — so er-
klären die Genannten, von der Universität sich zurück-
zuziehen und dem König ihre Entlassung einzureichen."
Brüssel, 12. April. Die Abendblätter melden: Der
Prior der Scheuter Misson teilte mit, die russische
Regierung weigere sich, 7 belgischen Missionaren, welche
kürzlich aus der Mongolei ausgewiesen wurden und dort-
hin am 12. April über Moskau zurückkehren sollten, die
Benützung der transsibirischen Bahn zu gestatten. Der
Prior schrieb diese Weigerung den in gewissen russische»
Städten vorgekommenen Ruhestörungen zu, sowie der durch
Tungfiihsiang in der Mongolei verursachten Erhebung.
Afrika.
— Eine Bestätigung der Kapstadter Meldung, daß
Botha die Friedensverhandlungen wieder
ausgenommen habe, liegt bis jetzt nicht vor. Die
„Times" vernimmt, sie sei unbegründ e t.
— Ein Telegramm Lord Kitcheners aus
Pretoria vom 11. besagt: Nach zweistündigem
Kampfe machte dre berittene Infanterie in der Nähe
von Dewetsdorp 80 Gefangene, darunter den Komman-
danten Bresta und Leutnant Sindyne von der Staats-
artillerie. Außerdem wurden acht Wagen erbeutet
^ Asien.
Colombo, 12. April. Das englische Thronfolger-
paar ist gestern früh an Bord des „Ophir" hier einge-
troffen.
Aus Stadt und Land.
Heidelberg, 18. April.
UU Luiseliheilanstalt, Man schreibt uns: In Anschluß an
die Debatte, welche über eine etwaige Erhöhung des städtische»
Beitrags an das Kindsrspital in der Bürgerausschußsitzung statt-
fand, die sich mit dem Voranschlag für 1901 beschäftigte, möchten wir
darauf Hinweisen, daß nach Ausweis des vorliegenden Fabres-
berichts der Anstalt für 1910 di. Mitgliedsbeitläge sehr niedrig er-
scheinen. Nicht nur der Kreis der Beitragenden dürfte sich er-
weitern lassen, sondern es müssen auch die wohlhabenden Geber
etwas tiefer in die Tasche greifen und ihre zum Teil den neue»
Verhältnissen und Bedürfnissen nicht mehr genügenden Beiträge
erhöhen Es wird dazu nun einer Persönlichen Hilfeleistung zahl,
reicher Freund- und Goüner bezw. Gonnerinnen der Anstalt be-
du fe" und es werden sich reiche Früchte zeigen. Würden Auf-
klärungen in der Presse und durch Rundschreiben vorangehen und
dann e.ne Beitrogseinziehung in ähnlicher Weise erfolgen wie
bei andern Vereinen, nicht durch Quittungsübersendung durch
einen Diener, sondern durch Venrauenspersonen — Herren und
s'cher auf ein wesentliches Anwachsen
der Beitrage rechnen können und der Anstalt die nötigen Mittel
Muhren. Es M sicher «ux Mangel an Erkenntnis der Not-
wendigkeit der Aufbesserung und Mangel an Einsicht in die ver-
aiiderten und erhöhten Anforderungen an die Anstalt daran
Schuld, daß die Beiträge zu spärlich fließen und, die Verwaltung
wird gebeten, unsere Vorschläge in Erwägung zu ziehen.
- ^ Herstellung des Heidelberger Kunstvereins. Treffen auch
I-de Woche einzelne neue Werke ein. so ist von Zeit zu Zeit
durch größere Zusendvng von Gemälden eine Umwälzung im«
hiesigen Kunstoerein notwendig. Heute zeigt die Ausstellung
wieder durch eine solche Umwälzung ein ganz neues Gepräge.
Mit seinem Herrenportrait hat Ioh. Marx (Heidelberg) einen
großen Fortschritt gemacht; dasselbe ist gut aufgefaßt und
Gastes Blatt.
43. Jahrgang. — üir. 86
Nnieiaenvreis: 20 Pfg. für die Ispaltige Petttzeile oder deren Raum. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermä
«nze, g np „nd den Plakatsäulen. - Fernsprech-Anschluß Nr
Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich SV Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 4V Pfg. Dur» die Post be-
i Me Zustellgebühr.
ermäßigt. — Anschlag der Inserate aus dm Plakattaseln der Heidelberger Zeitung
, 82.
Die Leipziger Sozialdemokraten.
In dem Leipziger Aerzte streik hat bekanntlich der
„Vorwärts", das führende Blatt der Sozialdemo-
kratie, den Aerzten gegen den sozialdemokratischen
Kassenvorstand Recht gegeben. Insbesondere hat er aner-
kannt, daß die Vertrauenskommisston der Aerzte schon vor
dem Krankenkassengcsetz bestanden hat und daß sie im Ver-
trag zwischen der Kasse und den Aerzten anerkannt ist.
Außerhalb Leipzigs macht es in den Kreisen der
Sozialdemokratie einen beklemmenden Eindruck, daß die
dortigen Genossen so aus der Rolle fallen und als Arbeit-
geber sich als ganz bösartige Tyrannen zeigen und alle
Parteigrundsätze, die sie als Arbeitnehmer verfechten, ein-
fach über Bord werfen.
Me „Frkf. Ztg." die zur Sozialdemokratie immer
sehr freundlich gestanden ist, fällt über die Leipziger ein
sehr ungünstiges Urteil. Stellt man, so schreibt sie,
hie dortigen Vorkommnisse der jüngsten Zeit zusammen,
so muß man zu der Ueberzeugung kommen, daß die
„Genossen" von Leipzig und Umgebung eine traurige
Gesellschaft find oder vielleicht richtiger: geworden sind,
unter dem Einflüsse einer Clique, die den Namen So-
zialismus schändet. Denn aller Sozialismus, mag er
Purer Marxismus, Bernsteinerei oder sonst was sein,
hat zur Voraussetzung, daß die, welche fich zu ihm be-
kennen, von einem starken Gemeinschaftsgefühl beseelt
sind, kleinlichen Egoismus unterdrücken und der Gerech-
tigkeit dienen. In gewissen Kreisen der Leipziger So-
zialdemokratie ist aber von alledem gerade das Gegen-
teil zu finden. Ihr Gemeinschaftsgefühls ist Sonder-
bündelei und Ignorierung von Parteibeschlüssen, ihr
Egoismus blüht, und Gerechtigkeit? Ei, die Leute ähneln
ja bereits den Ultramontanen, die Toleranz verlangen
und verweigern, je nachdem sie Minorität oder Majorität
find. Daß Macht korrumpiert, ist ein alter Erfahrungs-
satz. Die Sozialdemokratie hat verhältnißmäßig wenig
Macht, aber in Leipzig ist sie trotzdem schon so weit.
Sollte das ein Anzeichen dafür sein, daß diemoderne
Arbeiterbewegung ihren Höhepunkt
bereits überschritten habe?
Für die bürgerlichen Parteien bieten die Vorgänge in
Leipzig nichts Ucberraschendes. Sie bestätigen vielmehr das
Urteil derselben über die Sozialdemokratie. Das lächer-
liche Evangelium, wonach in den Kreisen, aus denen sich
die Sozialdemokratie rekrutiert, die menschlichen Tugenden
stärker ausgeprägt seien, als im Bürgertum, hat man dort
nie geglaubt. Die herrschende soziale Ordnung besteht
nicht von ungefähr; sie sondert die Bevölkerung doch im
Großen und Ganzen richtig nach ihrer moralischen und
intellektuellen Tüchtigkeit. So lange die Sozialdemokraten,
die Einzelnen wie die Partei, nicht Gelegenheit haben, zu
zeigen, was sie eigentlich sind und können, ist es für sie
leicht, sich als ideale Helden aufzuspielen. Wo sie aber
zur Macht gelangen, deren Besitz die „Franks. Ztg." als
korrumpierend bezeichnet, da sieht man sofort, daß sie
schneller und mehr durch den Machtbesitz „korrumpiert"
werden, wie das vielgcschmähte Bürgertum, das besser mit
der Macht Gerechtigkeit und Wohlwollen zu verbinden
weiß, wenn auch bei ihm gewiß Manches zu wünschen
übrig bleibt.
Den Kernpunkt des Streites in Leipzig deckt fol-
gender Aufruf der Kassenärzte an die Kassenmitglieder
auf. Als im Jahre 1900 infolge der großen Jnfluenza-
epidemie durch die Arbeitsunfähigkeit vieler Kassen-
mitglieder der Ortskrankenkasse zu Leipzig größere Aus-
gaben als früher entstanden waren, bestellte der Vor-
stand eine Anzahl Kassenärzte, deren arbeitsunfähige
Patienten mehr als 36 Prozent aller Kranken betrugen,
zu sich und teilte denselben mit, daß sie ihre Kassenarzt-
Stellen verlieren würden, falls sie wieder einen gleichen
Prozentsatz Mitglieder arbeitsunfähig schreiben würden.
Also: Diese Aerzte, aber auch alle anderen Kassen-
arzte, waren, falls sie wieder der unglückliche Zufall
traf, mehr als 36 Prozent Arbeitsunfähige unter ihren
Kassenkranken zu haben, vor die Wahl gestellt, ent-
weder ihre Kassenpraxis zu verlieren oder gegen
Ehre und Gewissen zu handeln und Kranke für
Arbeitsfähig zu erklären, die in Wirklichkeit a r -
« eitsunfähig waren. Der e i n z i g e R ü ck h a l t,
°en die Kassenärzte bis jetzt gegen ein derartiges Will-
kürregiment hatten, war dieVertrauenskommis-
>ion der ärztlichen Bezirksvereine. Und
mese Vertrauenskommission — deren Fortbestehen den
wichtigsten Punkt des von dem gegenwärtigen Vorsitzen-
Lwr des Kassenvorstandcs Herrn Kommerzienrat Dr.
Willmar Schwabe und Herrn Apotheker William Stein-
metz eigenhändig Unterzeichneten kassen-
Nztlichen Vertrages bildet, wurde von demselben
, o rstande in einem Rundschreiben voni 8. Februar
^01 für ausgehoben erklärt. Wenn der Vorstand
Ortskrankenkasse diesen offenkundigen Vertrags-
u ch nicht zurücknimmt, so geraten die Kassenärzte in
ös? vollkommenste Abhängigkeit vom Kassenvorstarid. Und
>unrr können sie die Kassenmitglieder nicht mehr so be-
^Ndeln, wie sie es als gewissenhafte Aerzte
möchten, sondern nur so, wie es der Kassenvor-
stand dekretiert, oder — sie müssen
gehen. Darum müssen sie mit aller Macht gegen
diesen offenkundigen Vertragsbruch kämpfen; darum
allein, nicht um pekuniären Vorteil zu erlangen, sondern
um derr Vorstand zur Zurücknahme dieses offenkundigen
Vertragsbruches zu zwingen, haben sie ihre kassenärztliche
Thätigkeit eingestellt, viele von ihnen mit der
Gefahr, ihre ganze Existenz zu verlie-
ren. Mitgliederder Ortskrankenkasse!
Dies ist der einzige Punkt, um den der Streit zwischen
dem Kassenvorstand und seinen Aerzten entbrannt ist."
Deutsches Neich.
— Der Unterstaatssekretär im Reichsschatzamt, Wirkl.
Geh. Rat Dr. Aschenborn, tritt am 1. August
in den Ruhestand.
— Die Vorgänge, die sich in Toulon und
Nizza abspielten, werden in Berlin mit der Ruhe und
Gelassenheit beobachtet, die das Publikum an den Tag
legt, wenn es im Theater einem Schauspiel beiwohnt,
das Wohl einige interessante Momente aufweist, aber im
Grunde doch kalt läßt, weil der ganze Gehalt des
Stückes kaum den kostspieligen und komplizierten Apparat
rechtfertigt, mit dein es in Szene gesetzt worden ist.
— In Deutsch-Südweftnfrika sind zwischen den B a-
st a r d - S t ä m m en , einer Mischrasse aus Kap-
Holländern und Hottentotten und der dortigen deut-
schen Verwaltung Streitigkeiten ausge-
brochen. Die Bastards galten bisher als das deutsch-
freundlichste eingeborene Element der Kolonie.
— Der frühere Gouverneur von Deutsch-Ostafrika,
Generalmajor v. Liebert, ist der „Deutschen Tagesztg."
zufolge durch Kabinetsordre vom 9. ds. mit der Führung
der 6. Division (Brandenburg) beauftragt worden.
Bonn, 12. April. Der Kaiser und der Kron-
prinz treffen am 24. April vormittags hier ein. Um
12 Uhr mittags findet in der Aula der Universität die
Immatrikulation des Kronprinzen in Gegen-
wart des Kaisers, des akademischen Senats und des ge-
samten Lehrkörpers statt.
Cronberg, 12. April. Die Königin von
England hat heute Vormittag zur Erinnerung an
ihren Besuch im Harke von Friedrichshof einen Baum
gepflanzt. Um 1 Uhr fand zum 35. Geburtstags-
feste der Prinzessin Adolf von Schaumburg-Lippe Früh-
stückstafel statt, woran auch Prinz Heinrich teilnahm.
Die Abreise der Königin von England ist auf morgen
Mittag 12 Uhr festgesetzt. Sie reist zuerst nach Frank-
furt, stattet dem Prinzen Friedrich Karl von Hessen einen
Besuch ab und fährt um Mitternackt nach London weiter.
Prinz Heinrich, dessen Familie morgen früh aus Jugen-
heim kommt, reist nachmittags mit derselben nach Kiel ab.
Baden.
— In der „Bad. Post" spricht sich H. B. (Professor
Baumeister) sehr günstig über den Erlaß der preußischen
Regierung inbezug aus die Wohnungsfrage aus. Er
knüpft daran den Wunsch, daß die preußische Staatsver-
waltung nun auch praktisch ein Vorbild geben möge.
Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben dem
italienischen Generalkonsul Otto Bornhansen in Mannheim
die Erlaubnis zur Annahme und zum Tragen des ihm verliehenen
Kommandeurkreuzes des Italienischen Kronordcns, dem Konsu-
latssekretär des Kaiserlichen Generalkonsulats in Konstantinopel,
Roman Heinrich Brün d el di- Erlaubnis zur Annahme und
zum Tragen des ihm verliehenen türkischen Medjidis Ordens 4.
Klasse erteilt, die Freiin Sophie von Rotberg zur Hofdame
der Großherzogin ernannt, den Vorstand der Gewerbeschule in
Rastatt, Rektor Eduard Kuhn und jenen der Gewerbeschule in
Wertheim, Rektor Wilh. Nuß, auf Ansuchen unter Anerkennung
ihrer lanpiöhrigm und treu geleisteten Dienste auf 1. Mai d. I.
und den Professor Gerhard Zutt am Gymnasium in Lörrach
auf sein Ansuchen bis zur Wiederherstellung seiner Gesundheit in
den Ruhestand versetzt.
— Die erledigte Bezirkstterarztstelle, in Bruchsal ist dem
Großh. Bezirkstierarzt Gustav Gehri in Buchen übertragen
worden.
Karlsruhe, 12. April. Gestern Vormittag empfing
der Großherzog den Präsidenten des Ministeriums des
Innern Geheimerat Dr. Schenkel zu längerem Vortrage.
Nachmittags begab sich die Großherzogin nach Baden,
zum Besuch der Prinzessin Wilhelm, von wo dieselbe abends
wieder hierher zurückkehrte. Im Laufe des gestrigen Abends
nahm der Großherzog verschiedene Vorträge entgegen. Der
Erbgroßherzog und die Erbgroßherzogin sind
in der Nacht vom Mittwoch zum Donnerstag von Kob-
lenz nach Abazzia abgereist. Heute Vormittag empfing der
Großherzog den Kommandierenden General des 14. Armee-
korps General der Kavallerie von Bülow und darnach den
Minister Dr. Buchenberger zur Vortragserstattung. Mittags
12 Uhr 41 Minuten kam Prinz Albrecht von Preußen,
Regent des Herzogtums Braunschweig, von Baden hier an.
Derselbe wurde von dem Großherzog am Bahnhof empfangen
und zum Großherzoglichen Schlosse geleitet, wo die Groß-
herzogin ihren Vetter freudig begrüßte. Die Rückkehr des
Prinzen nach Baden erfolgte nachmittags 4 Uhr 20 Min.
Der Großherzog gab demselben das Geleite zum
Bahnhof. Abends hörte Seine Königliche Hoheit der
Grobherzog den Vortrag des Legationsrats Dr. Seyb.
Ausland
Frankreich.
Paris, 12. April. Wie der „Gaulois" aus
Petersburg meldet, wird Minister Delcassck
dort am 22. April erwartet. Sein Aufenthalt sei
auf 6 Tage berechnet. Er werde mit Graf Lamsdorff
nicht nur über die o st a s i a t i s ch e n Angelegenheiten,,
sondern auch über die Orientfrage und verschiedene
europäische Fragen beraten.
Lens (Departement Pas-de-Calais), 12. April.
Der Bergarbeiterkongreß nahm einen Be-
schlußantrag an, worin die Altersrenten von mindestens
2 Franken täglich, ferner der Achtstundentag und gesetz-
sicher Mindestlohn verlangt werden.
Belgien.
Aus Brüssel wird berichtet: Me katholischen Pro-
fessoren der Universität Gent haben ein Ve h m g e r i ch t
gehalten über den Professor Renard, den berühmten
Geologen, der aus der katholischen Kirche ausgetreten
ist und sich verheiratet hat. Es wurde folgender Beschluß
gefaßt: „Da Herr Renard, früher Priester, mit der
Kirche gebrochen hat, angeblich, weil seine wissenschaft-
lichen Arbeiten dazu geführt haben; da die Ehe, die er
einging, trotz der feierlichen Schwüre, die ihn banden,
sowie sein erklärter Widerspruch zwischen Wissen und
Glauben geeignet sind, das gesamte Professorenkollegium
und die Universität selbst öffentlich herabzusetzen; da
ferner die katholischen Hochlehrer der Universität Gent,
wenn sie ferner im Amte verblieben, anscheinend mit
einem Kollegen praktieren würden, den sie unwürdig
erachten für die Besetzung eines Lehrstuhls — so er-
klären die Genannten, von der Universität sich zurück-
zuziehen und dem König ihre Entlassung einzureichen."
Brüssel, 12. April. Die Abendblätter melden: Der
Prior der Scheuter Misson teilte mit, die russische
Regierung weigere sich, 7 belgischen Missionaren, welche
kürzlich aus der Mongolei ausgewiesen wurden und dort-
hin am 12. April über Moskau zurückkehren sollten, die
Benützung der transsibirischen Bahn zu gestatten. Der
Prior schrieb diese Weigerung den in gewissen russische»
Städten vorgekommenen Ruhestörungen zu, sowie der durch
Tungfiihsiang in der Mongolei verursachten Erhebung.
Afrika.
— Eine Bestätigung der Kapstadter Meldung, daß
Botha die Friedensverhandlungen wieder
ausgenommen habe, liegt bis jetzt nicht vor. Die
„Times" vernimmt, sie sei unbegründ e t.
— Ein Telegramm Lord Kitcheners aus
Pretoria vom 11. besagt: Nach zweistündigem
Kampfe machte dre berittene Infanterie in der Nähe
von Dewetsdorp 80 Gefangene, darunter den Komman-
danten Bresta und Leutnant Sindyne von der Staats-
artillerie. Außerdem wurden acht Wagen erbeutet
^ Asien.
Colombo, 12. April. Das englische Thronfolger-
paar ist gestern früh an Bord des „Ophir" hier einge-
troffen.
Aus Stadt und Land.
Heidelberg, 18. April.
UU Luiseliheilanstalt, Man schreibt uns: In Anschluß an
die Debatte, welche über eine etwaige Erhöhung des städtische»
Beitrags an das Kindsrspital in der Bürgerausschußsitzung statt-
fand, die sich mit dem Voranschlag für 1901 beschäftigte, möchten wir
darauf Hinweisen, daß nach Ausweis des vorliegenden Fabres-
berichts der Anstalt für 1910 di. Mitgliedsbeitläge sehr niedrig er-
scheinen. Nicht nur der Kreis der Beitragenden dürfte sich er-
weitern lassen, sondern es müssen auch die wohlhabenden Geber
etwas tiefer in die Tasche greifen und ihre zum Teil den neue»
Verhältnissen und Bedürfnissen nicht mehr genügenden Beiträge
erhöhen Es wird dazu nun einer Persönlichen Hilfeleistung zahl,
reicher Freund- und Goüner bezw. Gonnerinnen der Anstalt be-
du fe" und es werden sich reiche Früchte zeigen. Würden Auf-
klärungen in der Presse und durch Rundschreiben vorangehen und
dann e.ne Beitrogseinziehung in ähnlicher Weise erfolgen wie
bei andern Vereinen, nicht durch Quittungsübersendung durch
einen Diener, sondern durch Venrauenspersonen — Herren und
s'cher auf ein wesentliches Anwachsen
der Beitrage rechnen können und der Anstalt die nötigen Mittel
Muhren. Es M sicher «ux Mangel an Erkenntnis der Not-
wendigkeit der Aufbesserung und Mangel an Einsicht in die ver-
aiiderten und erhöhten Anforderungen an die Anstalt daran
Schuld, daß die Beiträge zu spärlich fließen und, die Verwaltung
wird gebeten, unsere Vorschläge in Erwägung zu ziehen.
- ^ Herstellung des Heidelberger Kunstvereins. Treffen auch
I-de Woche einzelne neue Werke ein. so ist von Zeit zu Zeit
durch größere Zusendvng von Gemälden eine Umwälzung im«
hiesigen Kunstoerein notwendig. Heute zeigt die Ausstellung
wieder durch eine solche Umwälzung ein ganz neues Gepräge.
Mit seinem Herrenportrait hat Ioh. Marx (Heidelberg) einen
großen Fortschritt gemacht; dasselbe ist gut aufgefaßt und