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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Januar bis Juni)

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Nr. 1-26 (2. Januar 1901 - 31. Januar 1901)
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Mittwoch, 23. Januar 1901.

Grstes BlerLt.

XXXXlll. Jahrgang. — Air. 19.




Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich 50 Pfg. in's HauS gebracht, bei der Expedition zund^den -Zweigstellen abgeholt 40 Pfg.
zogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschließlich Zustellgebühr.
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und den Plakatsäulen. — Fernsprech-Anschluß Nr- 82.

Durch die Post bc-
Heidelberger Zeitung


Königin Victoria von England -s-.
Osborne, 22. Jan. Die Königin
ist heute Abend kurz nach halb 7 Uhr
verschieden.
Wir haben die Nachricht von dem Ableben der Königin
Victoria heute früh hier durch Verteilung von Extra-
blättern verbreitet.
Die Königin Victoria war am 24. März 1819 als
einziges Kind des 1820 verstorbenen Herzogs von Kent,
eines Sohnes von König Georg III. und der Prinzessin
Luise Victoria von Sacksen-Koburg (si 1861) geboren.
Nach dem Tode ihres Oheims, König WilhelmIV., bestieg
sie, für den Herrscherbcruf sorgfältigst erzogen, am 20. Juni
1837 den Thron, wurde ein Jahr danach feierlich gekrönt
Und vermählte sich aus wahrer Neigung mit ihrem Vetter,
dem Prinzen Albert von Sachsen-Koburg-Gotha (1840).
Sie regierte streng konstirutionell, wenn auch mehr und mehr
in konservativer Richtung. Seit 1861 Witwe, ließ sie sich
1877 als Kaiserin von Indien ausrufen. Königin Victoria,
die meist in Windsor. Osborne oder zu Balmoral Castle
in Schottland lebte, feierte mit großem Pomp 1897 ihr
60jähriges Regierungsjubuäum. Ihre noch lebenden Kinder
sind: Victoria, Witwe des Kaisers Friedrich, der
Prinz von Wales, Albert Eduard, der Erbe des
Thrones (geb. 1841, vermählt seit 1863 mit der Tochter
des Königs Christian IX. von Dänemark); Prinzeß
Helene (geb. 1846, vermählt mit dem Herzog Christian
von Schleswig-Holstein), Prinzessin Luise (geb. 1848,
vermählt mit dem Marquis of Lorne); Prinz Arthur,
Herzog von Connaught (1850), und Prinzessin Beatrice
(1857), vermählt mit Prinz Heinrich von Battenberg.
In ihrer außerordentlich langen Regierungszeit hat
die Königin Victoria Dutzende von Ministern kommen
Und gehen sehen; sie hat, unterstützt durch scharfen, natür-
lichen Verstand und eine tüchtige Vorbildung, einen sichern
Ueberblick über die politischen Angelegenheiten gehabt,
wenn sie auch, nach der Stellung, welche die Krone in
England entnimmt, eine persönliche Politik nicht machen
konnte; war sie doch sogar genötigt, Gladstone zum
Premierminister zu ernennen, der ihren lieben Disraeli ge-
stürzt halte und den sie persönlich durchaus nicht mochte.
Ein Rückblick auf das Leven der Königin wäre ein
Rückblick auf die letzten sechszig Jahre englischer Geschichte
Und würde viel zu weit führen. Hier sei nur hervorge-
lwben, daß die Regierungszeit der Königin Victoria Eng-
land auf dem Höhepunkt seiner Weltmachtstellung gesehen
hat. Das war in der Zeit nach dem Krimkrieg. In Ruß-
land hatte man damals vor England einen gewaltigen ^
Respekt. Deutschland spielte in der Politik noch eine
Untergeordnete, klägliche Rolle. So konnte England sich
her errungenen Höhe freuen. Seitdem ist vieles anders
geworden. Rußland und Deutschland sind mächtig voran-
geschrittcn. England hat mehrmals, um einen Konflikt mit
Rußland zu vermeiden, klein beigeben müssen. Der südafri-
kanische Krieg bedeutet unverkennbar ein Herabgleiten
Englands.
Die Königin Victoria ist die Großmutter unseres
Kaisers, das wollen wir, wenn wir an die Dahingeschie-
vene denken, nicht vergessen; wir wollen auch nicht ver-
gessen, daß unser Kaiser einen guten Teil seiner starken
geistigen Begabung von mütterlicher Seite hat.
Populär ist die Königin in Deutschland nie gewesen,
Und doch war sie am britischen Hofe die größte Freundin
Deutschlands. Mit ihr geht eine Aera zu Ende, in welcher
uw britischen Hofe deutschen Interessen die wohlwollendste
Beachtung gewidmet wurde. Der Einfluß des Prinz-
gemahls, dem die königliche Witwe ein Menschenalter hindurch

eine fast rührende Treue bewahrt, ist hierin unverkennbar.
Dafür spricht die Anwesenheit eines deutschen Privat-
sekretärs, der stets zu der Umgebung Ihrer Majestät
gehörte, sowie die wohlwollende Gesinnung der Königin
vielen der in England lebenden Deutschen gegenüber. Der
Königin Victoria, die an Lebensdauer und Regierungszeit
den höchsten Record in England erzielt hat, wird von den
Engländern ohne Zweifel eine freundliche und dankbare
Erinnerung bewahrt werden. Man wird im britischen
Reiche später vermutlich noch oft von der guten Zeit, da
Victoria Königin war, sprechen. Deutschland wird sich
nichts vergeben, wenn es an diesen Gefühlen der Eng-
länder freundlichen Anteil nimmt; es bleiben genug
englische Gefühlsregungen übrig, an denen ein Deutscher
keinen Anteil haben möchte.


Der neue König von England.
Auf den Thron Englands steigt nach dem Ableben der
Königin Victoria deren ältester Sohn Eduard, der als
Kronprinz bisher den Titel Prinz von Wales trug. Der
neue König von England steht im 60. Lebensjahr, hat da-
her Zeit gehabt, sich die Hörner abzulaufen. Er hat dazu
auch viel Zeit nötig gehabt, wie man weiß. Sein Lebens-
wandel ist durchaus nicht mustergiltig gewesen. Muster-
giltig war der Prinz von Wales bisher nur auf dem
Gebiet der Mode. Es gab Zeiten, in denen man in
England sagte, der Prinz werde der Totengräber der
englischen Königswürde sein. Heute hört man derartige
Befürchtungen zwar nicht mehr aussprechen, aber daß
man dem jetzigen König mit besonderem Vertrauen ent-
gegen sähe, kann auch durchaus nicht behauptet werden.
Eher herrscht eine gewisse Neugierde, wie er sich im Besitz
des königlichen Vermögens und der königlichen Würde
wohl ausnehmen werde. Manchmal ist die Welt in ähn-
lichen Fällen schon angenehm enttäuscht worden; hoffen
wir, daß dieser Fall auch hier eintrete.

Deutsches Reich.
— Einen stürmischen Verlauf nabm eine am 21. ds.
in Berlin abgehaltene Zionisten-Bersammluug, welche
zu dem geplanten Judentag Stellung nahm. Nach-
dem eine Anzahl von Freunden und Gegnern des Juden-
taqes gesprochen hatten, wurde um 1 Uhr morgens mit
allen gegen 12 Stimmen eine Resolution angenommen,
daß 700 jüdische Glaubensgenossen die Abhaltung eines
Judentages für wünschenswert erachten, dem die Auf-
gabe zufalle, die bedrohten Rechte der Juden zu schützen
und zur Neubelebung der Zusammengehörigkeit und des
Selbstbewußtseins beizutragen.
Deutscher Reichstag. Berlin, 22. Jan. Fortsetzung
der Beratung des Etats des Retchsamts des
Innern.
Geheimrat Meißner bestreitet die gestrige Behauptung des
Abg. Sachse, daß in dem Bergbaubetriebe die Zahl der Unfälle
von Jahr zu Jah^ gestiegen wäre.
Abg Horn (Lwz.) bespricht nochmals die Lage der Arbeiter
in den sächsischen Glasschleifereien und der Porzellandreher.
Abg. Pauli (Antis.) bekundet dem Grafen Posadowsky sein
Vertrauen und polemisiert dann gegen die sozialdemokratischen
Redner, wobei er den Arbeitern die Organisierung in christlichen
Arbeitervereinen empfiehlt.
Abg. Münch-Ferber (natl.) begründet eine Resolution um
Errichtung einer Zentralouskunftsstelle für Fragen der
Landwirtschaft, des Handels und des Gewerbes.
Staatssekretär Graf Posadowsky wendet sich gegen die
üeuliche Bemängelung der Darstellung über die deutsche Arbeiter-
wohlfahrt auf der Pariser Ausstellung und äußert sich entgegen-
kommend zur Resolution Münch.
Abg. Alb recht (Soz.) spricht über die Lage der Konfektions-
arbeiter und greift Hitze wegen seiner Ausführungen über die
Gewerkschaften an.

Abg. Blell (freist Vp.) äußert sich im Sinne der Anregung
von Münch. Von Voll mar (Soz.l kritisiert gegenüber den
Hitze'schen Ausführungen das bisherige widerspruchsvolle Verhal-
ten des Zentrums, das sich stets als konfessionelle Partei gefühlt
und das vor allem die Mitschuld an der ungenügenden sozial-
politischen Gesetzgebung habe. Die katholischen Arbeiter-
organisationen seien als Gegenorganisationen gegen die freien
Gewerkschaften geschaffen worden. Nur das zunehmende Klasscn-
bewußtsein der Arbeiter habe dann auch ihren Charakter geändert.
Redner beschäftigt sich zum Schluffe mit der Arbeiterfreundlichkeit
des Staatssekretärs.
Abg. Hitze (Zentr.) erwidert auf die Angriffe der sozial-
demokratischen Redner und nimmt für seine Partei in Anspruch,
daß sie den sozialpolitischen Fortschritt möglichst zu fördern ge-
sucht habe.
Abg. Müller-Sagan (Freist Vp.) erklärt, daß seine Partei
den Antrag Fischer aus formellen Gründen ablehne, aber ohne
der Ablehnung etwa die Deutung eines Vertrauensvotums geben
zu wollen.
Darauf vertagt sich das Haus auf morgen 1 Uhr. Anträge
über die Wohnungsreform.
Baden.
* Dem Zwei Sterne-Mann des „Beob." sticht ein Wort
unangenehm in die Nase, das wir kürzlich in Bezug auf
die Haltung der linksliberalen Neuen Bad. Landesztg.
brauchten. Freundnachbarlich nannten wir sie. Wir
haben das Wort mit gutem Bedacht gewählt, denn es ist,
wie wir glauben, sehr geeignet, die gegen früher veränderte
politische Situation, soweit sie sich in der Presse ausspricht —
und dort wird sie am frühesten kund — zu kennzeichnen. Der
Zwei Sterne-Mann scheint es nicht sür erwünscht zu halten,
das Wort aufzunehmen und direkt an dasselbe seine Be-
trachtungen, seine Einfälle und Ausfälle zu knüpfen, worin
er doch sonst nicht träge ist; aber daß ihm das Wort un-
angenehm ist, das zeigt er dadurch, daß er es, einmal mit
Anführungszeichen einmal ohne, gegen die linksliberalen
Blätter, insbesondere gegen das genannte Mannheimer
Organ, verwendet. Die Diplomatie des Zentrumsführers
geht seil längeren Jahren dahin, alle Parteien in seinem
Gefolge zu vereinigen. Freisinnige, Demokraten, Anti-
semiten, Sozialdemokraten, sie alle sollen dem Zentrum
helfen, den gemäßigten Liberalismus niederzudrücken. Es
ist nicht zu leugne», daß das Zentrum mit dieser Politik
einen gewissen Erfolg gehabt hat — ein Satz, den der
„Beob." gewiß fett drucken wird, wenn er ihn aus der
„Heidelb. Ztg." übernimmt — allein darin liegt die große
Selbsttäuschung des Zentrums, daß cs im Verein mit
den genannten andern Parteien eine herrschende
Stellung gewinnen oder einnehmen zu können meint. Denn,
so wie sich nur von weitem diese Möglichkeit zeigt, dann
müssen die andern Parteien ihrer Naiur nach dem
Zentrum die Freundschaft kündigen. Den Linksliberalen
ist es schon seit einiger Zeit neben dem Zentrum recht
unbehaglich. Der „Militarismus* zieht bei den
Freisinnigen selbst nicht mehr, andererseits sehen sie, daß
das Zentrum heute die Militärforderungen ebenso bewilligt
wie die Nationalliberalen. Und was die Reaktion anbetrifft,
so sind die Linksliberalen durchaus nicht mehr im Zweifel,
von welcher Seite her eine solche droht. Insbesondere
jetzt, da die nationalliberale Partei sich mit Entschiedenheit
für die direkte Wahl ausgesprochen hat, ist die Stimmung
in freisinnigen Kreisen — nicht nur bei der Neuen Bad.
Landesztg. — wie aus diesen selbst versichert wird und
wie es ja auch auf der freisinnigen Laudesversammlung aus-
gesprochen worden ist, gegenüber der natioualliberalen
Partei freundlicher geworden. Wer sich erinnert, wie das
Zentrum auf die Verschärfung des Gegensatzes zwischen
nationalliberal und freisinnig hingearbeitet hat, wie es den
Freisi-'n zu stärken suchte, um den Nationalliberalismus
zu stürzen, der wird dies neue Moment nicht unbeachtet
lassen. — Wie unangenehm der Zentrumsleitung der sich
vorbereitende neue Stand der Dinge ist, davon zeugt
die folgende, in der heutigen Nummer des „Beob.* gegen
die „Neue Bad. Landesztg." geschleuderte Bombe:
Und wer sind die Herren von der Art der „N. Bad. Ldsztg."
im politischen Leben? Nullen gestern, Nullen heute, National-
liberale morgen. Darnach möge man ermessen, wie sehr die
Schreckensbotschaft von der „Neuen Bad. LdSztg." her im
Zentrumslager Anschlägen wird.
Bayern.
München, 20. Jan. Der katholische Seel-
sorgervercin in Bayern, der die Berufsinteressen des
Priesterstandes vertreten will, ist, wie bereits gemeldet
wurde, vom Bischöfe von Speyer unterstützt, in den Diö-
zesen der augenscheinlich um ihr strenges Kirchenregiment
besorgten Bischöfe von Passau und Eichstätt dagegen ver-
boten worden. Unter der Vermittlung des dem Verein
wohlgesinnten Erzbischofs von Bamberg scheint jetzt eine
Vereinbarung dahin erzielt worden zu sein, daß sich der
Verein der Aussicht der Bischöfe unterwirft, sodaß von einem
Unbequemwerden dieser so eigenartigen Gründung ferner
wohl nicht mehr die Rede sein kann.
 
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