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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Januar bis Juni)

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Nr. 101 - 125 (1. Mai 1901 - 31. Mai 1901)
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Freitag, 3. Mai Ml.

Erstes Blatt.

43. Jahrgang. — 8r. 103.

Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich SO Pfg. frei in's HauS gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post be-
zogen vierteljährlich 1.3S Mk. ausschließlich Zustellgebühr.
Anzeigenpreis: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Anschlag der Inserate ans den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung
und den Plakatsäulen. — Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

d. Ein Wendepunkt in China.
Die Bedeutung des letzten siegreichen Gefechts, das
die tapferen deutschen Trnppen den Banden des
Schwarzflaggen-Generals Liu an der Großen Mauer
lieferten, ist, soweit wir gesehen haben, in der deutschen
Presse noch nicht genügend gewürdigt worden. General
Liu ist einer der fähigsten chinesischen Heerführer und
war der Befehlshaber jener Schwarzflaggen,
welche den Franzosen in Tonkin im Jahre 1884 so ver-
derblich wurden und dem Siege über die französischen
Truppen damals zum Sturze des Ministerpräsidenten
Ferry führten. Wenn es dem deutschen Kontingente ge-
lungen ist, über General Liu einen nachhaltigen Sieg zu
erringen, so hat sich hier deutsche Tapferkeit und Dis-
ziplin aufs neue bewährt. Im klebrigen scheint jetzt ein
Wendepunkt in der Chinafrage insofern eingetreten zu
sein, als Feldmarschall Graf Waldersee mit dem Führer
der verbündeten Truppen die Zurückziehung der
Streitkräfte aus der Provinz Petschili ernstlich in
Erwägung zieht. Die Amerikaner und Franzosen haben
ja schon seit längerer Zeit nicht mehr mitthun wollen,
und wenn jetzt wirklich eine Vereinbarung zustande
kommt, welche die Zurückziehung der Truppen ermög-
licht, so würde man zunächst in Washington und Paris
große Genugthuung darüber empfinden, aber auch wir
in Deutschland haben Ursache, die baldige Heim-
kehr unserer Truppen herbeiznwü n s ch e n. sie
haben in China ihre Pflicht und Schuldigkeit gethan
und der deutschen Wassenehre neue Lorbeeren hinzu-
gefügt; das wird von aller Welt anerkannt. Allerdings
ist in der letzten Zeit, namentlich von englischer Seite,
versucht worden, den Deutschen eins am Zeuge zu flicken
durch die Verbreitung von Meldungen über Grausam-
keiten, die deutsche Truppen angeblich gegen wehrlose
Chinesen begangen haben sollen, und über die disziplin-
lose Haltung der Deutschen bei der letzten Expedition
nach der großen Mauer. Aber diese Gehässigkeiten, mit
denen unsere Vettern jenseits des Kanals von Zeit zu
Zeit uns zu ärgern versuchen, haben alsbald durch kate-
gorische Widerlegung seitens des deutschen Oberkom-
mandos in China eine scharfe Zurückweisung gefunden.
Eine Auslösung der vereinigten Truppenmacht wäre
schon um deswillen mit Befriedigung zu begrüßen, weil
es sich gezeigt hat, daß ein Zusammenwirken auf die
Dauer doch nicht durchgeführt werden könnte. Die In-
teressen der Mächte in China gehen zu weit auseinander,
um ans lange Zeit ein harmonisches Nebeneinanderwir-
ken ihrer Truppen zu ermöglichen. Es war ein anderes
auf Kreta, wo die Mächte sich über ihre Ziele und Zwecke
verständigen konnten, aber auch dort zeigte es sich, welche
Schwierigkeiten es hat, wenn die Mächte über große
auswärtige Fragen an einem Strange ziehen sollen.
Und ein nicht minder lehrreiches Beispiel dafür bildet
das Vorgehen der Mächte gegen die Türkei überhaupt!
^Bis jetzt haben sich die anfangs gefürchteten Rück-
wirkungen aus den chinesischen Verwickelungen auf das
Verhältnis der Mächte in Europa allerdings nicht er-
geben, aber als bittere Erfahrung für die Diplomatie
bleibt doch übrig, daß Amerika von vornherein sich zu-
rückzog und daß Rußland und Frankreich, unbekümmert
Um das Vorgehen der anderen Staaten, Arm in Arm
ihre Sonderinteressen verfolgten, daß man sich dem
deutschen Oberbefehle nur notgedrungen fügte und an-
fangs allerlei Versuche machte, Deutschland auf dem chi-

nesischen Kriegsschauplätze zu isolieren. Wenn jetzt die
Mächte über die schwierige Frage der Entschädigung,
die China zahlen soll, eine Einigung erzielen, wie er-
wartet werden darf, so ist damit und mit der Beruhigung
der Provinz Tschili die schwerste Aufgabe für den Augen-
blick gelöst. Das weitere muß dann allerdings der chine-
sischen Regierung überlassen bleiben. Es ist aber frag-
lich, ob die Mächte, nachdem sie im Reiche der Mitte
keine besonders ermutigenden Erfahrungen gemacht
haben, in Zukunft noch einmal Lust zeigen werden zu
einem gemeinsamen Zusammenwirken in jenem fernen
Erdteil. _
Zur politischen Lage in Prerchen.
Berlin, 2. Mai. Unter dem Vorsitz des Reichs-
kanzlers und Ministerpräsidenten Grafen v. Bülow fand
heute im Reichskanzlerpalais eine vertrauliche Be-
sprechung der preußischen Staatsminister statt.
Auf morgen ist gemeinsame Sitzung beider Häuser
des preußischen Landtages anberaumt.
(Es darf wohl angenommen werden, daß die Mit-
glieder beider Häuser des preußischen Landtags zu einer
gemeinsamen Sitzung einberufen worden sind, um eine
Botschaft des Königs entgegenzunehmen. Nach Lage
der Dinge kann diese Botschaft sich nur auf die Kanal-
frage beziehen. Die preußischen Konservativen zeigen sich
in dieser wichtigen Kulturangelegcnheit so unvernünftig
bockbeinig, daß zu wünschen wäre, es würde ihnen ein
ordentlicher Denkzettel zuteil. Sollte Parlamentsauflösung
und eine Neuwahl unter der Parole: für die Kanalvorlage
in Aussicht gestellt werden, dann würde mancher Konserva-
tive, der aus der Kanalgegnerschaft seinen Sport macht,
sich vielleichl doch noch besinnen, ehe er definitiv nein sagt.)

Deutsches Neich.
— Die Kommission des Reichstags für
den Antrag betr. Anwcsenheitsgclder hat mit 11 gegen
3 Stimmen folgende Fassung des Antrags beschlossen:
„Die Mitglieder des Reichstags erhalten aus Reichs-
mitteln während der Legislaturperiode, und zwar solange
der Reichstag versammelt ist, sowie acht Tage vor Er-
öffnung und acht Tage nach Schluß derselben freie
Fahrt auf den Eisenbahnen und für die
Dauer ihrer Anwesenheit in Berlin Anwesen-
heitsgelder in Höhe von 20 Mark für den
Tag. Der Anwesenheit in Berlin steht es gleich, wenn
der Abgeordnete durch Arbeiten für den Reichstag ver-
hindert ist, in Berlin anwesend zu sein. Von den An-
wesenheitsgeldern werden die Tagegelder abgerechnet,
die ein Mitglied des Reichstages in seiner besonderen
Eigenschaft als Mitglied eines deutschen Landtages für
dieselbe Zeit bezieht. Die Bedingungen der Fest-
setzung und Zahlung der Anwesenheitsgelder unterliegen
der Vorschrift des Reichstagspräsidenten." Der Antrag
der Kommission soll möglichst bald im Plenum verhan-
delt werden. Die Vertreter der Fraktionen werden sich
im Plenum auf kurze Erklärungen beschränken.
— Generaladjutant von Hahnke wurde zum
Gouverne ur von Berlin und

Ober st kommandierenden in den Mar-
ken ernannt. Generalmajor Graf Hülsen-Häseler wurde
zum Chef des Militärkabine ts und Vor-
tragenden Generaladjutanten ernannt. — Der bis-
herige Gouverneur von Berlin, General v. Boms-
dorff, wurde unter Stellung L IL suite des 26«
Infanterieregiments mit Pension zur Disposition ge-
stellt.
— Graf Waldersee meldet aus Peking vom
1. Mai: Nach den jetzt dem Oberkommando vorliegenden
Berichten beträgt der Gesamtverlust in den Gefechten
am 23. und 24. April. Leulnant Dawellow und 7 Mann
tot, davon 2 beim Fouragiercn von Eingeborenen erschlagen,
2 bei einer Pulverexplosion verunglückt, Leutnant Richert
vom 1. Regiment und 12 Mann schwer verwundet,
Major v. Mühlenfels vom 1. Regiment, Leutnant Düster-
berg vom 3. und Leutnant Koch vom 4. Regiment und
34 Mann leicht verwundet. Oberst Hoffmeister durch
Absturz verletzt. Erbeutet wurden 18 Schnellfeuergeschütze
und eine große Anzahl Geschützrohre alter Konstruktion.
Potsdam, 2. Mai. Der Kaiser traf um 8 Uhv
mittels Sonderzuges von Wildparkstation hier ein und!
begab sich mit den Herren seiner Umgebung zu Pferds
nach dem Bornstädter Felde, um, wie immer am Tags
von G r o ß g ö r s ch en (2. Mai 1813 Schlacht der Ver-
bündeten Preußen und Russen gegen Napoleon I.) dis
Besichtigung der Bataillone des 1. Garderegiments undj
der Lehr-Jnfanteriebataillone vorzunehmen. Auf deml
Felde fanden sich die Prinzen Friedrich Heinrich von
Preußen und Johann Georg von Sachsen, sowie dis
Herren aus dem Hauptquartier, die fremdherrlichen
Offiziere und die Generalität ein. Nachdem der Kai-
ser die Front der aufgestellten Bataillone abgeritten
hatte, erfolgte Parademarsch, sowie Vorexerzieren dev
einzelnen Bataillone, sodann ein größeres Gefecht im
Feuer, das sich bis 1 Uhr ausdehnte. Es waren dazu
das Garde-Jäger-Bataillon, die Unteroffizierschule, das
Regiment Gardes-du-Korps, das Leibgarde-Husaren-
Regiment und das zweite Garde-Feldartillerie-Regiment
hinzugezogen worden.
Deutscher Reichstag. Berlin, 2. Mai. Auf der
Tagesordnung steht der Gesetzentwurf über die privaten
Versicherungsunternehmungen.
Auf den Antrag des Abg. Büsing (natl.) wird der Entwurf
in dritter Beratung sn dloo angenommen.
Es folgt die Fortsetzung der Beratung über das Ur-
heberrecht.
Abg. Esche (natl.) beantragt bei § 33 die Wiederherstellung
der Regierungsvorlage, d. h. die Verlängerung der Schutzfrist voa
30 auf 50 Jahre. Eine liefe Beschämung müsse den Reichstag
ergreifen, wenn man erwäge, wie die Komponisten hier behandelt
worden seien, diejenigen Männer, die dem Volke mit das Größte
und Beste gegeben hätten.
. Abg. Richter (freis. Volksp) führt aus, der Musikring sei
die eigentliche treibende Kraft zur Erhöhung der Schutzfrist. Es
sei eine vollständig falsche Darstellung sowohl seitens des Staats,
sekretärs als auch des Abg. Esche gegeben worden. Der Verein
deutscher Musikalienhändler und der allgemeine deutsche Musik-
verein thaten sich 1898 zu einer Zentralanstalt der Musik zu-
sammen. Nun sagt der Staatssekretär: Herr v. Hasse wollte
das Heft in der Hand behalten, daran sei die Sache gescheitert.
Das ist von Anfang an unrichtig. Der Vorstand sollte aus 4
Verlegern und 4 Komponisten bestehen. Darauf wurde eine be-
sonde te Genossenschaft der Komponisten gegründet, und schließlich

Kleine Zeitung.
— Posen, 30. April. Der Fall, daß ein OOjähriger
Lehrer von einem 83jährigen Schüler an seinem Ge-
burtstage beglückwünscht wird, hat sich dieser Tage in dem
Vororte Prinzeuthal bei Bromberg zugetragen. Wie die
Preußische Lehrerztg. schreibt, war das 90-jährige Geburts-
tagskind der emeritierte Lehrer Retzlaff und der Gratulant
sein ehemaliger Schüler, der 83-jährigs Lehrer Käding in
Vromberg, der, weil er sich seit einiger Zeit leidend fühlt,
diesmal nur einen schriftlichen GeburtStagswunsch ein-
gesandt hatte.
— Paris, 2. Mai. Die Polizei verhaftete gestern
Abend zwei Engländer, namens Miller und Edwards,
tvelche vor einigen Tagen einen Einbruchsdieb-
stahl bei der hiesigen amerikanischen Expreßkompagnie
bericht und deren eiserne Kasse mittels Dynamit
Sesprengt haben. In der Wohnung Millers, eines Fri-
seurgehilfen, wurden mehrere Dynamitpatronen ge-
sunden.
— Oberst Picquart, der bekannte Dreyfus-Verteidiger,
dringt sich durch die Erzählung einer reizenden Episode
aus den Tagen seiner Untersuchungshaft nach längerem
Schweigen in Erinnerung. Der Untersuchungsoffizier
Tavernier, so erzählter,hielt ihm als „gravierenden Umstand"
bvr, daß er aus Tunis an einen Pariser Kunstfreund in
vereinbarter Sprache geschrieben habe. „Aber niemals!"
sagte Picquart. „Leugnen Sie nicht", rief ihm Tavernier
^vtgegen, „Sie schreiben von einem Maler Böcklin, der
Niemals existiert hat, von einem Baseler sogenannten heiligen

Hain, der offenbar ein verdächtiger Rendezvousort gewesen,
denn daß Basel ein altes Spiouennest ist, wissen wir!"
Picquart ließ den Bädeker aufschlagen und bewies, daß
Böcklin nicht wie Tavernier zu meinen schien, ein an-
genommener Name für den deutschen General von Bock sei
und der „heilige Hain" nicht den nächst dem Berliner
Tiergarten hausenden großen Gcmralstab bedeute. Bädeker
— so schließt Picquart — rettete mich vor der Teufelsinsel.
— Die Königin Wilhelmina von Holland wird, wie
nunmehr seststeht, am Donnerstag, 9. Mai, an der Seite
des Prinzgemahls Heinrich der Niederlande ihren feierlichen
Einzug in Schwerin halten. Während ihres für einige
Wochen berechneten Aufenthaltes daselbst wird das König-
liche Paar in Schloß Rabensteinfcld, der Sommerresidenz
der Großherzogin Marie, Wohnung nehmen. Nach der
Rückkehr von der Schweriner Reise werden die niederlän-
dischen Herrschaften nach Schloß Het Loo im Haag zurück-
kehren und für den Rest des Sommers keinerlei Reisen
mehr unternehmen.
— Konstantinopel, 2. Mai. Bakteriologisch wurde
sestgestellt, daß ein verdächtiger Krankheitsfall in Galata
eine Pest e rkra nkung war.
— Die spanischen Stierkämpfer legen die Arbeit nieder!
Die Streiklust ist in Spanien jetzt so allgemein, daß sie
in letzter Zeit sogar die Stierfechter ergriffen hat. Vor
einigen Tagen erklärten die Picadores (Lanzenkämpfer)
den Streik, letzlhin nun auch die Banderilleros (Wurf-
pfeilkämpfer). Sie behaupten, daß die Espadas kolossale
Honorare bezögen, während ihre Untergebenen, deren Ar-

beit fast ebenso gefährlich sei, ganz bescheidene Löhnung
erhielten. So verlangen sie denn, daß jene ihnen von
diesen Honoraren den größeren Teil abtreten. Die Espadas
aber weigern sich, so daß bereits vielfach Stierkämpfe aus-
fallen mußten. In den Kreisen der Stierkampffanatiker
ist man außer sich! So etwas war noch garnicht da!
Es giebt eben keine Idealisten mehr — auch unter den
Stierkämpfern . . . .
— Drahtlose Telegraphie im Sudan. Das Mar-
conisystem der drahtlosen Telegraphie ist mit gutem Er-
folge eine Zeit lang in den Gegenden zwischen Wady
Haifa und Chartum im Sudan erprobt worden. Die
Versuche werden jetzt südlich von Chartum weitergeführt«
Lord Cromer giebt in seinem letzten Bericht an, die
drahtlose Telegraphie werde, wie man annehmen dürfe,
gebraucht werden können, um die Verbindungen zwischen
Uganda und dem entferntesten Punkte südlich von Char-
tum, bis zu dem der Telegraph jetzt gelegt ist, aufrecht
zu erhalten. Es ist auch wahrscheinlich, daß die Nil-
dampfer mit einem Marconi-Apparat ausgestattet
werden.
— Der verschluckte Knochen. Ein junger Mann
suchte kürzlich die Unfallstation in der Badestraße in
Berlin auf, er gab an, daß er seit kurzem fürchterliche
Schmerzen erleide, ohne daß er die eigentlichen Ursachen
ergründen könne. Bei der ärztlichen Untersuchung stieß
man sofort auf einen harten Körper, der sich bei genauer
Besichtigung als Knochenstück ergab. Die Entfernung
desselben gelang nach anfänglichen Schwierigkeiten in
kurzer Zeit. Es handelte sich um ein Knochenstück von
 
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