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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Januar bis Juni)

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Nr. 51-76 (1. März 1901 - 30. März 1901)
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Erstes Blatt.

43. Jahrgang. — str. 56

Donnerstag, 7. März 1901.


Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich SO Pfg. in's Haus gebracht,! bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg.DDurch die Post.be-
zogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschließlich Zustellgebühr.
Anzeigenpreis: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Anschlag der Inserate aus/den Plakattafeln der Heidelberger'Zeitung
und den Plakatsäulen. — Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Wochen-Chronik.
(Vom 24. Februar bis zum 2. März.)
Febr. 24.: Die Eng l änd er haben der ins Kapland einge-
drungenen Buren schar unter De Wet einigen
Abbruch gethan.
„ LS.: König Edu ard von England trifft zum Besuch
der Kaiserin Friedrich in Cronberg ein. Bis Frank-
furt war ihm der deutsche Kaiser entgegengefahren.
„ 26.: Der frühere badische Minister des Innern v. Stoesser
stirbt.
27.: Dem Bundesrat geht eine neue Chinavorlage
zu; durch dieselbe wird ein Nachtragskredit von
120 Millionen gefordert.
„ 27.: In Peking sind die beiden Würdenträger Chi Husin
und Hsutschengyu, dem Verlangen der Mächte ent»
sprechend, hingerichtet worden.
„ 28.: Ein russisches Börsenblatt spricht anscheinend
offiziös recht scharf gegen eine etwaige Erhöhung
der deutschen Getreidezölle.
„ 28 : Der russische Unterrichtsminister wird von
einem ehemaligen Studenten angeschossen und
erheblich verwundet.
März 1.: Englische Zeitungen erzählen, daß die verschleierte
Annexion der M a n t s ch u r e i durch Rußland
auf. den Einspruch der Mächte stoße.
„ 2.: Es verlautet mit wachsender Bestimmtheit, daß
Botha in Unterhandlungen mit Kitchener
getreten sei. _
Versuchtes Attentat auf den Kaiser.
Berlin, 7. März 1901, nachts halb 2 Uhr.
Während der Fahrt vom Ratskeller nach dem
Bahnhof in Bremen wurde nach dem kaiser-
lichen Wagen von einem sofort verhafteten
angeblichen Arbeiter Dietrich Weiland
ein Eisenstück geworfen, von dem der Kaiser
an der Wange leicht getroffen sein soll. Der
Kaiser setzte seine Fahrt ohne Unterbrechung
fort. Weiland ist Epileptiker und giebt ver-
worrene Antworten.

Ein Telegramm der „Franks. Ztg." beschreibt den Vor-
gang wie folgt:
„Bremen, 7. März. Als der Kaiser den Ratskeller
derlassen hatte, warf ein neunzehnjähriger Bummler,
Namens Weiland, ein Eisenstück, anscheinend einen Tchür-
Nschlag, gegen ihn und traf ihn unterm rechten
Nuge. Der Kaiser bemerkte nach der „Weser-Zeitung"
Ne blutende Wunde erst bei der Ankunft auf dem Bahn-
hof. Die Verwundung ist also anscheinend sehr leicht.
Nteiland wurde sofort verhaftet. Der Attentäter verfiel
Wiederholt in epileptische Krämpfe. Ueber die Gründe
Wner That machte der junge Mensch keine Angaben."
Das traurige Vorkommnis weist viel Aehnlichkeit mit
hem Vorfall in Breslau im November v. I. auf, wo
^Ne unzurechnungsfähige Person, namens Schnapke, ein
Handbeil nach dem Kaiser warf. Damals blieb der Kaiser
Kanz unverletzt. Diesmal hat er eine unbedeutende Ver-
ätzung davongetragcn. Mit Bangen sieht man die

Kleine Zeitung
— Speyer, 3. März. Sämmtlichen beim Bau der
Netscherkirche (Protestationskirche) beschäftigten Per-
i°Nen. wie Architekten, Bauführern, Steinhauern und
Maurern, ist, wie der „Land. Anz." meldet, gekündigt
Norden. Nur der Nachtwächter blieb verschont. Wie es
Aßt, ist der Mangel an flüssigem Betriebskapital zum
N^eiterbauen die Ursache der Einstellung des Betriebs. Erst
N zwei bis drei Jahren sollen die Arbeiten zur Fertig-
^Ilung der Kirche fortgesetzt werden.
-- Die Verhaftung Kneißl's haben wir gestern so
hWhrlich geschildert, daß heute nur noch wenig nach-
Asragxli ist. Man glaubte zuerst, Kneißl halte sich in
^Wchershofen auf, erfuhr dort aber, daß er sich nach dem
ENachbarten Geisenhofen begeben hatte. Dort hatte er
seinem Vetter, dem Taglöhner Vost, und zweiFrauen-
^niern die Nacht hindurch gezecht. Die drei hatten ihn
^iin verlassen, wurden aufgegriffen und gestanden, mit
b^itzl zusammen gewesen zu sein. Darauf wurde Kneißl
ogerr und schließlich in der geschilderten Weise ergriffen.
H l die Spur des Kneißl soll die Behörde durch die
^Enunziation eines Frauenzimmers gebracht worden sein.
Kneißl nach Nannhofen an die Bahn gebracht wurde,
auch der sogen. Parasolfranzl, Franz Hofner, daher;
g^hotte von der Belagerung des Kneißl in Geisenhofen
und war auf dem Wege dorthin, als er der Ko-
dx "'E mit dem Verwundeten begegnete. Kommissär Bossert
blaßte sofort die Festnahme des Hofner und am Bahn-

Attentatsversuche Halbverrückter sich wiederholen und fragt
sich mit Sorge, ob diese Narren nicht doch noch einmal
Unheil anrichten werden.
Das ist die Gefahr für hochstehende Personen, daß
krankhafte Gemüter Ihre Wahnideen gerne auf sie richten.
Von einem ernstlich geplanten Attentat kann nach den
obenstehenden Angaben nicht gesprochen werden. Vermutlich
wird der Arbeiter Weiland ebenso in eine Anstalt gesteckt
werden, wie die Selma Schnapke.
Zum Verständnis der Situation sei noch mitgeteilt, daß
der Kaiser, der nach der Rckrutenvereidigung in Wilhelms-
haven einen Ausflug nach Helgoland gemacht hatte, von
dort gestern Nachmittag 2 Uhr in Bremerhaven eintraf.
Er ging erst um 6V? Uhr an Land und fuhr direkt mit
der Bahn nach Bremen. Der Vorfall ist passiert, als der
Kaiser Bremen nach 10 Uhr wieder verlassen wollte und
zu diesem Zwecke vom Ratskeller, wo er mit den Senatoren
gespeist hatte, zum Bahnhof fuhr.

Deutsches Reich.
— Herr Göhre macht mit seinen sozialdemokratischen
Freunden sehr betrübliche Erfahrungen. Auf dem jüngst
stattgehabten sozialdemokratischen Parteitage der Provinz
Hannover wurde nämlich der Antrag, die Schrift Göhres:
„Wie ich Sozialdemokrat wurde" zu verbreiten, kurzerhand
abgelehnt, nachdem „Genosse" Meister erklärt hatte, es
sei doch kein Ereignis, daß einmal ein Pfaffe Sozialdemo-
krat geworden sei, man wisse auch noch gar nicht, wie
lange er es noch bleibe, und ob man nicht mit ihm
ebenso üble Erfahrungen machen werde wie mit
andern. Der arme Göhre! In derselben Versammlung
wurde auch lebhaft darüber geklagt, daß die Versammlungen,
die auf der letzten Agitationstour in Hannover veranstaltet
worden sind, sich durch einen auffallenden Mangel an Be-
suchern ausgezeichnet haben.
— Unerhörte Preistreiberei nennt der jetzt vorliegende
schriftliche Bericht der Budgetkommissson das Vorgehen der
Firmen Krupp und Stumm gegen die Marineverwal-
tung. Die Kommission verlangt in einer Resolution die
Einrichtung eines Panzerplattenwerkes auf Reichskosten, weil
es dem Marineamt der Vereinigten Staaten gelungen ist,
Krupp'sche Panzerplatten zu einem Preise von
1920 Mk. zu erlangen, während die deutsche Marinever-
wallung 2320 Mk. oder rund 400 Mk. mehr für die
Tonne zahlen muß. Der Bericht der Budgetkommission
rechnet nun aus, daß jeder Jahresetat der deutschen Marine
etwa 7500 Tonnen Nickelstahlpanzerplatten und bei einem
um 400 Mk. höheren Preis für die Tonne die Nachforde-
rung der deutschen Fabrikanten einen Nachteil von etwa
3 Mill. Mk. jährlich für das Deutsche Reich oder einen
Gesamtnachteil von 60 Mill. M. für die Dauer der Bau-
zeit des Flottenprogramms enthält. Herr Krupp läßt sich
seine Flottenbegeisterung recht teuer bezahlen!
— Eine zweite Massenkundgebung für die Buren
ist am 3. ds. in Berlin in einer großen Volksversamm-
lung erfolgt. Die Mehrzahl der Besucher bestand aus
Angehörigen der arbeiten den Klassen, darunter einer
Anzahl Flauen. Eine Erklärung soll dem Bundesrat und

Hof wurde Knelßl gefragt, wie oft Kneißl nach der Blut-
that in Irchenbrunn bei Hofner gewesen sei und bei ihm
gegessen und genächtigt habe. Kneißl sagte, einmal drei
und einmal fünf Tage, worauf Hofner sofort verhaftet
und mit Kneißl in demselben Zuge eingelicfert wurde.
Kneißl gestand ferner ein, daß er die Blut that in
Irchenbrunn auf Anstiftung des Fleckl bauern
Rieger begangen habe. Dieser habe ihn veranlaßt, sich,
wenn die Gendarmen kommen, nur fest zu mehren und
beide über den Haufen zu schießen. Auch die Unterschlupf-
geber, Familie Merkt gehört zur Sorte des Flecklbauecn.
Merkl gestand erst, nachdem er streng gefesselt worden war,
daß Kneißl in seinem Hause sei, wurde dann vor sein
Haus geführt und mußte seine Frau Herausrufen, die dann
vor den Gendarmen ebenfalls ein Geständnis ablegte. Der
Drilling des Kneißl konnte aber nicht aufgefunden werden,
obwohl man im Stadel deS Anwesens das Lager des
Kneißl entdeckt hatte. Sicher ist, daß Kneißl durch die zahl-
reichen Schüsse, die in die Scheune abgegeben wurden,
nicht verletzt wurde, sich aber dann vor dem gefährlich
werdenden Kugelregen ins Vorderhaus flüchtete und sich im
Schlafzimmer des Ehepaares ins Bett legte, wohin die
Gewehrläufe der Gendarmen weniger gerichtet wurden.
Es sind nur etliche Kugeln in diesem Zimmer gefunden
worden. Als zum Sturm geschritten wurde, flüchtete
Kneißl auch aus diesem Zimmer und versteckte sich in einer
Kammer hinter dem Kaminvorsprung, wo er von den ein-
dringenden Schutzleuten in einem Lager von Sägspähnen
entdeckt wurde. Wie man beim Heraustragen Kneißl's

' dem Reichstag unterbreitet werden, in der es u. A. heißt:
„Mehr als zweitausend in den Concordiasälen versammelte
Männer und Frauen Berlins legen scharfenEinspruch
ein sowohl gegen die Art und Weise, wie England den
südafrikanischen Krieg planmäßig heraufbeschworen hat, wie
gegen die Art der Kriegführung, welche die Gesittung unserer
Zeit schändet und dem Völkerrecht Hohn spricht." Des
weiteren wird auf Grund der Haager Konferenz die Ein-
berufung eines Schiedsgerichtes verlangt.
Deutscher Reichstag. Berlin, 6. März. Die Vor-
lage betreffend Einführung verschließbarer Post-
abholungsfächer wird unverändert in dritter Lesung
angenommen.
Es folgt die Fortsetzung der Beratung des Etats
des Auswärtigen. Eine Reihe Titel wird ohne
Debatte erledigt.
Bei Titel „Generalkonsulate" wünscht Abg. Dr. H a s s e (natl.)
ein Berufskonsulat in Bolivia errichtet zu wissen.
Staatssekretär Frhr. v. Richthofen erwidert: Das Aus-
wärtige Amt erwog die Frage. Es stellte sich aber heraus, daß
kein Bedürfnis zur Errichtung einer diplomatischen Vertretung
vorliegt. Aber in allernächster Zeit wird man dorthin einen be-
rufskonsularischen Beamten entsenden.
Bei Titel „Konsulat Moskau" fragt Abg. Dr. Oertel (cons.)
nach dem Grunde, weshalb der Konsul Frhr. v. Humboldt
nach Alexandrien versetzt worvcn sei. Die Versetzung sei auf-
fällig, weil der Konsulatsposteu in Moskau mit 25000 Mk., der
in Alexandrien mit 18000 Mk. dotiert sei. Es gewinne den An-
schein, daß die Versetzung erfolgt sei auf ein an Frhrn. v. Hum-
boldt gerichtetes Schreiben. Frhr. v. Humboldt habe vollkommen
korrekt gehandelt, das müsse auch hier vor dem Reichstage be-
zeugt werden. (Der Konsul hatte die Beantwortung einer ge-
schäftlichen Anfrage aus Deutschland schroff abgelehnt.)
Staatssekretär Frhr. v. Richthofen erklärt, die Versetzung
des Frbrn. v. Humboldt stehe mit dem erwähnten Vorfall in
keinem Zusammenhang. Es handle sich um keine Strafversetzung.
Frhr. v. Humboldt habe seine Pflicht auf allen seinen Posten er-
füllt. Zur Frage selbst beziehe er sich auf seine Erklärungen in
der Budgetkommisston.
Es schließt sich hieran eine ziemlich lange Debatte, die in-
dessen ergebnislos bleibt.
Weitere Titel werden ohne erhebliche Debatten erledigt. Bei
Titel „Unterstützung deutscher Schulen im Auslande wünscht Abg.
L e h r (natl.) kräftige Förderung deutscher Schulen, namentlich
in Brasilien.
Staatssekretär Freiherr v. Nicht Hofen erklärt: Wir haben
die Schulen in Konstantinopel mit 30000 Mk., die in Johannes-
burg mit l 6 000 Mk. dotiert. In Brasilien haben wir 28 Schulen.
Der Rest des Etats des Auswärtigen wird debattelos
genehmigt.
Es folgt der Etat des Reichsinvalidenfonds in Verbindung
mit einem Antrag und einer Resolution Nießlers über de»
gleichen Gegenstand.
Die Kommission beantragt Erhöhung deS Titels „Beihilfen
an hilfsbedürftige Kriegsteilnehmer der Feldzüge 1870/71 u. s. w."
um 1200000 Mk. Ferner liegt eine Resolution vor, wonach die
Mittel für die Veteranenversorgung künftig im Reichshaushalt
besonders aufgestellt werden sollen. Schließlich beantragt die
Kommission, den Antrag Nießlers abzulehnen uud eine Resolution
anzunehmen, wonach die Auszahlung der den Kriegsveleranen
gesetzlich zustehenden Beihilfen möglichst vom Tage der An-
erkennung ihrer Berechtigung erfolgen sollte.
Abg. Nießler (Bauernd.) bedauert, daß die Kommission
seinen Antrag, der in ganz Deutschland Beifall gefunden habe,
für unannehmbar erklärte.
Staatssekretär v. Thielmann wiederholt seine in der
Budgelkommission abgegebenen Erklärungen
Das Haus nimmt hierauf die Kommissionsanträgc und den
Etat des Jnvalidenfonds ohne weitere Debatte an.
Mora?" : Monneetat.

bemerkte, war er körperlich vollständig heruntergekommen
und die meisten, die ihn sahen, waren über sein Aussehen
sehr enttäuscht. Man bemerkte einen kleinen, schmächtigen
jung-n Mann, dem Entbehrung und Not auf dem bleichen
Gesichte mit den tiefliegenden Augen geschrieben stand und
hinter dem niemand den gefürchteten Räuber vermutet
hätte, der seit nahezu einem halben Jahr die Sicherheits-
behörden in Aufregung gehalten hatte. Um 12 Uhr
51 Minuten langte Kneißl unter sicherer Bedeckung in
München an, wo er vom Bahnhof aus sofort nach dem
Chirurgischen Spital verbracht wurde. Professor Anger
nahm alsbald die Operation Kneißl's vor. Die
Kugel drang rechts oberhalb des Nabels durch die Bauch-
wand in den Unterleib und nahm ihren Weg quer durch
die Därme. Der Schußkanal ging bis zum Glutaeus medinS
(einem der Steißbeinmuskeln), wo sie sitzen blieb.
Der Darm war an zwei Stellen von der Kugel
zerrissen. Die Rißwunden wurden vernäht. Da Kneißl
vermutlich schon seit drei Tagen keine Speisen
mehr zu sich genommen hatte, war die
Operation wesentlich leichter als bei vollem Darm
vorzunehme». Die Schußwunden am Arm waren von
starkem Blutverlust begleitet und sind bedeutend. Kneißl
äußerte den Wunsch, seine Mutter vor der Operation sehen
zu wollen, da deren Verlauf nicht vorauszusehen war.
Nach seiner Mutter wurde geforscht, man konnte sie jedoch
nicht sofort finden. Inzwischen wurde seine Tante zu ihm
gerufen. Nach einer Rücksprache mit ihr erklärte er sich
zur Operation bereit. Seine Mutter erschien später selbst
 
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