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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Januar bis Juni)

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Nr. 27-50 (1. Februar 1901 - 28. Februar 1901)
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Donnerstag, 14. Februar 1901. Erstes Blatt.

43. Jahrgang. — Ar. 38.


Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich 60 Pfg. frei in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch die Postbe-
zügen vierteljährlich 1.36 Mk. ausschließlich Zustellgebühr.
Anzeigenpreis: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Für hiesige Geschäfts-und Privatanzeigen ermäßigt. — Anschlag der Inserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung
und den Plakatsäulen. — Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Wochen-Chronik.
(Vom 3. bis zum 9. Februar.)
8ebr. g.: In Spanien finden Kundgebungen gegen
die Jesuiten statt.
4.: Das preußische Abgeordnetenhaus beginnt die Be-
ratung der Kanalvorlage.
4.: Der österreichische Reichsrat wird vom Kaiser
mit einer Thronrede eröffnet
» 4.: Die Leiche der englischen Königin Victoria wird
im Mausoleum zu Fiogmore beigesetzt.
>, 5.: Der deutsche Kaiser verläßt England, wo er
sehr gefeiert worden ist
6.: Nach englischen Meldungen hat Lord Roberts den
Schwarzen Adlerorden erhalten. Diese Nach-
richt wird in Deutschland sehr ungünstig ausgenommen.
» 7.: Im Haag findet die Vermählung der Königin W i l-
helmine mit dem Herzog Heinrich von Meck-
lenburg statt.
<> 7.: Aus dem Festessen des Landwirtschaftsrats spricht sich
der Reichskanzler Graf Bülow für erhöhten Z oll-
schutz für Getreide aus.
« 7.: Das Ministerium Saracco in Italien wird ge-
stürzt, angeblich weil es beim Streik der Hafen-
arbeiter in Genua nicht richtig eingegriffen habe.
" 8.: Im Reichstag sprechen sich die Sozialdemo-
kraten gegen eine Champagnersteuer aus.
» 8: Die Kundgebungen gegen den Ultra-
montanismus nehmen in Spanien im Hinblick
auf die bevorstehende Vermählung der Prinzessin
Mercedes mit dem Sohne des Grafen von Caserta zu.

Zum Offenbacher Eisenbahnunglück.
, Am Dienstag kam im Reichstag das Offen-
acher Eisenbahnunglück nochmals zur Sprache.
Mbej äußerte der Minister v. Thielen sich folgender-
em :
, Das Zusammenbringcn des Offenbacher Unglücks mit
M O-Wagen hat keine materielle Berechtigung. Das
Menbacher Unglück wäre ein viel größeres gewesen,
Me viel größere Opfer gefordert, wenn nicht O-
iMgen in den Zügen gewesen wären. Em ähnliches
^glück war vorher in Heidelberg. Bei diesem Un-
Mck sind 9 Personen gelötet und 136 verwundet worden,
^ dem Offenbacher Unglück sind 13 Personen verbrannt
^ einer hat eine nicht nennenswerte Verwundung davon
fragen. Das ist einfach dadurch zu erklären, daß die
Instruktion des V-Wagens eine sehr viel
widerstandsfähigere ist als dw aller andern. Er
^ ein sehr viel kräftigeres Untergestell. Zweitens beruht
M darauf, daß die Seitenwände nicht durch Thüren
Mchschnitten sind. Nur wenn der Wagenkasten mit
^"lexgestell ein Ganzes bildet, ist das Widerstandsmoment
^ groß, wie es sich in Offenbach gezeigt hat. Am
Flusse des letzten Abteils des Ü.Wagens ist die kolossale
.^endige Kraft des schweren Personenzuges konsumiert
^esen, und die Passagiere der beiden letzten Abteile des
^Atagens und alle andern Passagiere haben ruhig ihre
^7>gen verlassen können. Grausig ist das Unglück durch
M unglückseligen Umstand geworden, daß einer der Gas-
sAnnten an der Stirnwand durch ein spitzes Eisen durch-
worden ist und so das Gas ausströmen konnte.
^ Gas ist nicht explodiert und ist auch vollständig
Explosibel. Die heißen Feuergase der Lokomotive haben
d-« Entzündung, herbeigeführt. Auch ohne d e Entzündung
Gases wären die Passagiere nicht zu retten gewesen,
sj ö hat sie nur rasch von Qualen befreit, denn
Waren schon zerquetscht. Es ist festgestellt,
dg die Thür im letzten Wagen nicht ganz offen war,
s^gen waren die Fenster gangbar; verschiedene Leute
tz. durch die Fenster gerettet worden, ohne irgendwelchen
d^?dcn zu nehmen. Ich will nicht leugnen, daß vieles
tz Merungsbedürftig ""d vcrbesserungsfähig ist; aber die
h^zialsachverständigen, die ich zusammengerufen
dM denen ich eine Reihe von Modellen in Lebensgröße
kz ^ührt habe, haben einstimmig erklärt, es
h>Me gar kein größerer Rückschritt gemacht
tzz^den, als das Prinzip der thürlosen
dosten aufzugeben. In anderen Ländern ist man
ih Mm Ansicht. Auf der Pariser Weltausstellung habe
s),Überhaupt keinen Wa,;en gesehen, der nicht ein
ExMgen nach unserem Modell war. Sind denn alle
dofMker vollkommen auf den Kopf geschlagen? Aber
SlMwinen ist der V-Wagen nicht. Es kann eine Ver-
der Fenster. Erleichterungen der Möglichkeit,
Hy Gepäck aus den Fenstern herauszugeben und sich beim
!>e>s ^sfall zu retten, ja in Frage kommen. Heraus aus
ÄsjMnrstern können alle Leute, Männlein wie Weiblein,
^ix Mr Stange hat mich der Vorredner mißverstanden,
ky, Klange vor dem Fenster ist beseitigt. Jetzt steht sie
das Fenster unten abschneidct; die muß stehen
, damit der, der sich durch den Gang bewegt, nicht
Ruck aus dem Fenster fliegt. Die Fensterum-
^"8 6eht allerdings nicht ganz richtig; das ist eine
lchige . Fragen, ob es zu ermöglichen ist, das zu be-
aber schon jetzt kann jeder aus dem Fenster

heraus, auch mit den annehmbarsten Gesundheitsformen,
die überhaupt existieren. (Heiterkeit.)
In Bezug auf die Beleuchtung wiederholt der Minister
gleichfalls seine Aeußerungen im preußischen Abgeordneten-
hause, daß zweifellos die elektrische Beleuchtung
die Herrschaft erringen wird, aber heutzutage existiert
noch kein System der elektrischen Beleuchtung, das im
Großen anwendbar ist. Für kleine abgeschlossene Linien
wie die Dortmund-Gronau-Enscheder-Bahn ist sie gewiß
zweckmäßig, aber nicht im Großen. Das wird auch von
der elektrischen Industrie, wenigstens von denjenigen, die
nicht unmittelbar Erfindungen gemacht haben, anerkannt.
Ueberall in der Welt ist man in bezug auf die elektrische
Beleuchtung noch in dem Versuchsstadium. Bei der Post
ist das anders; die braucht ein transportables Arbeits-
licht. Was die Prophetie anlangt, so läßt sich das Bisch-
weiler Unglück mit dem Offcnbacher gar nicht vergleichen.
Für die Wascheinrichtung wird jetzt ein verbessertes System
angewandt, allmählich sollen auch die alten Wagen damit
ausgestattet werden. Finanzielle Erwägungen können bei
Fragen, die die Sicherheit der Reisenden oder Beamten
betreffen, nicht den Ausschlag geben, wohl aber, ob man
überzeugt ist, daß das, was man an die Stelle des Alten
setzen will, auch wirklich besser ist.

Deutsches Reich.
— Englische Werber sind in den letzten Wochen
wiederholt in den nordwestlichen Küstenbezirken, in Ost-
friesland, dem nördlichen Teile des Regierungsbezirks
Osnabrück u. s. w. aufgetaucht und haben versucht,
Freiwillige für die englische Armee in Süd-
afrika anzuwerben — soweit bisher bekannt geworden,
lediglich mit negativem Erfolge. Augenzeugen ver-
sichern, die Werber, die natürlich, sobald sie sich als solche
erkannt sahen, schleunigst verdufteten, hätten den
Eindruck recht distinguierter Herren gemacht, die sich ihre
Opfer aussuchten und sie alsdann mit Handgeld und der-
gleichen zu ködern versuchten. Da anzunehmen ist, daß
die Werber auch in anderen Gebietsteilen ihr Handwerk
auszuüben versuchen werden, so sei von dieser Stelle aus
vor ihnen eindrniglichst gewarnt!
Cronberg, 13. Fcbr. Die Kaiserin Friedrich macht-
heute in der Nachmittagsstunde wiederum eine halbstündige
Spazierfahrt im Schloßpark. Um 4 Uhr traf das Kaiser-
paar ein. Dasselbe kehrte nach Einnahme des Thees
um 5 Uhr nach Homburg zurück.
Deutscher Reichstag. Berlin, 13. Februar. Vor
Eintritt in die Tagesordnung erklärt der Abg. Heine
(Soz.-Dem.), daß er bei der dritten Lesung des Justizetats
auf die Angriffe antworten werde, die der Justizminister
im Abgeordnetenhause gegen ihn gerichtet habe.
Die zweite Lesung des Etats wird hierauf beim
Extraordinarium der Reichseisenbahnen fortgesetzt.
Abg. Paasche (ntl.) setzt auseinander, daß die Kommission
verschiedene Bauraten vermindert oder ganz gestrichen hat, weil
die dafür bewilligten Raten noch nicht ausgevraucht sind. Minister
Thielen bestreitet, daß noch bedeutende Rückstände vorhanden
seien. Das Haus beschließt aber durchweg nach den Vorschlägen
der Budgetkommission.
Die Kürzung der Forderung für den Bahnhof in Metz wird
einstimmig genehmigt. Damit >st der Etat der Reichsetscnbah»
erledigt.
Es folgt die zweite Beratung des Nachtrags eta ts für
die Expedition nach China.
Referent Paas che berichtet über die in der Kommission vor-
genommene Spezialisierung des Etats und teilt mit, chaß dis
zum 11- Febr. der Gesarmverlust des Korps 139 Mann beträgt,
davon 111 durch Krankheiten. Die einzelnen Ausgabetitel werden
nach dem Vorschlag der Kommission ohne Debatte genehmigt,
ebenso das von der Kommission ausgestaltete Etatgesetz, das auch
die Erteilung der Indemnität aussprtcht.
Es folgt die von der Kommission beantragte Resolution,
die Freiheit der christlichen Stetig io nsübung in
China im Staatsvertrag auszubedingen. Abg. Bebel bean-
antragt dazu: Den Missionaren ist die Verpflichtung aufzuerlegen,
daß sie sich nicht in die politischen, wirtschaftlichen oder sozialen
Angelegenheiten Chinas einmischen, auch sich nicht den Charakter
chinesischer Beamten beilegen. Bebel setzt auseinander, sein An-
trag bezwecke, späteren Konflikten vorzubeugen, denn es unterliege
keinem Zweifel, daß an den jetzigen Wirren die Missionare
erheblichen Teil der Schuld tragen. Die Resolution,
die die Kommission Vorschläge, erschwere nur noch weitere Friedens-
Verhandlungen- Welcher Sturm würde bei uns entstehen, wenn
fremde Missionare in die Rechtspflege eingreifen und Verbrecher
der Strafe entziehen wollten. Auch Bischof Anzer habe sein
Amt politisch mißbraucht. Für die Religion mögen die Missionare
wirken, dagegen haben wir nichts, sie mögen als Märtyrer sterben,
aber nicht die Macht ihrer Hetmatstaaten engagieren.
Abg. ,Graf von Stolberg protestiert gegen die Bebel'schen
Ausführungen. Die Resolution der Kommission verlange nur
die Wiederherstellung des früheren Zustandes, damit nicht eine
Lücke entstehe, in die eine andere Macht einspringe. Die Reso-
lution habe aber auch eine soziale Bedeutung und gerade deshalb
ei es von Bedeutung, daß sie vom Zentrum ausgehe. Der
Antrag Bebel verlange Unmögliches Eine Beaufsichtigung der
Missionare im Innern Chinas sei nicht durchführbar.
Abg. Bachem betont ebenfalls, daß die Resolution nur die
Wiederherstellung des früheren Zustandes verlange und das liege

im Interesse der in China wohnenden Fremden. Sollen wir
warten, bis in China Aehnliches geschieht wie in der Türkei den
Armeniern geschah? Warum schlägt Bebel nicht auch die Auf-
sicht über die in China lebenden Kaufleute und Ingenieure vor?
Das Anlegen der Mandarinentracht ist ein Brauch, dem die
Missionare anderer Nationen auch huldigen und dessen Beseitigung
als Schwäche gedeutet werden würde.
Staatssekretär v. Richthofen erklärt, daß die Regierung in
der Resolution der Kommission nichts anderes sehe, als den
Wunsch, die früheren Zustände wieder herzustellen. Auf sein
bisheriges Vorrecht in China zu verzichten, daran denke die Re-
gierung nicht. Der Zusatz Bebels sei bedenklich und nicht durch-
führbar.
Abg. Müller-Sagan (frets. Volksp.): Die Mission habe
den gleichen Schutz im Auslande, wie andere Deutsche, aber
wir wollen ketne Verquickung der Politik mit der Religion.
Jede Unterstützung der religiösen Agitation von Reichswegen
schafft neue Konflikte und wir lehnen daher die Resolution ab.
Den zweiten Teil der Bebel'schen Resolution lehnen wir ab.
Graf Bernsdorff (freikons.) tritt für die Resolution der
Kommission ein. Abg. Schräder (freist Ver.) hält den ersten.
Teil der Resolution für überflüssig, den zweiten Teil dagegen
für bedenklich. Abg. Bebel polemisiert gegen die Ausführungen
der Vorndner.
Abg. Aachern bekämpft den Zusatzantrag Bebel als ein
Ausnahmegesetz.
Die Resolution der Kommission wird angenommen, der
Antrag Bebel abgelehnt.
Es folgt dann die zweite Beratung des Relikten-
ge setzes für die Chinakrieger, dessen Ablehnung die
Kommission empfiehlt, um die in Aussicht gestellte allge-
meine Neuregelung des Militärversorgungswesens offen zu
halten.
Ohne Debatte beschließt das Haus nach dem Anträge der
Kommission.
Nächste Sitzung Freitag l Uhr. 3. Beratung des Chinanach-
tragsetats und Fortsetzung der Etatsberatung.
Preußen.
Berlin, 13. Febr. In der Budgetkommission des
Abgeordnetenhauses teilte der Minister v. Thielen mit, er
werde Sorge tragen, daß die dritte Wagenklasse in
den Schnellzügen vermehrt werde. Die Benutzung
der dritten Klasse sei sehr stark.
Aus der Karlsruher Zeitung.
— Expediiionsassistent Karl Steinle in Müllheim wurde
nach Singen versetzt.
— Juristische Prüfung. Sicherem Vernehmen nach
ist der Beginn der in diesem Frühjahre stattfindenden ersten
juristischen Staatsprüfung auf Montag, den 4. März
festgesetzt.
Karlsruhe, 13. Febr. Da ein schon einige Zeit
andauernder Halskatarrh bei dem Großherzog etwas
Schonung und besonders Vermeiden längeren Sprechens
erfordert, wurde der für heute festgesetzte Empfang auf
diejenigen Personen beschränkt, welche wegen weiter Ent-
fernung sich schon gestern auf die Reise hierher begeben
hatten, während den übrigen Herren eine spätere Äudienz
in Aussicht gestellt wurde. Seine Königliche Hoheit
empfing hiernach u.A. den Vorstand der Realschule in Eber-
bach, Prof. Schmitt. Um 12UhrmeldetensicheinigeOffiziere,
darunter der Oberstleutnant z. D. Osiander, Kommandeur
des Landwehrbezirks Heidelberg. Im Laufe des Nach-
mittags und Abends hörte Seine Königliche Hoheit die
Vorträge des Majors von Schwerin und des Legations-
rats Dr. Seyb. Gestern Abend erhielten die Höchsten Herr-
schaften ein Telegramm der Kronprinzessin Victoria, wo-
nach deren Reise über den St. Gotthard gut verlaufen
und die Ankunft in Mailand nachmittags bei großer
Kälte erfolgt ist.

Ausland.
Oesterreich-Ungarn.
Wien, 11. Febr. Durch das Prager Garnisons-
gericht wird der aus dem Dreyfus-Prozeß bekannte mit
Wartegebnhr beurlaubte Dragonerleutnant Hudecek v.
Cernucky vorgeladen, sich dem angeordneten Kriegs-
gericht zu stellen, weil er im Januar 1893 aus seinem
Urlaubsort Bndweis flüchtig geworden sei und in Paris
ohne Erlaubnis geheiratet habe.
Wien, 12. Febr. Die Regierung brachte heute
abermals ein staatliches Eisenbahnbauprogramm
bis zum Jahr 1905 mit 500 Mill. Kr. ein, darunter eine
zweite Eisenbahnverbindung nach Triest, ferner 53 Mill.
Kr. für den Bau neuer Geleise, 97 Mill. für Stationser-
weiterungen und 64V- Millionen für Vermehrung des
Fahlparkes. Der Geldbedarf soll durch Ausgabe von
Jnvestitions oder einer vierprozenligen Kronenrente gedeckt
werden, auf die gleiche Weise 80 Millionen zur teilweise,:
Refundicrung der Kassenbestände.
Wien, 13. Febr. Der Kaiser empfing heute den
Ge eraladjutanten des Königs Alexander von Serbien,
o aie den Minister Grafen Goluchowski und den Gesandten
Christitsch. Das Ergebnis der Besprechungen war, daß
dem serbischen Wunsche nach Ueberführung der Leiche Milans
 
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