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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Januar bis Juni)

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Nr. 51-76 (1. März 1901 - 30. März 1901)
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Montag, 18. März 1901. Erstes Blatt. 43. Jahrgang. — Ir. 65.


Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich SV Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch die .Post be-
zogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschließlich Zustellgebühr.
Anzeig enpreis: 2V Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Anschlag der Inserate aus den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung
und dm Plakatsäulen. — Fernsprech-Anschluß Nr- 82.

» Ein Nachwort zum Prozeß Weipert.
Wer, wie der Schreiber dieses, der Verhandlung im
Prozeß Weipert von Anfang bis zum Ende angewohnt
hat und nun den Tag im Geist noch einmal an sich
vorüberziehen laßt, der wird sich vor allem gedrungen
fühlen, die außerordentlich sichere und feste Leitung der
Verhandlung durch den Vorsitzenden zu rühmen, der sich
in die zahlreichen technischen Details, die aufzuklären
waren, so eingearbcitet hatte, daß er sie vollständig be-
herrschte. So weit es nach Lage der Sache möglich war,
das Zusammenwirken der Umstände, das zu der Kata-
strophe führte, zu entwirren, ist das geschehen. Was nicht
entwirrt Wersen konnte, das ist die Verwirrung des
Weipert, für welchen Zug 16 a und 126 a in einen Zug
zusammenflossen, weil er die Eintragung des elfteren einer
schleunigen Schalteraufnahme zulieb aufschob und dann
den zweiten in die für den ersten bestimmte Kolonne ein-
trug. Dieie Verwirrung ist eben der Punkt, aus dem das
Unglück entsprang.
Weipert hat das Zusammenfließen der beiden Züge in
seinem Kopfe in einen einzigen nicht zugeben wollen. Das
ist von seinem Standpunkt aus begreiflich. Ihm kam es
darauf an, nachzuweisen, daß er noch rechtzeitig alles
Mögliche gethan habe, um Zug 126 a aufzuhalten; die
Grundbedingung hierfür aber wäre gewesen, daß er die
beiden Züge in seinem Kopfe auseinander gehalten hätte.
Zum Glück für Weipert stellte die Verhandlung genügend
klar, daß er die beiden Züge nicht auseinandergehalten hat.
Hätte er' sie auseinander gehalten, hätte er das Bewußtsein
davon gehabt, welche Gefahr im Anzuge sei, dann hätte er
erheblich strenger bestraft werden müssen, denn einer solchen
ihm bewußten Gefahr gegenüber wären seine Maßnahmen
geradezu grenzenlose Frivolität gewesen. So aber war
ihm nur ein Zug im Bewußtsein, und deshalb fragte er
gemütlich einmal und noch einmal: wo bleibt der
Lokalzug ?
Der Gerichtshof hatte nur über Weipert abzuurteilen
und der Vorsitzende wies ausdrücklich darauf hin, daß eine
Person, nicht ein System, auf der Anklagebank sitze.
Das ist, soweit die Anwendung des Strafgesetzes durch den Ge-
richtshof in Frage kommt, richtig. Thatsächlich hat
aber neben Weipert, der in die Gewalt des Gerichts-
hofes gegeben war, die bad. Bahnverwaltung auf
der Anklagebank gesessen, die — leider möchte man
sagen — als solche nicht in die Gewalt des Gerichtshofs
gegeben ist.
Was der Prozeß Weipert zu Ungunsten der Bahnver-
waltung enthüllt hat, war nicht nur betrübend, cs war
8um Teil geradezu beschämend. Es defilierten vor dem
Gerichtshof, den Sachverständigen und der Zuhörerschaft
eine Anzahl von Beamten, von denen man sagen muß,
Man begreift nicht, wie mit solchen Beamten gearbeitet
werden kann. Es sollen hier keine Namen genannt wer-
den. Gesagt sei nur, daß die Betreffenden nicht den
Untersten Kategorien angehörten. Es war peinlich zu
sehen, wie die Zuhörer bei der Einvernahme der Be-
ireffenden mehrere Male nur mühsam den Ausbruch eines
Geläckters unterdrückten; peinlich war die Hilflosigkeit jener

Stadt-Theater.
lH Heidelberg, 16. März.
.Der Hütte nbesitzer", Schauspiel in 4 Akten von
Georges Ohnet.
In der angenehmsten Stimmung schienen die Theater-
besucher die Vorstellung zu verlassen, in der Fräulein
Herter die Claire mit schönem Gelingen gespielt hatte.
-- Faßt einen etwas im Leben allzuhart an und sucht
einer dann im Theater Ablenkung und Zerstreuung:
sicherlich es giebt eine Kunst, die uns vergessen läßt, was
Uns drückt. Der „Hüttenbesitzer" gehört nicht zu dieser
Art Kunst. Alles ist geschickt gemacht, aber alles läßt uns
im Grunde doch kalt; man interessiert sich ein klein wenig,
besonders wenn so ausgezeichnet gespielt wird, wie
gestern.
Wir freuen uns, konstatieren zu können, daß Fräulein
Herter an ihrem Ehrenabend, begrüßt durch Lorbeer und
Flumen, den schönsten Erfolg gehabt hat. Die Psychologie
ber Claire gabelt sich in ein paar Hauptäste, sie ist ver-
hältnismäßig leicht zu übersehen und zu entwickeln. Eine
Ahnende Aufgabe. Unterstützt durch ihre prachtvollen schau-
spielerischen Mittel schuf Fräul. Herter eine Gestalt aus
einem Guß. Steigert die Darstellerin die Schwierigkeit
jhrer Aufgaben allmählich, so muß es für sie einen
Aetigen Fortschritt geben. Nur voreiliges Erjagen des
Höchsten unter Uebergehung wichtiger Etappen ist nicht
^tsaui. Philippe war Herr Rudolph. Mit tadelloser
Decenz, mit wunderbarer Wärme, schlicht und einfach kam

, Zeugen bei der gelegentlich mit Ironie durchsetzten Be-
fragung durch den Vorsitzenden. Was da einige von
ihnen zu hören bekamen, das wird ihnen noch lange in
Ken Ohren nachklingen, falls sie es richtig verstanden
haben, woran man allerdings nach den Wahrnehmungen,
die man in der Verhandlung machte, noch zweifeln muß.
Ebenso ungünstig wie nach der persönlichen Seite hat
die badische Eisenbahnverwaltung nach der sachlichen
Seite abgeschnitten. Das Halten der Lokalzüge auf offener
Strecke, worauf die Führer noch ganz besonders eingefuchst
worden sind, wurde von den fremden Sachverständigen
scharf verurteilt. All die zahlreichen Milderungsgründe/
die dem Angeklagten Weipert zu gut gerechnet wurden,
— seine Jugend, seine schlechte Einführung in den Dienst,
die mangelnde Aufsicht, die Ueberlastung, seine Unkenntnis
von dem gelegentlichen Halten der Lokalzüge auf offener
Strecke und vieles andere, was hier nicht noch einmal
angeführt werden soll, sprachen gegen die Bahnverwaltung
und den in ihr herrschenden Geist. Die Bahnverwaltung
hat nicht nur auf der Anklagebank gesessen, sie ist auch
verurteilt worden, und zwar schwerer wie Weipert,
der, mußte er auch gestraft werden, weil er gefehlt hat,
heute nach dem Prozeß, nach Klarstellung aller Umstände
mindestens ebenso sehr als das Opfer der in der
badischen Bahnverwaltung herrschenden Verhältnisse als
das eigener Verschuldung erscheint.
Die Heidelberger Gerichtsverhandlung hat die drin-
gende Notwendigkeit ergeben, daß ein Wandel
in diesen Verhältnissen eintritt. Das geht natürlich nicht
von heute auf morgen; aber wenn nur oben der richtige
Geist einzieht, daun wird sich der bald an allen Stellen
der weitverzweigten Verwaltung fühlbar machen. Wie dieser
Geist heute noch beschaffen ist, davon zeugten die Worte, die
dex Vorsitzende einem unter den als Zeugen anwesenden
Bahnbeamten zurief: Herr Zeuge, Sie ^brauchen nicht
nervös werden, wenn hier unterstellt wird, die General-
direktion habe aus dem Unglück Anlaß zu verbessernden
Maßregeln genommen.

Deutsches Weich.
— Der Kaiser empfing Samstag Nachmittag den
Reichskanzler Grafen Bülow.
— Ueber das Befinden des Kaisers berichtet die
„Nationalztg.", daß die Heilung der Wunde sich in denk-
bar günstigster Weise vollzieht. Der Verband ist bereits
gewechselt und durch einen leichteren ersetzt worden. Die
Anschwellung des Gesichts ist geschwunden und die Wunde
beginnt sich bereits zu schließen und zu überhäuten. Noch
klaffen allerdings die Wundränder etwas auseinander, doch
hofft Geheimrat v. Bergmann, sie so weit zur Vereinigung
zu bringen, daß nur eine Narbe in Form einer schmalen
feinen Linie Zurückbleiben, wird. Eine Entstellung des Ge-
sichts ist von einer solchen Narbe in keiner Weise zu be-
fürchten. Der Kaiser selbst ist in guter Stimmung, hört
täglich Vortrüge und arbeitet sehr viel. In etwa 8 Tagen
dürfte die Wunde vollständig geheilt sein. Die Aerzte
würden auch jetzt schon kein Bedenken haben, wenn der
Kaiser bei aünstiaer Witterung vorher aus fahren würde.
alles, was er brachte. Der zweite Akt mit der großen
Szene, wo das Abenteuer dieser Ehe zur Entwicklung
kommt, war eine Meisterleistung.
Herr Dr. Weinmann hat seine Gallerie eleganter
Weltmänner mit dem Herzog Bligny aufs schönste er-
weitert. Er war ganz ein französischer Edelmann. Man
mag noch so viel Revolution machen, unseres Gleichen werden
diese Leute nie sein, sagt der Parvenü Moulinet im Hin-
blick auf Edelleute echter Art. Welch' ein Sprung von
Bligny zu Moulinet!
Herr Meltzer spielte ihn mit sehr guter Wirkung';
vielleicht ein wenig mehr Zurückhaltung im 1. Akt.
Herr Birnbanm, der um die ganze Aufführung als
Regisseur die schönsten Verdienste hatte, und zwar in jeder
Hinsicht (er verhinderte z. B. eine Entgleisung, die beinahe
im 1. Akt eingetreten wäre, durch eine geschickte Improvisation)
sah als Bachelin sehr gut aus und bewegte sich würdig
und sicher. Octave und Suzanne waren ein Liebespaar,
das sich sehen lassen konnte. Herr Bernau und Fräul.
v. Pommer gaben sich sehr liebenswürdig. Frl. Krüger
war eine stattliche und vornehme Marquise. Frl.Schön-
berg gab die unsympathische Figur der Athenais mit
großer Sicherheit. Das Ehepaar Prefont erfreute sich der
Wiedergabe durch Frl. Saldern und Herrn Brecher.
Der Deputierte der Arbeiter ist eine kleine Rolle, doch gab
sie Herrn Großmann Gelegenheit, die volle Aufmerk-
samkeit des Hauses auf sich zu lenken. K. W.

— Das deutsche Hilfskomitee für Ostasien hat dem
Kaiser durch den kaiserlichen Kommissionär und Militär-
inspekteur der Freiwilligen Krankenpflege Graf v. Solms-
Baruth zur Unterstützung der Angehörigen sowie der Hinter-
bliebenen der bei der Expedition nach Ostasien befindlichen
Personen den Betrag von 200 000 Mk. zur Verfügung
gestellt. Der Kaiser hat diese Summe angenommen und
bestimmt, daß hiervon 150 000 Mk. dem Reichsmarineamt
überwiesen werden sollen.
— Der rheinische Bauernbund hat in^einer
Versammlung zü Geldern einen Minimaltarif mit
folgenden Sätzen gefordert: Weizen 20 Mark, Roggen 16
Mark, Gerste und Hafer 15 Mark. Er hofft wohl selbst
nicht damit durchzudringcn.
Deutscher Reichstag. Berlin, 16. März. Zweite
Beratung des Ergänzungsetats.
Die Beratung beginnt mit den Ergänzungen des Etats des
Auswärtigen Amtes; 95 000 Mk. zur Erweiterung der Dienst-
wohnung und Ergänzung des Inventars werden nach kurzer
Debatte bewilligt.
Bei dem Ergänzungsetat der Reichs schuld erwidert auf
eine Anfrage des Abg. Richter der Reichsschatzsekretär, daß der
Zeitpunkt einer größeren Anleihe noch nicht feststeht. Wir
müssen die Möglichkeit offen halten, sagt der Staatssekretär, daß
im Laufe des Jahres unsere Truppen und Schiffe noch nicht zu-
rückgezogen werden können. Ein Teil der in der Ergänznngsvor-
lage benannten Anleihen sei in diesem Jahre noch flüssig zu
machen.
Eine Debatte cntspinnt sich bei der Forderung von 224000 Mk.
zur Instandsetzung des Dienstgebäudes der Reichskanzlei,
des Gartens und des Inventars.
Abg. Graf Limburg-Stirum (kons.) wünscht, daß das
historische Arbeitszimmer des Fürsten Bismarck erhalten bleibe.
Abg. Singer (Soz.) bittet um Ablehnung des Titels, da
er in den Ergänzungsetat nicht hineingehöre.
Nach einigen Bemerkungen des Abg. Dr. Bachem, des Staats-
sekretärs Dr. Frhrn. v. Thielmann, der Abgg. Singer und Richter
wird der Titel bewilligt.
Der Ergänznngsetat des Reichs Heer es, 95000 Mk. für
den Neubau des Generalkommandos, der Dienstwohnung und der
Bureaugebäude in Altona wird bewilligt.
Bei Beratung der Forderung von 123 322 OM Mk. für die
Chinacxpedition führt Kriegsminister v. Goßler gegen-
über der gestrigen Anfrage Richters aus: Die Mannschaften
hätten, bevor sie nach Ostasien gingen, sich nur auf ein Jahr
verpflichten müssen. Die Mannschaften des Beurlaubtenstandes
hätten einen Anwerbevertrag geschlossen, der sie längstens auf 2
Jahre verpflichtete. Es ergebe sich daraus, daß die ersten Ent-
lassungen in diesem Herbst stattfinden werden. Für die Ab-
sendung von Verstärkungen sei die ganze militärische Lage nach
dem Falle Pekings zwingend gewesen, da man auf eine längere
Okkupation rechnen mußte. Dem Oberkommando unterständen
64 000 Mann, darunter 17 750 Deutsche, 14 050 Franzosen, 12 850
Engländer, 9000 Russen, 6M0 Japaner, 2330 Italiener, 1600
Amerikaner und 250 Oesterreicher. Die Aufgabe der Truppen fei
erstens die Operationsbasis zu sichern und die Okkupationsbasis
vom Feinde zu säubern. Das Räuberunwesen in China habe in
letzter Zeit wesentlich nachgelassen. Unsere Soldaten hätten sich
unter schwierigen Verhältnissen ausgezeichnet bewährt. Äon
kleineren Streifzügen abgesehen, seien im ganzen 11 größere
Expeditionen unternommen worden. Besonders schwierig waren,
wie der Minister bemerkt, die Verhältnisse, weil wir die Schiffe
auf Tsingtau diriegiren mußten und dann erst nach Taku. Alles
mußte auf der Reede gelöscht werden. Der Peiho konnte nur zum
Teil am Tage befahren werden und es mußte daher ein Depot
in Shanghai angelegt werden. Einen Begriff der Schwierigkeiten
erhält man daraus, daß es kaum gelungen ist, ein einziges Schiff
völlig ausznladen. Es mußte umgeladen werden, um hinauszu-
schaffen, was zunächst drängte und notwendig war. Trotzdem ge-

6 Heidelberg, 18. März.
„Zar und Zimmermann", komische Oper von
Albert Lortzing.
Es macht einem immer aufrichtige Freude, wenn man
merkt, wie alte liebe Freunde, die wir recht von Herzen
gern haben, auch von Andern geschätzt und gewürdigt wer-
den. So war es denn auch gestern Abend gewiß für
manchen treuen Verehrer unseres lieben alten Lortzing eine
Genugthuung, zu sehen, daß dessen Werk noch immer so
echte, wahre Anerkennung findet, daß noch immer Alt und
Jung gerne den Tönen des wackern Meisters lauscht, der
so Viele schon mit seiner Kunst erfreut und selber doch so
wenig Freude erlebt hat. Er war kein Stürmer und
Dränger, kein trotziger Gigant, der in unwiderstehlicher
Kraft Alles zertrümmerte, Neues aufthürmte; aber er war
ein echt deutscher Künstler, deutsch in seinen Schwächen,
deutsch in seiner Stärke, einer von Kellen, welchen das
Wort gilt: „Verachtet mir die Meister nicht und ehrt mir
ihre Kunst!" Es ist heutzutage vielfach Mode geworden,
Lortzings Werke geringschätzig zu beurteilen, sie als etwas
„Ueberwundenes", der Vergangenheit Ungehöriges zu be-
trachten. Ein trauriges Zeichen der Zeit! Ob all diese
liebenswürdigen Melodieen, dieser gesunde Humor, diese
frische Erfindungskraft, diese launigen Einfälle zum alten
Gerumpel gezählt werden müssen?? — Ich bezweifle es!
Die Lortzingsche Spieloper ist keineswegs so leicht auf-
zuführen, wie man gewöhnlich annimmt, und eine tadellose
Durchführung derselben erfordert — auch für die kleineren
Partieen — tüchtige und geschulte Kräfte. Unsere gestrige
 
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