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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Januar bis Juni)

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Nr. 77-100 (1. April 1901 - 30. April 1901)
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Samstag, 20. April Ml.

Gvstes Blatt.

43. Jahrgang. — Ar. 92.

Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich SO Pfg. frei in's Haus gebracht, bei der'Expedition und den Zweigstellen abgcholt 40 Pfg. Durch dieWMbe-
zogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschließlich Zustellgebühr.
Anzeigenpreis: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum- Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Anschlag der Inserate auf den Plakattafcln der Heidelberger Zeitung
und den Plakatsäulen. — Fernsprech-Auschluß Nr. 82.

Für die Monate
Mai und Juni
kostet die
„Heidelberger Zeitung"
durck die Post bezogen ohne Zustellung
nur S« Pfg., W»
bei Zustellung durch den Briefträger frei ins
Haus Mk. 1.18.
An allen Orten, an denen wir Träger unter-
halten, kann die „Heidelberger Zeitung" durch
diese zum Preise von SV Pfg. im Monat frei
ins Haus bezogen werden.

Der österreichische Thronfolger und der
katholische Lchnlverein.
Wien, 18. April. Das Abgeordneten-
haus begann heute mit dem erwarteten Skandal wegen
der politischen Kundgebung des Thronfolgers Erzher-
zogs Franz Ferdinand. Die „Ostdeutsche Rundschau"
wurde in Beschlag genommen. Andere nicht konfiszierte
Abendblätter bringen, wie der „Köln. Ztg." telegraphiert
wird, folgenden Bericht über diese Sitzung. Die ge-
samte deutscheVolksparteiinterpelliert
den Ministerpräsidenten: In der Reichspost wird mitge-
teilt, daß Se. kaiserliche Hoheit Erzherzog Franz Fer-
dinand das Protektorat des katholischen Schulvereins
übernommen hat. Der katholische Schulderem ist jeden:
unbefangenen Beobachter der Dinge als ein Kampfverein
der klerikalen Partei bekannt, der sich insbesondere die
Bekämpfung des Reichsvolksschulgesetzes zur obersten
Ausgabe stellt. (Hört, hört! links.) Die Uebernahme
des Protektorates dieses klerikalen Kampfvereins würde
daher lebhafte Beunruhigung in allen Kreisen erregen,
welche die Gefährlichkeit des Klerikalismus für Staat
und Gesellschaft erkennen. Die Gefertigten richten da-
her an den Ministerpräsidenten die Anfrage: Ist die
obenerwähnte Nachricht der „Reichspost", welche, neben-
bei gesagt, schon vorher in preußischen klerikalen Blättern
erschienen war, den Thatsachen entsprechend; ist dieser
Schritt Se. kaiserlichen Hoheit mit Vorwissen Sr. Ex-
cellenz des Herrn Ministerpräsidenten erfolgt; und
was gedenkt Se. Excellenz zu unternehmen, wenn diese
Nachricht wahr ist? (Lebhafter Beifall, Händeklatschen
und Heil-Rufe links.)
Nach der Volkspartei interpelliert der deutschradikale
Abgeordnete Herzog: Er verliest nunmehr den Be-
richt des „Vaterlands" über den Empfang des
katholischen Schul Vereins beim Thronfolger
und über dessen Rede, was von der katholischen Volkspar-
tei und den Christlichsozialen mit lebhaftem Beifall und
Händeklatschen, von den Deutschradikalen mit heftigen
Zwischenrufen begleitet wird. Herzog fährt fort: Wenn
der Bericht des „Vaterlands" wahr ist, dann haben wir
hier einen Vorfall, der allen konstitutionellen Begriffen
aufs schärfste widerspricht. (Händeklatschen links.)
Welche Einflüsse dabei maßgebend sind, haben wir All-
deutschen nicht zu entscheiden. (Deutschradikaler Abg.
Malik: es war jedenfalls sind bodenlose Taktlosigkeit.)
Abg. Herzog: Es hat hier offenbar infolge geheimer
Einflüsse der schwarzen Camarilla ein Mitglied des
kaiserlichen Hauses in einer gänzlich unkonsti-
tutionellen Weise in das politische Parteige-
triebe eingegriffen und noch dazu jenes Mitglied,
das einmal die Völker dieses namenlosen Staates namen-
los glücklich machen soll; es hat gegen eine Partei und
Bewegung der Geister Stellung genommen in einer
Form, die nicht scharf genug verurteilt
werden kann. (Lebhafter Beifall und Händeklatschen
bei den Alldeutschen. Präsident: Ich kann diese
Aeußerungen nicht zulassen.) . Mg. Herzog: Wir
Alldeutsche sind für diese Enunciation dankbar deswegen,
weil wir wissen, was wir einmal in der Zukunft zu er-
warten haben. Wir und alle freiheitlichen deutschen
Elemente in Oesterreich werden wissen, wessen sie sich
einmal zu versehen haben werden, oxch schließe mit der
Anfrage an das verehrte und dort wohlverschanzte Prä-
sidium, ob es geneigt ist, den Ministerpräsidenten zu
veranlassen, uns noch heute darüber Auskunft zu
geben, ob dieser Bericht im „Vaterland"
ouf Wahrheit beruht oder nicht. Die
Schlüsse werden wir daraus selbst ziehen. (Stürmischer
Beifall und Händeklatschen bei den Alldeutschen.)
Ministerpräsident v. Körb er: In der heutigen
Sitzung haben die Abgeordneten Kaiser, Derschatta,
Die heutige

Beurle und Genossen an mich eine Interpellation gerich
tet, welche die in den heutigen öffentlichen Blättern ent-
haltene Meldung betreffend die Uebernahme des Pro
tektorats des katholischen Schulvereins durch den durch-
lauchtigsten Herrn Erzherzog Franz Ferdinand zum Ge
genstande hat. Ich habe die Ehre, in Beantwortung die
ser Interpellation zu erklären, daß der Entschluß Sr.
kaiserlichen und königlichen Hoheit, von welchem die Re
giürung bisher keine Kenntnis hatte (Rufe: hört! hört!),
nur als ein rein persönlicher und die angeblich beim
Empfange des Präsidiums des genannten Vereins ge-
brauchten Worte nur als private (Rufe bei den Alldeuk
schen: als unüberlegte!) zu betrachten sind. (Mg.
Wolf: Der Thronfolger soll vorsichtig sein mit seinen
privaten Aeußerungen!) Körb er fortfahrend: für
welche verfassungsmäßig eine Verant-
wortlichkeit der Regierung nicht an-
gerufen werden kann. (Beifall rechts.) Ich
kann aber nicht umhin, bei diesem Anlasse meinem tiefen
Bedauern darüber Ausdruck zu geben, daß die Ange-
legenheit von einer Seite in einer Weise erörtert worden
ist, welche mit der schuldigen Rücksicht nicht
im Einklänge steht, auf welche ein Mitglied des
kaiserlichen Hauses vollberechtigten Anspruch hat.
(Stürmischer Beifall rechts. Lebhafte Ohorufe, bei den
Alldeutschen.) Abgeordneter Iro: Der zukünftige Herr-
scher hat sich seine Worte zu überlegen! Abgeordneter
Herzog: Die Protestanten find mit den Katholiken
gleichberechtigt! (Großer Lärm bei den Alldeutschen.)
Abg. Fresl (zu den Alldeutschen): Da habt Ihr Eure
Regierung! Mg. Wolf: Das wird der Ferdinand be-
dauern! (Zwischen den Alldeutschen und den Klerikalen
entsteht ein lebhafter Streit.) Abg. Wolf: Die beste
Antwort darauf ist: „Los von Rom!" (Lebhafte Rufe
bei den Alldeutschen: „Los von Rom! Los von Rom!)
Abg. Malik stellt den Antrag, daß über die Nutz
wort des Ministerpräsidenten die Debatte eröff-
net werde. (Abg. Schalk ruft: „Eine konstitutionelle
Debatte!" Abg. Jro: Schaut nach Budapest!) Abg.
Malik: Ich beantrage die namentliche Ab-
stimmung über meinen Antrag. (Stürmische Heil-
rufe links.) Der Präsident stellt die Unterstützung^
frage. Eine Reihe Abgeordneter von beiden Seiten des
Hauses verläßt den Saal. Für die namentliche Ab-
stimmung erheben sich die deutsche Fortschrittspartei, die
deutsche Volkspartei, die Alldeutschen, die Sozialdemo-
kraten und die radikalen Tschechen. (Stürmische Rufe
der Alldeutschen gegen die Jungtschechen, weil diese ge
gön die namentliche Abstimmung gestimmt haben.) ^
Der Antrag Malikauf Eröffnung der Debatte über
die Interpellations-Beantwortung des Ministerpräsiden-
ten wird in namentlicher Abstimmung mit 149 gegen
106 Stimmen abgelehnt. Es hat sich also die Hälfte
der Abgeordneten an der Wstimmung nicht beteiligt.
(Lebhafte Pfui-Rufe bei den Alldeutschen.) Die weitere
Sitzung des Hauses verlief ohne Störung. Ob sich
morgen die heutigen Stürme gegen den Thronfolger
wiederholen werden, gilt in parlamentarischen Kreisen
als fraglich, weil man vielfach in dieselr Angelegenheit
eine Falle glaubt sehen zu sollen, welche die böhmischen
Feudalen Körber gelegt hätten: auch die „Ostdeutsche
Rundschau" erwähnt diese Möglichkeit. Immerhin
dürften sich die Angriffe gelegentlich wiederholen, na-
mentlich bei der bevorstehenden Erörterung über me
Thronsolgedeklaration des Erzherzogs.

Zum Verständnis obiger Vorgänge sei darauf hin-
gewiesen, daß der kathol. Schulverein in Oeftereich ein
ultramontaner Kampfverein ist; sein nächstes Ziel
ist, die Schule in strenge konfessionelle Bande zu schlagen.
Wenn der Thronfolger sich zum Protektor eines solchen
Vereins selbst anbietet und bei Uebernahme des Protektorats
eine solche scharfe Rede im Sinne des kathol. Schulvereins
hält, so muß das auf alle, welche die Befreiung Oester-
reichs vom Joche des Klerikalismus wünschen, einen sehr
ungünstigen Eindruck machen. In Oesterreich zu regieren,
ist außerordentlich schwer. Sollte versucht werden, die
Regierung noch mehr in ultramontanes Fahrwasser zu
lenken, so kann das nur als sehr gefährlich für die
Existenz des Kaiserstaats bezeichnet werden, da auch die
Völker Oesterreichs das Joch des Ultramontanismus auf
die Dauer nicht zu ertragen vermögen. Darum erregt die
Stellungnahme des zukünftigen Kaisers so großes Auf-
sehen und in liberalen Kreisen so großes Bedauern.

Deutsches Reich.
— Ter Korvettenkapitän Lans hat, nachdem er vor
Kurzem von dem Kaiser empfangen worden ist, einen länge-
ren Urlaub erhalten und sich, der „Kreuzztg." zufolge,
zunächst nach den oberitalienischen Seen zur völligen
Wiederherstellung seiner Gesundheit begeben.
— Der erste Reichspostdampser der Deutschen
Ostafrikalinie auf der westlichen Fahrt nach
Südafrika (Capstadt, Port Elisabeth und East London)
hat am 16. ds. Hamburg fahrplanmäßig verlassen. Es
Nummer umfaßt 3 Blätter mit zusammen 12 Seiten.

ist somit der Reichspostdampferdienst unter Vertrag mit der
deutschen Regierung nach dem Capland eröffnet worden.
Fenere Dampfer werden in regelmäßigen Abständen von
vier Wochen abgehen.
— Wiener Blätter melden: Der Deutsche Kaiser;
übersandte an Kaiser Franz Josef ein Telegramm, in
dem er diesem seinen herzlichen Dank für die überaus
liebevolle Aufnahme des Kronprinzen ausspricht«
der ihm hierüber in begeisterten Worten berichtet habe«
Der deutsche Kaiser drückte auch seine Freude darüber
aus, daß sein Sohn sich in Wien so außerordentlich Wohl
gefühlt habe.
Kiel, 19. April. Der Kaiser verbrachte die Nacht
im Schloß und begab sich heute Vormittag 914 Uhr
in Begleitung der Kaiserin mittelst Pinasse zur Marine,
akademie. Er wählte im Garten derselben selbst einen
Platz für das demnächst aufzustellende Denkmal des
Großen Kurfürsten an der Wasserseite des Gartens aus«
Später fuhr der Kaiser an Bord des Linienschiffes
„Kaiser Wilhelm II.", während die Kaiserin das für den
Prinzen Adalbert ausgebaute Prinzenhaus in der
Düsternbrookerallee eingehend besichtigte.
Deutscher Reichstag. Berlin, 19. April. Fort-
setzung der Beratung des Gesetzentwurfes betreffend das
Urheberrecht.
8 23 (zulässige Aufnahme von Abbildungen in ein Schrift-
werk) wird ohne Erörterung angenommen. 8 24 bestimmt, in
welchem Falle Teile eines Werkes, die aufgrund der 88 19—23
benutzt werden, abgeändert werden dürfen. Von den Abgeord-
neten Richter (steif. Volksp.), Lurz (Zentr.) und Dr. Süde-
kum (Soz.) sind dazu Anträge gestellt, Auszüge und Ueber-
tragungen von Werken der Tonkunst auch für die in 8 22
bestimmten Instrumente zu gestatten.
Abg. Wellstein (Zentrum) tritt für die Kommissions-
beschlüsse ein.
Geheimrat Haus spricht für den Antrag Richter, der dem
Vorschläge der Regierung entspreche.
Abg. Richter (freis. Volksp.) stellt fest, daß sein Antrag
die notwendige Folge der gestrigen Beschlüsse sei.
Abg. v. Strombeck (Zentr.) befürchtet, daß für den 8 24
und die folgenden Paragraphen, wenn diese nach der Kommissions-
fassung angenommen würden, sich die Zahl der strafbaren Hand-
lungen für herumziehende Musiker wesentlich vermehren würde.
Abg. Dr. Oertel (kons): Die Fabrikanten mechanischer
Musikinstrumente erhalten durch unsere Beschlüsse einen riesigen
Vorzug.
Hierauf wird nach weiterer Debatte 8 24 mit den Anträgen
Richter, Lurz und Südekum angenommen.
Die weiteren Paragraphen bis 33 werden in der Kommissions-
fassung angenommen.
Staatssekretär Dr. Nieberding bittet, 8 33, der den Schutz
von 30 auf SO Jahre ausdehnt, in der Regierungsvorlage an-
zunehmen. Sollte eine 30jährige Frist beschlossen werden, wer
könnte es dann den Autoren verdenken, wenn sie auf den Rechts-
schutz in der Heimat verzichten und im Auslande verlegen. ES
liegt die Befürchtung vor, daß die Leipziger Verleger nach Brüssel
auswandern werden.
Abg. Lietz (Soz.): Ihm scheine eine einzige Familie in
Deutschland einen solchen Einfluß zu besitzen, daß sie den 8 33
durchsetzte. Er meine die Familie Richard Wagners. Das Gesetz
würde eine Subvention von einer Million für zwanzig Jahre an
diese Familie bedeuten. Deshalb bitte er, den Antrag Richter
anzunehmen.
Staatssekretär Dr. Nieberding ist von einer solchen Be-
einflussung der Familie Wagner auf 8 33 nicht das geringste be-
kannt. Die Regierung würde auch einem solchen Einfluß auf die
Gesetzgebung unter keinen Umständen Raum gewähren.
Schließlich wird 8 33 abgelehnt, die 88 34—39 werden ange-
nommen.
Abg. Haußmann-Böblingen (südd. Volksp.) bringt einen
Zusatzäntrag 8 39 a ein, wodurch der fliegende Gerichtsstand der
Presse für periodische Druckschriften aufgehoben wird, ev. in Ge-
meinschaft mit den Sozialdemokraten die Aufhebung des fliegen-
den Gerichtsstandes der Presse, und begründet diese Anträge.
Staatssekretär Dr. Nieberding: Die verbündeten Regie-
rungen hätten die Erhebungen über diesen Punkt jetzt abgeschlossen;
diese würden ein das Haus befriedigendes Ergebnis haben, wenn
auch die abschließende Stellungnahme der Regierungen nicht vor-
liege Der preußische Justtzmtnister habe die Anklagebehörden
ausdrücklich angewiesen, nur in Ausnahmefällen zu dem Mittel
des fliegenden Gerichtsstandes zu greifen.
Die Abgg. Dr. Südekum ( Soz.), Beckh-Koburg (freis.
Volksp.) und Werner (Reformp.) sprechen noch für die Anträge,
Abg. Hausman n-Böblingen zieht darauf seinen Prinzipalantrag
zugunsten des Eventualanlrages zurück.
Abg. Büstng (natl.) kann für den Antrag nicht stimmen,
weil der Zusatzantrag 8 39 a nicht in das Gesetz gehöre.
Die Anträge werden gegen die Stimmen der Freisinnigen,
Sozialdemokraten und Antisemiten abgelehnt. Eine Reihe Para-
graphen wird in der Fassung der Kommission angenommen, ebenso
der Rest des Gesetzes.
Abg. Richter (freis. Volksp.) beantragt, die Resolutionen
von der Tagesordnung abzusetzen. Nach kurzer Debatte schlägt
Präsident Graf Ballestrem vor, die Resolutionen morgen als
ersten Gegenstand auf die Tagesordnung zu setzen.
Morgen 1 Uhr: Fortsetzung und Süßstoffgesetz.
Baden.
** Der Karlsruher „V olks freund" druckt einen
Aufsatz des sozialdemokratischen Schriftstellers Atlanticus
ab, der sich über Vergangenheit und Zukunft des „Muster-
ländles" Baden verbreitet. Der Verfasser sieht die
Dinge von einem etwas höheren Standpunkt aus an, als
man es bei der Sozialdemokratie gewöhnt ist. Sein Rück-
blick ans das Wirken des politischen Liberalismus in Baden
enthält manches Zutreffende. Wichtiger aber ist, was er
 
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