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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Januar bis Juni)

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Nr. 77-100 (1. April 1901 - 30. April 1901)
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Dienstag, 23. April 1901.

Erstes Blatt.

43. Jahrgang. — Ar. 94.

Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich SO Pfg. frei in's Haus gebracht, bei der'Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post-be-
zogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschließlich Zustellgebühr.
Anzeigenpreis: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Anschlag der Inserate aus den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung
und den Plakatsäulen. — Fernsprech-Auschluß Nr. 82.


Die Verlegung des Karlsruher Bahnhofes.
Karlsruhe, 22. April.
Die „Karlsruher Zeitung" schreibt: Eine Abordnung der drei
Bürgervereine Altstadt, Oftstadt und Weststadt unter Führung
des Herrn Rechtsanwalts Schneider hatte sich heute zu dem
Minister v. Brauer begeben, um sich gegen die Verlegung des
hiesigen Bahnhofs auszusprechen. Der Minister ließ den Herren
keinen Zweifel darüber und sprach es sehr deutlich aus, daß an
eine Abänderung des rechtskräftigen Beschlusses der Verlegung
gar nicht zu denken sei. Nachdem man sich zwanzig Jahre lang
mit dem hiesigen Bahnhofsprojekt, zuerst mit der Ueberführungs-
frage, eingehend beschäftigt habe, sei vor Jahr und Tag endlich
eine Einigung zwischen Staat und Stadt zustande gekommen.
Als man zu dem Projekt der Verlegung die Zustimmung der
städtischen Kollegien gefunden hatte, sei alsbald ein definitiver
Beschluß des Staatsmintsteriums herbeigeführt und demnächst
ein Nachtragsetat mit einer ersten Rate für den neuen, am
Lautersee zu erbauenden Bahnhof von den Ständen angefordert
und von diesen genehmigt worden. Damit sei die Sache definitiv
entschieden; denn es sei undenkbar, ja geradezu eine unwürdige
Zumutung, daß Stadt, Regierung und Landtag ihre wohl-
erwogenen Entschlüsse wieder umstoßen sollten l Nor drei Jahren,
als die Modelle zur Ueberführung und Hochlegung des Bahnhofs
öffentlich ausgestellt wurden, und letztmals im vorjährigen Früh,
jahr, als die Einigung unter den maßgebenden Faktoren zustande
kam und die definitiven Beschlüsse gefaßt wurden, wäre es für
die Interessenten an der Zeit gewesen, gegen die Verlegung zu
sprechen und zu agitieren, was übrigens auch sattsam geschehen
sei. Jetzt sei es zu spät. Die Herren möchten sich mit der alten
Erfahrung trösten, daß die meisten Privatinteressen, die bei sol-
chen Verlegungen anfänglich geschädigt scheinen, schließlich zum
Teil gar nicht berührt, zum Teil sogar von der Verlegung be-

Bom Besuch des Kölner Männergesangvereins
in Heidelberg.
Nachstehend lassen wir die drei Gedichte folgen, die wir
Raummangels wegen unserem gestrigen Bericht über den Be-
such der Kölner nicht mehr einfügen konnten. Es sind dies das
Stegreifgedicht des Amtsrichters Seyfried (Köln), die
Erlebnisse des Festtags (Samstag) schildernd, die gereimte
Anspr a ch e des Fräul. Müller am großen Faß und der
Gruß Perkeos.
Stegreif-Protokoll.
Vergang'ne Nacht in München war es,
Auf dem Kommers, nichts wunderbares.
Es wurde zwei, es wurde drei,
Kein Ende nahm die Kneiperei.
Um sechs schon ging es aus dem Bett,
Der Zug glich einem Lazarett.
Wo viele von uns sah man liegen.
Als Leichen in den letzten Zügen.
Doch als der Ehrentrunk in Stuttgart,
Kredenzt uns liebevoll und gut ward,
Als mit Blumen uns schmückten dortige Damen,
Die meisten wieder zu sich kamen. —
Im Frühltngsplan wir sahn am Berg
Das wundervolle Heidelberg,
Und kaum ward uns sein Zauber kund,
Da waren all' wir wieder g'sund.
Wir sahen in die Bahnhofshalle,
Da harren die Sangesbrüder alle,
Es starrt ein dichter Fahnenwald
Und hoher Sängergruß erschallt.
Herr Dr. Keller vom Liederkranz.
Der spricht uns aus dem Herzen ganz,
Als uns begrüßend er da meint,
Wir blieben ewig in Freundschaft vereint.
Ein so herzlich entbotener Freundesgruß
Zum Herzen tief ja dringen muß.
Und unser Auge ist geblendet,
Man hat zwei Ehrenjungfrau'n entsendet,
Zwei reizende, rundliche Mägdelein,
In prächtigen Versen grüßt den Verein
Die Eine gar herzhaft und ohne Scheu,
Das klang so lieb, so herzig und treu,
Daß für den allerliebsten Gruß
Wir am liebsten gegeben ihr einen Kuß.

günstigt werden. Jedenfalls aber sei mit der Verlegung des
Bahnhofs an den Lautersee eine Lösung der leidigen Bahnhofs-
frage nunmehr definitiv gefunden, die sich in der Zukunft als
außerordentlich ersprießlich für die städtischen wie staatlichen
Gesamtinteressen erweisen werde.
Zu dieser Auslassung der „Karlsruher Zeitung" bemerkt die
Abordnung, die beim Minister, war in der „Bad. Presse": Die
Behauptung, daß der Minister gesagt habe: „Es sei undenkbar,
ja geradezu eine unwürdige Zumutung, daß Stadt, Regierung
und Landtag ihre wohlerwogenen Entschlüsse wieder umstoßen
sollten", ist eine unwahre und es ist bereits seitens der Abord-
nung aufgrund des 8 11 des Paßgesetzes die Berichtigung der
erwähnten Behauptung verlangt worden. Gleichzeitig veröffent-
lichen die drei Mitglieder der Abordnung ihrerseits einen Bericht
über die Auslassungen des Herrn v. Brauer. Danach erklärte
derselbe Folgendes: Betriebstechnische Bedenken kämen bet der
Höherlegung überhaupt nicht inbetracht. Auch die Kostenfrage
spiele bei ihm keine oder nur eine untergeordnete Nolle. Die
Bahnhoffrage habe für die Entwicklung der Stadt eine so hohe
Bedeutung, daß es auf 5 oder 10 Millionen nicht ankäme. Aus-
schlaggebend sei die Platzfrage gewesen, da er den vorhandenen
Platz des jetzigen Bahnhofes nur noch für 20 oder 25 Jahre für
ausreichend halte, während man bei einer Verlegung für alle
Verhältnisse Vorsorgen könne. Demgegenüber wurde seitens der
Abordnung darauf hingewiesen, daß bei der Lage der Stadt die
Zahl der Zufahrtslinien nach menschlicher Voraussicht eine fest-
gegebene sei, daß die jetzt vorhandene Zahl von 8 Geleisen auf
dem gegenwärtigeu Bahnhofe verdoppelt werden könne, und daß
bei dem Verleguugsprojekt eine gleiche oder nur unwesentlich
höhere Zahl Geleise vorgesehen sei. Das Gelände des derzeitigen
Bahnhofes habe vom Aufnahmegebäude bis zur Bahnhofftraße
eine Breite von etwa 125 Metern, während die neuen Bahnhöfe
der Stadt Lübeck und Hamburg nur eine Breite von 90 und 120
Metern hätten. Der Herr Minister erkannte an, daß durch die
Verlegung des Bahnhofes eine Wertverschiebung eintreten und
die Stadt geradezu herumgedreht werde. Die Werte der Kaiser-
straße würden einen Rückgang erfahren, und die Ettlingerstraßc,
sowie eine neue Straße nach der Kurvenstraße zu würden später
Hauptverkehrsadern bilden. Er glaube aber, daß die Wert-
Verschiebung für die gegenwärtigen Besitzer zwar schlimm, aber
keine so wesentliche sei, und daß sich alles nach 10 bis 15 Jahren
wieder ausgletchen werde. Er erkenne auch an, daß die Verhält-
nisse bezüglich der Zeil in Frankfurt mit den hiesigen Verhält-
nissen nicht völlig verglichen werden könnten. Er habe sich immer
gewundert, daß im Gegensatz zu so vielen anderen Städten früher
keine Abordnung der hiesigen Bürgerschaft zur Wahrung ihrer
Interessen bei ihm erschienen sei und ihm einen Rückhalt zur
Durchführung seines Ueberführungsprojektes gewährt habe. Jetzt
sei die Sache für ihn rss juäieata. Denn nachdem er seine Mt-
nisterkollegen für die Verlegung gewonnen und Seine Königliche
Hoheit zur Unterzeichnung der Verlegung beraten habe, sei es
für ihn als Minister unmöglich, für eine Aenderung der Sache
einzutreten, auch nicht mehr für eine Ueberführung. Er halte die
Verlegung für das einzig Richtige und sei überzeugt» daß man
ihm noch auf dem neuen Bahnhofgelände aus Dankbarkeit für
die Verlegung ein Denkmal errichten werde, denn der neue Bahn-
hof reiche aus, selbst für den Fall, daß Karlsruhe eine Großstadt
von 6 Millionen werde. Die Abordnung konnte sich gleichwohl
der Ueberzeugung nicht verschließen, daß für die Verlegung durch-
schlagende Gründe nicht vorhanden sind.

Unser Präsident dankt tiefgerührt,
Während sich indessen der Zug formiert.
Der Präsident nimmt schnell des Fräuleins Arm,
Man sah's ihm an, er wurd' ganz warm.
Wie eine Braut verschämt allein
Selwarte mit dem Straub stelzt hinterdrein.
Geflaggt sind weit und breit die Straßen,
Wie das uns rührt weit über die Maßen.
Viel Dank Euch, die die Stadt bewohnen,
Wie sollen wir Eure Güte lohnen?
Und darauf folgte das Konzert,
Das haben Sic ja selbst gehört.
Wenn wir, die wir seit vierzehn Tagen
Uns allerorts uns rumgeschlagen,
Gekneipt so viel, es ist kein Spaß,
Nicht geht's ins Heidelberger Faß,
Wenn wir wenig geschlafen und viel gesungen
Und dennoch noch das Konzert gezwungen,
Dann war es die Begeisterung,
Die uns verlieh noch einmal Schwung.
Vor den Heidelbergern, so kunstbegeistert,
Die Müdigkeit wir haben bemeistert.
Am Schluß klang freudig durch den Saal
„Nun danket alle Gott" — im Choral —.
Und wieder betreten allzumal
Zu andern Thaten wir den Saal.
Das Auge fliegt zur Decke empor,
Welch reizend lieblicher Damenflor,
So viele Mägdlein wonnig und schön
Wir haben selten vereinigt gesehn.
Ueber uns ergießt sich ein Blumenregen,
Von oben kommt ja immer der Segen.
Ihr lieben Damen, da droben zu Hanf,
Wir kommen gleich einmal hinauf.
Oder, besser noch, sie kämen munter
Ein wenig 'mal zu uns hinunter,
Daß wir persönlich ihnen sagen
Den Dank, den wir im Herzen tragen.
Wenn wir könnten, glaubt uns, blieben wir
Wegen Euch allein noch länger hier.
Herr Doktor Keller nimmt das Wort
Und reißt uns zur Begeisterung fort.
Er hat uns aus dem Herzen gesprochen:
Konkurrenzgesang wird nicht verbrochen,
Der führt gar vielfach nur zum Bruch,
Wir hatten grade von Kassel genug. —

Deutsches Reich.
— Der „Germania" zufolge ist Stabsarzt Dr. Wiede-
mann zum Leibarzt des Kronprinzen ernannt wor-
den. Ein aktiver Militärarzt dieses Namens steht nach der
Rang- und Quartierliste beim 114. Infanterie-Regiment
in Konstanz. K _
Deutscher Reichstag. Berlin, 20. April.h Der
Zusatzantrag zu dem Auslieferungsvertrag zwischen dem
Reiche und Belgien vom 24. Dezember 1879 wird stn 1.
und 2. Beratung angenommen.
Bei der Beratung des Süßstoffgesetzes führt Abg. Speck
(Zentrum) aus: Es könne nicht behauptet werden, daß sich eine
Einschränkung des Zuckerverbrauchs gezeigt hätte, als Folge der
Verbreitung des Süßstoffes. Die Hoffnung sei trügerisch, daß
eine Vereinigung deutscher Zuckerindustrieller die Zuckerpreise
herabsetzen werde. Da Zucker der Besteuerung unterliege, sei eS
nicht mehr wie recht, auch das Produkt des Süßstoffes zu be-
steuern. Redner ist für Ueberweisung an eine Kommission von
21 Mitgliedern. H
Abg. Graf Kanitz (konf) hält das Saccharin für gesund-
heitsschädlich. Die Saccharinindustrie schade der Zuckerindustrie
empfindlich. Darunter leide die Zuckerproduktion und die Finanz-
wirtschaft des Reiches. Dieser Gesichtspunkt sei für ihn allein
entscheidend. Agrarische Interessen leiteten ihn nicht.
Abg. Wurm (Soz.): Das Saccharin sei den Herren vom
Zuckerring unbequem. Man wolle den Agrariern einen Gefallen
thun. Das Saccharin sei das Gewürz der armen Lente. Redner
schließt: Wenn dieser Entwurf Gesetz werde, so sei das Zucker-
monopol da.
Abg. Paasche (natl.) führt aus, Saccharin sei und bleibe
ein Betrugsmtttel. Im großen und ganzen treffe die Regierung
mit dem Entwürfe das Richtige.
Staatssekretär Frhr. v. Thielmann erklärt: Hier wurde
der Wunsch ausgesprochen, das Gesetz von vornherein auf einige
Jahre aufzufristen. Dem müsse er widersprechen. Das sei un-
praktisch. Eine offene Frage sei, ob das Gesetz am 1. Januar
oder am 1. April in Kraft treten soll.
Abg. Eickhoff (freis. Volksp.): Man könne hier von den
Wünschen der Agrarier sagen: Steter Tropfen hölt den Stein.
Die Haltung der Regierung in dieser Frage sei wenig befrie-
digend.
Abg. Dr. Roeficke (Bund der Landw.) versteht nicht, wie
die Sozialdemokraten gegen die Besteuerung dieses Genußmittels
sein können.
Abg. Schräder (freis. Volksp.): Man wolle hier eine In-
dustrie beseitigen, gegen die man nichts sagen könne, als daß sie
einer anderen Konkurrenz mache.
Abg. Wurm (Soz.): Die Haltung der Sozialdemokratie habe
sich seit 1898 nicht geändert.
Nach weiterer Debatte und nachdem Abg. Dr. Oertel (kons.)
die Vaterschaft dieses gesetzgeberischen Kindes abgeleugnet, das
andernfalls kräftiger ausgefallen wäre, wird der Gesetzentwurf
einer Kommission von 21 Mitgliedern überwiesen.
Morgen 1 Uhr: Branntweinsteuer.
Baden.
L. 0. Karlsruhe, 20. April. Im demokratischen
„Landesboten" rührt ein Artikel die bad. Wahlrechts-
frage wieder auf; der Verfasser will aber nicht für sich
in Anspruch nehmen, daß er die Ansicht der Mehrheit der

Und prächtig gesungen, voll Feuer und Schwung,
Erklang die Morgenwanderung.
Dank Euch, Ihr Sangesbrüder, treu
Und Eurem Präsidenten auf's neu
Auch Eurem Herrn Direktor Weidt,
Der Euch führt als Künstler voll Kraft und Schneid!
Belebter werden nun die Geister,
Es spricht der Herr Oberbürgermeister:
„Was uns eint, das ist das deutsche Lied."
Und jubelnd aus erhob'nem Gemüt
Durchbraust den Saal ein donnernd Hoch
Auf den Kaiser und den Großherzog,
Die beide Freunde von unserem Wein,
Das macht uns stolz, könnt's anders sein!
Wie leutselig klang das Telegramm,
Das unsere Herzen im Sturme nahm.
Von den Bundesfürsten, daß Jhr's nur wißt,
Euer Großherzog uns längst der sympathischste ist.
Dank Ihnen, des Wortes trefflichem Meister,
Dank Ihnen Herr Oberbürgermeister. —
„Mignon" erklang, famos, pomadig.
Dank, Herr Musikdirektor Radig. —
Professor Rohrhurst d'rauf nahm das Wort,
Es wird uns leben im Herzen fort:
„Vsui, oseini, vioi«, er sagt sehr schön, '
Weil die Damen aber kein Latein verstehn
Drum hat er's gleich auch übersetzt, '
Und unfern Verein begleitet er jetzt
Auf seinem ganzen Siegeszug,
Den er da machte in kühnem Flug.
Wie in den Dienst des deutschen Liedes wir
Gestellt uns hatten für und für.
Wie nicht das Schöne wir pflegten allein,
Nein, auch das Gute, manchen Stein
Zum Tempel der Barmherzigkeit
Wir beigetragen alle Zeit,
Wie das Lied die Brücke habe geschlagen
Von Herz zu Herzen zu allen Tagen.
An Carmen Sylva knüpft alsdann
Er in formvollendeter Weise an,
„Wie das Lied ihm heute zum Herzen drang
Vergesse er nimmer sein Leben lang."
Herr Professor, wenn Männer sich feuchten,
Wenn Hochgefühle sie Brust durchleuchten,
Sie Habens eben fertig gebracht,
Dank, heißer Dank sei Ihnen gesagt. —
 
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