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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Januar bis Juni)

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Nr. 51-76 (1. März 1901 - 30. März 1901)
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SamMß, 30. Mürz 1901.

43. JghMllsi. — wr. 76


Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich 50 Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch,' die Post be-
zogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschließlich Zustellgebühr.
Anzeigenpreis: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Anschlag der Inserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung
und dm Plakatsäulen. — Fernsprech-Anschluß Nr- 82.

Die Ansprache des Kaisers an die Alexander-
. Grenadiere.
Der Kaiser ist als Redner häufig schon sehr glücklich
gewesen; manchmal hat er aus dem innersten Volks-
empfinden herausgesprochen und Worte gefunden, die weit-
hin lauten Wiederhall erweckten. Zuweilen war er auch
minder glücklich; einige seiner Aussprüche sind zwar viel,
aber in den gegenüber der Majestät gezogenen Schranken
Ungünstig besprochen worden.
Die Ansprache an die Alexander-Grenadiere stellt sich
als eine Ergänzung der Klage über das Schwinden des
Autoritätsbewußtseins dar. Wenigstens ist zwischen beiden
der Zusammenhang ohne Mühe herzustellen: Abnahme
der Autorität, Volksaufstand, Eingreifen der militärischen
Macht. Die betreffende Stelle wird in den verschiedenen
Berichten verschieden wiedergegeben. Die stärkste Lesart
lautet: „Wenn die Stadt Berlin noch einmal wie im Jahre
48 sich mit Frechheit und llnbotmäßigkeit gegen
den König erheben wird, dann seid Ihr, meine Grenadiere,
dazu berufen, mit der Spitze Eurer Bajonette die Frechen
und Unbotmäßigen zu Paaren zu treiben."
Man wird füglich berücksichtigen müssen, daß eben erst
gegen das geheiligte Haupt des Kaisers ein Anschlag aus-
geführt worden ist; es war ein Kranker, ein Unzurechnungs-
fähiger, der die Thal verübte, ebenso wie jene Weibs-
person in Breslau, die ein Beil nach dem Kaiser warf.
Aber der Gedanke, daß ihm so etwas passieren konnte, ist
gewiß für den Kaiser kein erfreulicher; er ist für seine
ganze Umgebung, für Alles, was in Deutschland monarchi'ch
gesinnt ist, ein beunruhigender. Der Kaiser ist ein Soldat;
er fürchtet sich nicht ; das hat er gezeigt; das wissen wir.
Wenn aber, von den beiden Attentatsversachen ausgehend,
seine Gedanken wciterschweifend, sich die überhaupt mög-
lichen Gefahren vorstellcn sollten, so wäre das ein ganz
Natürlicher Prozeß; das würde jedem anderen Manu ebenso
gehen.
Eine andere Frage ist es, ob es zweckmäßig war, auf
einen möglichen Volksausstand in Berlin und dessen mili-
tärisches Niederwersen hinzuweisen. In dem Augenblick,
da der Kaiser dieses Wort sprach, hat sicherlich auch nicht
ein einziges Gehirn im deutschen Reich auch nur im ent-
ferntesten an etwas derartiges gedacht. Die Sozialdemo-
kratie braucht nur noch verschämt das Wort Revolution
als Redeschmuck; sie ist in der Regierungszeit des Kaisers
entschieden harmloser geworden. Hätte der Kaiser die
Wendung gebraucht, daß das Alexanderregiment seine Leib-
wache sei, er sei aber überzeugt, daß er den Schutz dieser
Wache nie werde ancufen brauch.n, dann hätte er der
Nation aus dem Herzen gesprochen. Die Wendung, die
der Kaiser nach den vorliegenden Berichten gebraucht hat,
versteht man nicht, sie erweckt deshalb ein Gefühl der Un-
ruhe und des Unbehagens darüber, daß der Kaiser Grund
zu haben glaube, an die Sturmeszciten des Jahres 1848
erinnern zu müssen. Wir glauben doch heute ruhiger,
überlegener zu sein als damals. Die Bahn der Entwick-
lung Deuschlands liegt klar vor unfern Augen, die politische
Hitze hat sich so abgekühlt, daß z. B. dr Reichstag be-
ständig beschlußunfähig ist. Unter solchen Umständen wollen

Heidelberger Liederkranz-Konzert.
Heidelberg. 30. März.
Naturgemäß sind es die Chorwerke, die den Reiz und
die Eigenart der Liederkranzkonzeite ausmachen. Sie
bedeuteten für den gestrigen Abend auch dos Vollkommene.
Jede neue Probe beweist auf das glänzendste, wie Direktor
Weidt sich die große Sängerkörperschaft zum fügsamen,
billigen Instrument erzogen hat. Es ist ein freies, ein
dornehmes Singen, was hier geübt wird, man wird
Mühe haben, Schwächen zu entdecken, die auf eine
Dilcttantengcsellschaft schließen lassen. Ausgereift, ab-
gerundet find die Leistungen.
Im Grunde genommen wirkt Männergesang immer
ba am sympathischsten, wo er sich am schlichtesten gibt, er
lst von Haus aus ein frischer Naturbursche, der nur der
Mode zulieb sich in kunstvolle Gewänder zwängt. Und so
bähen die beiden volkstümlichen a onpolln-Chöre von
Rirchl und Zöller am meisten zu Herzen gesprochin. Kom-
plizierteres Kunstlied ist schon Goldmarks „Früh ingsnetz".
Der in seiner melodischen Erfindung immer glückliche Kom-
ponist hat hier durch die Begleitung des Klaviers und
^Ues Hoinqnartctts einen ganz reiztNden Klangzauber
du wecken gewußt, und frische, träumerische Waldstimmung
beschaffen. BJonders hübsch ist die Stelle milder flaltern-
ben Stimmführung.
Keine eben neue Wege wandert Epp in seinem „Oybin",
über was er giebt ist, eine ernst gedachte, ansprechend
gefundene und durchsichtig ausgesührte Musik. Die klang-
schöne Komposition ist jedenfalls klarer als die etwas
"Urrkle, unverständliche Dichtung. OybinS Hulä, yrris, ubik

wir hoffen, daß der Kaiser auch wieder wohlgemut und
hoffnungsfroh zur Nation sprechen wird. Wohl hat der
Kaiser seine letzte Ansprache im Kasernenhof des Alexander-
regiments gehalten, aber seine Worte dringen eben doch
hinaus ins Volk, auch wenn sie nur für einen kleinen
Kreis bestimmt waren; deshalb ist es auch im Interesse des
zu erhaltenden Autoritätsgefühls gelegen, wenn das deutsche
Volk nicht vor solche peinliche Ueberraschungen, wie dieser
Hinweis auf die Spitzen der Bajonette eine ist, gestellt
wird.

Deutsches Reich.
— Der Generalmajor Graf v. Hülsen-Häseler, Kom-
mandeur der 2. Garde-Infanterie Brigade, wie die „Krcuz-
zeitung" vernimmt, zur Dienstleistung in das Militär-
kabinet kommandiert worden.
— Der „Süddeutschen Reichskorresp." zufolge kommen
im Laufe des Frühjahrs Vertreter aller deutschen Bundes-
staaten in Berlin zu einer Konferenz betreffend die
einheitliche Rechtschreibung zusammen.
— Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt: Seit der Groß-
jährigkcitserklärung des Kronprinzen tauchten bis in die
jüngsten Tage in der Presse Gerüchte über eine angebliche
Verlobung desselben auf. Wir erwähnen diese wenig tuki-
vollen Ausstreuungen nur, um daran d e Bemerkung? zu
knüpfen, daß ihnen allen derselbe Grad von Grundlosig-
keit inuewohnt.
Bayer».
Pass au, 29. März. Bischof Rampf ist heute
infolge Lungenentzündung gestorben.
Aus der Karlsruher Zeitung.
Karlsruhe, 29. März. Der regelmäßige Vortrag
des Ministers Dr. Bucheuberger bei dem Grotzherzog
konnte heute wieder nicht slattfindeu wegen noch andauern-
den Unwohlseins des Ministers. Der Geheime Legations-
rat Dr. Freiherr von Babo hatte vormittags bei Seiner
Königlichen Hoheit kurzen Vortrag. Hierauf meldete sich
der Kommandeur des Gendarmeriekorps, Oberst Wolfs.
Die Ankunft des E rbgrotzh erzogs erfolgte heute Nach-
mittag 1 Uhr 52 Minuten. Seine Königliche Hoheit kam
über Maxau und Verl eß die Bahn an der Station Mühl-
burger Thor. Der Großherzog von Sachsen kam
heute Mittag kurz nach 3 Uhr, gefolgt von dem Ehren-
dienst, welcher dem hohen Gaste bis Mühlacker entgegen-
gcfahren war, hier an. Der Erbgroßherzog geleitete den
Grotzherzog von Sachsen vom Bahnhof durch die mit
Fahnen geschmückte Karlfiiedrichstraße in offenem Wagen
nach dem Großherzoglichcn Schlosse. Im Hauptportal
empfing der Grotzherzog, gefolgt von dem gesamten Hof-
staat, den hohen Gast und geleitete denselben nach dem
Marmvrsaal, wo die Großhcrzogin mit ihren Damen den-
selben erwartete und begrüßte. Heute Abend 7 Uhr findet
große Galatafel statt, zu welcher außer den im Großver
zoglichen Schlosse wohnenden Fürstlichkeiten die Fürstin
zur Lippe erscheinen wird. Der Grobherzog von Sachsen
gedenkt bis morgen gegen Mittag vier zu verweilen.

Ausland.
Frankreich.
Paris, 29. März. Das Vereinsgesetz wurde
mit 303 gegen 224 Stimmen angenommen. Nun hat
es noch den Senat zu passieren, so daß man zweifeln kann,
ob es vor dem Herbst fertig sein wird. Dieses Gesetz
giebt der Regierung die Möglichkeit, die Einwirkung der
Orden auf die Schulen zu beschränken; namentlich die
Thätigkeit der zahlreichen Kongregationen, die mit Umge-
hung der heute bestehenden Gesetze thätig sind, lahm zu
legen. So bestimmt z. B. Artikel 14: „Niemand ist be-
fugt, direkt oder durch eine zwischengeschobene Persönlichkeit
ein Unterrichtsinstitut — welcher Art cs auch sei — zu
leiten, noch Unterricht zu erteilen, wenn er einer nicht
autorisierten geistlichen Kongregation an-
gehört."
Portugal.
Lissabon, 28. März. 650 Buren sind heute mit
dem Dampfer „Bengnella" von Laurenzo-Marques hier
angekommen. Zwei Sondsrzüge bringen sie nach Peniche
und Alkobaka (nördlich von Lissabon in Estremadura), wo
d>e Reg eräug für gute Unterkunft gesorgt hat.

d Sitzung des Bürgerausschusses am SS. März.
Zur Erledigung einer umfangreichen Tagesordnung hatten sich
die Mitglieder des Bürgeraasschusses zahlreich eingefunden.
Im Saale waren die Pläne für die zu errichtenden Schulhäuscr
sowie das Donndois'sche Modell des Reiterstandbilds Kaiser
Wilhelm I. ausgestellt und wurden vor Beginn der Sitzung eifrig
betrachtet und angelegentlich besprochen. 92 Anwesende wurden
beim Namensaufruf festgestellt. Um ^5 Uhr eröffnet« Ober-
bürgermeister Dr. Wilckens die Sitzung und erteilte zunächst
dem Obmann des Stodtverordnetenvorstandes, Herrn Leon h ard,
das Wort, welcher aueführte, der Stadtverordnetenvorstand habe
die zur Beratung vorliegenden Anträge des Stadtrates geprüft
und sei mit denselben vollständig einverstanden.
Zur 1. Vorlage: Die Errichtung eines Grundbuch-
cmts als Gemeindeamt übergehend, erläutert der Obmann
die durch das Gesetz bedingte Notwendigkeit des stadträlltchen
Vorschlages, der noch dahin zu ergänzen sei, daß beabsichtigt
werde, dem verdienstvollen seitherigen Grund- und Pfandvuch-
führer Hofmeister auch die Führung des neuen Gcundbuch-
amtes zu belassen. Herr Hofmeister vereinige dienstlich und per-
sönlich alle Eigenschaften, die das schwierige und so vielfach in
Anspruch genommene Amt erfordere. Der Vorsitzende schließt
sich diesen Worten warmer Anerkennung aus vollster Ueberzeugung
an. Redner giebt seiner Freude darüber Ausdruck, daß es ge-
lungen sei, entgegen der ursprünglichen Vorlage der Regierung«
den größeren Städten des Landes die Möglichkeit zu schaffen,
die Grundbuchämter als Gemeindeämter weiter zu führen. Es
wäre bedauerlich gewesen, wenn die Gemeinden dieses Stück
kommunaler Selbstverwaltung hätten preisgeden müssen; er hoffe,
daß die Erledigung der Angelegenheit am hiesigen Platze am
besten den Interessen der Bevölkerung entspräche.
Die Vorlage wild einstimmig genehmigt, ebenso die II., Hl.
und IV., detr den Beizug der Angrenzer zu den Kosten
der Herstellung der Keplerstraße zwischen Laden-
burger und Mönchhofstraße, den Beizug der An-
grenzer zu den Kosten der Herstellung der
Vangerowstraße und die Herstellung der Vangerow-
st r ° ß e.
Vor Besprechung von Vorlage V, die Herstellung der
Eppelhetmer Landstraße betr., teilt Oberbürgermeister
Dr. Wilckens mit, daß bet der Zusammenstellung des Auf-
wandes für das zur Verbreiterung der Straße nötige Gelände
ein P-üen irrtümlich überleben worden sei für ein Stück Ge-

Seiner Gepflogenheit, den Chorwerken durch Soiistcn-
vortrag ein kontrastierendes Relief zu verleihen, ist der
Liederkranz auch gestern treu geblieben.
Das immer willkommene Cello hatte ein Freund des
Vereins, Herr Roth, mitgebracht. Recht ansprechend gelang
ihm die bekannte, außerordentlich gefällige „Berceuse de
Jocelyn" Godards. „Kol Nidrei" von, Bruch und Poppers
„Gavotte" stellen, namentlich in dem Paffagewerk, recht
hohe Anforderungen, dem nur bei vollkommener Meister-
schaft genügt werden kann.
Bon der Gesangssolistin Frl. Hedi Kaufmann als
Bühnensängerin hält man in Wiesbaden sehr viel und ver-
spricht sich noch mehr. Offenbar mit beweglichem Bühnen-
temperament gerüstet, von einer schönen Erscheinung unter-
stützt, mit einer kräftigen, gut tragenden, besonders in der
Kopfstimme durch Wohlklang ausgezeichnete Stimme aus-
gestailet, muß sie auf der Bühne unfehlbar wirken.
Ihr Element scheint die Koloratur, der leichtere, fran-
zösische Lhansonstyl zu sein. Rubinsteins „Traum" und
Jensen liegen ihr nicht so gut, auch schien sie erst bei
Madame Chaminades französisch beweglichem I-'vts warm
zu werden. In diesem leichten Genre ist sie mit seltener
Grazie zu Hause. Brahms entzückendes „Ständchen" —
dies nicht zum leichten Genre zu rechnen — Hellmunds
gar flaches „Ballgcflüstcr", Taubcrts reizender „Wald-
Vogel" und als Zugabe Löwes „Niemand hal's geselml"
ließen die flotte, kokette Verve des Vortrages mit der
leicht fließenden Koloratur glückliche Wirkung thun.
Frl. Kaufmann würd: mit ihren reichen Gaben im

Koiizertsaal noch ganz anders wirken, wenn nicht ihrem
Singen gewisse Unarten anhafteken. Eine Neigung zum
Schleifen des Tones, d e nicht immer ganz reine Intonation,
vor allein aber das seltsame Vokalifieren — die Dame
singt z. B. stets „ünd, — Uelme" — offenbar Bühnenan«
gewohnbeiten, stören etwas den Reiz ihres Gesanges.
Das Publikum überschüttete die anmutige Sängerin
mit Beifall.
Eine umfangreiche Aufgabe fiel Herrn Gompf zu,
der in zahlreichen Nummern den Klavierpart zu bewältigen
hatte, und dies mit gutem Gelingen durchführte.
vr. 8.

Kleine Zeitung.
— Metz, 29. März. Die Verhandlung gegen den
Oberleutnant Rüger wegen Ermordung des Hauptmanns
Adam, beide vom 17. Jnfanierieregiment, hat heute Vor-
mittag vor dem Oberkriegsgericht begonnen. Ungefähr 30
Zeugen und 2 medizinische Sachverständige sind geladen.
Der Prozeß dauert wahrscheinlich mehrere Tage.
— Berlin, 29. März. Die „Verl. Neuest. Rache."
melden, daß dem Fürsten Herbert Bismarck heute
früh ein Sohn geboren wurde. (Aus der Ehe des
Fürüen Herbert Bismarck mit der Gräfin Marguerite
Hoyos waren bisher drei Kinder hervorgegangen, Hanna
(gcb. 1893), Goedela (geb. 1896) und Otto (geb. 1897).
Die Red.)
 
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