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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Januar bis Juni)

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Nr. 77-100 (1. April 1901 - 30. April 1901)
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Donnerstag, 4. April Ml

43. Jahrgang. — Zlr. 89.





Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich SV Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 4V Pfg. Durch die Post be-
zogen vierteljährlich 1.35 Ml. ausschließlich Zustellgebühr.
Anzeigenpreis: 2V Pfg. für die Ispaltige Petitzcile oder deren Raum. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Anschlag der Inserate aus den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung
und dm Plakatsäulen. — Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Des Karfreitags Wege« erscheint die nächste
Nummer am Samstag.

Li-Hung-Tschang über das Mantschurei-
Abkommen.
' Wer Berichterstatter der „Times" in Peking hatte
am 29. März ein Interview mit Li-Hung-Tschang. Er
berichtet darüber: Li-Hung-Tschang gab zu, daß seine
Politik auf der Ueberzeugung begründet sei, daß Rußland
die einzige Macht sei, die China zu fürchten habe.
Rußland habe seinerzeit China angeboren, wegen der
Mantschurei mit ihm zu verhandeln. China konnte nicht
ablehnen, da es zu Beginn der Unruhen durch seine Be-
amten ins Unrecht gesetzt wurde, indem dieselben die russi-
schen Strcitkräfte angriffen. Beim Fortschreiten der Unter,
Handlungen wurde Rußlands Ton gebieterischer. China
würde es vorgezogen haben, daß die Mants churei-F ra ge
durch das Konzert der Mächte behandelt werde, aber Ruß-
land lehnte eine dahingehende Anregung entschieden ab.
Auch den Vorschlag Chinas, die Bedingungen des Ab-
kommens den befreundeten Mächten mitzuteilen, untersagte
Rußland als eine Verletzung des diplomatischen Brauches.
Li-Hung-Tschang leugnete nicht die Existenz freundschaft-
licher Abmachungen zwischen Rußland und China, erklärt
aber, diese gehen nur China und Rußland an. Warum
wendeten sich die Mächte, wenn sie Informationen wünsch-
ten, nicht nach Petersburg statt nach Peking? Entweder
fürchteten die Mächte Rußland, wte könnte man dann
davon überrascht sein, daß auch China Rußland fürchtet?
Oder aber die Mächte betrachteten die Frage als eine
Maßregel untergeordneter Bedeutung. Wie könnte in
diesem Falle China auf ihre Unterstützung rechnen? Er
gebe zu, daß das Abkommen noch nicht unterzeichnet
sei; er sei aber überzeugt, daß es China unterzeich-
nen müsse und Unterzeichen werde. Rußland drohe
jetztgeradezu mit der Annektierung derMantschurei.
Als es an die Zusicherungen erinnert wurde, die es den
Mächten in dem Sinne gab, daß cs keine territorialen
Vorteile suche, erklärte Rußland, es sei fest entschlossen,
die Zusicherungen, welche nur bedingungsweise ge-
geben seien, zurück;»ziehen. Li-Hung-Tschang gab auch
Su, daß China keinerlei Sicherheit dafür habe, daß das
Abkommen Rußland dauernd zufrieden stellen werde. Er
Rechne aber immerhin auf eine Frist von 10—20 Jahren,
^ährend welcher Zeit Rußland die Mantschurei russifizieren
werde.
Es ist in der That anzunchmen, daß Rußl and seinen
Zillen durchsetzt. Japan soll zwar erklärt haben,
daß es die Folgen einer Weigerung Chinas mit diesen
teilen wolle, allein China will es auf einen Krieg nicht
^»kommen lassen, zumal da Rußland ja die Mantschurei
schon heute in Wirklichkeit in der Tasche hat.
Nach einer Meldung der „Morning Post" aus
Vaotingfu vom 31. März hätten chinesische Beamten
Um 30. März (also einen Tag nach dem Interview) von
A-Hung-Tschang die Nachricht erhalten, das russische
Abkommen sei unterzeichnet; ferner seien sie unter-
Achtet, der Kaiser werde im nächsten Monat nach Peking

aufbrechen, die Kaiserin-Witwe aber zurücklassen. Nach
einem Telegramm des „Standard" aus Tientsin vom 1
dagegen erwarten die Chinesen, das Mantschurei-Abkommen
werde in den nächsten fünf Tagen vollzogen werden

Japan und Rußland.
Ueber die kriegerische Stimmung in Japan schreibt die
von dem Japaner Herrn Kisak Tamai redigierte Monats
zeitschrift „Ost-Asien" u. a. Folgendes:
„Nach dem Regen scheint die Sonne", sagt ein nicht
nur im Westen sondern auch im Osten bekanntes Sprich
wort. Ueber China und Japan klärte sich nach Beendi-
gung des Krieges der Himmel aus und in der hellstrahlen
den Sonne des Friedens wurden die gegenseitigen Bezieh-
ungen der beiden Staaten die denkbar besten und freund-
schaftlichsten.
Wenn die sibirische Eisenbahn ganz vollendet sein wird,
dann wird ein reger Verkehr zwischen Japan und Ruß
land sich entfalten, und dieser würde durch erst späteren
Ausbruch des Krieges weit größere Schäden erleiden, als
dies vorher der Fall sein würde. Ratsam ist es daher,
die unvermeidlich explodierende Mine schon
vor Fertigstellung der sibirischen Bahn zur
Explosion zu bringen, damit sich später die gegen-
seitigen Verhältnisse in ebenso freundlicher Weise gestalten
können, wie die zwischen China und Japan nach dem letzten

Der liebe Zar hegt, wie man sagt, immer große Er-
oberungspläne und kann daher kein Freund des Friedens
sein; wir glauben das Gegenteil und halten denselben für
einen großen Förderer des Friedens. Der beste Beweis
hierfür ist der vor zwei Jahren auf seine Veranlassung
zusammengetretene internationale Friedenskongreß im Haag,
welcher vielleicht, nachdem die geordneten Zustände wieder
hergcstellt sind, einen Nachfolger in der schönen Mantschurei
finden könnte. Bevor jedoch letzieres geschehen kann,
müssen Japan und Rußland ihre Differenzen in
gegenseitigem Kampfe vollständig geschlichtet haben.
Vorher können sich diese beiden Mächte niemals mit wahrer
Herzlichkeit begegnen und bloß unter dem Scheine der Auf-
richtigkeit und nach Diplomatenart formell miteinander ver-
handeln.
Marquis Jto sucht möglichst alle Streitigkeiten mit
Rußland zu vermeiden, und der Chefredakteur der in Tokio
erscheinenden angesehenen Zeitung „Tokyo Mainichi Thim-
bu»", Herr Saburo Shimada, fördert dessen Bestrebungen
mit großem Eifer. Schon einige Jahre lang ist die Zeitung
besonders eifrig an der Arbeit, entgegen der allgemeinen
kriegerischen Begeisterung, für die Freundschaft mit Rußland
zu agitieren. Infolgedessen ist die feindselige Stimmung
gegen das Zarenreich zwar etwas abgeschwächt worden;
trotzdem aber sind die Zustände unter den heutigen Ver-
hältnissen unhaltbar."

Deutsches Reich.
— Der Kaiser besichtigte Mittwoch Vormittag im
Atelier des Professors Uphues das Modell und die

architektonischen Grundrisse für daS vor dem Generalstabs-
gebäude geplante Moltke-Denkmal. Nachmittags
empfing der Kaiser u. a. den Gouverneur von Kiautschou,
Kapitän z. S. Truppe!, vor Antritt seiner Stellung, und
den aus Ostasien zurückgekehrten Kapitän z. S. Lans.
Die beiden letzteren sind auch zur Frühstückstafel bei dem
Kaiserpaar geladen.
— Der sozialdemokratische Parteisekretär und Reichs-
tagsabgeordnete Ignaz Auer hat jüngst in seinem
sächsischen Wahlkreise Glauchau-Meerane eine Rede gehalten,
die folgende bemerkenswerte Stelle enthielt: „Man muß
mit der Möglichkeit rechnen, daß wir mit den Waffen
in der Hand uns gegen fremde Uebergriffe zu ver-
teidigen haben. Ich rechne damit, und es wird
unter meinen Parteigenossen nur wenige Schwärmer geben,
die nicht damit rechnen, daß dies für die mitteleuropäischen
Staaten auf absehbare Zeit hinaus gilt. Deshalb halte
ich aufrecht, was ich in Hannover gesagt habe: wenn die
Arbeiter einmal wirklich gleichberechtigt sind, wenn sie unter
Verhältnisse kommen, daß sie als Gleichberechtigte sich
fühlen, dann werden sie unter Umständen ganz gewiß auch
zu der Notwendigkeit kommen, für die Flotte zu
stimmen. Denn wer sich-als gleichberechtigter Bürger
fühlt, wird sich auch als gleichverpflichteter Bürger fühlen."
Diese Sätze klingen so selbstverständlich und doch bezeichnen
sie einen großen Wandel der Anschauungen in der
sozialdemokratischen Partei.
— Die Zahl der Selbstmorde im Deutschen
Reich bewegt sich erfreulicherweise in absteigender Richtung.
Im Jahre 1899 kamen nach dem neuesten Vierteljahrsheft
zur Statistik des Deutschen Reiches 10761 Selbstmorde
vor, gegen 10 835 im Jahre 1898 und 11 013 im Jahre
1897. Auf 100 000 Einwohner entfielen 19,5 Selbst-
morde, gegen 19,9 im Jahre 1898, je 20,6 in den Jahren
1897 und 1896 und 21,1 im Durchschnitt der Jahre
1891 bis 1895. Man wird nicht fehl gehen, wenn man
die Abnahme der Selbstmorde auf die Besserung der Er-
werbsverhältnisse, die in den letzten Jahren stattgefundeu
hat, zurückführt.
Kiel, 3. April. Die Beschädigungen des
Linienschiffes „Kaiser Friedrich III.", das heute
Nachmittag um 1'/, Uhr unter eigenem Dampf in Mel
eingetroffen und in der kaiserlichen Werft gedockt ist, scheine»
bedeutend zu sein, sodaß die Außerdienststellung des Schiffes
m Frage kommt.

Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Grobherzog haben den
nachgenannten Königlich Preußischen Offizieren, Milttärbeamten
und Unteroffizieren die folgenden Auszeichnungen verliehen, und
zwar: L. Vom Orden vom Zähringer Löwen: 1. das Ritterkreuz
erster Klasse mit Eichenlaub: dem Oberstleutnant und Kommandeur
des Magdeburgischen Jäger-BatatllonS Nr. 4 Kurt v. Landen
und dem Oberstleutnant und Kommandeur des Hannoverschen
Jäger-Bataillons Nr. 10 Adolph von Bodelschwingh; 2. das
Ritterkreuz 2, Klasse mit Eichenlaub: dem Hauptmann und
Kompagnie-Chef im Magdeburgischen Jäger-Bataillon Nr. 4
Alexis Treumann, dem Hauptmann und Kompagnie-Chef im
Hannoverschen Jäger-Bataillon Nr. 10 Ernst von Eschwege,
dem Hauptmann und Kompagnie Chef im gleichen Bataillon

Kleine Zeitung.
. — Kreuznach, 1. April. Im Dachgeschoß desBlöden-
^irns des neuerbauten zweiten rheinischen Diakonissen-
Atuttcrhauses brach gestern Nachmittag ein Brand aus.
^ gelang der Rotheschen Fabrikfeuerwehr und der frei-
willigen Feuerwehr, die 128 Insassen sämtlich unversehrt
retten. Der Dachstuhl brannte ab. Zwei Feuerwehr-
euie wurden verletzt.
n — Hamburg, 2. April. Der verstorbene Rheder Carl
^eiß setzte testamentarisch 1200000 Mark für die Er-
dung einer Musikhalle in Hamburg aus.
r — Konstantinopel, 2. April. Zu dem gestrigen Erd-
fi^en-Z wischenfall bei der Handkuß-Zeremonie
^ Prunksaale des Dolma-Bagdsche Palastes telegraphiert
u der „Franks. Ztg.": Infolge des Erdstoßes kam es
A dramatischen Szenen. Die übereinstimmende Ansicht
auf der Gallerie anwesenden Mitglieder des diploma-
iMn Korps geht dahin, es sei ausschließlich der
Geistesgegenwart des Sultans zu verdanken, daß
Katastrophe vermieden wurde. Da bei der Defilier-
Ar im Prunksaale 8000 Personen anwesend waren, so
n ohne Zweifel Hunderte im Gedränge ihr Leben ein-
!ei^^' tvenn der Sultan dem Rate einiger Personen
h>^' Umgebung gefolgt und in den Palastgarten geflüchtet
sch Bei dem Erdstoß klirrten die mächtigen Kronleuchter
aneinander. Die riesigen Säulen wankten, und von
Decke löste sich ein größeres Mauerstück ab. Die all-
*aeine Meinung war, daß ein Attentat ausgeübt werde.

Mehrere Offiziere zerschlugen mit ihren Säbeln die Glas-
wände und sprangen in den Palastgartcn, was große Ver-
wirrung verursachte. Auf der Diplomatengallerie fielen
einige Damen in Ohnmacht. Der Sultan stieg von seinem
Throne herab, kehrte aber sofort um und nahm seinen
Platz wieder ein. Als ihn der Staatsrat Said Pascha
abermals drängte, in den Palastgarten zu gehen und auf
die für ihn höchst gefährliche Situation hinwies, machte
der Sultan eiue ablehnende Bewegung, befahl Said barsch,
auf seinen Platz zurückzukehren, und ließ das Musikkorps
das unterbrochene Spiel sofort wieder aufnehmen. Hierauf
verlangte der Sultan, daß ein kurzes Gebet gesprochen
werde. Auf diese Weise beruhigten sich die Gemüter bald.
— Die Abschaffung der Vielweiberei bei den In-
dianern. Aus Newyork wird geschrieben: Das Gesetz,
demzufolge den Indianern künftig die Vielweiberei verboten
wird, wird jetzt mit aller Strenge zur Anwendung gebracht.
Die Stadt Darlington im Indianer-Territorium war der erste
Ort, wo die Indianer sich von ihren überflüssigen Frauen
trennen mußten. Fast Alle behielten die älteste, häßlichste
und fetteste Frau, denn sie sagten, daß ihnen die erste doch
die liebste sei. Die Verstoßenen werden zur Jndianer-
agentur gesandt, wo für sie gesorgt werden soll, bis ihre
Reservation zur Ansiedelung im Winter fertig ist; dann
erhalten sie von der Regierung so viel Geld, daß sie sich
selbst versorgen können. — Unter den Weibern der Kiowai-
Jndianer herrscht große Trauer, denn die sechs verstoßenen
Frauen des Häuptlings Tall Elks sowie die beiden des
Narjoo haben Selbstmord begangen. Demnach wird die

drakonische Durchführung des Gesetzes von den Betroffenen
sehr hart empfunden; Verhinderung in Zukunft zu
schließender Mchrehen wäre humaner gewesen. Bemerkens-
werterweise hatten auch die genannten beiden Häuptlinge
ihre ältesten Frauen behalten, während sie sich der jungen
und schönen entledigten, die sie doch teuer bezahlt hatten
und die eine Zierde ihres Heims sein sollten, denn unter
den Indianern des Kiowastammes genoß der das größte
Ansehen, der die meisten und schönsten Frauen hatte. Jeder
nur etwas wohlhabende Indianer versuchte, jedes Jahr
sich eine neue Frau zu kaufen; der Preis war gewöhnlich
10 bis 100 Ponies.
— Ostprentzisches Ballgespräch. Er: „Freileinchen, wenn die
Geschichte von der Seelenwanverung wahr wäre, was mechten
Se denn wohl sein?" Sie: „Nu e Schwan." Er: „I, je, nei,
Freileinchen, erbarmen Sie sich, den ganzen Tag mit em Bauch
im kalten Wasser liegen!"
Frühlingslnst.
Es steigt der Lenz, der holde.
Die blauen Berge hinauf;
O Menschen, öffnet die Herzen
Und machet die Fenster weit auf!
Ein Meer von Luft und Sonne
Strömt über Fluren und Hain;
O all ihr erfrischenden Düfte,
Nur rasch in mein Zimmer herein!
Und all mein Sehnen erfüllt sich,
Das lange schon in mir schlief:
Am offenen Fensterflügel,
Steh' ich und atme tief.
 
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