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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Januar bis Juni)

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Nr. 51-76 (1. März 1901 - 30. März 1901)
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Dienstag, 19. März 1901. Erstes Blatt. 43. Jahrgang. — ülr. 66.


Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich SV Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post be-
zogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschließlich Zustellgebühr.
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und dm Plakatsäulen. — Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Rußland und die deutsche Zollpolitik.
Russische offiziöse Blätter haben vor einigen Tagen in
wahrhaft wütender Art vom Leder gezogen und auf die
deutsche Zollpolitik, wie sie in der Vorbereitung der
Handelsverträge sich zu erkennen giebt, dreingeschlagen,
auch den deutschen Reichskanzler persönlich dabei nicht
geschont. Auf die deutscherseits erfolgte Abwehr hin schlägt
man nun in Rußland nicht mehr den brutalen Ton
der ersten Kundgebungen an, aber in der Sache selbst
wiederholen die russischen Finanzblätter die offiziöse
Warnung, man möge bedenken, daß die Erhöhung der
deutschen Getreidezölle russische Gegenmaßregeln Hervor-
rufen würde. Der offiziöse Artikel im Finanzboten und
in der Handels- und Jndustriezeitung führt aus:
Jeder Staat hat das volle und unbestreitbare Recht,
in seinen inneren wirtschaftlichen Angelegenheiten zu ver-
fahren, wie er es für nötig und nützlich für das Wohl
seines Volkes findet. Das russische Finanzministerium ist
ebenso weit entfernt von dem Gedanken, daß es Rußland
möglich sei, sich in die inneren Angelegenheiten Deutsch-
lands einzumischen, wie Deutschland entfernt davon ist,
an die Möglichkeit zu denken, sich in die inneren Ange-
legenheiten Rußlands einzumischen. Aber man kann es
nicht außer Acht lassen, daß die Rückkehr zur ökonomischen
Autonomie den Entschluß zur Erneuerung der Handels-
verträge und die Verständigung über die Zolltarife ganz
wesentlich erschwert, deren Wesen darin besteht, daß die
vertragschließenden Parteien von ihrer Autonomie teilweise
etwas aufgeben und sich im Interesse gegenseitigen Nutzens
mit wechselseitigen Zugeständnissen in wirt-
schaftlicher Hinsicht begnügen. Auf dieses Prinzip ist
namentlich der russisch-deutsche Handelsvertrag
von 1894 gegründet. Er stellt ein gewisses Gleichgewicht
in den wirtschaftlichen Beziehungen der beiden Nachbarstaaten
dar. Die Belegung der Grundprodukte der russischen Arbeit
mit einem erhöhten Tarif verändert die Vertragsbedingungen
von 1894 radikal. Jeder Schritt von deutscher
Seite, in dieser Richtung das bestehende Gleich-
gewicht zu ändern, wird einen entsprechenden
Schritt von russischer Seite erfordern. > Jedes
überflüssige Gewicht in der Art einer Zollerhöhung oder
Erschwerung der Einfuhr, welches von Deutschland in die
Wagschale des handelspolitischen Austausches mit Rußland
gelegt wird, wird auch Rußland veranlassen, ein eben solches
Gewicht in seine Wagschale zu legen. Rußland wird hierzu
gezwungen, keineswegs aus Kampfesneigung und auch nicht
durch den Wunsch, den Gegner zu verwunden, sondern
einzig und allein, um die Wage im Gleichgewicht zu halten.
Man braucht ja auch diesen Artikel nicht tragisch zu nehmen
Und vor allen Dingen sich nicht dadurch einschüchtern zu
lassen. Eine mäßige Erhöhung der Getreidezölle, die zu-
dem für alles fremde Getreide gleichmäßig gilt, verändert
die Grundlagen des deutsch-russischen Handelsvertrages nicht
Wesentlich. Allein immerhin wird man gut thun, sich vor-
Suhalten, daß man die Zollschraube nicht zu stark an-
Siehen darf, wenn man nicht einen Zollkrieg herauf-
beschwören will.

Kleine Zeitung.
— München, 14. März. Die vom Staatsministerium
auf die Ergreifung des Räubers Kneißl ausgesetzte
Prämie von 1000 Mk. ist nach einer Mitteilung der
"Münchner Post" nun an Frau Lorenz und ihren
Ehemann ausgezahlt worden. Frau Lorenz ist eine
verwandte Kneißls, die diesen und seinen ihn mit Pro-
liant versorgenden Freund V öst, einen in München be-
schäftigten Arbeiter, mit Hilfe eines Mädchens — ebenfalls
silier Verwandten — überlistet hat. Ihr Ehemann war
aus München ausgewiesen und darf jetzt wieder dahin zu-
*bckkehren. Mit dem Befinden Kneißls steht es schlecht.
. — Uebcr dm LebenSgang des Räubers Kneißl wird
berichtet: Kneißl ist ein richtiges Räuberkind. Von
Mütterlicher Seile ist er mit den Paskolinis verwandt,
bw in den siebziger Jahren die Gegend von München
/^sicher machten. Sein Vater war das Haupt einer ver-
legenen Bande, der die isoliert im Walde gelegene
^chachermühle, das Besitztum Kneißls, als Schlupfwinkel
'ente. Er hatte zwei Söhne, Alois und Mathias, die
? schon sehr früh zu dem gefährlichen Handwerk anhielt,
^azu Mathias, der jetzt eine so traurige Berühmtheit
iangt hat, anfangs wenig Anlagen zeigte. Er wird
seinen Lehrern als stiller, fleißiger Knabe geschildert.
Zeit gelang es nicht, die Bande zu fassen, da sie
^ rechtzeitig von dem Nahen der Gendarmerie unter-
^chtet wurde und in die Wälder entfloh. Endlich im
^Meniber 1892, konnte die Gesellschaft überrascht und
^ ganze Räuberncst ausgehoben werden, wobei es nicht

Elektrische Fernbahn.
Der Plan einer elektrischen Fembahn Berlin-Hamburg,
ist nun in seinen Grundzügen etwas näher bekannt ge-
worden. Er ist auf Grund sorgfältigster Studien und
Erhebungen aufgestellt und eröffnet einen ganz über-
raschenden Ausblick in die Zukunft. Die Geschwindigkeit
der Züge soll 200 Kilometer in der Stunde betragen, so
daß die ganze 250 Kilometer lange Strecke zwischen beiden
Städten in 1'/. Stunde zurückgelegt werden würde. Es
sollen nicht, wie bisher, nur einige wenige Züge täglich
verkehren, sondern es soll von vornherein ein sogenannter
Omnibusverkehr eingerichtet werden, derart, daß alle zehn
Minuten ein einzelner elektrischer Wagen, der Platz für
60 Personen hat, von jeder der beiden Städte abgeht;
man wäre also jederzeit, wenn man auf den Bahnhof
kommt, sicher, einen zur Abfahrt bereiten Wagen dort zu
finden. Die Bahnlinie soll selbstverständlich von der bis-
herigen Eisenbahn z wischen beiden Städten gänzlich ge-
trennt angelegt werden und sich der geraden Linie zwischen
ihnen möglich anschließen. Wegen der großen Gefahr
durch den hochgespannten Strom in der elektrischen Leitung
und durch die große Geschwindigkeit der Züge sollen die
Geleise während des Betriebes überhaupt nicht, auch nicht
von den Bahnbeamten betreten werden; es ist daher eine
dreigleisige Bahnanlage vorgesehen, sodaß ein
Geleis immer außer Betrieb ist und ohne Gefahr ausge-
bessert werden kann. Zwischen den einzelnen Geleisen soll
ein beträchtlich größerer Abstand bleiben, als dies bei den
jetzigen Eisenbahnanlagen üblich ist, damit beim Begegnen
zweier Züge nicht ein zu großer Luftwiderstand entstehe.
Niveauübergänge sind selbstverständlich ganz ausge-
schlossen; alle Wege und Straßen müssen über oder unter
der Bahn durchgcführt werden, und damit dies ohne
Schwierigkeit geschehen könne, ist angenommen, daß die
ganze Bahn auf einem sechs Meter hohen Damm
geführt werden soll, der in Zwischenräumen von einigen
hundert Metern durch regelmäßige überbrückte Oeffnungen
zur Unterführung der Wege unterbrochen ist. Städte und
Dörfer sollen durch große Kurven umgangen werden,
Haltestellen unterwegs aber überhaupt nicht angelegt
werden, einmal um den beträchtlichen Zeitverlust zu ver-
meiden, der durch die allmähliche Minderung der Ge-
schwindigkeit bis zum Anhalten und nachher durch das Wieber-
anfahren entsteht, dann aber auch, um nicht genötigt zu sein, in
die Fahrgeleise Weichen einzulegen, die immer Gefahrpunkte
darsftllen. Da die meisten Unglücksfälle im Eisenbahnbe-
trieb erfahrungsmäßig durch die Weichen veranlaßt werden,
so wird durch das gänzliche Fortfallen derselben bei der
neuen Bahn die Betriebssicherheit außerordentlich vermehrt
werden. Zur weiteren Erhöhung derselben sollen in den
Fahrgeleisen die Schienen doppelt gelegt werden, so daß
immer zwei Schienen neben einander liegen und in dem engen
Zwischenraum zwischen beiden der Spurkranz des Rades
läuft, wodurch die Gefahr einer Entgleisung sehr vermindert
wird. Endlich lassen sich bei elektrischem Betriebe leicht
Einrichtungen treffen, daß, falls ein Wagen während der
Fahrt zufällig liegen bleibt, sofort die Leitung hinter
ihm auf eine Hinreickende Strecke stromlos

ohne ein scharfes Gefecht abging. Der alte Kneißl wurde
so schwer verwundet, daß er auf dem Transport starb,
die beiden Söhne 18- und 16jährig, schlugen sich durch,
nachdem sie einen Gendarmen lebensgefährlich verwundet
hatten. Sie wurden einige Wochen später gefangen und
mit den übrigen Mitgliedern der Bande abgeurteilt. Der
jüngere Bruder Alois starb im Gefängnis; Mathias, der
ältere, verbüßte 8 Jahre und erlernte während seiner Haft
die Tischlerei. Im vorigen Jahre wurde er entlassen und
trat bei einem Tischler in München in Arbeit. Er war
nach dem einstimmigen Zeugnis seiner Arbeitsgenossen ein
stiller, fleißiger und geschickter Arbeiter, den jeder gern
hatte. Da wurde seine Herkunft bekannt und man ent-
ließ ihn sofort. Darauf trat er in ein Sägewerk ein,
allein auch da erging es ihm nicht besser; bald erfuhr
man, wer er sei, und er mußte sein Bündel wieder
schnüren. Und so war es überall. Er zeigte den besten
Willen, sich ehrlich durch die Welt zu schlagen, aber sobald
seine Abstammung bekannt wurde, trieb man ihn mit
Schimpf und Schande fort, bis ihm nichts anderes mehr
übrig blieb, als zu seinem früheren Leben zurückzukehren.
So wurde er der „berühmte" Räuber, der Monate lang
eine ganze Polizeiarmce in Atem hielt.
— Säbelduell. In München fand kürzlich zwischen
zwei Studierenden ein Säbelduell statt, wobei der Kandidat
der Medizin Langhauser, der Sohn eines Majors in Metz,
beim ersten Gang einen Hieb quer über das Gesicht erhielt,
wodurch beide Augen schwer verletzt, das Nasenbein teilweise
durchschnitten wurde.

wird und also der nachfolgende Wagen von
selbst stehen bleibt, ein Aufrennen zweier auf ein-
ander folgenden Züge daher unmöglich ist. Ferner können
längs der ganzen Strecke zahlreiche Apparate aufgestellt
werden, durch welche auf den Bahnhöfen in Berlin und
Hamburg das Durchfahren jedes Zuges durch bestimmte
Punkte elektrisch angezeigt wird, sodaß der jederzeitige
Stand aller Züge vom Zimmer aus genau verfolgt werden
kann. Endlich können die Bahnwärter im Falle der Ge-
fahr durch geeignete Vorrichtungen jederzeit die ganze Lei-
tung stromlos machen und dadurch alle Züge zum
Halten bringen.

Deutsches Reich.
— Das Montag früh über das Befinden des
Kaisers ausgegebene Bulletin lautet: Die Ueberhäutung
der Wunde ist nahezu vollendet, die Schwellung der reckten
Gesichtshälfte ist geringer, aber noch nicht beseitigt. Das
Allgemeinbefinden ist gut. Das Bulletin ist unterzeichnet
von den Aerzten: v. Leuthold, v. Bergmann und Jlberg.
— Nach dem, was bisher über die Verhaftung
des Schlossers Weiland in Bremen bekannt ge-
worden, mußte man annehmen, daß er unmittelbar nach
dem Wurf von Gendarmen niedergeritten wurde. Nun
stellt sich aber durch Aussagen von Zeugen heraus, daß
Weiland unmittelbar nach dem Wurf ins Schwanken kam
und von selbst nach vorn niedcrstürzte, sodaß er hierdurch
unter die Hufe der Gcndarmeriepferde kam, die dem kaiser-
lichen Wagen folgten. Durch diesen Vorgang wird mit
mehr als Wahrscheinlichkeit bewiesen, daß Weiland im
Augenblick des Attentates einen epileptischen
Anfall ckrlitt, von dem der Wurf als erster, das Nieder-
stürzen als zweiter Teil betrachtet werden kann. Wenn
man diesen Vorgang mit der jetzt unzweifelhaft festgestellten
Thalsache zusammenhält, daß Weiland das Eis-nstück nicht
etwa mitgebracht, sondern kurz vor der That auf dem
Domhof gefunden hat, stellt sich aller Wahrscheinlichkeit
nach das ganze Attentat als ein zu höchst ungelegener
Stunde und unter beklagenswerten Umständen eingetretener
Krankheitsanfall eines in Bewußtlosigkeit handelnden Epi-
leptikers dar.
Deutscher Reichstag. Berlin, 18. März. Die Rech,
nung der Kasse der Oberrechnungskammer wurde der
Rechnungskommission überwiesen.
Der Gesetzentwurf betreffend Ausübung der freiwilligen
Gerichtsbarkeit und Leistung von Rechtshilfe im Heere
wird nach unerheblicher Debatte in zweiter Lesung an-
genommen.
Die zweite Beratung des Entwurfes eines Unfall-Für-
sorgegesetzes für Beamte und Personen des Soldatenstandes
wird von der Tagesordnung abgesetzt.
Der Antrag der Wahlprüfungskommisston, über die
Wahl v. Gersdorff (Posen 2) weitere Beweiserhebungen
anzustellen, wird angenommen.
Es folgen Petitionen.
Die Petition betreffend Regelung des Handels mit Konserven,
wird als Material überwiesen.
Bezüglich der Petition betreffend Erlaß eines Gesetzes zur

— Das Buch als Liebesbote. Eine hübsche Geschichte
wird von einem jungen Mann erzählt, der Eingang in
das Haus einer der reichsten Hamburger Familien gefunden
hatte. Er verliebte sich in die einzige Tochter des Hauses
und versuchte, sich bei ihr in jeder nur möglichen Weise
beliebt zu machen, besonders dadurch, daß er ihr die
neuesten Bücher brachte. Eines Tages fand der Vater
der jungen Dame ein solches Buch auf dem Tisch liegen
und begann darin zu blättern. In einem der Kapitel fand
er eine Anzahl von Worten mit Blei unterstrichen, nicht
etwa besonders schöne Stellen, sondern völlig nichtssagende
Worte, wie z. B. „ich" und „Sie". Er blätterte weiter
und fand überall dieselbe Sache. Er stellte nun die unter-
strichenen Worte zusammen und las Folgendes: „Sehr
geehrtes Fräulein —, wird es Sie verletzen, wenn ich
Ihnen sage, daß ich Sie anbete, und —." Kurz, ein
Liebesbrief schönster Sorte, der mit den Worten schloß:
„Antworten Sie im nächsten Kapitel." Der Vater nahm
nun eine Bleifeder, unterstrich ebenfalls gewisse Worte im
nächsten Kapitel, wickelte das Buch in Papier und ließ es
durch einen seiner Diener dem jungen Mann zurückstellen.
Der Letztere öffnete das Buch unter lautem Herzklopftn
und fand richtig im nächsten Kapitel die erbetenen, unter-
strichenen Worte. Er las Folgendes: „Sie junger Schurke l
Wenn Sie noch einmal wagen, die Schwelle meines
Hauses zu betreten, lasse ich Sie die Treppen hinunter-
werfen."
— König Eduard hat beschlossen, alle Gemälde, welche
sich in den Schlössern von Windsor und Buckingham be-
 
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