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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Januar bis Juni)

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Nr. 51-76 (1. März 1901 - 30. März 1901)
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^Montag, 11. Mörz 1901. Erstes Blatt. 43. Jahrgang. — ssr. 59.


^scheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich SO Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post ^be-
zogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschließlich Zustellgebühr.
l enpreis: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Anschlag der Inserate aufAen Plakattafeln der Heidelberger Zeitung
und den Plakatsäulen. — Fernsprech-Anschluß Nr. 82.


Zum 8«. Geburtstage des Prinzregente«
Luitpold.
, München, 9. März. Die Geburtstagsseierlichkeiten
A-nnen heute Vormittag mit militärischen Empfängen.
^Neralinspekteur Prinz Leopold drückte dem Regenten
^ Glückwünsche der Generalität und des Offizicrkorps der
^zen bayrischen Armee aus. Der Regent zeichnete der
»Köln. Ztg." zufolge den Kricgsminister und die komman-
'krenden Generäle durch Ansprachen aus. Alle öffentlichen
^ sehr viele private Gebäude prangen in ebenso reichem
^ geschmackvollen Schmuck. Schon heute zeigte der
^saßenverkehr vorwiegend geputzte Menschen und allge-
A^Ne Festesstimmung. Die Zeitungen wiederholen, obwohl
Miell auch jetzt nichts hierauf Bezügliches bekannt ist, das
Frücht, der österreichische Kaiser und anstatt des
Mers Wilhelm der deutsche Kronprinz würden
^nstag hierhcrkommen, jedoch ohne hier zu übernachten. Die
^sanitziffer aller verliehenen Auszeichnungen beträgt 413,
^lich 6 Rangerhöhungen, 294 Ordensaustcilungen, 113
^>el- und Rangerhöhungen; die bronzene Medaille und
^ Michaels-Orden erhielten zahlreiche Handwerker, Fabrik-
weiter und niedere Hofbedienstete. Am meisten bespro-
Ab" werden drei Erhebungen in den Fürstenstand; Graf
Erring soll diese Auszeichnung abgelehnt haben. Poli-
. Ichs Bedeutung hat nur die Erhebung des Minister-
^chidenten Crailsheim in den erblichen Grafenstand; übri-
besitzt Crailsheim nur eine bisher unvermählte Tochler.
^ilsheims Rangerhöhung gilt einerseits als Ehrung des
^iamtmiuisteriums, außerdem aber auch als persönliche
- Zeichnung, da neben dem Regenten selbst kein anderer

gleichem Grade wie Crailsheim die erfolgreiche äußere
innere Politik der Regentschaft verkörpert. Für unsere

^brpolitischen Verhältniffe besitzen auch die Erhebung des
der Geheimkanzlei, Wiedemann, in den Freiherrn-
und die Ernennung des HofratS Klug zum Geheim-
^ eine gewisse Bedeutung.
^ .Das oben genannte Blatt schildert die Person und das Wesen
W Prinzregenlln folgendermaßen: Das wetterdurchfurchte,
ch einen weißenBart verlängerte Gesicht des Regenten ist
Abbildungen jedermann bekannt, weniger dagegen, wie
und verhältnismäßig jugendlich die mittelgroße,
y * aller Schlankheit doch sehnig-kräftige Gestalt
xj H heute noch aussieht. Wer m München früh morgens
r Spaziergang durch den englischen Garten macht, kann
trlk ^ den Regenten mit ein oder zwei Begleitern dahin-
ten sehen, allerdings auf bravem nicht mehr allzu jungem
glichen, aber doch mit auffallend guter Haltung. Mit
Hetzer Pünktlichkeit folgt nachmittags, und zwar meist in
j^aem Wagen von der Residenz aus ein Besuch bei der
H Rhmphenburg wohnenden Witwe seines verstorbenen
^ Radler müssen gemäß einer Vorschrift des
lvgK Eipräsidiums beim Begegnen dieses Wagens absteigen,
lt '^"en aber, obwohl der Regent im übrigen als kein
t^derer Gönner des Radsports gilt, fast allemal durch
thj besonders freundliches Winken mit der Hand gelohnt
Ruch als Fußgänger kann man den jeden Gruß
vt freundlichste erwidernden hohen Herrn oft genug be-
wenn er, und zwar alsdann Häuflaer mit Gebrock

Kleine Zeitung.
Wiesbaden, 9. März. Der hier ansässige Prinz
Äeü *Echt zu Solms-Braunfels, der seit längerer
^idend war, hat sich erschossen.
litt Großeibstadt (llnterfranken), 9. März. Ein Mi-
hex gestern eine Freifahrt von Berlin
stzh vernahm mit Leutnant Weiter aus Köln als Ballon-
hjxr und Leutnant Strümpel, ist nach 12V-stündiger Fahrt
öelandet. Die tiefste Temperatur während der Fahrt
Grad Kälte. Der Ballon erreichte eine Höhe von
"0 Meter.
Ein Kongreß der Zitherverbände Deutschlands
si„d Oesterreichs soll Mitte August in Weimar statt-
fishE"' Der Aufruf dazu ist ergangen von dem I. Schrift-
dix des Süddeutschen Zitherbundes und richtet sich an
'^öelmitglieder und Vereine der verschiedenen Ver-
Bünde, darunter auch die Heidelberger
Vergesellschaft, die dem Süddeutschen Zither-
Äi>h ' und der Zitherkranz, der dem Mittelrheinischen
verband angehört.
Rom, 6. März, Ein Fall von wunderbarer
Aa^^rcttung hat sich in einem Hause des populären
Mondviertels zugetragen. Dort lief ein neunjähriges
Annita Caputo an ein offenes Fenster des sie-
^sse/ Packwerks, um eine vom Hof herausschallende Musik
-Su hören, lehnte sich zu weit über und stürzte hinab.
' s Mädchen mit dem Kopf an einen über
gespannten Draht, der zum Aufhängen

und Cylinder, als in Uniform, seiner Neigung des Besuches
von Künstlerateliers nachgeht, einer Neigung, die ihm von
seinem Vater, dem Könige Ludwig I. her im Blute zu
stecken scheint. Kann man doch einzelne Künstler, wie
z. B. den Erzgießer v. Miller, fast als Freunde des Re-
genten und jedenfalls als ihm auch persönlich nahestehend be-
zeichnen. Auffallend ist es dagegen, daß man den Regenten im
Gegensatz zu vielen bühnenfreundlichen Prinzen und Prin-
zessinnen seines Hauses (Leopold, Gisela, Alfons u. s. w.)
fast niemals im Theater sieht. Obwohl er bei seinen
Jagdreisen musikalischen Vorträgen auf Flöte, Zither und
Guitarre nicht ungern lauscht, liegen doch seine Lieb-
habereien auf einem ganz andern Felde. Als Freund
aller Leibesübungen war er wenigstens bis vor kurzem
ein ausgezeichneter Schwimmer, gilt noch heute als guter
Bergsteiger und Schütze und hat noch vor zwei Monaten
in der Eis- und Schneelandschaft des Königsees nicht
bloß dem Sport des sogenannten Eisschießens, sondern
auch dem des Rodelns — des Bergabfahrens mit kleinen
Schlitten — gehuldigt. Die hervorragendste Neigung des
weißbärligen Nimrods ist aber die eifrig und alljährlich
im Herbste einige Monate lang geübte Jagd auf Gemsen,
Hirsche und Sauen. Seine Begleiter sind alsdann außer
diesem oder jenem Adjutanten und Hof-Kavalier gewöhnlich
nur einige Künstler und Professoren, während sich unter
den gegenwärtigen Ministern kein einziger Jagdfreund
befindet. Rechnet man zu diesen Gewohnheiten die alljähr-
lichen Besuche einer meist in Oesterreich lebenden Schwester,
der verwitweten Herzogin von Modena, so dürfte der ein-
fache äußere Lebensgang, der zudem eine lebhafte staat-
liche und militärische Thätigkeit zum Inhalt hat, so
ziemlich gekennzeichnet sein. Obwohl im Essen und mehr
noch im Trinken ungewöhnlich mäßig, gilt der Regent
doch durchaus nicht als Feind einer einfachen, aber
kräftigen und guten Tafel, bei der außer hohen Be-
amten und Offizieren besonders Künstler und Gelehrte
seine häufigsten Gäste sind. Rauschende Festlichkeiten Hut
die Münchener Residenz außer bei gelegentlichen Fürsten-
Besuchen seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen. Sie sind
dem Regenten, obwohl unter den Königen Max und
Ludwig II. fast die ganze Last der Repräsentation auf
seinen Schultern ruhte, von jeher ebenso zuwider gewesen
wie der verstorbenen Königin Viktoria, seit sie Witwe
geworden war. Trotzdem aber kann man den achtzig-
jährigen hohen Herrn unbedingt als einen Mann be-
zeichnen, der sehr gern lebt.

Deutsches Reich.
— Auch heute lauten die Nachrichten über das Befinden
deS Kaisers günstig. Bemerkenswert sind die Beweise
freundlicher Teilnahme aus Frankreich. Präsident L o ubet
telegraphierte an den Kaiser und beglückwünschte ihn, daß
er dem gegen ihn verübten Anschläge entging. Der fran-
zösische Botschafter in Berlin drückte dem Staats-
sekretär v. Richthofen die Gefühle der französischen Re-
gierung aus. — Der „Germania" zufolge ordnete der
Fürstbischof Ko pp an, daß am gestrigen Sonntag in
sämtlicben Kirchen der Diözese Breslau im allgemeinen

von Wäsche dient, und unwillkürlich klammerte es sich mit
beiden Händen daran. Der Draht riß durch den heftigen
Stoß, und mit dem kürzern Ende, an dem die kleine Annita
hing, wurde sie nach der Wand hinüber geschwungen, wo
dieses Ende befestigt war. So flog sie grade in ein offenes
Fenster des zweiten Stockes hinein, an dem zufällig eine
Hebamme stand, die nicht wenig erstaunt war, als sie in
ihren Armen plötzlich ein neunjähriges Kind hielt, das vom
Himmel heruntergefallen schien, aber außer einigen Haut-
abschürfungen keinerlei Verletzungen hatte. Nach einer
kurzen Pflege im Hospital wird die kleine Annita ohne
Schmerzen an ihre merkwürdige Luftreise und ihre Wieder-
geburt zurückdenken können.
— Die Frisuren der Japanerinnen. Ein französischer
Offizier, der soeben aus Japan zurückgekehrt ist, weiß über
die Frisuren der japanischen Damen allerlei zu erzählen.
Aus der Art und Form der Haartracht kann man nicht nur
das Alter der Japanerinnen erkennen, sondern auch heraus-
lesen, ob die betreffende Dame noch ledig, schon verheiratet
oder wieder frei, d. h. Wittwe ist. Junge Mädchen, die
einen Wann suchen, tragen ihr Haar vorn recht hoch, und
ordnen am Hinterkopf die Haarflechten fächer- oder schmetter-
lingsartig an, wobei sie Silberschnur oder kleine farbige
Kügelchen einflechten. Eine Wittwe, die sehnsüchtig nach
einem zweiten Gatten ausschant, baut ihren Haarturm
rings um eine Nadel auf, die am Hinterkopfe wagerecht
angebrackt wird. Wenn eine Wittwe jedoch ihrem Seligen
ewig treu bleiben will, schneidet sie sich das Haar ab, so-

Gebct besondere Danksagungen eingeflochten und im Haupt-
gottesdienst ein feierliches sks Ooum gesungen wurde.
— Dem im 65. Lebensjahr verstorbenen Großindu-
striellen Reichstagsabgeordneten v. Stumm wird von allen
Seiten das Zeugnis ausgestellt, daß er ein Charakter, eine
in sich geschlossene Persönlichkeit gewesen sei. Als Arbeit-
geber hat Stumm MustergiltigeS geleistet, dementsprechend
war das Verhältnis zwischen ihm und der großen Schar
seiner Arbeitnehmer ein sehr gutes. Als Politiker beging
er den Fehler, nach seinen mustergiltigen Einrichtungen
das gesamte Arbeitswesen in der Industrie zu beurteilen.
Er war ein lebhafter und energischer Fürsprecher des
patriarchalischen Wesens, das allerdings im „Königreich
Stümm" sehr segensreich gewirkt hat, aber das als Norm
für die Regelung des Verhältnisses zwischen Arbeitgeber
und Arbeitnehmer heute nicht mehr hinreicht.
— Die Budgetcommission des Reichstages
lehnte die Forderung von 2 Millionen Mark für den
Bahnbau Dar-es-Salaam-Mrogoro ab und nahm eine
Resolution an, die die Reichsregierung aufsordert, mit einem
Privatunternehmer über diesen Bahnbau zu unterhandeln
und. sodann eine Vorlage auf annehmbarer Grundlage dem
Reichstage zugehen zu lassen. Damit ist die Beratung des
Kolonialetats beendet.
Charlottenburg, 9. März. Das Mausoleum war
heute am Todestage Kaiser Wilhelms I. mit blühenden
Topfgewächsen reichlich geschmückt. Kränze wurden ivon
den General- und Flügeladjutantcn niedergelegt, ebenso von
den Leibregimentern des alten Kaisers. Ein zahlreiches
Publikum besuchte die GcabcZstätte. Mittags erschien die
Kaiserin mit dem Prinzen Heinrich, um einen Kranz an
der Gruft niederzulegen.
Baden.
— In Mannheim ist ein kaufmännischer Verein weib-
licher Angestellter gegründet worden, zu dem sich bereits
gestern 118 Mitglieder eingeschrieben haben. Der Jahres-
beitrag beträgt 4 Mk.
Hessen.
Darmstadt, 9. März. Die Zweite Kammer
bewilligte unter lebhaftem Widerspruch des Finanzministers
die Uebernahme der sämtlichen Kosten der Fortbildungs-
schulen auf den Staat. Die Kosten betragen 145 000
Darmstadt, 8. März. Gestern ließ sich der Gröb-
st erzog Ernst Ludwig in eigener Person, auf einem
parlamentarischen Gesellschaftsabcnd den Führer der
hessischen Sozialdemokraten, den Offenbacher
Reichstags- und Landtagsabgeordneten Ulrich oorstellen
und unterhielt sich sichtlich angeregt und interessiert
über eine halbe Stunde lang mit ihm.
Preußen.
Berlin, 8. März. Der Gutsbesitzer v. Platen-
Parchow auf Rügen, der vor kurzem in die Schul-
stube seines Dorfes eingedrungen ist und den Lehrer ver-
haftet hat, ist, wie die „Deutsche Tagesztg." meldet, vor
einigen Tagen in eine hiesige Irrenanstalt ein-
aetiefert worden.

daß es mchl länger ist als eine Handvreite und kämmt es
ohne jeglichen Schmuck nach hinten. Der Offizier bekennt
jedoch ehrlich, daß er während seines Aufenthalts in Japan
nur eine einzige Wittwe mit einem „Tituskopf" gesehen
habe, und diese eine soll die Absicht kundgegeben haben —>
sich die Haare wieder wachsen zu lassen.
— Frau (zu einer stellesuchenden Köchin): „Haben Sie einen
Liebhaber, Soldat oder sonst jemand?" — Köchin: „Ganz ge-
wiß nicht." — Frau: „Dann kann ich Sie nicht brauchen, weil
es mit Ihrer Kochkunst sicherlich nicht weit her ist."

Litterarisches.
— 8 Dr. Karl Wollf, Sozialer Geist, sein Wesen
und seine Entstehung. Verlag vonE. Aletter, Mannheim
1901. Preis 2 40 Mk. Unter den vielen, die Erfolge des ver-
flossenen Jahrhunderts aufzählenden, beurteilenden, lodenden und
tadelnden Stimmen ertönt hier — unseres Wissens — in aus-
giebiger Weise die erste, welche ein Fazit zu ziehen versucht aus
den Wandlungen, welche der Geist der Zeit in dem verflossenen
Zeitabschnitt gemacht hat. Wir sind gewöhnt, aus mnemotechni-
schen Gründen jedem Jahrhundert ein besonders den herrschenden
Zeitgeist charakterisierendes Epitheton bcizulegen, so nennen wir
das 18. Jahrhundert, das Zeitalter des aufgeklärten Absolutis-
mus, das 19. Jahrhundert, bas des Liberalismus. Karl Wollf
sucht in geistvoller Weise nachzuweisen, daß am Ende des 19.
Jahrhunderts sich wieder ein Umschwung vollzogen habe. Jeder-
mann fühlt instinktiv, daß wir am Ende der Herrschaft einer
Idee und am Anfang derjenigen einer neuen — der sozialen
Idee stehen Der Regung dieser Idee auf den Gebieten deS
Staats und Rechts, der Wissenschaft, der Kunst, der Ethik und
der Religion geht Karl Wollf mit gutem Spürsinn nach und ver-
mag uns zu überzeugen, daß es dem dunkel und rätselhaft vor
 
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